Nachkriegsliteratur in Oberösterreich

Nachkriegsliteratur im Provinzidyll


In Berlin proklamierten zornige Jungliteraten „Nullpunkt“ und „Kahlschlag“. In Wien verlief der literaturhistorische Übergang vom Dritten Reich zur Zweiten Republik bei weitem nicht so forsch. Und in Linz war sowieso alles anders. Junge Talente, alte Nazis und ewige Kommunisten saßen am selben Wirtshaustisch.

Wenig kulturpolitische Auseinandersetzung
Anderslautenden Pressemeldungen zum Trotz hat „Linz 09“ auch seine guten Seiten, zum Beispiel das von Alfred Pittertschatscher herausgegebene Buch Linz. Randgeschichten. Darin findet man einen literaturhistorisch aufschlussreichen Essay von Walter Wippersberg über die oberösterreichische Nachkriegsliteratur im Allgemeinen, über die Autoren Franz Kain und Karl Wiesinger im Besonderen. Wippersberg formuliert darin eine beachtenswerte These: In Linz entstand nach 1945 kein anspruchsvoller öffentlicher Diskurs, kein repräsentatives Forum der kulturpolitischen Auseinandersetzung, keine Zeitschrift, kein Verlag, kein Veranstaltungsort. Das hatte Nachteile, aber auch einen Vorteil.

Der Nachteil war der geistige Provinzialismus der Landeshauptstadt, euphemistisch formuliert: die Bescheidenheit des intellektuellen Klimas. Als Vorteil könnte man verbuchen, dass die ideologische Frontenbildung, die zum Beispiel in Salzburg zu dieser Zeit eine fieberähnliche Kommunismus-Paranoia auslöste, in Linz gelassener verlief und mehr Toleranz ermöglichte. Walter Wippersberg fasst das Phänomen in pointierter Formulierung so zusammen: „Die Künstler, die in Linz blieben, Linke wie Rechte, richteten es sich so gemütlich ein, wie es halt ging. Sie kamen gut miteinander aus. Man witzelte, wenn man unter sich war, über die jeweils anderen, aber alle trafen einander bei den gleichen Vernissagen und in den gleichen Wirtshäusern.“

NS-Sympathisanten und Kommunisten
Die spezielle Linzer Atmosphäre könnte eine Erklärung dafür bieten, dass einerseits ehemalige Sympathisanten des Nationalsozialismus – zum Beispiel Linus Kefer oder Carl Hans Watzinger – ziemlich unbehelligt ihre schriftstellerischen Aktivitäten fortsetzen konnten und dass umgekehrt die Autoren Franz Kain und Karl Wiesinger nicht aus dem literarischen Leben der Stadt exkommuniziert wurden, obwohl sie als Kommunisten bekannt waren. Als Dritter im Bunde der Nachkriegslinken wäre noch der ältere Arnolt Bronnen (geb. 1895) zu erwähnen, der nach einem ideologisch und künstlerisch abwechslungsreichen Vorleben zur Kommunistischen Partei fand und von 1945 bis 1951 Kulturredakteur der Neuen Zeit war, der oberösterreichischen Ausgabe der kommunistischen Volksstimme. Bronnen übersiedelte 1955 nach Ostberlin, wo er 1959 starb.

Franz Kain
Franz Kain wurde 1922 in Bad Goisern geboren und schloss sich früh der Kommunistischen Jugend an. Er wurde schon von den Austrofaschisten inhaftiert, während der NS-Zeit folgten mehrere Gefängnisaufenthalte. 1942 steckte man ihn in eine Strafdivision. Er geriet in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er erst 1946 entlassen wurde. Kain kam zurück nach Oberösterreich und blieb – abgesehen von einem dreijährigen Aufenthalt in der DDR – bis zu seinem Tod im Jahr 1997 in Linz, wo er für die KPÖ in verschiedenen Funktionen aktiv war, unter anderem als Chefredakteur der Neuen Zeit und als Abgeordneter zum Gemeinderat.
Umso verblüffender ist, dass die literarischen Werke des engagierten KP-Funktionärs nicht explizit „links“ sind. Seine Romane und Erzählungen könnte man eher als Heimatliteratur bezeichnen, allerdings in einem aufgeklärten Sinn des Begriffs, also weit weg vom Blut-und-Boden-Geraune der Rechten. Kain selbst führte die eher bescheidene Wirkung seiner Literatur in der österreichischen Kulturöffentlichkeit auf antikommunistische Ressentiments zurück. Tatsächlich erschienen seine Werke lange Zeit nur in DDR-Verlagen. In seinem letzten Lebensjahrzehnt müsste sich dieser Eindruck allerdings verändert haben. Mehrere Werke erlebten eine Neuauflage im Verlag Bibliothek der Provinz und das Land Oberösterreich ehrte Franz Kain immerhin durch den höchsten Literaturpreis des Landes, den Adalbert-Stifter-Preis.

Karl Wiesinger
Anders liegt die Sache bei Karl Wiesinger. Er wurde 1923 als Sohn eines Linzer Dentisten geboren. Im Krieg wurde er schwer verwundet, wegen „Zersetzung des Wehrwillens“ landete er vor Gericht. Nach 1945 trat er der KPÖ bei und hoffte nach einigen Anfangserfolgen mit Theaterstücken auf die große Autorenkarriere. Seine Laufbahn verlief aber wechselhaft und Wiesingers umfangreiche literarische Hinterlassenschaft hinterlässt einen ambivalenten Eindruck. Als sich seine Hoffnung, als Bühnenautor den Durchbruch zu schaffen, nicht erfüllte, versuchte sich Wiesinger in verschiedenen Genres, unter anderem auch (unter einem Pseudonym) als Autor von Heftchenromanen.
Wiesingers Versuchen, in den siebziger Jahren an die Denk- und Schreibmoden der Neuen Linken anzudocken, waren nur Teilerfolge beschieden. Der Roman Der rosarote Straßenterror über den Oktoberstreik 1950 in Linz ist nicht nur politisch einseitig, sondern auch sprachlich schwach. Die größte Aufmerksamkeit fand Wiesinger mit seinem „Bauernroman“ Weilling. Land und Leute, der 1972 unter dem Pseudonym Max Maetz erschien. Karl Wiesinger selbst hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, der Autor sei ein oberösterreichischen Jungbauer, sozusagen ein naives Genie, das auf Entdeckung wartete. Diese Eulenspiegelei brachte Wiesinger vorübergehend etwas mehr Beachtung, aber keinen dauerhaft wirksamen Karriereschub.

Erfolge außerhalb Oberösterreichs
Walter Wippersberg vertritt im oben zitierten Essay die Ansicht, Wiesingers und Kains Durchbruch zu mehr Prominenz sei weniger an ihrer KP-Nähe gescheitert, sondern eher daran, dass sie in Linz geblieben sind, wo die geeigneten Herausforderungen für die künstlerische Weiterentwicklung gefehlt hätten. Wippersberg führt zur Bekräftigung seiner These einige oberösterreichische Autoren derselben Generation an, die erst überregionale Bedeutung erhielten, als sie ihren Arbeitsmittelpunkt von Oberösterreich wegverlagert hatten: Kurt Klinger, Herbert Eisenreich, Rudolf Bayr, Marlen Haushofer.

Autor: Christian Schacherreiter

Oberösterreichische Nachrichten, 18. April 2009