Evangelisches Schulwesen

Das evangelische Schulwesen und die Landschaftsschule in Linz


Impuls der Reformation
Dem Schulwesen wurde in der Reformationszeit besondere Bedeutung beigemessen. Luther selbst betonte die Wichtigkeit der Bildung sowie der Schule als Bildungseinrichtung. In diesem Zusammenhang ist auch die Elementarisierung des Glaubens zu sehen, die Luther ein vorrangiges Anliegen war. So verfasste er u. a. den so genannten Kleinen Katechismus (1529) als Einführung in den evangelischen Glauben bzw. als dessen Grundbuch und von der Kirche formulierte Richtschnur. Den Katechismus sah Luther in den Händen der Pfarrer und Lehrer, aber ebenso in jenen des Hausvaters gut aufgehoben. Den Schulen kam also bei der Elementarisierung des Glaubens – neben dem Elternhaus – eine wichtige Rolle zu.

Zuallererst brauchte man die Bildung der Schule, um rechte Seelsorger zu bekommen. Und so wie der Prediger „aus Sündern eitel Heiligen / aus Todten Lebendige / aus Verdampten / Seligen / aus Teufels dienern Gottes kinder macht“, so soll der christlichen Obrigkeit die Aufgabe oder vielmehr die Verpflichtung zukommen, aus „wilden Thieren“ Menschen zu machen, was wiederum durch Bildung möglich sei. Im Endeffekt plädierte Luther dafür, dass die „Obrigkeit hie schuldig sey die Unterthanen zu zwingen / jre kinder zur Schulen zu halten“. (Luther: „Da man Kinder zu Schule halten sollte, 1530)

Impulse des Humanismus
Einen Einfluss auf diese Haltung übte auch das humanistische Ideal der (Selbst-)Bildung des Menschen aus: Dem Individuum steht es in diesem Kontext frei, „in die Unterwelt des Viehs zu entarten“ oder aber sich „in die höhere Welt des Göttlichen […] durch den Entschluss d[es] eigenen Geistes zu erheben“ (Pico della Mirandola: Über die Würde des Menschen, 1510), wobei der Mensch – dem grundsätzlich optimistischen Menschenbild der Renaissance folgend – natürlich das Gute anstreben sollte.

All diese humanistischen Impulse prägten auch das oberösterreichische Schulwesen der Reformationszeit und – in ganz besonderer Weise – die Landschaftsschule aus. Dies wird vor allem an den pädagogischen Grundkonzeptionen, an den Lehrbüchern sowie dem bestehenden Kanon primär antiker Autoren ersichtlich. Ein besonders Gewicht lag auf dem Studium der alten Sprachen Hebräisch und Griechisch, wobei Latein als selbstverständliche Grundlage vorausgesetzt wurde, um einen neuen Zugang zu den alten Texten zu ermöglichen.

Philpp Melanchton: „De corrigendis“

„Erst anhand der Originaltexte werden sich uns die Worte mit ihrem Glanz und ihrer eigentlichen Bedeutung erschließen […] Und wenn wir unseren forschenden Geist ganz auf die Quellen gerichtet haben, werden wir anfangen, Christus zu begreifen, sein Auftrag wird uns klar werden, und wir werden von jener beglückenden Süße göttlicher Weisheit ganz erfüllt werden.“

Auch Verbindungen zur berühmten, 1538 unter der Federführung des Humanisten Johannes Sturm (1507–1589) gegründeten Oberschule Straßburgs, die universitäre Elemente einschloss (Gymnasium illustre), übten einen Einfluss auf das Bildungswesen im Land ob der Enns aus. In Straßburg, wo die Lehre Luthers besonders schnell Fuß fasste, zeichnete sich die Reformation durch eine gemäßigte Haltung und eine besondere Verankerung in der biblischen Kultur aus.

Kontinuität im Schulbestand
Bereits vor der Reformation bestanden in Oberösterreich allerdings zahlreiche Schulen. So nahm im späten Mittelalter die Zahl der privaten Grammatikschulen vielfältigster Ausprägung massiv zu. Grundsätzlich konnte man folgende Bildungswege beschreiten: Deutsche Schulen vermittelten Grundkenntnisse in Lesen, Schreiben und Rechnen, lateinische Schulen dagegen die höhere Bildung (Trivium und Quadrivium) und die dafür nötige Kenntnis des Lateinischen. Schließlich erlaubte die universitäre Ausbildung nach Abschluss des „ersten Studienabschnitts“ (baccalaureus artium), der sich aus dem Studium der sieben freien Künste (artes liberales) zusammensetzte, das Studium der Rechte, der Medizin oder der Theologie.
Älter sind dagegen die Klosterschulen. In Oberösterreich wissen wir von Klosterschulen der Benediktiner in Mondsee (ab dem 12. Jahrhundert ?), Kremsmünster (11./12. Jahrhundert), Lambach (13. Jahrhundert), Garsten (12. Jahrhundert) und Gleink (13. Jahrhundert ?), der Augustiner Chorherren in St. Florian (wohl ab dem 13. Jahrhundert), Ranshofen (13. Jahrhundert ?) und Reichersberg (12. Jahrhundert).

Deutsche Schulen bzw. Lateinschulen im Spätmitelalter

Altenfelden, Altmünster, Aspach, Bad Hall, Bad Ischl, Bad Leonfelden, Braunau, Dimbach, Eferding, Enns, Freistadt, Garsten, Gaspoltshofen, Gmunden, Gramastetten, Kirchdorf an der Krems, Lauffen, Linz, Mauerkirchen, Obernberg am Inn, Oberneukirchen, Peuerbach, Ried im Innkreis, St. Georgen im Attergau, Schärding, Schwanenstadt, Schwertberg, Steyr, Vöcklabruck, Wels

Die bereits bestehenden Schulen wurden im Zuge der Reformation großteils übernommen. Tatsächliche Neugründungen waren, wegen der relativen Dichte der Schulen, eher selten. Diese erfolgten lediglich mit den Lateinschulen in Grieskirchen und Münzbach sowie mit der Landschaftsschule in Linz.

Evangelisches Schulwesen am Beispiel Steyr
In Steyr sind Nachrichten über die Existenz einer Schule erst aus dem 14. Jahrhundert erhalten. Das hat einen Grund vermutlich darin, dass in den umliegenden Klöstern Garsten und Gleink schon früh Klosterschulen bestanden, die auch Externisten aufnehmen durften. Zu Beginn handelte sich bei der Schule in Steyr um eine Pfarrschule. Erst allmählich vollzog sich der Übergang in eine Stadtschule, bedingt durch die wachsenden Ansprüche des Bürgertums. Mit dem Aufkommen der Reformation wurde aus der mittelalterlichen Stadtschule nun eine evangelische Landschaftsschule. Der erste Schulmeister war Andreas Küttner (+ 1558). Ihm folgte bis 1571 Thomas Paegaeus (Pruner, Brunner) aus Landshut nach, der ein Schüler Melanchthons in Wittenberg gewesen war. Unter Georg Mauritius aus Nürnberg gelangte die Schule schließlich zu großer Blüte (1571–1599). 1599 auf Weisung des Landeshauptmanns geschlossen, konnte sie 1608 wieder eröffnet werden, worüber auch Valentin Prevenhuber voll Stolz in den Steyrer Annalen schreibt: „eine solche schöne Lateinische Schul, in stattlicher Frequenz, sowohl von einheimischen als sonderlich fremden Knaben, Edel und Unedel, anrichteten, dass sie dem Landschaffts-Gymnasio in Lintz nichts bevor gabe.“
In der Steyrer Landschaftsschule wurde u. a. Schultheater belebt. Pruner schuf jährlich eine dramatische Fassung eines biblischen Stoffes, etwa über Tobias oder die Heirat Isaacs mit Rebekka.

Neben der Lateinschule gab es in Steyr seit ca. 1530 bzw. 1535 auch deutsche Schulen. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Erwähnung von so genannten Winkelschulen, in denen, ohne Zustimmung des Rates, von Privatpersonen Unterricht angeboten wurde. Diese Schulen wurden von den offiziellen Schulmeistern als unlautere Konkurrenz angesehen, da sie die wirtschaftliche Grundlage ihres Berufes schädigten. Dazu kam, dass die Qualifikation der in Winkelschulen lehrenden Personen meist fragwürdig war. Die Winkelschulen erhielten später unter den Vorzeichen der Gegenreformation allerdings eine ganz andere Bedeutung, waren sie doch oft die letzten Refugien im „Untergrund“, in denen sich evangelisches Gedankengut erhalten konnte. Es gab deshalb an vielen Orten immer wieder scharfe Anweisungen der Obrigkeit gegen die (protestantischen) Winkelschulen.

Die Gründung der adeligen Landschaftsschule in Linz
Für die Entstehung der Landschaftsschule waren vermutlich drei Faktoren ausschlaggebend. Der erste bestand in dem Bedürfnis und Willen der Stände, für die Bildung ihrer Kinder sowohl in religiöser als auch in humanistisch-wissenschaftlicher Hinsicht zu sorgen. Der zweite Faktor dürfte in einer historischen Beispielwirkung bestanden haben: Nachdem vermutlich alle Adeligen die Elementarausbildung ihrer Kinder am eigenen Sitz mittels Hauslehrern organisierten, berief 1542 Christoph von Schallenberg auf sein Schloss Luftenberg Friedrich Lagus aus Tübingen, um seine Kinder unterrichten zu lassen. Auf diese Initiative hin schickten auch andere Adelige ihre Kinder nach Luftenberg. Für die wachsende Zahl von Schülern waren die Räumlichkeiten aber nicht groß genug, deshalb übersiedelte die Schule 1545 nach Enns, wobei es sich bereits eindeutig um eine Lateinschule handelte. Den dritten Faktor stellte eine testamentarische Stiftung der Brüder Wolf und Georg von Perkheim (15. November 1543) dar. Gestiftet wurde Einkommen aus ihren Gütern für eine „gemain christlichen schuell“, falls die beiden ohne leibliche Nachkommen sterben sollten. Genau dies geschah. So entstand die „Christliche, Erliche, ordentliche, ansehnliche und Adeliche Landtschuell“.

Die Landschaftsschule in Enns (1567–1574)
Als Standort der Schule war ursprünglich das Schloss Würting (bei Offenhausen) vorgesehen, doch die Lage des Schlosses war zu abgelegen. 1563 kamen die Stände in den Besitz des Minoritenklosters in Linz und bauten zwischen 1564 und 1571 das Landhaus. Doch in den Plänen waren keine Räumlichkeiten für eine Schule vorgesehen. Der Bau derselben wurde erst nach der Vollendung des Hauptbaus in Angriff genommen. Allerdings spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Ansiedlung der Schule von Anfang an im Landhaus geplant, die Unterbringung derselben in Enns deshalb nur als Zwischenlösung gedacht war. In Enns wurde die Schule am 24. Juni 1564 im aufgelösten Minoritenkloster eröffnet. Möglicherweise wurde der Standort Enns gewählt, weil die private Adelsschule dort noch Bestand hatte bzw. angesiedelt gewesen war. Die Schule war insgesamt mit rund 24 Schülern belegt, dazu kamen drei Lehrpersonen und sonstiges Personal, sodass sich die Gesamtbelegung auf etwa 43 Personen belief. Die Schüler erhielten Kost und Quartier im Haus des Ennser Stadtrichters Hans Winter. Schulrektoren in Enns waren Basilius Khuenegger (1564–1569/70) und Michael Ecklhuber (1570–1574).

Die Landschaftsschule in Linz (1574–1600)
Am 4. November 1574 übersiedelte die Schule von Enns nach Linz. Unter Johannes Memhard als Rektor nahm die Schule einen großen Aufschwung (1576–1597). So steigerte sich gleich zu Beginn seiner Führung die Schülerzahl innerhalb eines Jahres von sieben auf 74. Memhards Nachfolger wurde der Arzt Matthias Anomaeus (Anomoeus). Doch bereits am 5. März 1600 befahl ein Dekret Rudolfs II. die Abschaffung des protestantischen Kultes und der Landschaftsschule.
In Ausnützung des Konfliktes zwischen den Brüdern Rudolf II. und Matthias gelang es den oberösterreichischen Ständen, von Matthias im März 1609 die Wiederherstellung ihrer Privilegien zu erlagen. In der Folge bemühten sich die Stände um die Wiedereröffnung der Schule. Anomaeus wurde schließlich zum Rektor bestellt und die Schule ging nun ihrer eigentlichen Glanzzeit entgegen. Bis zu 140 Schüler fanden sich jetzt in ihr.

Für Erfolg und Ansehen der Schule verantwortlich waren besonders die hier lehrenden Professoren: Laurenz Pichler (Collinus) – Rektor der Ennser Periode, er verfasste eine Steyrer Stadtgeschichte –, Georg Calaminus (1547–1595) – weithin gerühmter Dichter (poeta laureatus) –, Hieronymus Megiser (1553-1618/19) – Sprachwissenschaftler (Verfasser einer türkischen Grammatik, eines Wörterbuchs in Latein, Deutsch, Slowenisch und Italienisch) und Polyhistor – und Johannes Kepler (1571–1630).

Der berühmteste Schüler war wohl der Dichter Christoph von Schallenberg (1561–1597), dessen Vater in Luftenberg einen ersten Impuls zur Entstehung der Schule setzte. Allerdings hatten sich die politischen Kräfteverhältnisse nach dem Tode Kaiser Matthias’ und der Schlacht am Weißen Berg 1620 völlig verändert. Die kaiserlichen Patente Ferdinands II. vom 20. August und 4. Oktober 1624 beendeten in der Folge alles offizielle evangelische Leben im Land ob der Enns. Zu einem Ende kam damit auch jene Institution, die ein hervorragendes Zeugnis für die reformatorische Verbindung von humanistischer Bildung und christlichem Glauben darstellte und für einige Jahrzehnte als ein attraktives Bildungszentrum mit seiner Ausstrahlung über die Landesgrenzen hinauswirkte: die Landschaftsschule in Linz. Schulordnung der Landschaftsschule in Enns (12. August 1570):

Zeit Inhalt/Fach Differenzierung in Klassen
6:00–7:00 Aufstehen und Ankleiden
deutsches Morgengebet
Waschen
Lektüre von 1-2 Kapiteln aus der Bibel
Grammatikunterricht
III: Erläuterungen der Grammatik an Beispielen aus den Lektionen
II: Lesen und Wiederholen der quaestiones grammaticae
I: Lesen und Wiederholen der quaestiones grammatiace in reduzierter Form
7:00–8:00 Frühstück und Wiederholung der Lektionen
8:00–9:00 Lektüre und Wiederholung III: Vortrag der officia Ciceronis und Nutzanwendung
II: Lektüre einer Komödie von Terenz (sonst Epistolae Ciceronis)
I: Wiederholung der Dialogi colloquiorum familiarum des Erasmus
9:00–12:00 Waschen und Sprechen des Benedictus
Mahlzeit: Bei Tisch konnte der Rektor nach den lateinischen Namen der Speisen fragen.
Übersetzung eines Fabel von Aesop bzw. eines Abschnittes aus Sleidanus
Anschließend freie Zeit, Möglichkeit zum Musizieren etc.
12:00–13:00 Es wird Deutsch geschrieben, der Präzeptor bessert die Arbeiten aus.
13:00–14:00 Grammatik III: Syntax mit Anwendungen auf die Lektüre
II: Kleine Syntax aus den quaestionibus
14:00–15:00 Vesperbrot
15:00–16:00 Lektüre
Abhörung derer, die sich statt der lateinischen der deutschen Sprache bedient hatten
Memorieren lateinischer Sentenzen aus den loci nomenclaturae
Lektüre eines Kapitels der Bibel
III: Vergil
II: Ciceronis epistulae
I: Ein Distichon aus Cato
16:00 Mahlzeit (siehe Mittag)
18:30 Abendessen
Die Bücher werden in Ordnung gebracht.
Lateinisches Abendgebet
Nachtruhe

Autor: Gerold Lehner, 2010
Der Beitrag basiert im Wesentlichen auf den Ausführungen des Autors im Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung 2010.