Soziale Struktur

Soziale Struktur in den mittelalterlichen Städten Oberösterreichs


Der Stadtherr und seine Vertreter
Die mittelalterliche Stadt war direkt einem Stadtherrn untergeben. Dieser ‚regierte’ die Stadt und gewährte ihr auch urkundlich verbriefte Rechte. In Österreich war der Landesfürst in der Regel gleichzeitig Stadtherr, beispielsweise der Herzog von Österreich oder bei den Städten des Innviertels der Herzog von Bayern. Hingegen gab es vor allem in Süddeutschland eine Reihe von Städten, die direkt dem Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation unterstellt waren; dabei handelt es sich um die so genannten Reichsstädte.

Der Stadtherr setzte zu seiner Vertretung einen Stadtrichter ein, der seine Interessen wahren sollte, aber auch dem Stadtgericht vorsaß. Als Zeichen dieser Gerichtshoheit führte er ein Schwert; einige dieser Stadtrichterschwerter sind bis heute erhalten geblieben. Seit 1424 schlug der Stadtrat von Linz mehrere Kandidaten für das Amt des Stadtrichters vor, aus denen der Stadtherr einen auswählte und bestätigte. Somit geriet das Amt des Stadtrichters, der auch den Vorsitz im Stadtrat führte, immer mehr in den Einflussbereich der Linzer Stadtbürger.

1490 verlieh Friedrich III. den Linzer Bürgern schließlich das Recht, einen Bürgermeister zu wählen, der den Vorsitz im Stadtrat einnahm und die Stadt nach außen vertrat. Der Stadtrichter hingegen beschränkte sich nun wieder auf seine richterlichen Tätigkeiten. Schon ab dem 14. Jahrhundert, also deutlich früher als für Linz, ist das Amt des Bürgermeisters für Freistadt belegt.

Die Oberschicht: Kaufleute, Adelige und hohe Geistliche
Die wirtschaftlich führende Schicht in den mittelalterlichen Städten waren die Kaufleute. Sie waren einerseits in der Stadt selbst verankert, andererseits konnten sie sich in der Regel auf überregionale Handelskontakte stützen. Als Hausbesitzer waren sie von Beginn an im Besitz des Bürgerrechts und hatten damit auch politischen Einfluss in der städtischen Verwaltung.

Die Bürger der oberösterreichischen Städte bekamen im Laufe der Zeit immer mehr Rechte verliehen, sodass das Leben in der Stadt ständig an Attraktivität gegenüber jenem auf dem Land gewann. Dies zog auch Adelige an, die erkannten, dass ein ansehnliches Haus in der Stadt deutlich mehr Lebenskomfort bieten konnte als das Leben auf einer Burg. So ließen sich etwa die Schaunberger Ende des 15. Jahrhunderts ein Stadtschloss in Eferding erbauen, wo sie durch die Stadtmauern einen ähnlichen Schutz wie auf der Schaunburg genossen, aber an den wirtschaftlichen Vorteilen des städtischen Wirtschaftslebens teilhaben konnten. Auch den niederen grundbesitzenden Adel – die Ritter – zog es vermehrt in die Städte. Ritterbürger spielten vor allem in Gmunden, Steyr und Freistadt eine wichtige Rolle.

Auch die Klöster besaßen in den Städten zahlreiche Häuser, die ihnen durch Stiftungen oder Tauschgeschäfte zugekommen waren. Heute noch gibt es ein Kremsmünsterer Stiftshaus in der Linzer Altstadt und einen Kremsmünsterer Hof am Welser Stadtplatz. Das Kloster Lambach war ebenfalls in Wels reich begütert. Durch den Hausbesitz erwarben die Klöster auch Einfluss in der städtischen Kommunalpolitik.

Die Möglichkeit zur Mitsprache in der Verwaltung der Stadt entwickelte sich allmählich, blieb aber in erster Linie den städtischen Oberschichten vorbehalten. Seit dem Jahr 1369 durften die Linzer Bürger einen Stadtrat wählen. Dieser war das ausführende Organ der Bürgergemeinde und entschied in unterschiedlichsten Angelegenheiten, die das Wohl der Stadt und ihrer Bürger betrafen. Wie viele Mitglieder der Stadtrat umfasste, ist nicht bekannt, es könnten sechs gewesen sein, die jedes Jahr neu gewählt wurden. Allerdings hatten vermutlich nur Vollbürger die Möglichkeit, selbst gewählt zu werden.

Als Vollbürger galten die Kaufleute, Wirte und Bierbrauer, die auch über den Besitz eines oder mehrerer Häuser verfügten; in Gmunden kamen noch die Salzhändler (Fertiger) zu dieser Gruppe hinzu. Häufig waren diese Vollbürger auch mit der grundbesitzenden Ritterschaft am Land verwandt oder sie stiegen selbst in den Ritterstand auf.

Die Handwerker
Die Handwerker bildeten die städtische Mittelschicht. Die einzelnen Gewerbe waren jeweils in Zünften organisiert, die dafür sorgten, dass die Zahl der Betriebe konstant blieb oder der jeweiligen Einwohnerzahl adäquat angepasst wurde. Auch die Preise und die Qualität der Waren zu kontrollieren gehörte zu den Hauptaufgaben der Zunft. Diese Handwerksvereinigungen erfüllten aber auch eine soziale Funktion: Die Mitglieder der Zunft zahlten in eine gemeinsame Kasse – die Zunftlade – ein, aus der im Notfall verarmte Zunftmitglieder versorgt werden konnten. Schließlich übernahmen die Zünfte auch religiöse Aufgaben, indem sie etwa am Tag ihres Schutzpatrons Messen lesen ließen und Prozessionen veranstalteten.

Die Handwerksmeister besaßen in der Regel ein Haus, hatten aber dennoch nur sehr eingeschränkt Zugang zu politischen Ämtern in der Stadt. Zudem war es den Vollbürgern vorbehalten, mit Kaufmannswaren zu handeln sowie Wein und Bier auszuschenken. Gegen dieses Privileg regte sich in Handwerkskreisen vermehrt Widerstand, besonders seit dem späten 14. Jahrhundert. So brachen 1395 in Linz und Wels Unruhen der Handwerker aus, die gegen die Vollbürger gerichtet waren. In Freistadt führten im Jahre 1397 die Bäckergesellen den ersten bekannten Arbeiterstreik in Oberösterreich durch. Die Rechte der Handwerker innerhalb der Stadt wurden schließlich im 15. Jahrhundert schrittweise ausgeweitet, doch zu einer völligen Gleichstellung mit den Kaufleuten kam es nicht.

Die Inwohner
Zahlreiche Handwerksgesellen und Tagelöhner in den städtischen Gewerbebetrieben verfügten über kein Haus, sondern mieteten sich in Bürgerhäusern ein. Diese Inwohner oder Mitwohner waren finanziell nicht in der Lage, die Kosten für das Bürgerrecht zu tragen und blieben daher innerhalb der städtischen Selbstverwaltung rechtlos, aber persönlich frei; sie mussten Steuern zahlen, an der Stadtverteidigung mitwirken und waren gerichtspflichtig. Zu den städtischen Unterschichten gehörten weiters kleinere städtische Beamte, Bader, Nachtwächter und ähnliche Berufe. Sie machten zahlenmäßig die größte Gruppe innerhalb der Städte aus, je nach Stadt zwischen 40 und 60 Prozent.

Wie hoch die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen kaufmännischer Oberschicht und Inwohnern ohne Bürgerrecht waren, zeigen Untersuchungen zu den Steuerleistungen in der Stadt: Die Steuersätze der höchsten Steuerklassen betrugen zum Teil das Hundertfache der untersten Steuerklassen. In Enns befanden sich 1429 10,2 Prozent der Bevölkerung in der höchsten Steuerklasse (Kaufleute), 30,5 Prozent in der mittleren Klasse (Handwerker) und 59,2 Prozent in der untersten Klasse (Inwohner). In Linz, wo der Anteil der Handwerker deutlich höher war, betrug im Jahre 1504 die Gruppe der Höchstbesteuerten 4,7 Prozent, die der Mittelschichten 47,7 Prozent und die der untersten Steuergruppen 47,5 Prozent.

Ebenso wie die Inwohner in der Stadt hatten auch die Bewohner der Vorstädte sowie die Bauern, die innerhalb des Rechtsbereichs (Burgfrieds) der Stadt lebten, kein Recht auf politische Mitsprache; sie waren aber ebenso steuerpflichtig. Eine Sondergruppe bildeten die Gäste in der Stadt, die zum Teil sogar Häuser, jedoch nicht das Bürgerrecht besaßen und zudem von Steuerleistungen befreit waren.

Unterschichten und Randgruppen
Die Zugehörigkeit zu den Randgruppen der Stadt war vor allem durch den Beruf, die Religionszugehörigkeit oder deutlich sichtbare und ansteckende Krankheiten vorgegeben. Zu den „unehrenhaften“ Berufen gehörten etwa Abdecker (Ratzenklauber), der Henker und seine Gehilfen, Prostituierte, Spielleute, aber auch Hirten und Schäfer. Ausgestoßen aus der Gesellschaft waren aber im Besonderen die Menschen, die an Lepra, Aussatz oder anderen unheilbaren Krankheiten litten; sie waren außerhalb der Stadt in eigenen Siechen- oder Leprosenhäusern untergebracht. Für sie sorgten in der Regel Mönche oder Nonnen; ansonsten unterhielt niemand direkten Kontakt zu den Kranken.

Die Juden
Eine Randgruppe für sich waren die Juden, die in den Städten als Fernhändler, Geldwechsler oder auch als kleine Handwerker lebten. Sie waren aufgrund ihrer Religion auf den besonderen Schutz des Stadt- und Landesherrn angewiesen, doch mussten sie dafür auch eine Sondersteuer entrichten. Das Bild von der ständigen Ausgrenzung der Juden in den österreichischen Städten des Mittelalters wurde in der neueren Forschung jedoch korrigiert: In den meisten Städten lebten die Juden nicht in abgegrenzten Vierteln, sondern nebeneinander mit den Nichtjuden.

Freilich kam es immer wieder zu Verfolgungswellen (Pogromen), die ihren Ausgang in haltlosen Anschuldigungen fanden. So erhoben sich etwa 1338 nach einer angeblichen Hostienschändung im Städtchen Pulkau im niederösterreichischen Weinviertel in den meisten österreichischen Städten Judenverfolgungen. Diese Pogrome gingen meist von der breiten Bevölkerung aus, die häufig in finanzieller Abhängigkeit von jüdischen Geldverleihern standen. Die Obrigkeiten – der Herzog von Österreich bzw. im geistlichen Bereich der Bischof von Passau – versuchten mitunter den Volkszorn einzudämmen, etwa als im Jahre 1338 der Bischof von Passau die Vorkommnisse in Linz untersuchen ließ. Nach den Verfolgungen von 1338 übte Herzog Albrecht II. während der großen Pest der Jahre 1348 bis 1352 seinen Judenschutz vehementer aus, sodass es in Österreich im Gegensatz zu vielen anderen Teilen Europas damals zu keinen nennenswerten Pogromen gegen die Juden gekommen sein dürfte.

Anders stellte sich die Situation 1420 dar, als das Gerücht entstand, die Mesnerin der Kirche St. Laurenz zu Lorch (Enns) habe Hostien an Juden verkauft und diese hätten in der Folge damit Frevel getrieben. In ganz Österreich wütete der Volkszorn gegen die Juden, unter offensichtlicher Billigung des Landesfürsten. Die Juden wurden schließlich aus den Städten verwiesen, darunter auch aus Linz, Wels, Steyr und Enns. Der Grund für die allgemeine Hysterie lag unter anderem darin begründet, dass man den Juden eine Kollaboration mit den Hussiten in Böhmen sowie mit den Waldensern, einer als Ketzer verurteilten Reformbewegung, unterstellte.

Autor: Christian Rohr, 2009