Romanik

Kunst der Romanik und Vorromanik in Oberösterreich


Obwohl die Romanik - die erste große europäische Kunstepoche seit der Antike - in Oberösterreich weniger Spuren hinterlassen hat als etwa in Niederösterreich oder Kärnten, birgt das Land doch einige Hauptwerke der Epoche, die weitgehend der Regierungszeit der Salier und Staufer (11. bis Mitte des 13. Jahrhunderts) entspricht. In der vorausgehenden, meist als Vorromanik bezeichneten Zeit der Karolinger und Ottonen entwickelte sich Oberösterreich vom „östlichen Bayern“ zum „Land ob der Enns“. Die Christianisierung des Gebiets ist den Agilolfingern zu verdanken, die auch die Klöster Mondsee und Kremsmünster gründeten.

Tassilokelch
In Kremsmünster hat sich – als Kunstwerk von Weltrang – jener berühmte Kelch erhalten, dessen Inschrift Herzog Tassilo und seine Gemahlin Liutpirc, die Tochter des Langobardenkönigs Desiderius, als Stifter nennt. Da neben Christus und Maria auch die Heiligen Theodo und Theodolinde dargestellt sind, dürfte der Kelch im Jahr 772 anlässlich der Taufe von Tassilos Sohn Theodo in Auftrag gegeben und 777 dem Kloster Kremsmünster geschenkt worden sein. Dieses bewahrte das kostbare Stück auch nach dem Sturz Tassilos auf, der von seinem Cousin – Kaiser Karl dem Großen – zum Tod verurteilt, dann aber in ein Kloster verbannt wurde. Mit Tassilo ist auch der nach seinem heutigen Aufbewahrungsort benannte, ursprünglich aber aus Kloster Mondsee stammende Psalter von Montepellier zu verbinden, dessen Miniaturen enge Verwandtschaft mit den Darstellungen des Kelchs aufweisen.

Andere Werke, die man früher mit Tassilo verband, haben sich inzwischen als spätere Arbeiten entpuppt. So sind die Kremsmünsterer Tassiloleuchter nicht, wie vermutet, das umgestaltete Szepter des unglücklichen Herzogs, sondern entstanden erst um 950. Auch die 1980 in der Sakristei der Dörflkirche in Vöcklabruck gefundenen, wohl von einem Tragalter oder Bucheinband stammenden Reliefs können kaum aus dem 8. Jahrhundert stammen. Wie lange sich frühmittelalterliche Formen hierzulande gehalten haben, belegt das erst um 1300 (?) entstandene Taufbecken der Pfarrkirche von Altmünster.

Prachthandschriften
Dass die Gründungen Tassilos weiterhin kulturelle Zentren blieben, belegen zwei um 800 in Mondsee entstandene Werke: das lediglich als Fragment erhaltene Ingolstädter Evangeliar und der Codex Millenarius Maior in Kremsmünster. Diese Prachthandschrift, die acht ganzseitige Miniaturen mit den Evangelisten und ihren Symbolen enthält, ist wohl mit Abt Hildebald in Zusammenhang zu bringen, der Hofkaplan Kaiser Karls des Großen und später Erzbischof von Köln war.

Während sich aus dem durch Kriege bestimmten 10. Jahrhundert keine Kunstwerke erhalten haben, erlebte das Land später vor allem durch das Wirken des Bischofs Altmann von Passau eine neue Blüte, von der u. a. ein heute in Baltimore aufbewahrter, wohl aus dem Kloster Mondsee stammender Buchdeckel mit Reliefs der Evangelisten zeugt.

Fresken von Lambach
1056 gründete der hl. Adalbero das Stift Lambach, wo zwischen 1957 und 1967 romanische Wandmalereien freigelegt werden konnten. Diese sind neben jenen von S. Angelo in Formis (bei Capua) die bedeutendsten aus der Zeit des Investiturstreites, in dem Adalbero die päpstliche Linie vertrat. Erzählt werden Episoden aus dem Leben Jesu, in die Szenen aus der Geschichte von Herodes dem Großen und Herodes Agrippa eingefügt sind. Die noch vor der Weihe der Stiftskirche im Jahre 1089 vollendeten Malereien sind vor dem Hintergrund der dramatischen Ereignisse um den Kirchenbann und die Absetzung König Heinrichs IV. durch Papst Gregor VII. zu sehen. So wurde hier offensichtlich das furchtbare Ende des Herodes Agrippa als historisches Vorbild für den Sturz Heinrichs dargestellt.

Während die Wandgemälde verblasst und teilweise zerstört sind, haben sich die Buchmalereien wie jene des Stuttgarter Missales oder der Riesenbibel von St. Florian (beide um 1130) ebenso ohne jede Veränderung erhalten wie weitere romanische Prachthandschriften, darunter ein Evangeliar von etwa 1160/70, und ein herrliches Missale der Zeit nach 1200, das nicht weniger als elf ganzseitige Miniaturen aus dem Leben Christi sowie unzählige Initialen enthält. Überaus prächtig ist auch das in Mondsee entstandene Liutold-Evangeliar ausgestattet. Bemerkenswert sind weiters zwei Lambacher Handschriften: ein Rituale (Cml LXXIIIa), auf dessen Widmungsbild Abt Bernhard (1149-1169) das Buch der thronenden Madonna überreicht, und ein Kommentar zum Hohelied, der sich heute in Baltimore befindet.

Rieder Kreuzigung
Erst 1925 wurde in einem Bauernhaus in Ried im Traunkreis ein Relief der Kreuzigung Christi entdeckt, das entweder aus der dortigen Kirche stammt oder für den Kreuzaltar der nahen Stiftskirche von Kremsmünster bestimmt war. Die streng symmetrische Komposition erinnert an das Kanonbild einer Kremsmünsterer Handschrift von etwa 1070, weshalb das Werk als älteste Holzplastik Österreichs galt, während es heute erst ein Jahrhundert später datiert wird. Als deren Auftraggeber käme Abt Albert I. in Frage.

Email- und Goldschmiedekunst
In St. Wolfgang hat sich der einstige Abtstab des Klosters Mondsee, die so genannte Wolfgang-Krümme, erhalten, die angeblich im Inneren den Wanderstab des Heiligen enthält. Die Krümme selbst ist eine jener Emailarbeiten des 13. Jahrhunderts, die von Limoges in alle Welt geliefert wurden. Ein ähnlicher, aus dem aufgehobenen Stift Gleink stammender Abtstab wird im Stift St. Florian bewahrt. Das Stift Kremsmünster wiederum besaß einst ein wertvolles Reliquienkästchen aus Limoges, das sich jetzt im Museum für angewandte Kunst in Wien befindet.

Zu den Schätzen des Stiftes Kremsmünster gehört auch ein um 1160/80 entstandenes Scheibenkreuz, das 1671 um acht Gulden bei einem Linzer Goldschmied gekauft wurde. Obwohl das Edelmetall und die Steine fehlen, zeugen die Reliefs der Auferstehung und Himmelfahrt Christi von der hohen Qualität des Werks, dessen Thematik auf die Osterliturgie verweist. Es ist denkbar, dass es ursprünglich aus dem abgebrochenen Salzburger Dom stammt, dessen Schätze unter Erzbischof Wolf Dietrich (reg. 1587-1612) eingeschmolzen wurden.

Ein bedeutendes Werk war auch der so genannte Adalberokelch im Stift Lambach aus der Zeit um 1200, dessen Gravierungen der von Heiligen begleiteten Maria leider durch Restaurierung Mitte des 19. Jahrhunderts entwertet sind.

Muttergottesstatuen
Aus dem oberen Mühlviertel stammt eine thronende, jetzt im Linzer Schloss zu bewundernde Madonna, die wohl ursprünglich für Stift Schlägl bestimmt war und vielleicht mit der zweiten Klostergründung im Jahr 1218 verbunden werden kann. Nicht viel später ist auch eine aus Linz stammende, heute im Metropolitan Museum in New York befindliche thronende Maria entstanden. Ähnlich muss auch die so genannte Wunderbare Muttergottes in der ehemaligen Stiftskirche von Garsten ausgesehen haben, ehe sie 1565 von Bilderstürmern verbrannt und anschließend völlig erneuert wurde. Erhalten blieb nur die Rückseite mit den beiden Stifterfiguren, die man vielleicht jenem Hartmannus lapicida (Steinmetz, Bildhauer) zuschreiben darf, der unter Abt Ulrich (1233-39) für das Stift arbeitete.
Dass auch das nahe Gleink ein Zentrum der Romanik war, ersieht man nicht nur an einem in die Oberösterreichische Landesbibliothek gelangten Evangeliar (Cod. 415), sondern auch an zwei Türziehern und einem bedeutenden, um 1240 entstandenen Wandmalereifragment, das Maria unter dem Kreuz und einen Propheten zeigt.

Karner von Mauthausen
Der einzige romanische Karner des Landes hat sich in Mauthausen erhalten. Der obere Raum, die Barbarakapelle, enthält Wandmalereien, von denen nur die al fresco gemalten Unterzeichnungen erhalten sind. Diese gehören zu den Hauptwerken des von der Linie bestimmten, höchst ausdrucksvollen Zackenstils. Dieser findet sich gleichzeitig auch in Handschriften des Stiftes St. Florian sowie in einem aus Mondsee nach Wien gelangten Zeremoniale. Seinen Namen verdankt der Zackenstil den merkwürdig spröden, gerade und spitz zulaufenden Gewandfalten, die bereits die Gotik ankündigen.

Mit der herrlichen, wunderbar erhaltenen Madonna aus Freistadt – heute im Württembergischen Landesmuseum in Stuttgart – erreicht die Romanik einen späten Höhepunkt. Da Freistadt 1265 und 1276 in Urkunden Ottokars II. Přemysl erwähnt wird, kommt der beliebte und hoch geschätzte Böhmenkönig als Stifter der Figur in Frage, deren lebensvolle Gestaltung mit dem gewinnenden Lächeln bereits eindeutig der Gotik angehört.

Autor: Lothar Schultes, 2009