Minnesang aus Oberösterreich

Zur ältesten Liebesdichtung in deutscher Sprache lieferten Dietmar von Aist und Der von Kürenberg wertvolle Beiträge, zwei oberösterreichische Dichtersänger, vielleicht sogar zwei Mühlviertler.

Liebe auf Distanz
Zu den vielen kulturellen Kostbarkeiten, die uns das Mittelalter hinterlassen hat, gehört der Minnesang. Seinen Höhepunkt erlebte diese Kunstform vor allem in staufischer Zeit (12. /13. Jahrhundert). Höfische Feste wurden durch den Auftritt von Sängern aus dem Ritterstand bereichert, die zu schlichter Instrumentalbegleitung selbst verfasste Liebeslieder vortrugen. Die Sänger der so genannten hohen Minne folgten dabei einem Verständnis von Liebe, das uns heute befremdet. Stars des hohen Minnesangs wie Reinmar von Hagenau und Friedrich von Hausen besangen in ihren Kanzonen eine stark idealisierte „frouwe“ (verheiratete, adelige Dame), ihre Schönheit, ihren Charme, ihren Zauber. Sie versichern der Holden, wie sehr sie sich nach ihr sehen, nehmen aber gleichzeitig zur Kenntnis, dass der Liebeswunsch unerfüllt bleiben muss. Die hohe Minne ist von vornherein auf Verzicht angelegt. Über die sozialpsychologischen Hintergründe dieser asketischen Kultur des Liebens gibt es spannende literaturwissenschaftliche Theorien. Vor allem wurde die Sexualmoral des Christentums, die Geringschätzung des Fleisches zugunsten der Seele, damit in Zusammenhang gebracht.

Hohe und niedere Minne
Christlich war man im bayerisch-oberösterreichischen Raum im 12. Jahrhundert sehr wohl auch, aber allzu weit wollten es die hier ansässigen Dichtersänger mit der Enthaltsamkeit offensichtlich nicht treiben, denn in ihren Liebesliedern finden wir zwar neben Liebesfreud’ auch Liebesleid, aber der Zweck des Werbens bleibt allemal die erfüllte Beziehung von Frau und Mann. Und noch etwas: In der donauländischen Lyrik – unter diesem Begriff fasst man diese erste Phase des Minnesangs zusammen – tritt nicht nur der Mann, sondern auch die Frau als Werbende auf. Sie ist deutlich aktiver als ihre Geschlechtsgenossinnen aus dem hohen Minnesang, wenn man so will: erotisch emanzipierter.

Prächtige Liederhandschriften
Die Liebeslieder des deutschen Mittelalters sind uns – leider ohne Noten – in prächtigen Liederhandschriften überliefert. Die größte ist die Große Heidelberger oder Manessische Liederhandschrift aus dem frühen 14. Jahrhundert. Der älteste, mit 15 Liedern in dieser Handschrift vertretene Sänger ist der Kürnberger („Der von Kürenberc“, 12. Jahrhundert), der mit großer Wahrscheinlichkeit aus dem oberösterreichischen Raum stammt, wenn auch die These, seine Burg habe sich auf dem Kürnberg in der Nähe von Linz befunden, nicht haltbar ist. Kürn (von „Korn“) bedeutet Mühlstein oder auch Mühle, und Mühlberge mag es wohl mehrere gegeben haben. Wo immer dieser Mühlberg war, falsch ist sicher, was wir bei Wikipedia lesen: „Der Kürenberger war wahrscheinlich ein niederösterreichischer [!] Ritter aus der Gegend um Linz.“

Flatterhafte Falken
Das berühmteste Lied des Kürnbergers ist das Falkenlied. Das Ich, das sich in diesem Rollenlied ausweint, ist nicht der Dichter selbst, sondern eine Frau. Sie erzählt uns in einer „Frauenklage“, dass ihr Falke, den sie schon so gefällig abgerichtet hatte, in ein anderes Land geflogen sei und dort – offenkundig von einer anderen Frau – an seidenen Fußriemen festgehalten werde. Der Falke steht für den geliebten Mann, der zu einer anderen „geflogen“ ist.

Das Falkenbild ist kein origineller Einfall des Kürnbergers. Es handelt sich um einen Topos der mittelalterlichen Literatur, ein festes Bild, das wir zum Beispiel auch im Nibelungenlied finden. Kriemhild träumt, dass ihr ein Falke von zwei Adlern zerrissen wird. Ihre Mutter Ute deutet den Traum: Der Falke, sagt sie, ist ein Mann, den du lieben und verlieren wirst. Tatsächlich wird Kriemhild ihren Siegfried verlieren, weil der „grimme Hagen“ ihn töten wird.

Abschied am Morgen
Von einem Falken, der sich einen Baum wählt, so wie sich die Frau einen Geliebten aussucht, erzählt das lyrische Ich im Gedicht Es stuont ein frouwe alleine. Als dessen Verfasser gilt Dietmar von Aist (auch: Eist, * ca. 1139, † nach 1171), der mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einem oberösterreichischen Adelsgeschlecht stammt, möglicherweise aus der Nähe von Wartberg im Mühlkreis. Über sein Leben wissen wir, ähnlich wie beim Kürnberger, so gut wie nichts. Es ist nicht einmal sicher, ob die Lieder, die ihm in der Manessischen Liederhandschrift zugeschrieben werden, wirklich aus der Feder eines einzigen Mannes stammen.

Dietmar wird das älteste Tagelied in deutscher Sprache zugeschrieben: Slafest du, friedel ziere. Es handelt sich um ein dialogisches Gedicht (Wechsel). Die Situation ist typisch für das Tagelied: Es ist früher Morgen. Der Gesang der Vögel weckt die Liebenden. Nach liebevoll zugebrachter Nacht ist es höchste Zeit, voneinander Abschied zu nehmen, was zur Einsicht führt: „liep ane leit mac nicht gesin“ („Liebe ohne Leid, das gibt’s nicht!“).

Lieben und leiden
Wenn auch die donauländische Liebeslyrik nicht dem asketischen Ideal der hohen Minne folgt, so dominieren in den Liedern doch Enttäuschung und Liebesleid. Der Kürnberger thematisiert mehrmals die (unerfüllte) Sehnsucht nach dem/der Geliebten. Ein trauriges Mädchen steht am Fenstergitter und denkt an ihren Ritter, sodass sich ihr Gesicht rot färbt „wie die Rose am Dorn“. Ein anderes weint, weil es den Geliebten durch eine Intrige von Lügnern verloren hat („Ez gat mir vonme herzen“). Und eine Frau sehnt sich nach der Liebe des Kürnbergers, den sie immer so schön singen hört. Der Sänger verweigert sich aber und verlässt lieber in voller ritterlicher Montur das Land („Ich stuont mir nehtint spate“). Der Kürnberger selbst kannte zwar auch den Liebesschmerz. Im Gedicht Aller wîbe wünne quält er sich mit der ungeklärten Frage, ob ihn das Mädchen, das er begehrt, überhaupt liebt. Allerdings behauptet er in einem anderen Text („wip unde vederspil diu werdent lichte zam“) etwas vollmundig, es sei nicht schwer, die Zuneigung der Frauen zu gewinnen: „Frauen und Falken lassen sich leicht zähmen. / Dem Mann, der sie richtig zu locken versteht, kommen sie entgegen …“

Zeitleiste Minnesang
um 1100 Beginn des provencalischen Minnesangs (Frankreich)
~1150-1180 eigenständiger donauländischer Minnesang (nicht beeinflusst vom provencalischen): Der von Kürenberg, Dietmar von Aist, Burggrafen von Regensburg und Rietenberg
~1180-1210 erste Phase des hochhöfischen Minnesangs (hohe Minne): Friedrich von Hausen, Reinmar von Hagenau, Heinrich von Morungen
~1200-1240 zweite Phase des hochhöfischen Minnesangs: Walther von der Vogelweide, Neidhart von Reuenthal (Distanzierung von hoher Minne)
~1240-1400 spät- und nachhöfischer Minnesang: Tannhäuser, Ulrich von Lichtenstein, Oswald von Wolkenstein
15. / 16. Jh. Nachwirkung im bürgerlichen Meistergesang

Textbeispiele:

Textbeispiel 1

Der von Kürenberg: Ich zoch mir einen valken

Der von Kürenberg: Ich zoch mir einen valken

Ich zog mir einen Falken länger als ein Jahr.
Als ich ihn gezähmt, wie ich ihn haben wollte,
und sein Gefieder mit Gold geschmückt hatte,
hob er sich hoch auf und flog davon.

Seither sah ich den Falken schön fliegen:
Er führte an seinem Fuße seidene Fessel
und sein Gefieder war ganz rotgolden.
Gott sende sie zusammen, die einander gerne lieb haben wollen.


(Übertragung aus dem Mittelhochdeutschen von Max Wehrli)

Textbeispiel 2

Dietmar von Aist: Slaefst du, friedel ziere (Tagelied)

Dietmar von Aist: Slaefst du, friedel ziere (Tagelied)

„Schläfst du, mein schöner Liebster?
Bald wird man uns leider wecken.
Ein Vögelchen, ein wohlgestaltes,
ist auf der Linde Zweig gekommen.“

„Ich war sanft eingeschlafen:
Nun rufst du, Kind, mich auf!
Liebe ohne Leid, das kann nicht sein.
Was immer du befiehlst, das tu ich, meine Freundin.“

Die Frau begann zu weinen.
„Du reitest und lässt mich allein.
Wann willst du wieder her zu mir?
O weh, du nimmst mein Glück zugleich mit dir.“


(Übertragung aus dem Mittelhochdeutschen von Max Wehrli)

Autor: Christian Schacherreiter

Oberösterreichische Nachrichten, 7. April 2008