Lentia – Das römische Linz

Stadt an der Flussbiegung
Nach sprachwissenschaftlichen Deutungen leitet sich der Name „Lentia“ in seiner Substantivbildung von der keltischen Bezeichnung für „biegsam, gekrümmt“ ab. Der Flusslauf der Donau, der im Raume Linz eine Biegung aufweist, scheint namensgebend für die Stadt Linz gewesen zu sein.

Die Anfänge der provinzialrömischen Forschung in Oberösterreich
Als Begründer der systematischen Provinzialforschung in Oberösterreich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, deren Hauptziel eine Lokalisierung des römerzeitlichen Linz war, gilt der Augustiner Chorherr Joseph Gaisberger.
Die Auseinandersetzung mit der Historie des römischen Linz basierte anfänglich noch auf Zufallsfunden bei Kanalgrabungen und Bauarbeiten; so beispielsweise in der Klammstraße (1835), am Hauptplatz und beim Theater (1837), in der Herrenstraße (1840), in der Altstadt (1841) oder auf der Spittelwiese (1837). 1841 erschien von Joseph Gaisberger ein Bericht zu römischen Altertümern in Linz, der heute als Grundstein einer Topographie des römischen Linz betrachtet wird. Gaisberger nahm aufgrund der Fundstellen eine Ausdehnung des antiken Lentia an, die folgende Plätze und Straßen umfasste: Spittelwiese, Steingasse, Klammstraße und Theatergasse, das Gebiet von der Altstadt bis zur Stadtwaage, das ehemalige kaiserliche Schloss und den Plank’schen Garten sowie den Hauptplatz.

Erste Versuche einer Systematisierung und wissenschaftlichen Auswertung der bisherigen Ergebnisse der römerzeitlichen Forschungs- und Grabungstätigkeit erfolgten 1927 durch Paul Karnitsch, die Ende der 1920er Jahre in ersten eigenständigen und umfangreicheren Ausgrabungsprojekten in der Linzer Altstadt ihren Niederschlag fanden.

Römisches Leben
Mit Fundstücken besonders qualitätsvoller, römisch-antiker Feinkeramik (sogenannter Terra sigillata) konnte Ferdinand Wiesinger Beweise für den Gebrauch von Gütern gehobeneren Standards und somit erste Aufschlüsse über die Lebensart der römerzeitlichen Linzer erbringen. Er erstellte ein chronologisches Gerüst der römerzeitlichen Besiedelung Lentias und ebenfalls eine Topographie der römischen Siedlung, die er in der Linzer Altstadt und in den angrenzenden Zonen lokalisierte.

Weitere Funde
Ein Meilenstein archäologischer Forschung war in den 1920er Jahren die Freilegung römerzeitlicher Urnengräber auf dem Grund der Kreuzschwestern, auf dem ein Schulkomplex errichtet werden sollte: Die 1926 und 1927 von Paul Karnitsch über 140 aufgenommenen Gräber gelten aufgrund ihrer Geschlossenheit bis heute als nahezu unübertroffenes Quellenmaterial: „Mehrere der erschlossenen Brandgräber enthielten außer üblichen Keramikgefäßen Gläser und Schmuck aus Oberitalien, Statuetten aus Gallien und Bronzegefäße, die nicht nur von weitgespannten Handelsbeziehungen, sondern auch von einer gewissen Wohlhabenheit einiger Lentienser zeugen.“

Nachkriegszeit
Bombenschäden und Wiederaufbauarbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg boten in der Linzer Altstadt zwischen Tummelplatz und Schlossergasse abermals Möglichkeiten für archäologische Bodenuntersuchungen. Ein dabei gefundenes römerzeitliches Haus (anfangs fälschlich als „Burgus“ bezeichnet) mit dem darin enthaltenen Material trug wesentlich zur Ergänzung der bis dahin bekannten Funde bei.

Römerberg und Martinskirche
Im Zuge einer dringend notwendigen Restaurierung wurde in den Jahren 1948/1949 die Linzer Martinskirche auf dem Römerberg Ort umfangreicher archäologisch-kunsthistorscher Untersuchungen. Dabei kamen Reliefs aus römischer Zeit sowie Keramikfunde zum Vorschein. Ab 1976 standen die Martinskirche und das Martinsfeld erneut im Zentrum des archäologischen Interesses. Im Rahmen des Grabungsprojektes konnte in mühevoller Kleinarbeit durch genaue Schichtenbeobachtungen Aufschluss über einzelne Aspekte des vorgeschichtlichen, römerzeitlichen und frühmittelalterlichen Linz gewonnen werden.

Wohnen und Leben im antiken Lentia
Die Funde in und um die Martinskirche lassen auf das einfache Leben der zivilen Bevölkerung schließen: Ein in der Kirche konservierter Ofen und Mahlsteine liefern Hinweise auf Werkstätten und einfache Unterkünfte, die im 2. Jahrhundert scheinbar einem Steinbau weichen mussten.
Auf Basis von Ausgrabungen in den 1980er Jahren schließt der Linzer Stadtarchäologe Erwin M. Ruprechtsberger, dass entlang der Lessingstraße und des Römerberges ein Handwerkerviertel existierte, in dem in bescheidenem Ausmaß Eisen verhüttet und Knochen bearbeitet wurden.
Im Bereich der Architektur brachte die Herrschaft der Römer sowohl die Ziegelbauweise als auch eine Mischtechnik aus Stein-Holzbau in unsere Breiten: Auf gemauerte Steinfundamente wurden tragende Holzkonstruktionen aufgebracht, deren Wände mit lehmverputzem Flechtwerk ausgeführt waren. Die Ausstattung der Häuser enthielt im engeren Wohnbereich nach üblicher Gegebenheit eine Wand- und Fußbodenheizung.

Das römische Kastell von Lentia
Neben Forschungen zur zivilen Besiedelung Lentias’ wurde auf Basis einer spätantiken Schriftquelle und mehreren Funden militärischen Charakters die Existenz eines Militärlagers angenommen. Zwar stand die befestigte Stationierung römischer Soldaten in Linz nie im Zweifel, jedoch hinsichtlich der Lokalisierung des Kastells konkurrierten im Laufe der Forschungsgeschichte unterschiedliche Ansätze. Nachdem die Annahmen von Karnitsch über ein zweiphasiges Kastell im Bereich Lessingstraße, Promenade, Klammstraße und Hirschgasse nicht wissenschaftlich verifiziert werden konnten, wird nach heutigem Forschungsstand, insbesonders nach den Ausgrabungen und Sondierungen von Erwin M.Ruprechtsberger, der Standort des Kastells zwischen Promenade und Klammstraße im Norden, in Höhe der Spittelwiese im Süden und andererseits zwischen Waltherstraße im Westen und Landstraße im Osten mit einem Zentrum nördlich des akademischen Gymnasiums angenommen. Fundmäßig lässt sich die Existenz des Militärlagers am beschriebenen Standort vom 1. Jahrhundert bis in das frühe 3. Jahrhundert belegen. Für diesen Standort sprechen neben archäologischen Befunden auch die dichte Konzentration von militärischen Fundobjekten und das Fehlen von weiblichen Utensilien.

Im 4. Jahrhundert wurde das Kastell unten aufgegeben und dem durch seine Höhenlage geschützten, zivilen Bereich auf dem Schloss- und Römerberg eingegliedert, wodurch sich ein militärisch geprägtes Siedlungswesen entwickelte. Zwei im August 2002 entdeckte Standartenaufsätze und bronzene Gürtelschnallen bestätigen ebenso wie ein mächtiger, Nord-Süd verlaufender Spitzgraben die militärische Anwesenheit auf diesem Standort. Eine genaue Lokalisierung des spätantiken Militärlagers auf dem Römerberg/Schlossberg ist derzeit jedoch noch nicht möglich, da die entsprechenden Grabungsbefunde durch das Bundesdenkmalamt noch nicht publiziert wurden.

Ein Gräberfeld aus dem letzten Drittel des 4. Jahrhunderts bis in die 30er Jahre des 5. Jahrhunderts, etwa 150 Meter von der Martinskirche entfernt, ermöglichte den Wissenschaftern sensationelle Einblicke in das spätantike Bestattungswesen: „Fünf von insgesamt 37 bestatteten Toten waren nämlich Gürtel mit Beschlägen beigelegt worden, die nur höher- und hochrangigen Angehörigen des spätrömischen Heeres als äußere Insignien ihrer Stellung gebührten und die in dieser Dichte – prozentuell gesehen – in keinem anderen bekanntgewordenen Gräberfeld inner- und außerhalb des spätantiken Imperium Romanum gleichartige Entsprechungen haben, so dass – vielleicht etwas übertrieben – vom Offiziersfriedhof des antiken Lentia gesprochen werden darf.“

Mithraskult
Besondere Erwähnung soll ein von Karnitsch freigelegtes Denkmal des Mithraskultes im ehemaligen Vicusbereich von Lentia finden. Dieser Fund belegt die für das gesamte Imperium Romanum außergewöhnlich lange Fortdauer des Kultes bis in die Spätzeit des antiken Lentia, die im Zusammenhang mit der militärisch-zivilen Siedlungsform als plausibel angenommen wird.

Der Text wurde überwiegend auf Basis von Artikeln von Erwin M. Ruprechtsberger erstellt. (siehe: Literatur und Links)
Redaktionelle Bearbeitung: Elisabeth Kreuzwieser, 2006