Kaiserzeit in Oberösterreich

Nie war Oberösterreich so stark im Blickfeld der internationalen und österreichischen High Society als im Zeitalter Kaiser Franz Josephs.

Zum Tod Kaiser Franz Josephs I.

Johann Nepomuk Hauser anlässlich des Todes von Kaiser Franz Joseph I. 1916:
„Niemand stand er näher mit seiner väterlichen Huld und Gnade als uns, den Bewohnern seines Kronlandes Oberösterreich.“

83 Sommer im Salzkammergut
Kaiser Franz Joseph verbrachte von den 86 Sommern seines langen Lebens nur drei nicht in Ischl, nämlich jene in den Jahren 1878, 1915 und 1916. Mit dem Kaiser wurden der Kurort Ischl und das gesamte Salzkammergut zur bevorzugten Sommerfrische des späten 19. Jahrhunderts: Weil der Kaiser hier war, kam die große Welt, oder jene, die sich dazuzählten. Kein Sommer verging, ohne dass sich nicht Monarchen, Ministerpräsidenten, hochrangige Diplomaten und die vornehmsten Angehörigen der internationalen und altösterreichischen Schickeria beim Kaiser im Salzkammergut einfanden: der deutsche Kaiser, der englische König, der Kaiser von Brasilien, die Könige von Dänemark, Portugal, Serbien, Rumänien, Bulgarien, Griechenland, der König von Siam, in ihrem Gefolge Ministerpräsidenten, Außenminister, Fürsten, Prinzessinnen, Thronfolger … und natürlich Komponisten, Maler, Schriftsteller, Schauspieler und alles, was dazugehört oder dazugehören wollte.

Entstehung des Parteiensystems
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Zeit, als unser heutiges Parteiensystem entstand: Zuerst formierten sich die Liberalen, dann auch die Christlich-Konservativen, die Deutschnationalen und die Sozialdemokraten. Zwar hatte sich nach der Revolution von 1848 und der sich daran anschließenden neoabsolutistischen Gegenreaktion 1861 die Demokratie insoweit durchgesetzt, dass der Reichsrat und die Landtage durch Wahlen auf Basis eines Klassenwahlrechts bestimmt wurden. Ab 1907 gab es zwar für den Reichsrat – das Parlament in Wien – ein allgemeines, allerdings immer noch nur auf Männer beschränktes Wahlrecht.
Für den Landtag galt bis zum Ersten Weltkrieg das Klassenwahlrecht, auch wenn bei der letzten Landtagswahl 1909 neben den Kurien der Großgrundbesitzer, Städte und Landgemeinden eine zusätzliche allgemeine Kurie eingeführt wurde, für die alle erwachsenen Männer über 24 wahlberechtigt waren. Allerdings zählten die Stimmen in dieser Kurie deutlich weniger und die für die anderen Kurien Wahlberechtigten hatten automatisch zwei Stimmen: eine in ihrer eigenen Kurie und eine in der allgemeinen Kurie.

Bürgerliches Zeitalter
Man spricht für das 19. Jahrhundert vom bürgerlichen Zeitalter. An den entscheidenden Hebeln der Macht im Lande saß aber immer noch der Adel. Die Grundentlastung von 1848 hatte dem feudalen Adel zwar von seinen Funktionen im Rahmen der Grundherrschaft nur mehr die des Gutsherrn, und auch diese geschmälert, belassen. Die Vorrechte in der ländlichen Gerichts- und Verwaltungsorganisation hatte der Adel damit aber verloren. Doch in der leitenden Bürokratie war die Position des Adels ungebrochen: als Statthalter, Bezirkshauptleute, Offiziere, Diplomaten.

Der Kaiser ernannte seinen Stellvertreter im Land, den Statthalter, als höchsten Beamten und eigentlichen Chef der Landesregierung. Der Kaiser ernannte auch den Landeshauptmann, dies auf Vorschlag des Statthalters, auch wenn er den Landeshauptmann nur aus dem Kreis der Landtagsabgeordneten auswählen durfte. Der Kaiser ernannte auch die höchsten Offiziere im Land. Und er nominierte zudem den Diözesanbischof.
Sämtliche 15 Statthalter, die zwischen 1861 und 1918 in Oberösterreich wirkten, waren Adelige. Auch unter den leitenden Beamten war der Adelsanteil erdrückend. Von den 15 leitenden Beamten der Statthalterei waren im Jahre 1900 zehn adelig. Ähnlich verhielt es sich auch in den Bezirkshauptmannschaften.

Auch im Landtag war der adelige Einfluss noch beträchtlich: In allen elf Legislaturperioden des oberösterreichischen Landtags von 1861 bis 1914 behielt der Adel eine beträchtliche, wenn auch kleiner werdende Rolle. Der Anteil der Adeligen machte durchwegs 20 Prozent und mehr aus. Erst im 1909 gewählten Landtag war er auf unter fünf Prozent abgesunken: ein Ritter, vier Grafen und ein Fürst (Starhemberg).

Krise in der Landwirtschaft
Wirtschaftlich war die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts für Oberösterreich keine goldene Zeit. Oberösterreich war immer noch ein Agrarland. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung arbeiteten in der Landwirtschaft.
Die 50er und 60er Jahre des 19. Jahrhunderts waren die letzten „goldenen Jahrzehnte“ der oberösterreichischen Landwirtschaft. Nach 1875 begannen die Agrarpreise langfristig zu fallen. Die Verschuldung der Höfe und die Landflucht wurden zu Problemen, von denen die Landwirtschaft seither nicht mehr loskam. Die alten Industrieregionen des Landes – das Salzkammergut, die Eisenwurzen, das Mühlviertel – steckten in einer tiefen Krise. Die Salzproduktion profitierte zwar von neuen industriellen Verwertungen für das Salz, aber die Umstellung von Holz- auf Mineralkohlenfeuerung beim Salzsieden ließ viele Holzknechte des Salzkammerguts arbeitslos werden.
Hier machte die aufkommende Tourismuswirtschaft viel wett. Im Mühlviertel oder in der Eisenwurzen fehlte diese allerdings. Die Textilindustrie des Mühlviertels war von hausindustriellen Traditionen geprägt. 1885 stellte die oberösterreichische Handelskammer fest, dass die Leinenweberei sich „in technischer Hinsicht auf der untersten Stufe der Entwicklung“ befände.

Auch in der traditionsreichen Eisenwurzen schien der Niedergang unaufhaltsam. In Schwierigkeiten waren alle Branchen der Kleineisenindustrie. Am schlimmsten war es um die Nagelschmiede bestellt, deren wichtigstes Zentrum um Losenstein gelegen war und deren anstrengend-monotone Tätigkeit leicht durch Maschinen ersetzbar war. Im Jahr 1880 schrieb die oberösterreichische Handelskammer in ihrem Jahresbericht: „Die Erzeugung geschmiedeter Nägel ist das schlechteste Geschäft und sind dessen Inhaber die ärmsten unter allen Gewerbetreibenden.“
Ähnlich erging es den Maultrommelerzeugern der Mollner Gegend und Taschenfeitelmachern in Trattenbach. Die Betriebe der 1881 aus einer Fusion der größten alpenländischen Eisenerzeuger hervorgegangenen Alpine Montangesellschaft in Weyer, Reichraming und Kleinreifling wurden immer mehr zurückgefahren. Am besten behaupteten sich vorerst die Sensengewerken, obwohl auch hier ein Konzentrationsprozess eingesetzt hatte, der aber vorerst kaum Arbeitsplätze in Oberösterreich kostete.

Städtische Industriezentren
Linz, Wels und Steyr hingegen entwickelten sich zu industriellen Standorten. Die 1851 an die Stelle der Linzer Wollzeugfabrik als Notstandsgründung getretene Tabakfabrik zählte um die Jahrhundertwende mit mehr als 1000 Beschäftigten zu den größten Industrieunternehmungen des Landes. In Kleinmünchen entstand eine Kunstmühle, die durch eine Dampfteigwarenfabrik ergänzt wurde. Mehrere industrielle Branntweinbrennereien und Spiritus- und Presshefe-Fabriken siedelten sich in Urfahr an.
In Steyr baute Josef Werndl ab 1864 den Betrieb seines Vaters zu einer modernen Waffenfabrik aus. Zugute war ihm gekommen, dass Werndl mit dem Werndl-Holub'schen Tabernakelverschluss ein Patent für ein Hinterladegewehr besaß. Die Steyrer Fabrik reihte sich bald unter die größten Waffenschmieden Kontinentaleuropas ein. In Wels siedelten sich verschiedene Maschinenbauunternehmen und landwirtschaftliche Industrie an.

Gute, alte Zeit?
Es war die „gute, alte Zeit“, das Fin de Siècle, die Kaiserzeit. Aber war es wirklich eine gute Zeit? Die sozialen Probleme waren groß, die Einkommensunterschiede gewaltig: Der Statthalter, der höchste Beamte, verdiente das 50-fache eines Arbeiters, und das praktisch netto für brutto; denn der Satz der Einkommenssteuer lag bei fünf Prozent. Eine Lehrerin verdiente 1100 Kronen, ein Lehrer 1200 Kronen. Der Statthalter hingegen verdiente inklusive Funktionszulage 32.000 Kronen, der Statthalterei-Vizepräsident 23.500 Kronen, ein Aspirant in der Statthalterei erhielt 1600 Kronen, ein Amtsdiener 800 Kronen. Die Gehälter der Offiziere waren fast noch höher als die der Beamten. Industriearbeiter hingegen konnten höchstens 500 Kronen im Jahr verdienen und Landarbeiter nicht einmal halb so viel. Der Ochsenknecht in der Landesackerbauschule Ritzlhof hatte vor Ausbruch des Weltkriegs 160 Kronen im Jahr, der Direktor der Schule hingegen verdiente 4000 Kronen.
Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit lag vor dem Ersten Weltkrieg immer noch bei etwa 60 Stunden. Urlaub gab es noch nicht, die soziale Absicherung war ungenügend. Krankenversicherungen existierten vor 1914 nur für Industriearbeiter sowie für Angestellte und Beamte, eine Altersversicherung nur für Angestellte und Beamte.

Der Erste Weltkrieg beendete die Kaiserzeit. Ein Schub sozialer Reformen wurde 1918/19 möglich. Doch die Katastrophe des Krieges und der Zerfall der Habsburgermonarchie brachten so gewaltige wirtschaftliche und politische Turbulenzen, dass man sich zu Recht schlechtergestellt sah als vorher. Und Oberösterreich verlor den Nimbus als Sommerresidenz des Kaisers. Die gute alte Zeit war vorbei.

Sieben Landeshauptleute
Die Landeshauptleute zwischen 1861 und 1918 wurden nicht vom Landtag gewählt, sondern vom Kaiser auf Vorschlag des Statthalters ernannt. Allerdings musste die vorgeschlagene Persönlichkeit Mitglied des Landtags sein. Natürlich hat der Statthalter Personen vorgeschlagen, denen der Kaiser vertrauen konnte, nicht unbedingt jene, die der Landtag oder die Mehrheitspartei haben wollte: Äbte, christliche Politiker oder zumindest kaisertreue und verfassungstreue Liberale.
Aber die wirkliche Macht lag ohnehin bei den Statthaltern des Kaisers, die „Landeschefs“ genannt wurden. Die Funktion des Landeshauptmanns hingegen entsprach mehr der eines Landtagspräsidenten. Die starke Position des Statthalters und die relativ schwache Position des Landeshauptmanns kam auch im Gehalt zum Ausdruck: Während der Statthalter mit mehr als 30.000 Kronen im Jahr geradezu fürstlich entlohnt war, war für den Landeshauptmann nur eine geringe Aufwandsentschädigung von weniger als 1000 Kronen vorgesehen.
Unter den sieben Landeshauptleuten in der Zeit zwischen 1861 und 1914 befanden sich drei Geistliche, zwei Großgrundbesitzer und zwei Rechtsanwälte. Nur zwei der sieben Landeshauptleute waren geborene Oberösterreicher.

Die Landeshauptleute 1861–1914:
Dominik Lebschy (1799–1884) 1838–1884 Abt von Schlägl; 1861–1868 Landeshauptmann; stand einem zu mehr als zwei Drittel von liberalen und antiklerikalen Abgeordneten dominierten Landtag vor
Julius Graf von Falkenhayn (1829–1899) Großgrundbesitzer; war 1871 einen Monat lang Landeshauptmann.
Dr. Moriz Eigner (1822–1900) Rechtsanwalt; 1868–1884 (mit kurzer Unterbrechung) Landeshauptmann und der einzige Liberale in dieser Funktion. Er war der konservativen Schattierung der Liberalen zugehörig, weder betont antiklerikal noch betont national.
Leonhard Achleuthner (1826–1905) 1881–1905 Abt von Kremsmünster; 1884–1897 Landeshauptmann. Er war einerseits als Prälat Vertreter des Großgrundbesitzes, andererseits stand er als Bauernsohn dem Katholisch-konservativen Volksverein nahe.
Michael Kast (1859–1932) Freiherr, Gutsbesitzer; 1897–1898 Landeshauptmann
Dr. Alfred Ebenhoch (1855–1912) Rechtsanwalt; mit ihm trat erstmals ein Exponent des Katholischen Volksvereins an die Spitze des Landes. 1891–1898 Obmann des Katholischen Volksvereins, 1898–1907 Landeshauptmann. Seine große Bedeutung lag in der Funktion als Brückenbauer zwischen den Katholisch-Konservativen und den Christlichsozialen im Jahre 1907.
Johann Nepomuk Hauser (1866–1927) Priester; vermutlich der kraftvollste Politiker, den der Katholische Volksverein hervorgebracht hat. 1908–1927 Landeshauptmann; meisterte den Übergang von der Monarchie zur Republik fast reibungslos. Er legte die Grundlage für das berühmte „oberösterreichische“ Klima, das auch noch lange die Politik der Zwischenkriegszeit prägte.

Literatur:

  • Slapnicka, Harry: Oberösterreich unter Kaiser Franz Joseph. Linz 1982.


Autor: Roman Sandgruber

Oberösterreichische Nachrichten, 22. August 2008