Oberösterreicher
in sowjetischer Kriegs-gefangenschaft

In sowjetischer Kriegsgefangenschaft
Der Großteil der Menschen, die in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten, erlitten dieses Schicksal als Angehörige der Deutschen Wehrmacht. Die Soldaten wurden während und kurz nach Kriegsende festgenommen und in russische Lagersysteme (GUPVI, die dem NKVD = Volkskommissariat für Innere Angelegenheiten der UdSSR unterstellt waren) eingewiesen. Aber auch nach Ende des Krieges wurden Zivilisten – Männer als auch Frauen unterschiedlichster Berufsgruppen – von sowjetischen Besatzungssoldaten oft ohne nachvollziehbaren Grund verhaftet, verurteilt und bis zu 10 Jahren in sowjetische Gefangenschaft verschleppt. Die festgenommenen Zivilisten hatten in der Sowjetunion nicht den Status von Kriegsgefangenen sondern von verurteilten Sowjetbürgern und wurden wie diese im Archipel GULAG untergebracht.

Soldaten, die in sowjetische Kriegsgefangenschaft gerieten, waren nicht nur einem nicht ganz unberechtigten Revanchestreben der sowjetischen Bevölkerung und der Unmenschlichkeit der kommunistischen Diktatur ausgesetzt, sondern kamen auch in ein Land, das die höchsten Todesraten und größten Kriegsverluste zu verzeichnen gehabt hatte. Eine langjährige intensive Propaganda hatte nicht nur viele gegenseitige Vorurteile und Ängste aufgebaut, sondern auch zu einem feindseligen Verhalten geführt.

Der oft wochenlange Transport in die jeweiligen Lager war beschwerlich und viele überlebten diesen gar nicht: In überfüllten Waggons, ohne Versorgung und Wasser war der Transport für die Soldaten die reinste Tortur. Mangelnde Hygiene führte überdies zur Ausbreitung von Seuchen, viele litten unter Fieber, Ruhr oder Darmgrippe. Das Leben in den Lagern war von unsäglichen Entbehrungen und Strapazen gekennzeichnet.

Zahlen und Fakten
Die Zahlen bezüglich der Kriegsgefangenen variieren zum Teil sehr stark, und sind aus diesem Grund sehr kritisch zu betrachten.
Bei Kriegsende waren insgesamt etwa 140.000 bis 150.000 Oberösterreicher in Kriegsgefangenschaft geraten, von denen ein großer Teil unmittelbar zu Kriegsende bereits wieder freigelassen wurde. Zwischen 1946 und 1948 kehrten etwa 30.000 Oberösterreicher aus der Gefangenschaft in England, der Sowjetunion, den USA, Frankreich und eine geringe Anzahl auch aus Jugoslawien, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei heim.
In Moskauer Archiven, die erst kürzlich für Forschungszwecke freigeben wurden, sind 132.000 Datensätze von Österreichern in sowjetischer Kriegsgefangenschaft erfasst und davon wiederum wurden 14.832 Personen aus Oberösterreich registriert. Jeder neunte Oberösterreicher überlebte die Kriegsgefangenschaft in der Sowjetunion nicht. Da die Registrierung der Gefangenen erst in den jeweiligen Lagern erfolgte, ist die Zahl jener, die bereits beim Transport ums Leben kamen, nicht erfasst.

Kriegsgefangene als Wirtschaftsfaktor
Einsatzgebiet der Kriegsgefangenen und Internierten (= deutschsprachige Minderheiten osteuropäischer Gebiete) war die sowjetische Wirtschaft und der Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg: In und außerhalb sowjetischer Lager wurden die Gefangenen vorwiegend in Industrie und Landwirtschaft, im Wohnungsbau, für Waldarbeiten und im Bergbau eingesetzt. Entsprechend dem kommunistischen System und dem geltenden Fünfjahresplan hatten die Lager ein bestimmtes Maß an Erträgen (norma) zu erwirtschaften. Die Kriegsgefangenen wurden explizit in der Wirtschaftsplanung des Landes berücksichtigt, sie waren ein wesentlicher Faktor des sowjetischen Wiederaufbaus und wurden dementsprechend ungern wieder aus der Gefangenschaft entlassen.

Leben in sowjetischen Lagern
Die Zustände in den sibirischen Lagern und das Leiden der Kriegsgefangenen und Internierten sind kaum vorstellbar: Zusammengepfercht auf engstem Raum befanden sich die Gefangenen in einem Zustand permanenter Beobachtung. Eine Privatsphäre gab es selbst bei der Verrichtung der Notdurft nicht. Eine große Belastung war auch der fehlende Informationsfluss: Niemand wusste, wann und ob er nach Hause zurückkehren durfte, wie es den Familienangehörigen ging und ob man sie jemals wieder sehen würde. Die häufigen Umsiedlungen von einem Lager in das nächste trugen ebenfalls zur ständigen Unsicherheit bei: Durfte man nach Hause? Kam man in ein neues Lager? War es schlechter als das vorige? Das Leben war zu einem einzigen Kampf ums Überleben geworden.
Während die Gefangenen im Winter Temperaturen bis minus 50° ertragen mussten, setzten ihnen im Sommer gigantische Mückenplagen zu. Die Gefangenen waren durch Hungerödeme und körperliche Belastungen gezeichnet und es fehlte vor allem in den Jahren 1943 bis 1947 in hohem Maß an Lebensmitteln, Kleidung und medizinischer Versorgung. Die mangelnde Hygiene führte zur starken Verlausung der Gefangenen und in der Folge zu schweren Entzündungen und Hauterkrankungen. Das häufigste Krankheitsbild und auch häufigste Todesursache sowjetischer Kriegsgefangener war die durch schwere Unterernährung hervorgerufene Dystrophie.

Verwendete Literatur siehe Bibliografie.
Redaktionelle Bearbeitung: Elisabeth Kreuzwieser, 2005