Der Eiserne Vorhang

Winston Churchill, 1946

„Von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria hat sich ein Eiserner Vorhang quer durch den Kontinent gelegt.”

Kein Begriff ist in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr zum Symbol für Unfreiheit und Unsicherheit geworden als der „Eiserne Vorhang“: zu einem Symbol für den Kalten Krieg und das totalitäre System der kommunistischen Staaten, für Eingesperrtsein und Überwachung, für Flucht und Vertreibung, für das zertrennte Europa und für die unmenschlichen Grenzen in dieser Welt. Der Begriff „Eiserner Vorhang“ wurde zum allgemeingültigen Ausdruck für die Teilung Europas in demokratische Staatswesen und kommunistische Diktaturen.

Als Bild für eine unüberwindbare Grenze tauchte der Begriff des „Eisernen Vorhangs“ zum ersten Mal im Ersten Weltkrieg auf. Erstmals bezogen auf den Kommunismus erscheint der Begriff bei Mrs. Philipp Snowdon, später Ethel Viscountess Snowdon, die 1920 in ihrem Buch Through Bolshevik Russia vom „Eisernen Vorhang“ schrieb, hinter dem das bolschewistische Russland liege. Dann taucht der Begriff wieder 1945 auf: Joseph Goebbels schrieb am 25. Feber 1945 im nationalsozialistischen Propagandaorgan Das Reich, den er Das Jahr 2000 nannte, von einem Eisernen Vorhang, der nach Kriegsende und nach einer militärischen Niederlage des Deutschen Reiches über Europa niedergehen werde. Ob Winston Churchill den Goebbels'schen Artikel kannte, lässt sich nicht nachweisen. Churchill selbst gebrauchte in einem Telegramm, das er am 16. März 1945 an Roosevelt gerichtet hatte, noch die Formulierung von einem „undurchdringlichen Schleier“ ("an impenetrable veil") und in einem ähnlichen Schreiben an Stalin von „einem Schleier des Geheimnisses“ ("iron curtain"). Weltweite Publizität verschaffte er dem neuen Begriff erst 1946 in der berühmten Rede am Westminster College in Fulton, Missouri, als er die weltpolitische Lage mit den Worten charakterisierte: „Von Stettin an der Ostsee bis Triest an der Adria hat sich ein Eiserner Vorhang quer durch den Kontinent gelegt.

Autor: Roman Sandgruber, 2005