Wahlrecht in Oberösterreich

Der lange Weg zum Wahlrecht


„Das Heil der Demokratien, von welchem Typus und Rang sie immer seien, hängt von einer geringfügigen technischen Einzelheit ab: vom Wahlrecht.“
Jose Ortega y Gasset

Landtagswahlen seit 1861
Landtagswahlen gibt es in Oberösterreich seit 1861. Vorher wurde der Landtag ständisch zusammengesetzt und beschickt. In der Revolution von 1848 war zwar der Entwurf einer oberösterreichischen Landesverfassung erarbeitet worden, die einen Landtag mit 75 durch allgemeine und direkte Volkswahl bestimmten Abgeordneten vorsah, auch wenn nur Männer über dreißig wahlberechtigt und „Arbeiter gegen Tag- und Wochenlohn und Dienstleute“ sowie Personen, „die aus öffentlichen Wohltätigkeitsanstalten Unterstützungen genießen“, ausgeschlossen sein sollten. Aber nach der Niederschlagung der Revolution wurde überhaupt nicht mehr gewählt, sondern wieder absolut regiert. Erst in der höchsten Not des verlorenen Krieges von 1859 besann man sich wiederum auf das Volk und leitete endlich eine Demokratisierung ein.

Der 1861 erstmals aus einer Wahl hervorgegangene oberösterreichische Landtag zählte 50 Abgeordnete. Die Abgeordneten wurden nach einem Kurienwahlsystem gewählt, und zwar in vier Kurien: Großgrundbesitzer, Städte, Handelskammern und Landgemeinden. Die Großgrundbesitzer stellten zehn Mandate, die Städte und Industrieorte 17, die Handels- und Gewerbekammer drei und die Landgemeinden 19 Mandate. Dazu kam als 50. Landtagsmitglied der Diözesanbischof.

Eingeschränktes Wahlrecht
Das Wahlrecht war vorerst also weder ein allgemeines noch ein gleiches, geheimes und direktes. Wahlberechtigt waren nur Personen mit einer bestimmten jährlichen Mindeststeuerleistung von zuerst zehn, später dann fünf Gulden und so genannte Honoratioren: Das waren Geistliche, Beamte, Offiziere im Ruhestand, Professoren, Akademiker mit Universitätsstudium und Schuldirektoren, nicht hingegen z. B. Techniker, Tierärzte oder Lehrer. Dieses so genannte Steuer- und Intelligenzwahlrecht schloss die Mehrheit der Bevölkerung vom Wahlrecht aus. Nur der Gebildete, Selbstständige und Besitzende habe ein Interesse am Wohlergehen des Staates, den Armen und Ungebildeten fehle die entsprechende Motivation und Befähigung.

Der katholische Bischof war mit einer Virilstimme automatisch im Landtag vertreten. Die evangelische und jüdische Glaubensgemeinschaft forderte vergeblich eine ähnliche Vertretung ihrer Kirche im Landtag. Auch die akademisch gebildeten Techniker etc. fühlten sich diskriminiert und verlangten ebenfalls das aktive und passive Wahlrecht.

Wählerklassen
Groß war die Ungleichheit der Wertigkeit der Mandate zwischen den einzelnen Wählerklassen. In der Wählerklasse des Großgrundbesitzes brauchte man 1867 für ein Mandat nur zehn Stimmen - geringfügig mehr in der Wählerklasse der Handels- und Gewerbekammer, wo nur Industrielle und Großhändler wahlberechtigt waren -, während in der Kurie der Städte und Industrieorte 447 Stimmen und in den Landgemeinden sogar 1644 für ein Mandat erforderlich waren.

Wahlmänner
Während in den drei oberen Kurien direkt gewählt wurde, wurde in der Kurie der Landgemeinden indirekt, über ein System von Wahlmännern - wie heute noch bei der amerikanischen Präsidentenwahl - gewählt, was oft Anlass zu Ärger gab, wenn manche Wahlmänner sich als höchst unberechenbar erwiesen.

Reichsratsabgeordnete wurden bis 1873 überhaupt nicht direkt gewählt, sondern von den Landtagsabgeordneten aus ihrer Mitte bestimmt. Hernach war das Wahlrecht für den Reichsrat ähnlich dem der Landtage geregelt, wurde aber rasch allgemeiner: 1897 gab es für den Reichsrat bereits ein allgemeines, aber noch kein gleiches Wahlrecht. 1907 wurde für den Reichsrat das allgemeine und gleiche Wahlrecht eingeführt, während sich der Landtag bis 1918 nicht dazu durchringen konnte. Das geheime Wahlrecht mit Stimmzetteln wurde bei der Landtagswahl von 1891 erstmals eingeführt.

Klassenwahlrecht
Das Klassenwahlrecht, das im Oberösterreichischen Landtag bis 1918 galt, beinhaltete viele Probleme. Für das Wahlrecht in der Kurie der Großgrundbesitzer war die landtäfliche Qualität und nicht die Größe des Besitzes ausschlaggebend. Es gab ein Tauziehen um das Wahlrecht der landtäflichen Klöster, immerhin 15 Wahlberechtigte, die als Geistliche für das Wahlergebnis in der gut 100 Mitglieder zählenden Kurie der Großgrundbesitzer entscheidend waren. Von dieser kleinen Gruppe hing häufig die politische Ausrichtung, ob mehrheitlich konservativ oder liberal, in der Kurie des Großgrundbesitzes und damit letztlich die Mehrheit im Landtag ab.

Viele Wahlrechtsforderungen blieben bis zum Weltkrieg offen: nicht nur das Frauenwahlrecht, sondern auch die Frage des direkten Wahlrechts in den Landgemeinden und insgesamt die Beseitigung des extrem ungleichen Wahlrechts, insbesondere bei der Handelskammer und beim Großgrundbesitz.

Die Hauptungleichheit bestand bezüglich des Großgrundbesitzes. Die gut 100 landtäflichen Wähler stellten zehn, also ein Fünftel aller Mandate. Der landtäfliche Adel war demnach auch der Hauptgegner der Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Auch die Liberalen konnten sich davon nicht viel erwarten, während die Christlichsozialen und die Großdeutschen dafür waren und es für die Sozialdemokraten die Voraussetzung war, um überhaupt einigermaßen vertreten zu sein.

Allgemeines und gleiches Wahlrecht
Zur Einführung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts, das seit 1907 für den Reichsrat galt, konnte man sich im oberösterreichischen Landtag vor 1914 nicht durchringen, weil damit alle Kurien, vor allem die des Großgrundbesitzes und der Handelskammer, verschwunden wären. Ein erster Schritt wurde 1909 mit der Einführung einer allgemeinen Wählerkurie getan: Der Landtag wurde von 50 auf 69 Mitglieder vergrößert. Damit war zwar ein weitgehend allgemeines Wahlrecht verwirklicht, wenngleich allerdings nur für Männer und das auch unter Ausschluss der Militärangehörigen und der Armen.
Es war aber kein gleiches Wahlrecht, sondern weiterhin ein sehr ungleiches. Den Angehörigen der vier bereits bestehenden Wählerklassen waren nunmehr zwei Stimmen eingeräumt worden, eine in ihrer bisherigen Klasse und eine in der allgemeinen Wählerklasse. Bei den Landtagswahlen von 1909 stellte die Kurie der Großgrundbesitzer zehn Mandatare, denen nur 123 Wahlberechtigte gegenüberstanden. Auch die drei Mandatare der Handelskammer waren von weniger als 100 Wahlberechtigten bestimmt worden, die 19 Mandate der Städte und Industrialorte hingegen schon von etwa 15.000 Wählern. Den Landgemeinden waren 22 Mandate eingeräumt worden, wahlberechtigt waren hier 64.000 Oberösterreicher und die neue allgemeine Wählerkurie stellte 14 Mandate, hier waren 176.000 Oberösterreicher wahlberechtigt.

Unterschiedliche Regelungen
Bis 1918 war die Wahlberechtigung für Gemeinderats-, Landtags- und Reichsratswahlen höchst unterschiedlich geregelt. Am höchsten war lange Zeit die Zahl der Wahlberechtigten für die Gemeinderäte. Für Landtagswahlen lag die Zahl der Wahlberechtigen um die Hälfte niedriger als für Gemeinderatswahlen. Zwischen 1861 und 1873 dürften von den ca. 725.000 Einwohnern des Landes etwa 110.000 Männer bei Gemeinderatswahlen und etwa 40.000 bei Landtagswahlen wahlberechtigt gewesen sein. 1867 waren 5,39 % der Bevölkerung Oberösterreichs für den Landtag wahlberechtigt. Die Zahl stieg langsam gegen 10 % im Jahr 1902. Bei den letzten oberösterreichischen Landtagswahlen während der Monarchie, 1909, waren 21,49 % der Bevölkerung wahlberechtigt.

Wahlen nach 1918
1919 wurden die nunmehr 72 Landtagsmitglieder erstmals nach einem allgemein, gleichen und direkten Wahlrecht bestimmt. Wahlberechtigt waren alle Oberösterreicherinnen und Oberösterreicher über 20 Jahre. Das Wahlrecht wurde nicht nur den österreichischen Staatsbürgern eingeräumt, sondern auch in Oberösterreich wohnhaften Bürgern der deutschen Bundesstaaten Sachsen, Sachsen-Meinigen, Sachsen-Weimar-Eisenach, Oldenburg, Schwarzburg-Sondershausen, Hamburg und Gotha. Durch die österreichische Bundesverfassung von 1920 wurde diese aus den Anschlussbestrebungen stammende Regelung widerrufen. Die Zahl der Landtagsabgeordnete wurde 1925 auf 60 und 1931 bei den letzten Landtagswahlen der Zwischenkriegszeit auf 48 herabgesetzt.

Wahlen nach 1945
Für die erste Landtagswahl nach dem Zweiten Weltkrieg am 25. November 1945, die gemeinsam mit der Nationalratswahl stattfand, waren alle nationalsozialistisch belasteten Personen vom Wahlrecht ausgeschlossen. 1949 galt diese Beschränkung nicht mehr. Bei den Wahlen des Jahres 1945 waren daher nur etwa 47 % der Bevölkerung wahlberechtigt, 1949 dagegen schon etwa 57 %. Seither ist die Zahl der Wahlberechtigten kontinuierlich angestiegen, 2003 waren 73,5 % der Oberösterreicher wahlberechtigt. 2009 sind es noch einmal deutlich mehr, weil inzwischen das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt worden ist.

„Wer mitzahlt, soll auch mitreden können.“
Durch die Wahlrechtsdebatten des 19. Jahrhunderts zieht sich ein Grundsatz: „Wer mitzahlt, soll auch mitreden können.“ Und wer mehr zahlte, sollte mehr zu reden haben. Beim Adel hingegen galten andere Kriterien, nicht die Größe des Besitzes, sondern die ererbte Eintragung in die Landtafel. Weil das Wahlrecht aufs Engste mit der Steuerleistung verknüpft war, war die Benachteiligung der Jugend eklatant. Bauernsöhne wurden erst wahlberechtigt, wenn sie den Hof übernommen hatten und Steuern zahlten. Nicht anders war es bei Gewerbetreibenden, Hausbesitzern, Studenten etc. Aber auch die Definition von Bildung war höchst willkürlich; Techniker zählten etwa nicht zu den Gebildeten.

Wer soll wählen können?
Welchen Personen in einem Staatswesen das Wahlrecht zusteht, ist immer noch einer der heikelsten Punkte: ob allen anwesenden Personen, die Steuern entrichten oder eine Aufenthaltsgenehmigung besitzen oder doch nur jenen mit Staatsbürgerschaft und die sich diese auch durch den Nachweis gewisser politologischer Grundkenntnisse auch verdient haben? Und ab welcher Altersgrenze oder überhaupt mit einer Altersgrenze? Diese wurde und wird immer mehr gesenkt. Natürlich stößt man hier irgendwann an Grenzen, die auch durch den sinnvollen Ruf nach verstärkter politischer Bildung nicht überwunden werden können. Aber haben Kinder nicht auch ein Recht, dass sie oder ihre Vertreter über ihre Zukunft mitbestimmen können? Und ganz generell ist das Wahlrecht als demokratisches Grundrecht mit keinerlei Vorbedingungen verknüpfbar, etwa mit der Fähigkeit des Lesens und Schreibens oder mit bestimmten politologischen oder allgemeinen Grundkenntnissen.

Es bleibt daher die Frage: Wann kann das Wahlrecht überhaupt als „allgemein“ definiert werden: zu dem Zeitpunkt, als die ersten Wahlen nach dem allgemeinen Wahlrecht für Männer abgehalten wurden, oder erst mit der Einführung des Frauenwahlrechts, mit der aktuellen Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre oder vielleicht noch weiter nach unten in irgendeiner Zukunft, oder erst zu dem Zeitpunkt, wenn alle wählen dürfen, die in einem Staatsgebiet ihren Wohnsitz haben oder anwesend sind?

Der Kampf um das Frauenwahlrecht

Die Diskussion um das Wahlrecht der Frauen begann gemeinsam mit der generellen Einführung des Rechts zu wählen. Nach der liberalen Meinung, wer zahlt, schafft an, wäre ein Wahlrecht vermögender Frauen eigentlich unausweichlich gewesen. Denn es gab relativ viele vermögende Frauen, nicht nur Witwen, sondern auch die zu gleichen Teilen am Besitz angeschriebenen Frauen. Bisweilen war es sogar so, dass eine Frau der größte Steuerzahler einer Gemeinde sein konnte. Das Wahlrecht wurde dennoch nur den Frauen aus der Kurie des Großgrundbesitzes zugestanden.
1861 gab es in Oberösterreich acht Frauen, die wahlberechtigt waren, 1909 immerhin schon 18. Aber auch diese Frauen hatten nur ein indirektes Wahlrecht, über von ihnen nominierte Wahlmänner. Gegenstand heftigster Diskussionen war, ob sich die Frauen ihre „Wahlmänner“ selbst aussuchen dürften oder ob dies bei Verheirateten automatisch der Ehemann sei. In die Wahlordnung kam auf kaiserliche Anordnung der Passus: „Eigenberechtigte Frauenspersonen üben durch einen Bevollmächtigten das Wahlrecht aus.“ Der Satz, dass bei verheirateten Frauen dieser Bevollmächtigte automatisch der Ehemann sei, wurde, weil er als Diskriminierung verheirateter Frauen gegenüber den ledigen oder verwitweten betrachtet wurde, letztlich nicht aufgenommen.

Die Diskussion um das Wahlrecht der Frauen begann gemeinsam mit der generellen Einführung des Rechts zu wählen. Nach der liberalen Meinung, wer zahlt, schafft an, wäre ein Wahlrecht vermögender Frauen eigentlich unausweichlich gewesen. Denn es gab relativ viele vermögende Frauen, nicht nur Witwen, sondern auch die zu gleichen Teilen am Besitz angeschriebenen Frauen. Bisweilen war es sogar so, dass eine Frau der größte Steuerzahler einer Gemeinde sein konnte. Das Wahlrecht wurde dennoch nur den Frauen aus der Kurie des Großgrundbesitzes zugestanden.
1861 gab es in Oberösterreich acht Frauen, die wahlberechtigt waren, 1909 immerhin schon 18. Aber auch diese Frauen hatten nur ein indirektes Wahlrecht, über von ihnen nominierte Wahlmänner. Gegenstand heftigster Diskussionen war, ob sich die Frauen ihre „Wahlmänner“ selbst aussuchen dürften oder ob dies bei Verheirateten automatisch der Ehemann sei. In die Wahlordnung kam auf kaiserliche Anordnung der Passus: „Eigenberechtigte Frauenspersonen üben durch einen Bevollmächtigten das Wahlrecht aus.“ Der Satz, dass bei verheirateten Frauen dieser Bevollmächtigte automatisch der Ehemann sei, wurde, weil er als Diskriminierung verheirateter Frauen gegenüber den ledigen oder verwitweten betrachtet wurde, letztlich nicht aufgenommen.

Die oberösterreichische Wahlrechtslage war insofern widersprüchlich, weil in der Gemeindewahlordnung von 1864 eigenberechtigten Frauen in allen Kurien das indirekte Wahlrecht zugestanden worden war, in der Landtagswahlordnung dieses aber auf die Kurie des Großgrundbesitzes beschränkt wurde und für die übrigen Kurien ausdrücklich ausgeschlossen war. Um diese Widersprüche aufzulösen, traten die Katholisch-Konservativen 1883 für eine Ausweitung des Frauenwahlrechts auf alle Kurien ein. Es war der katholisch-konservative Abgeordnete und spätere Landeshauptmann Alfred Ebenhoch, der ganz nachdrücklich für das Frauenwahlrecht eintrat: Warum sollen Steuergulden der Frauen weniger zur Wahl für den Landtag berechtigen als Steuergulden der Männer, fragte er. Er verwies darauf, dass die Frauen in Mähren, Schlesien, Salzburg, Tirol und Vorarlberg schon das Wahlrecht bei Landtagswahlen hätten: „Gerade die Oberösterreicherin soll nicht imstande sein zu entscheiden, ob im öffentlichen Leben liberale Misswirtschaft oder konservative Sparsamkeit vonnöthen sei? Die conservative Partei hält demnach fest an dem Grundsatze, dass die eigenberechtigten Frauenspersonen wahlberechtigt seien“, meinte er 1883.

Die noch vor Kriegsausbruch beschlossene neue oberösterreichische Gemeinderatswahlordnung, die allerdings vom Kaiser nicht mehr unterzeichnet wurde, sah das Frauenwahlrecht ohne Einschränkung vor und hätte den oberösterreichischen Frauen noch vor der Einführung des Frauenwahlrechts auf gesamtstaatlicher Ebene im Jahre 1918 immerhin schon 1914 das volle Wahlrecht gebracht.

Literatur:

  • Haider, Siegfried: Geschichte Oberösterreichs. Wien 1987.
  • Slapnicka, Harry Slapnicka: Oberösterreich unter Kaiser Franz Joseph. Linz 1982.


Autor: Roman Sandgruber

Oberösterreichische Nachrichten, 19. September 2009