Oberösterreicher
in Kriegsgefangenschaft

Welches Schicksal einen oberösterreichischen Soldaten in der Kriegsgefangenschaft erwartete, hing stark davon ab, von welcher Armee er gefangen genommen wurde – von einer der westlichen Verbündeten oder von der sowjetischen. Als Vergleich sollen im Folgenden die britischen und die sowjetischen Maßnahmen gegenüber den Kriegsgefangenen der deutschen Wehrmacht dienen.

Kriegsgefangene der Briten
Die Kriegsgefangenen der Briten waren nicht nur in Lagern auf den Britischen Inseln untergebracht, sondern auch in Nordafrika, Kanada, den britischen Dominions und in den USA. Während ihre Zahl sich 1943/44 in der Region von einigen Zehntausend bewegte, stieg sie gegen Ende des Weltkrieges stark an. Für die Österreicher in britischer Gefangenschaft war der Beschluss des britischen Außenministeriums von 1944 zur Trennung der österreichischen von den deutschen Kriegsgefangenen von eminenter Bedeutung. Da die Wiedererrichtung eines unabhängigen Österreichs 1943 in der Moskauer Deklaration beschlossen worden war, sollten die österreichischen Kriegsgefangenen zu Demokraten erzogen werden und beim Wiederaufbau ihrer Heimat einen wesentlichen Anteil leisten. Ein Problem ergab sich dabei aber durch die bisherige britische Praxis, ausgewiesenen Nationalsozialisten Leitungsfunktionen innerhalb der Häftlingsgemeinschaft zu übertragen. Diese sorgten zwar im Sinne der Briten für strikte Ordnung, ließen aber Soldaten, die Kritik am Nationalsozialismus äußerten oder sich zu einem unabhängigen Österreich bekannten, misshandeln. Diese Gewalttätigkeiten konnten bis zum Tod der Betroffenen führen.

Seit 1944 waren die österreichischen gefangenen Soldaten in zwölf britischen Lagern zusammengefasst. Sie erhielten demokratische Schulungen, die Unterricht in Englisch ebenso umfassten wie Politik- und Verfassungsgeschichte, politische Geografie, deutsche Literatur sowie Landes- und Kulturkunde Großbritanniens. Ziel war es, eine positive Einstellung der Soldaten gegenüber Großbritannien und dem System der Demokratie zu erreichen.

Sämtliche Kriegsgefangene in britischem Gewahrsam sollten in drei Kategorien eingeteilt werden, in die Whites, politisch unbelastete Personen, die Greys, die nur in geringfügigem Ausmaß in das nationalsozialistische System involviert waren, und in die Blacks, die überzeugten Nationalsozialisten. Aufgrund des starken Anstiegs der Gefangenenzahlen konnte dieses Vorhaben nur zum Teil durchgeführt werden, die österreichischen Gefangenen wurden aber zu zwei Dritteln kategorisiert.

Die Kriegsgefangenen bildeten für Großbritannien wie auch für alle anderen Staaten, die Kriegsgefangene in Gewahrsam hatten, einen wichtigen wirtschaftlichen Faktor, da sie ein großes Arbeitskräftereservoir bildeten. Ihre Entlassung wurde daher auch von wirtschaftlichen Überlegungen abhängig gemacht, um die nationale Wirtschaft nicht zu schwächen. Die Österreicher unter den Gefangenen wurden privilegiert gegenüber den Deutschen behandelt und durchschnittlich früher als diese entlassen, wobei die Whites die Ersten waren, die in ihre Heimat zurückkehren konnten. Bis Ende Jänner 1947 war der letzte österreichische Soldat aus britischer Kriegs-gefangenschaft heimgekehrt.

Kriegsgefangene der Sowjetunion
In der Sowjetunion wurde bereits im Jahr 1939 eine Einrichtung unter dem Namen UPVI (später GUPVI) gegründet, die für die Verwaltung der Angelegenheiten der Kriegsgefangenen und Internierten zuständig war. In ihre Verantwortung fiel die Versorgung der Gefangenen und die Koordinierung ihres Einsatzes für die sowjetische Wirtschaft. Bis 1953 wuchs das Lagersystem der GUPVI auf 4000 Lager an, die sich auf ein Gebiet von der polnischen Grenze bis nach Sibirien verteilten. Wie das Deutsche Reich im Bezug auf die sowjetischen Kriegsgefangenen sah sich auch die UdSSR nicht an die Regelungen der Genfer Konvention zur Behandlung von Kriegsgefangenen gebunden.

Die ersten Österreicher gerieten im Herbst und Winter 1941/42 am Volchov, vor Moskau und im Süden Russlands in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Nach der Kapitulation der 6. Armee in Stalingrad 1943 waren die sowjetischen Behörden mit den Massen an Kriegsgefangenen – es waren etwa 90.000 Personen – überfordert. Es bestanden keine Aufnahmekapazitäten und die Gefangenen mussten in improvisierten Lagern leben, oft ohne Küche, sanitäre Einrichtungen und Lazarette. Lediglich 6000 Überlebende von Stalingrad kehrten wieder in ihre Heimat zurück.

Wer in sowjetische Gefangenschaft geriet, musste meist den Marsch in die 50 bis 70 Kilometer hinter der Front befindlichen Sammelpunkte für Kriegsgefangene antreten. Erst dort fand eine erste Versorgung der Verwundeten statt. Viele der bereits erschöpften, hungernden oder verwundeten Soldaten überlebten die Strapazen des Marsches nicht. Von den Sammelpunkten ging es weiter in die Front-Aufnahme-Durchgangslager, die sich ca. 100 bis 150 Kilometer hinter der Front befanden. Hier wurden die Gefangenen das erste Mal registriert. Das Schicksal vieler Soldaten, die es nicht bis in diese Lager schafften und daher auch nie registriert wurden, ist bis heute ungeklärt. Von den Front-Aufnahme-Lagern ging es in überfüllten Viehwaggons in die stationären Lager der UPVI. Es gab eigene Lager für Offiziere und solche für Mannschaften und Unteroffiziere, wobei die Offizierslager sich oftmals wiederum in Lager für Generäle und Lager für Stabsoffiziere teilten.

Die Lager wurden an jenen Orten errichtet, die sich aus wirtschaftlichen Gründen dafür anboten: bei industriellen Zentren oder in Gebieten, die vom Krieg stark in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Die Kriegsgefangenen bildeten auch in der UdSSR einen wichtigen Wirtschaftsfaktor und wurden zu den unterschiedlichsten Tätigkeiten herangezogen, von der Landwirtschaft über den Wiederaufbau ganzer Städte bis zum Einsatz in der Industrie.

Politische Schulungen
Die Sowjets betrieben in ihren Lagern ebenfalls politische Schulungen und warben für die Antifa. Wer ihr beitrat, erhielt Vergünstigungen wie einen besseren Arbeitsplatz oder eine größere Essensration. Ziel war es, überzeugte Kommunisten heranzubilden, die sich nach der Rückkehr in ihre Heimatländer einschlägig betätigten. Der Erfolg unter den österreichischen Kriegsgefangenen war aber bescheiden. Ein Österreich-Patriotismus machte sich unter ihnen aber ebenso wenig breit. Viel zu groß waren die täglichen Existenzsorgen, als dass für solche Überlegungen viel Platz geblieben wäre. In der gesamten UdSSR herrschte durch die Zerstörungen des Krieges eine katastrophale Versorgungslage, unter der auch die Kriegsgefangenen zu leiden hatten. Dazu kam der fehlende Kontakt nach Hause. Bis 1945 bestand keine Möglichkeit, an die Angehörigen zu schreiben. Da die Sowjetunion auch keine Meldungen über ihre Kriegsgefangenen abgab, war das Schicksal der kriegsgefangenen Soldaten teilweise mehrere Jahre unbekannt. Erst 1946 konnten sie mittels Rot-Kreuz-Karten mit ihren Familien in Kontakt treten.

Rückkehr der österreichischen Soldaten
Die Hälfte der in der Sowjetunion gefangen gehaltenen österreichischen Soldaten kehrte zwischen 1945 und 1946 zurück. Die Rücktransporte in schlecht beheizten, überfüllten Zügen, in denen Krankheiten grassierten, kosteten Viele das Leben. Bis 1949/50 gab es mehrere Repatriierungswellen aus der UdSSR. Danach erklärte die Sowjetunion offiziell, dass sich keine Kriegsgefangenen mehr in ihrer Hand befänden, alle Verbliebenen seien verurteilte Kriegsverbrecher. Zu diesen „Kriegsverbrechern“ zählten aber Viele, die in Schnellverfahren ohne juristischen Beistand generell als Kriegsverbrecher verurteilt worden waren. Dazu kamen noch Soldaten, die sich während ihrer Gefangenschaft etwas zuschulden kommen ließen, oft nur einen Diebstahl aus Hunger. Die letzten österreichischen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion wurden 1955/1956 in ihre Heimat entlassen.

Autoren: Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher

Aus: Goldberger, Josef - Cornelia Sulzbacher: Oberdonau. Hrsg.: Oberösterreichisches Landesarchiv (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 11).- Linz 2008, 256 S. [Abschlussband zum gleichnamigen Forschungsprojekt des Oberösterreichischen Landesarchivs 2002-2008.]



Weitere Informationen...

...siehe Epochenrundgang "1945-2005" | "Befreiung und Kriegsende" und die Dokumentation zur Ausstellung "Heimkehrer 1947" von Kons. Kurt Cerwenka, die 2007 im Linzer Ursulinenhof gezeigt wurde:

 

 

  • Kriegsgefangenschaft
  • Nach dem Krieg: Heimkehrer
  • Ausstellungsrundgang: Heimkehrer 1947