NS-Korruption in Oberösterreich

Oberösterreich – ein Zentrum der Korruption im NS-Staat


Die Frage der Korruptionsanfälligkeit des österreichischen Polit- und Gesellschaftssystems ist kein neues Thema. Während allerdings im Allgemeinen das Gefühl vorherrscht, dass diese von West nach Ost oder neuerdings von Nord nach Süd höher werde, gilt für die Zeit des Dritten Reichs bei zahlreichen Historikerinnen und Historikern Oberösterreich als Zentrum der Korruptionshäufigkeit.

„Wer schmiert, der fährt.“ (Wiener) Volksweisheit
Korruption zeichnet sich dadurch aus, dass sie im Verborgenen stattfindet, dass die Evidenz ihrer Häufigkeit eher in einem Gefühl und einer öffentlichen Meinung besteht und dass reale Korruptionsfälle in der Regel nur per Zufall ans Licht kommen. Wenn viele Korruptionsfälle aufgedeckt werden, kann dies nicht nur Ausdruck besonderer Korruptionshäufigkeit, sondern auch besonderer Wachsamkeit gegenüber Korruption sein. Daher bilden zeitliche oder regionale Vergleiche der Korruptionsanfälligkeit von gesellschaftlichen Systemen eher Empfindungen als reale Indikatoren ab, zumal es insgesamt schwierig ist, Korruption quantitativ zu messen.
Ob Österreich zu den eher korruptionsanfälligen Ländern Europas zu rechnen wäre, sei dahingestellt. Ein paar spektakuläre Korruptionsfälle oder auch Korruptionsvermutungen haben das Land neuerdings ins Zentrum der Korruptionswächter gerückt. Dass man es sich als gelernter Österreicher in vielen Fällen „richten“ könne, zählt zu den österreichischen Alltagsüberzeugungen. Und dass diese Möglichkeiten von West nach Ost größer werden und in Wien der Balkan anfange, ist als unbestimmtes Gefühl weit verbreitet.

Zentrum der NS-Korruption
Für die Zeit des Dritten Reichs bzw. bei Forscherinnen und Forschern, die sich mit dem Dritten Reich beschäftigen, galt und gilt Oberösterreich als ein Zentrum der Korruption. Korruption war ein Phänomen, das in der öffentlichen Wahrnehmung des Dritten Reiches einen besonderen Stellenwert einnahm. Es war dauernder Gesprächsstoff, besonders weil sich das Regime in dem propagandistisch gelenkten Diskurs das Image besonderer Sauberkeit und Strenge zu verpassen suchte. Doch das NS-System erwies sich in der Realität aus mehreren Gründen extrem korruptionsanfällig.
Die Ausplünderungsstrategien gegenüber Randgruppen, Gegnern und Unterlegenen förderten ein System der kollektiven Korruption. Die neuen Aufsteiger wollten einen Anteil am zu verteilenden Kuchen. Sie waren zum Großteil sehr jung. Der oberösterreichische Gauleiter August Eigruber zählte 31 Jahre, als er 1938 zum Gauleiter ernannt wurde. Die starke Stellung der Partei begünstigte Netzwerke und gegenseitige Gefälligkeiten. Die Strategie der überhasteten Investitionen ohne strenge Kostenrechnung, wo „Geld keine Rolle spielte“, begünstigte zudem korrupte Strukturen. Und die Bewirtschaftung mit ihrer Diskrepanz zwischen zugeteilten Waren und vorhandener Kaufkraft verlockte zu informellen Geschäften und Schwarzen Märkten.

Offene, tolerierte und bekämpfte Korruption
Es gab erstens eine offene Korruption. Parteimitglieder und „alte Kämpfer“, die vor der Machtübernahme teils geheim operiert hatten, wurden bei Ämter- und Auftragsvergaben bevorzugt und konnten über die öffentliche Verwaltung oder die Beschlagnahme von Vermögen zu lukrativen Jobs und Geschäften kommen.
Daneben existierte die tolerierte Korruption, die sich in Form von Sonderfonds oder schwarzen Kassen manifestierte. Einstmals jüdisches Vermögen ging nicht in Staatseigentum über, sondern wurde in Sonderfonds oder schwarzen Parteikassen geparkt.
Schließlich gab es auch die bekämpfte Korruption, die aufgrund gesetzlicher Grundlagen zwar strafrechtlich mit voller Strenge verfolgt wurde, wegen der Aufhebung der Gewaltenteilung und Gleichschaltung der Presse aber kaum in den Griff zu bekommen war, wobei das größte Hindernis zur effektiven Bekämpfung ein Geflecht von Herrschaftscliquen bzw. Kameraderie darstellte.
Es war ein sich gegenseitiges Stützen oder Decken. So stürzte kein einziger Gauleiter über eine Korruptionsaffäre. Umso drakonischer wurde gegen kleine Leute und politisch Verdächtige vorgegangen. Anklagen wegen Korruption hatten insbesondere jene zu fürchten, die in die Schusslinie regimeinterner Machtkämpfe geraten waren.

Innere Widersprüchlichkeit des Systems
Die Korruption im Nationalsozialismus war auch eine Folge der inneren Widersprüchlichkeit des Systems zwischen planwirtschaftlich-sozialistischen Vorgaben und marktwirtschaftlich-kapitalistischen Rahmenbedingungen.
Einerseits basierte das System auf einer extrem militaristisch durchorganisierten und rassistisch unterfütterten Hierarchisierung mit entsprechender Ungleichheit der Einkommen zwischen den übersteigerten Mehrfachbezügen von Generaldirektoren und Parteifunktionären sowie den Minimallöhnen der untersten Hilfsarbeiter. Andererseits schuf die Ideologie der Betriebs- und Volksgemeinschaft, wo alle am gleichen Tisch essen sollten und die Lebensmittelmarken und sonstigen Bedarfszuteilungen – vom rationierten Benzin bis zum legal kaum mehr erwerbbaren Bohnenkaffee – für alle gleich knapp bemessen sein sollten, ein gleichmacherisches Trugbild, das mit den realen Einkommensunterschieden nicht parallel ging und zu Unterschleifen verleitete.
Dem Papier der Lebensmittelkarte zufolge hatte der Hilfsarbeiter, wenn er als Schwerarbeiter eingestuft war, ein formelles Anrecht auf eine größere Lebensmittelration als sein Generaldirektor, der nominell aber ein Vielfaches verdiente. Dies führte fast notwendigerweise bei jenen, die Geld und Macht hatten, zur Beschaffung über inoffizielle und illegale Kanäle. Gerade die mittleren und oberen Führungsebenen konnten sich Wege zur Umgehung erschließen und mussten das geradezu tun, um ihre hohen Einkommen in irgendeiner Form ausgeben zu können.

Spektakuläre Korruptionsfälle
In Oberdonau/ Oberösterreich waren in den frühen 1940er Jahren eine Reihe spektakulärer Korruptionsfälle ans Licht gekommen. Ob Oberösterreich dabei stärker involviert war als andere Regionen, ist kaum zu beurteilen. War die Führerstadt Linz tatsächlich die „Hauptstadt der Korruption“?
Dass in den drei größten Industriebetrieben des damaligen Oberösterreich – in den Hermann Göring Werken, der Steyr-Daimler-Puch AG und in der Zellwolle Lenzing AG –, aber auch in der Linzer Stadtverwaltung und in der Gauverwaltung schwere Korruptionsskandale aufbrachen und die Akten der Gerichte und Sondergerichte eine Vielzahl von Korruptionsverfahren enthalten, ist allerdings schon auffällig.
Oberstaatsanwalt Oskar Welzl hielt am 3. November 1942 fest: Es stehe heute schon fest, dass in den Steyr-Werken Lebensmittelschiebungen riesigen Ausmaßes vom 1. Tag der Bewirtschaftung an, fortlaufend bis in die jüngste Vergangenheit durchgeführt worden sind und dass hierbei zum überwiegenden Teil die Arbeiterschaft der Werke der leidtragende Teil gewesen ist.

Im November 1940 war in den Hermann-Göring-Werken ein großer Korruptionsskandal aufgeflogen und ein riesiges Korruptionsnetzwerk wurde bloßgelegt. Ende Mai 1942 waren auch in Lenzing erhebliche Lebensmittelunterschlagungen durch einzelne Mitglieder der Werksleitung aufgeflogen. Die Gestapo, Staatspolizeistelle Linz, ermittelte gegen die Leitung der Küchenbetriebe, gegen den Leiter des Gefolgschaftsamtes, gegen den Leiter des Wohnungsamtes und Zuständigen für so genannte kriegswirtschaftliche Unabkömmlichkeits (uk)-Stellungen und gegen die leitenden Direktoren ebenso wie gegen mehrere Kaufleute, Fleischhauer und Bauern. Im ganzen Bezirk Vöcklabruck schien sich damals ein riesiges Netzwerk von Lebensmittelschwindeleien und kriegswirtschaftlicher Korruption entwickelt zu haben, das mit Lenzing in Verbindung stand.

Von der Korruption durchsetzt waren aber auch Dienststellen des Magistrats der Stadt Linz und Amtsstellen des Gaus. Es zeigte sich, dass die Korruption bis ins unmittelbare Umfeld des Gauleiters reichte und auch den Gauleiter selbst betraf, ebenso den ehemaligen Oberbürgermeister von Linz Sepp Wolkerstorfer. Dieser wurde auf Intervention Eigrubers wieder freigelassen und kam schließlich mit einer Geldstrafe von 3000 RM davon. Eigruber war in den Erpressungs- und Korruptionsfall „Mielacher“ unmittelbar verwickelt. Alle Verfahren wurden auf seinen Wunsch 1942 eingestellt.

In Steyr wurden die Ermittlungen der Gerichte, die sich auch auf die Einrichtung eines „Privat-KZs“ durch die Steyr-Werke ausweiteten, auf Weisung des Reichsjustizministers eingestellt. In den Lenzinger Prozessen vermerkte der Richter im Entwurf der Urteilsbegründung recht süffisant:
„Bemerkt muss werden, dass mit Rücksicht auf die NSDAP und die Behörden weder die Namen des bereits abgesetzten Kreisleiters, aber offensichtlich auch jene der Herren der Lenzinger Zellwolle AG in der Hauptverhandlung peinlich vermieden und immer mit einzelnen Persönlichkeiten umschrieben wurden.“

Härte und Nachlässigkeit
Was auffällt, ist die extreme Strenge der Urteile gegen Fleischhauer, Bauern und Wirte mit einer Reihe von Todesurteilen und KZ-Einweisungen und das langsame und zögerliche Vorgehen gegen leitende Mitarbeiter. Die langen Intervalle zwischen dem Auffliegen der Lenzinger Korruptionsaffäre im Jahr 1941 und den Konsequenzen gegen den Generaldirektor und Stellvertreter des Reichsministers Speer, SS-Brigadeführer Dr. Walter Schieber, erst im Herbst 1944 zeigen, dass die Anschuldigungen dann hervorgeholt wurden, wenn sie dem Regime nützlich erschienen. Wegen Korruption belangt gewesen zu sein, konnte in weiterer Folge auch recht nützlich sein: Dr. Schieber konnte sich damit nach dem Krieg eher als Verfolgter statt als Täter darstellen und Anklagen entgehen oder diese weitgehend abschmettern.

Korruption als zentrales Strukturproblem
Korruption war kein isoliertes Randphänomen, sondern ein zentrales Strukturproblem der NS-Bewegung, die die „Cliquenwirtschaft“ quasi zum Prinzip erhob und die durch Patronage und materielle Gefälligkeiten zusammengehalten wurde, auch wenn sich die NSDAP als Hort der Antikorruption stilisierte. Korruptionsaufdeckung war zudem ein Instrument, gerade auch im Fall Lenzing, um missliebige Personen und Konkurrenten zu bekämpfen, sowohl im Ehescheidungsverfahren der Lenzinger Kantinenwirtin und ihres dem Werksschutz zugehörigen Gatten als auch in der Auseinandersetzung zwischen Ernst Kaltenbrunner und Walter Schieber um den Arbeitseinsatz der KZ-Insassen, die vordergründig mit Korruptionsvorwürfen geführt wurde. Korruption und Korruptionsaufdeckung sind damals wie heute ein klares Spiegelbild der politischen Zustände der jeweiligen Gesellschaft.

Korruption als Kontinuum

Korruption ist tatsächlich so alt wie die Menschheit selber. Heute versteht man unter Korruption den Missbrauch einer Vertrauens- oder Machtstellung in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Politik oder sonstigen Bereichen, um einen materiellen oder immateriellen Vorteil zu erlangen, auf den kein rechtlich begründeter Anspruch besteht. Im politischen Sinn ist Korruption die Verletzung eines allgemeinen Interesses zugunsten eines speziellen Vorteils.

Unter Corruptio verstanden die frühneuzeitlichen Theologen die grundsätzliche Verderbtheit der Menschheit, die quasi als Erbsünde auf dem Menschengeschlecht lastet. Korruption ist tatsächlich so alt wie die Menschheit selber. Heute versteht man darunter den Missbrauch einer Vertrauens- oder Machtstellung in Verwaltung, Justiz, Wirtschaft, Politik oder sonstigen Bereichen, um einen materiellen oder immateriellen Vorteil zu erlangen, auf den kein rechtlich begründeter Anspruch besteht. Im politischen Sinn ist Korruption die Verletzung eines allgemeinen Interesses zugunsten eines speziellen Vorteils.
Korrupt können sowohl Politiker als auch Manager, Wissenschaftler als auch Journalisten sein, aber auch Portiere, Bürodiener, Kontrollore oder Polizisten.

In vorindustriellen Gesellschaften waren Bestechungsgelder Teil des gesellschaftlichen Systems. Schmiergeld bezahlte man nicht nur bei den Postkutschen, um mit gut geschmierten Rädern sicher und schnell vorwärtszukommen, sondern praktisch zu jedem Anlass. In vormodernen Kontexten waren Bestechungen offensichtlich und alltäglich.
Bestechung ist in der Bibel ein Thema, in der griechischen und römischen Antike, bei den mittelalterlichen Königswahlen, in den spätmittelalterlichen Städten, bei den feudalen Abgaben, in der Politik der europäischen Höfe des 18. und 19. Jahrhunderts, im Nationalsozialismus und Kommunismus, in der Dritten Welt, aber auch in den Demokratien West- und Mitteleuropas.

Staatliche Modernisierung und Verrechtlichung trugen ab dem 19. Jahrhundert auf einer normativen Ebene zur Trennung von Privatsphäre und Öffentlichkeit bei, verdrängten jedoch korrupte Praktiken nicht. Diese hatten weiterhin eine wichtige Funktion. Die Modernisierung zeigt sich weniger in der Zurückdrängung der Korruption als vielmehr in ihrer öffentlich zur Schau gestellten Delegitimierung.
Korruption unterscheidet sich von anderen Kriminalfällen, bei denen es jeweils Täter und Opfer gibt. Bei Bestechung und Korruption gibt es, zumindest auf den ersten Blick, nur Täter – nämlich die Bestecher und die Bestochenen. An einer Aufdeckung haben begreiflicherweise beide kein Interesse. Aus diesem Grund kommen Korruptions- und Bestechungsdelikte meist nur zufällig ans Tageslicht oder wenn einer der Beteiligten sein Schweigen bricht. Der Vorteil des Korrumpierten ist stets der Nachteil der Organisation, die ihn beschäftigt oder beauftragt hat. Gewinnorientierte Unternehmen sind daher darauf bedacht, die Korrumpierung ihrer Mitarbeiter zu verhindern. Einerseits liegt es im vitalen Interesse der Unternehmen, Korruption zu unterbinden, da sie diese ab einem gewissen Punkt in den ökonomischen Ruin treiben würde. Andererseits sind integre Unternehmen jederzeit durch jene anderen Marktakteure ausbeutbar, die durch Bestechungen die lukrativen Aufträge und damit ökonomische Vorteile generieren. Ein einzelnes Unternehmen kann also zur Korruption gezwungen sein, um nicht der einzige „Dumme“ zu sein, der nicht korrumpiert und deshalb aus dem Markt ausscheiden muss. Wenn Korruption bekämpft werden soll, müssen den Unternehmen Anreize geboten werden, dies tatsächlich auch umzusetzen. Hierzu werden in der Wissenschaft verschiedene Vorschläge diskutiert, z. B. die Umsetzung von Kronzeugenregelungen in Korruptionsfällen.

Literatur:

  • Frank Bajohr: Parvenüs und Profiteure. Korruption in der NS-Zeit. Frankfurt 2001.
  • Jens Ivo Engels – Andreas Fahrmeir – Alexander Nützenadel (Hg.): Geld – Geschenke – Politik. Korruption im neuzeitlichen Europa. 2009 (= Historische Zeitschrift. Beihefte, Bd. 48)
  • Roman Sandgruber: Lenzing. Anatomie einer Industriegründung im Dritten Reich. Linz 2010 (= Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 13, hg. vom Oberösterreichischen Landesarchiv, Band 13)
  • 56. Historikertagung des Instituts für Österreichkunde: Korruption in der Geschichte Österreichs, St. Pölten, 15. April 2009 (Vortragstexte sind im Erscheinen)

Autor: Roman Sandgruber

Oberösterreichische Nachrichten, 25. September 2010