Politischer Neuanfang in Oberösterreich

Die Neuanfänge des politischen Lebens in Oberösterreich


Während sich in Wien und in den von den Sowjets besetzten Gebieten nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft sehr rasch wieder politische Parteien etablieren konnten, musste in Oberösterreich sehr lang auf das offizielle Entstehen neuer, amtlich zugelassener Parteien gewartet werden.

Natürlich hatten auch in Oberösterreich die Versuche, das demokratische Leben wiederherzustellen, schon vor dem offiziellen Ende der nationalsozialistischen Herrschaft und dem sich auftuenden politischen Vakuum begonnen. Die Initiative ergriffen zuerst die Sozialdemokraten. Noch am Tag des amerikanischen Einmarsches in Linz, am Abend des 5. Mai 1945, begab sich eine aus Sozialdemokraten zusammengesetzte Delegation unter Führung von Dr. Ernst Koref und Dr. Alois Oberhummer zum Linzer Weihbischof Josephus Calasanctius Fließer und ersuchte um Benennung christlichsozialer Exponenten für eine zu bildende Landesregierung.

Provisorische Regierung
Die von Oberhummer initiierte Landesregierung aus vier Sozialdemokraten mit ihm als Landeshauptmann, vier Christlichsozialen mit Dr. Josef Zehetner als Landeshauptmann-Stellvertreter und einem Kommunisten (Josef Mitter) war nur einige wenige Tage im Amt, da weder der Bischof noch Zehetner als sein Vertreter ein Hehl daraus machten, dass diese provisorische Regierung nicht die politischen Kräfteverhältnisse im Land widerspiegeln würde. Oberhummers Vorgehen wurde auch innerhalb der Sozialdemokratie wegen der Kontaktnahme und Vereinbarung mit dem Bischof kritisiert, weil die Kirche nach überwiegender sozialistischer Parteimeinung und den Erfahrungen der Zwischenkriegszeit aus der Politik völlig herausgehalten werden sollte.

Oberhummer war als Sozialist mit deutschnationalem Hintergrund, den er auch nach 1945 nicht ablegte, sicher nicht die geeignetste Person für einen Landeshauptmann des Wiederaufbaus. Und auf christlichsozialer Seite fehlte mit Heinrich Gleißner die schon damals einflussreichste Persönlichkeit.
Bereits am 15. Mai wurde daher diese Landesregierung von den Amerikanern abgesetzt und der Beamte Dr. Adolf Eigl, dessen Karriere in der NS-Zeit recht ungebrochen vorangeschritten war, mit der Bildung einer Beamtenregierung beauftragt. Eigl wurde am 16. Mai zum „unpolitischen“ Landeshauptmann ernannt und präsentierte am 17. Mai eine Regierung mit 14 Mitgliedern. Gleichzeitig wurden alle politischen Parteien verboten.

Bei etwas soliderer Kenntnis der Verhältnisse hätten sich die Amerikaner aber wohl die Blamage erspart, nach einigen Monaten plötzlich ein Drittel ihres Beamtenkabinetts, darunter den Landeshauptmann und dessen Stellvertreter sowie mehrere Landesräte wegen ihrer tatsächlichen oder angeblichen nationalsozialistischen Vergangenheit zu verlieren und den Landeshauptmann und mehrere Landesräte in Glasenbach zu internieren.

Zwischen dem 17. Mai und dem 19. September 1945 waren politische Parteien in der amerikanischen Zone Oberösterreichs offiziell verboten. Das unterschied diesen Teil Oberösterreichs nicht nur von der sowjetisch besetzten Zone, also auch dem Mühlviertel, sondern auch von den westlichen Bundesländern und insbesondere auch von dem ebenfalls amerikanisch besetzten Salzburg.

Landeshauptmann Heinrich Gleißner
Am 23. Oktober 1945 einigten sich die erst seit 19. September in Oberösterreich zugelassenen drei Parteien ÖVP, SPÖ und KPÖ auf eine neue, allerdings noch keineswegs auf Wahlen basierende Landesregierung, die aus fünf ÖVP-, drei SPÖ-Vertretern und einem Kommunisten bestand. Die amerikanische Besatzungsmacht ernannte nach längerem Tauziehen am 26. Oktober 1945 Heinrich Gleißner zum Landeshauptmann und bestätigte die von Gleißner gebildete politische Landesregierung, die am 29. Oktober 1945 feierlich installiert wurde.

Wahlkampf 1945
Die Nationalrats-, Landtags- und Gemeinderatswahlen wurden für ganz Österreich für den 25. November 1945 anberaumt. Der Wahlkampf war ausgesprochen heftig. Die Plakatflut war trotz des enormen Papiermangels intensiv: Die weitaus größten Geldmittel und Papiermengen standen der KPÖ zur Verfügung. Dennoch endeten die Wahlen ganz anders. Für die ÖVP war das Wahlergebnis ein großer Erfolg, für die SPÖ eine herbe und so nicht erwartete Enttäuschung, für die KPÖ und die hinter ihr stehende Sowjetunion eine veritable Katastrophe: Die kommunistische Partei blieb auf Bundesebene mit 5 % der Stimmen und nur vier Mandaten praktisch bedeutungslos. In Oberösterreich war die KPÖ mit 2,6 % der Stimmen sang- und klanglos untergegangen. Im sowjetisch besetzten Mühlviertel hatte sie mit 0,9 % der Stimmen noch viel katastrophaler abgeschnitten. Dass in der Tschechoslowakei die Kommunisten bei den ersten Nachkriegswahlen 38 %, in Frankreich 26 %, in Italien 19 % und in Norwegen 11 % erreicht hatten, in Österreich hingegen nur magere 5 %, war die wahre Bedeutung der historischen Wahl vom 25. November 1945.

Frauen entschieden die Wahl
Praktisch wurde die Wahl von den Frauen entschieden – es fehlten nicht nur die Gefallenen und die Gefangenen, sondern auch die vom Wahlrecht ausgeschlossenen, zu zwei Drittel männlichen ehemaligen NSDAP-Mitglieder. In Oberösterreich waren 516.845 Personen wahlberechtigt, davon 63 % Frauen. Es fehlten mehr als 80.000 Nationalsozialisten und etwa 54.000 Kriegsgefangene und (vorläufig) Vermisste.

Die neue, aufgrund des Wahlergebnisses gebildete Landesregierung bestand aus sechs ÖVP- und drei SPÖ-Vertretern unter Führung von Landeshauptmann Dr. Heinrich Gleißner.
Entscheidend für die weitere politische Entwicklung war, wie das in Oberösterreich in der Zwischenkriegszeit immer fast ein Viertel des Wählerpotentials umfassende nationale Lager sich nach 1945 verhalten werde. Aufgrund der Amnestie für minder belastete Nationalsozialisten und der Rückkehr fast aller Kriegsgefangenen ergab sich für die nächsten Wahlen im Jahr 1949 eine völlig veränderte Situation: In Oberösterreich erhielten rund 77.000 „minderbelastete“ Nationalsozialisten das Wahlrecht zurück. Von den etwa 110.000 Wahlberechtigten, die in Oberösterreich 1949 neu dazugekommen waren, waren 60 % amnestierte NS-Mitglieder, 28 % Kriegsheimkehrer, 9 % Eingebürgerte und 3 % Jungwähler

.Kampf um neue Wähler
Der Kampf um diese Wähler entbrannte in voller Härte. Es kam zu den Kontakten führender ÖVP-Vertreter, darunter Julius Raab, Alfred Maleta und der oberösterreichische Landesparteiobmann Dr. Schöpf, mit ehemaligen Nationalsozialisten: mit Dr. Manfred Jasser, dem Verleger Friedrich Heiß, dem Staatsrechtler Hermann Raschhofer, dem Historiker Taras Borodajkewycz und dem späteren Chefredakteur der Oberösterreichischen Nachrichten Walter Pollak am 28. Mai 1949 auf dem Landsitz Alfred Maletas in Oberweis.

Aber auch die SPÖ suchte den Kontakt mit den Nationalen. In Oberösterreich waren die Beziehungen zwischen der SPÖ und dem nationalen Lager besonders gut. Die guten Beziehungen Ernst Korefs zu Franz Langoth, dem letzten nationalsozialistischen Oberbürgermeister von Linz, waren bekannt. Es gab aber auch recht undurchsichtige Verbindungen zwischen dem Parteisekretär der oberösterreichischen Sozialisten Karl Krammer und dem so genannten Gmundner Kreis schwerbelasteter Nationalsozialisten, etwa zu Stefan Schachermayr, dem ehemaligen Gauinspektor der NSDAP in „Oberdonau“ und zu Erich Kernmayer, dem Pressechef von Gauleiter Josef Bürckel. Jetzt hatten beide gute Beziehungen zum amerikanischen Geheimdienst CIC und zur SPÖ. Der damalige sozialistische Innenminister Oskar Helmer wird von Gustav A. Neumann, dem damals erst 25-jährigen Landesobmann des oberösterreichischen VdU und Herausgeber des Echos der Heimat, bei einem Treffen in Gmunden, in der „Villa Maria Luise“, mit der Bemerkung zitiert: „Schaun's, Herr Neumann, wenn ich diese Nazi net betreu, betreut sie der Maleta in Oberweis.

Buhlen um das nationale Lager
Die Versuche beider Parteien, das nationale Lager zu vereinnahmen, scheiterten. In Oberösterreich gelang dem neu gegründeten VdU (Verband der Unabhängigen) nicht nur ein tiefer Einbruch in die Wählerschichten der ÖVP, sondern ebenso in die der SPÖ. Die ÖVP rutschte auf 45 % ab. Die gleichzeitig starken prozentuellen Verluste der SPÖ ließen allerdings die Führungsposition der ÖVP unangetastet. Aber die absolute Mehrheit im Landtag und in der Landesregierung war verlorengegangen. Gleißner blieb Landeshauptmann, musste aber 1950 bei den Bundespräsidentenwahlen eine herbe Niederlage gegen Theodor Körner einstecken. So blieb er dem Land bis zum Jahr 1971 als Landeshauptmann erhalten.

Das „oberösterreichische Klima“
Die riesigen Probleme des Wiederaufbaus ließen sich nur in konsequenter Zusammenarbeit aller demokratischen Parteien lösen. Das schloss allerdings politische Diskussionen und Auseinandersetzungen nicht aus. Die Wahlkämpfe wurden mit voller Härte und deutlichen Worten geführt. Der Gesprächsfaden riss aber nie, man konnte auf die Handschlagqualität der Partner aus den anderen Parteien vertrauen. Sowohl 1945 als auch 1949 wurde Gleißner einstimmig vom Landtag zum Landeshauptmann gewählt. Von 1945 bis 1949 wurden sowohl im Landtag als auch in der Landesregierung alle Beschlüsse einstimmig gefasst, obwohl die ÖVP in beiden Gremien eine klare absolute Mehrheit hatte. Dieses Konsensklima war der Rahmen für die erfolgreiche Entwicklung des Landes.

Die Wahlergebnisse der oberösterreichischen Landtagswahlen von 1945 bis 2003 (in %):

ÖVP SPÖ VdU/FPÖ KPÖ/KLS Grüne/GAL Sonstige
2003 43,4 38,3 8,4 0,8 9,1
1997 42,7 27,0 20,6 0,3 5,8 3,6
1991 45,2 31,4 17,7 5,7
1985 52,1 38,0 5,0 0,6 3,9 0,4
1979 51,6 41,4 6,4 0,6
1973 47,7 43,4 7,7 0,9 0,3
1967 45,2 46,0 7,5 0,8 0,5
1961 48,8 39,6 9,7 1,9
1955 48,1 39,4 9,6 2,8
1949 44,9 30,8 20,8 3,1 0,4
1945 59,0 38,3 2,6

Literatur:

  • Prinzip Hoffnung. Linz zwischen Befreiung und Freiheit. Ausstellung vom 22. April bis 30. Juli 1992. Stadtmuseum Linz-Nordico. Red.: Willibald Katzinger und Fritz Mayrhofer. Linz 1995 (= Katalog des Stadtmuseums Linz-Nordico 60).
  • Schuster, Walter: Politische Restauration und Entnazifizierungspolitik in Oberösterreich; in: Walter Schuster - Wolfgang Weber (Hg.): Entnazifizierung im regionalen Vergleich. Linz 2004 (= Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 2002), S. 157-215 - Siehe Periodika - Historisches Jahrbuch der Stadt Linz
  • Sandgruber, Roman: Das 20. Jahrhundert. Geschichte Österreichs. Bd. 6, Wien 2003.
  • Sandgruber, Roman: Vom Wiederaufbau in die Mitte Europas. 60 Jahre ÖVP Oberösterreich. Linz 2005.
  • Slapnicka, Harry: Oberösterreich - zweigeteiltes Land 1945-1955. Linz 1986 (= Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs 11).

Linktipps:

Biografiedankenbank des Oberösterreichischen Landesarchivs
Derzeit sind biografische Informationen zu den oberösterreichischen Politiker/-innen seit dem Landtag 1861 verfügbar.

Auf der Seite des Landes Oberösterreich finden Sie die Wahlergebnisse von 1945 bis 2003 für alle Wahlen und Gemeinden in Oberösterreich.

Autor: Roman Sandgruber

Oberösterreichische Nachrichten, 2. Mai 2009