Ernst Kaltenbrunner

Ernst Kaltenbrunner wurde am 4. Oktober 1903 als Sohn von Hugo Kaltenbrunner und dessen Frau Theresia geboren. Die Volksschule besuchte er in Raab, wo sein Vater als Rechtsanwalt tätig war. Anschließend schickten ihn seine Eltern nach Linz ins Realgymnasium, die Familie selbst übersiedelte 1918 ebenfalls in die Landeshauptstadt. Einer der Lehrer Ernst Kaltenbrunners war der spätere Linzer Bürgermeister Ernst Koref. Für diesen sollte seine Bekanntschaft mit Kaltenbrunner noch lebensrettend werden: Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler 1944 wurde Koref als führender Sozialdemokrat und bekannter Gegner des Nationalsozialismus in Linz inhaftiert. Kaltenbrunner intervenierte erfolgreich für seinen ehemaligen Lehrer und bewahrte ihn vor der Einlieferung in das KZ Dachau.

Bereits im Gymnasium wurde Kaltenbrunner zum begeisterten Burschenschafter. Er trat der antikatholisch und alldeutsch gesinnten Pennalburschenschaft Hohenstaufen bei. Nach seiner Matura 1921 immatrikulierte er an der Technischen Hochschule in Graz und begann ein Chemiestudium. Sein Wunsch war es, als Ingenieur in den niederländischen Kolonialdienst zu treten und die Welt kennen zu lernen. Zwei Jahre später wechselte er allerdings an die juridische Fakultät.

Unmittelbar nach Beginn seines Studiums trat Kaltenbrunner der deutschnationalen Burschenschaft Arminia bei. Er hatte dort verschiedene Ämter inne und war unter anderem Ausschussvoritzender des Grazer Zweiges des Deutschen Burschenbundes. Er beteiligte sich an Demonstrationen gegen die Zulassung von Juden an der Universität und ersuchte den Rektor mit Hinweis auf das Schicksal der Südtiroler, einer italienischen Verbindung die Zulassung an der Universität zu verweigern.

Im Jahr 1926 promovierte Kaltenbrunner in Graz und kehrte nach Linz zurück, um am Landes- und Bezirksgericht sein Gerichtsjahr zu absolvieren. Allerdings verließ er das Gericht frühzeitig und trat in eine Salzburger Anwaltskanzlei ein; 1928 wechselte er zurück nach Linz in die Kanzlei von Dr. Lasser.

Heimwehr-Mitglied
Kaltenbrunner trat dem Deutsch-Völkischen Turnverein bei, 1929 schließlich der Heimwehr. Er kündigte sogar seine Stellung, um seine ganze Arbeitskraft in den Dienst der Heimwehr zu stellen, wandte sich aber ein Jahr später enttäuscht von ihr ab, weil sie ihm zu christlichsozial eingestellt war. Kaltenbrunner wechselte zur NSDAP, die ihm umso attraktiver erschien, weil sie die Unabhängigkeit Österreichs ablehnte und den Anschluss an Deutschland forderte. Am 31. August 1931 trat Kaltenbrunner mit der Nummer 13 039 jener Organisation bei, in der er eine steile Karriere machen und für deren Verbrechen er 1945 als Hauptkriegsverbrecher vor dem Militärtribunal in Nürnberg stehen sollte: der SS.
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SS-Rechtsberater
Ein Jahr später wurde Kaltenbrunner die Führung des Linzer SS-Sturmes übertragen. Zu dessen Aufgaben gehörte der Schutz des so genannten Braunen Hauses, der Zentrale der österreichischen NSDAP in Linz, die Anwerbung von Mitgliedern und der Schutz von nationalsozialistischen Parteirednern. Im Herbst ernannte ihn der Stabschef der SA, Ernst Röhm, dem die SS zu diesem Zeitpunkt noch unterstellt war, zum SS-Rechtsberater für den SS-Abschnitt VIII. Dieser Abschnitt umfasste die gesamte österreichische SS.

Als Rechtsberater vertrat Kaltenbrunner kostenlos verhaftete SS- und SA-Männer. Zu seinen Klienten gehörten unter anderem vier Angehörige der Königsberger SS, die des Mordes an einem sozialdemokratischen Zeitungsverleger verdächtigt wurden. Sie waren nach Österreich geflohen und Deutschland forderte nun ihre Auslieferung. Kaltenbrunner gelang es gemeinsam mit dem SA-Rechtsberater Georg Ettingshausen, die Auslieferung zu verhindern und ihre Freilassung zu erreichen. Kaltenbrunner war 1932 zwar in die Kanzlei seines Vaters eingetreten, entlastete diesen aber aufgrund seines zeitaufwändigen politischen Engagements nur geringfügig.

Verbot der NSDAP in Österreich
1933 wurde die NSDAP in Österreich verboten. Kaltenbrunner blieb weiterhin politisch aktiv und wurde einen Tag nach seiner Hochzeit mit Elisabeth Eder am 15. Jänner 1934 verhaftet und in das Anhaltelager Kaisersteinbruch im Burgenland eingeliefert. Im April organisierte er einen Hungerstreik der Insassen wegen der schlechten Versorgung mit Lebensmitteln, der unzureichenden sanitären Einrichtungen und der Misshandlungen durch die Wachen. Durch den Hunger völlig entkräftet, musste Kaltenbrunner schließlich in ein Spital eingewiesen werden – aber er hatte Erfolg. Der Großteil der in Kaisersteinbruch inhaftierten Nationalsozialisten kam, wie auch Kaltenbrunner selbst, frei.

Putschversuch 1934
Vom nationalsozialistischen Putschversuch am 25. Juli 1934, bei dem Bundeskanzler Dollfuß getötet wurde, profitierte Kaltenbrunner, weil führende Köpfe der NSDAP nach Deutschland flohen. Die SS in Österreich wurde neu aufgestellt und erhielt neue Aufgaben. Sie sollte die Führer der NSDAP schützen, Berichte über die illegalen Aktivitäten, die Tätigkeiten der Polizei und des Bundesheeres und über die Stimmung in der Bevölkerung nach Deutschland liefern. Im Gegensatz zur NSDAP, der SA und der HJ unterstand die österreichische SS auch weiterhin der SS-Führung im Reich.

Führer der SS
Im Herbst 1935 ernannte Reichsführer-SS Heinrich Himmler Kaltenbrunner zum Führer des SS-Abschnitts VIII, der Ober- und Niederösterreich umfasste. Zuvor war Kaltenbrunner wegen seiner SS-Mitgliedschaft inhaftiert gewesen und hatte in dieser Zeit seine Anwaltslizenz verloren. Seine neue Position und seine Nähe zur deutschen Grenze nutzte Kaltenbrunner nun, um immer wieder illegal in das Deutsche Reich zu reisen und dort direkt an Himmler und an den damaligen Leiter des Auslandnachrichtendienstes des Sicherheitsdienstes (SD) Reinhard Heydrich zu berichten. Dabei überging er geflissentlich den Führer der österreichischen SS, den Steirer SS-Oberführer Karl Fuchs. Kaltenbrunner verfügte neben seinen Kontakten nach Deutschland auch über gute Beziehungen zu den als gemäßigt geltenden österreichischen Nationalsozialisten Anton Reinthaller, Arthur Seyß-Inquart, Franz Langoth und zum späteren Gauleiter Friedrich Rainer.

Anfang 1937 erhielt Kaltenbrunner die Führung des SS-Oberabschnitts Donau, der die gesamte österreichische SS umfasste. Von deutscher Seite erwartete man von ihm, dass er die SS auf einem gewaltfreien Kurs hielt, den Hitler vorübergehend gegenüber Österreich verfolgte. Wegen seiner Berichte hielt man ihn außerdem für einen Experten für Geheimdienstoperationen, ohne dass Kaltenbrunner auf diesem Gebiet tatsächlich über weitreichende Erfahrungen verfügte.

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten in Österreich wurde Arthur Seyß-Inquart zum Reichsstatthalter bestellt. Kaltenbrunner schien in seiner Kabinettsliste ursprünglich nicht auf, auf Intervention Himmlers erhielt er aber das Amt des Staatssekretärs für das Sicherheitswesen. Da Österreich nicht als eigenständiger Teil im Reich erhalten bleiben sollte, war dies ein Amt mit Ablaufdatum. 1940 kam schließlich mit der völligen organisatorischen Eingliederung in das Deutsche Reich auch das Ende für die Ministerien.

Höherer SS- und Polizeiführer
Himmler beförderte Kaltenbrunner zum Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) für den Wehrkreis XVII, der Wien, Oberdonau, Niederdonau und den nördlichen Teil des ehemaligen Burgenlandes umfasste.

Das Amt des HSSPF bedeutete die Verschmelzung von SS und Polizei. In Friedenszeiten übte der HSSPF eine Kontrollfunktion über Gestapo, Kriminalpolizei, Sicherheitspolizei, SD, Ordnungspolizei, Allgemeine SS, SS-Totenkopfverbände, Waffen-SS und die lokalen Dienststellen des Reichskommissars für die Festigung des deutschen Volkstums (RKFDV) aus. Im Falle des öffentlichen Notstandes sollte er das Kommando dieser Verbände übernehmen. Zu seinen Aufgaben gehörte auch die Vertretung der politischen Interessen der SS und der Polizei.

Reinhard Heydrich, ein Gegner Kaltenbrunners
Kaltenbrunners Einfluss wurde allerdings durch Reinhard Heydrich, Chef des SD und der Sicherheitspolizei, und Kurt Daluege, Chef des Hauptamtes Ordnungspolizei, stark eingeschränkt. Heydrich war ein Gegner Kaltenbrunners und entzog ihm die Kontrolle über das polizeiliche Vorgehen gegen die österreichischen Juden, über politische Verhaftungen und die Nachrichtenbeschaffung. Die Deportation der Juden lief über Heydrich und Daluege, Kaltenbrunner war über die Geschehnisse aber eingehend informiert. Außerdem nahm er in seiner Funktion als HSSPF an Besprechungen zu wirtschaftlichen Projekten teil, bei denen Häftlinge aus dem Konzentrationslager Mauthausen zum Einsatz kommen sollten.

Wilde Arisierungen und systematischer staatlicher Raum jüdischen Eigentums
Kaltenbrunner ging auch gegen die wilden Arisierungen vor, bei denen Parteimitglieder zu ihren eigenen Gunsten Wertsachen beschlagnahmten. An die Stelle des wilden Arisierens trat der systematische staatliche Raub jüdischen Eigentums. Kaltenbrunner ließ in der Pogromnacht vom 9. November 1938, von den Nationalsozialisten spöttisch Reichskristallnacht genannt, jüdische Geschäfte von der Polizei bewachen, um sie anschließend ungeplündert als Staatseigentum übernehmen zu können.

Machteinbüßungen Kaltenbrunners
Zu Kaltenbrunners Tätigkeit gehörte neben polizeilicher Verwaltungsarbeit auch, die Indoktrinierung neuer SS-Rekruten zu überwachen und das Verschmelzen von SS und Polizei im SS-Oberabschnitt Donau voranzutreiben. 1939 wurde der SS-Oberabschnitt Donau in zwei Oberabschnitte geteilt. Während der Abschnitt Donau unter Kaltenbrunners Kontrolle blieb, erhielt der SS-Oberabschnitt Alpenland, der die ehemaligen Bundesländer Salzburg, Tirol, Vorarlberg, Kärnten, Steiermark und das Südburgenland umfasste, ein neues Zentrum in Salzburg. Kaltenbrunner büßte durch diese Teilung an Macht ein.

Da ihm jegliche Verfügungsgewalt über die Sicherheitspolizei und den SD fehlte, war Kaltenbrunner mit seiner Tätigkeit zunehmend unzufrieden, was sich in steigendem Alkoholkonsum und mehreren Affären äußerte. Zwei Aktionen ließen ihn in Himmlers Ansehen allerdings steigen. Im Herbst 1940 erhielt er vom geschäftsführenden Direktor der SOEG (Südosteuropa-Gesellschaft in Wien) das Angebot, vertrauliche Nachrichten aus den Balkanländern an ihn weiterzuleiten. Kaltenbrunner seinerseits schickte diese weiter nach Berlin an den Reichsführer-SS.

Außerdem stand er in enger Verbindung zu Franz Karmasin, dem Vorsitzenden der Karpatendeutschen Partei, und hatte Einfluss auf die volksdeutsche Freiwillige Schutzstaffel (FS) in der Slowakei. Vor der Zerschlagung der Tschechoslowakei im März 1939 erhielt diese den Auftrag, Unruhen zu schüren. Auf Kaltenbrunners Befehl hin besetzten Angehörige der FS nach der Unabhängigkeitserklärung der Slowakei Polizeistellen, um die tschechische Polizei an der Vernichtung von Akten zu hindern.

Karrieresprung Kaltenbrunners: Aufstieg zum Leiter des Reichssicherheitshauptamtes
Zur großen Wende in Kaltenbrunners Leben kam es am 4. Juni 1942. An diesem Tag starb Reinhard Heydrich, inzwischen zum Chef des Reichssicherheitshauptamtes und zum Reichsprotektor für Böhmen und Mähren aufgestiegen, an den Folgen eines Attentates tschechischer Widerstandskämpfer. Nachdem Himmler vorübergehend selbst die Leitung des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) übernommen hatte, übertrug er sie am 30. Jänner 1943 an Kaltenbrunner.

Das RSHA vereinte den SD, die Gestapo und die Kriminalpolizei in einer Hand. Es verfolgte die Gegner des Regimes, führte die rassische Vernichtungspolitik durch und war für die politische Unterdrückung zuständig. Als Leiter des RSHA erhielt Kaltenbrunner regelmäßig Berichte über die Tätigkeit der Einsatzgruppen, die in den besetzten Gebieten Jagd auf politisch oder rassisch Unerwünschte machten. Er entschied über Hinrichtungsgesuche, die Nichtdeutsche in den besetzten Gebieten betrafen und war mitverantwortlich für die NS-Gewaltpolitik gegenüber Kriegsgefangenen und Partisanen, die Behandlung von Fremdarbeitern aus Osteuropa und der UdSSR, für die Verfolgung und Vernichtung ganzer ethnischer Gruppen wie der Juden und der Roma und Sinti.

In einem Rundschreiben von 1943 verfügte Kaltenbrunner, dass kriminelle Handlungen, die von Polen oder Sowjetbürgern in Deutschland begangen wurden, nicht mehr in den Zuständigkeitsbereich der Gerichte fallen sollten, sondern nur mehr in den der Gestapo und der Kriminalpolizei. Im März 1944 gab das RSHA den sogenannten Kugel-Erlass heraus. Flüchtige Kriegsgefangene, ausgenommen Briten und Amerikaner, sollten unmittelbar nach ihrer Ergreifung vom SD oder der Sicherheitspolizei in das KZ Mauthausen gebracht und dort erschossen werden.

Europaweite Deportationen und Ermordung der jüdischen Bevölkerung
Als Kaltenbrunner Chef des RSHA wurde, organisierte die berüchtigte Gestapo-Abteilung IV B 4 unter SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann bereits in ganz Europa den Mord an den Juden. Kaltenbrunner war also nicht mehr an den Planungen beteiligt, sorgte aber für ein reibungsloses Weiterlaufen der Aktionen und setzte sich auch für die Deportation der Juden in Dänemark und Bulgarien ein, gegen die von politischer Seite Bedenken bestanden, weil man die Reaktion der dänischen und bulgarischen Bevölkerung fürchtete. Seine Forderung nach der Verfolgung der kleinen Gemeinde der sephardischen Juden in Amsterdam konnte er nicht durchsetzen.

Kaltenbrunner führte auch Gespräche, um die Deportation der ungarischen Juden zu beschleunigen, und betrieb ihre Verfolgung noch, als sich bereits sowjetische Truppen Budapest näherten. Tausende wurden noch auf Todesmärsche in Richtung Österreich geschickt. Nach Zeugenaussagen war Kaltenbrunner auch mehrmals im Konzentrationslager Mauthausen bei Hinrichtungen zugegen.

Attentat auf Hitler 1944
Nach dem missglückten Attentat auf Hitler durch Graf Stauffenberg am 20. Juli 1944 leitete Kaltenbrunner die Untersuchungskommission gegen die Verschwörer. Als erste Maßnahme schickte er ein Kommando der Sicherheitspolizei unter SS-Standartenführer Walter Huppenkothen in den Bendlerblock, das Hauptquartier der Verschwörer. Seine Aufgabe, die Festnahme des Grafen und seiner Anhänger, konnte Huppenkothen allerdings nicht durchführen, weil Stauffenberg bereits gemeinsam mit drei weiteren Offizieren auf Befehl von Generaloberst Fromm standrechtlich erschossen worden war. Kaltenbrunner erschien schließlich persönlich vor Ort und untersagte jede weitere Hinrichtung, weil das Regime die Verschwörer lebend haben wollte. Die weitere Untersuchung der Verschwörung lag in den Händen einer Kommission unter dem berüchtigten Gestapochef Heinrich Müller, der Kaltenbrunner direkt unterstellt war.

Nach langen Bemühungen gelang es Kaltenbrunner schließlich 1944, den militärischen Nachrichtendienst des Oberkommandos der Wehrmacht unter seine Kontrolle zu bringen. Er war auch am Sturz des damaligen Chefs des militärischen Nachrichtendienstes, Admiral Wilhelm Canaris, beteiligt. Canaris wurde noch im April 1945 als Verschwörer im KZ Flossenbürg hingerichtet. Kaltenbrunner versuchte auch den zweiten Konkurrenten auf dem Gebiet des Geheimdienstes, den Nachrichtendienst des Auswärtigen Amtes, dem RSHA einzuverleiben. Dies gelang ihm allerdings nicht.

1943 wurde der italienische Diktator Benito Mussolini abgesetzt und an einem geheimen Ort inhaftiert. Einem Spezialkommando des SD unter SS-Sturmbannführer Otto Skorzeny gelang es, Mussolini in den Abruzzen zu befreien und nach Deutschland zu bringen. Kaltenbrunner nutzte den Erfolg „seines“ SD, um seine Position zu stärken. Zudem knüpfte er enge Kontakte zu Martin Bormann, dem Sekretär des Führers. Über diese Verbindung gelang es ihm, nunmehr auch ohne seinen Vorgesetzten Heinrich Himmler zu Hitler vorgelassen zu werden. Damit hatte er die Möglichkeit, Himmler zu übergehen.

Herannahen der Niederlage
Mit dem Herannahen der deutschen Niederlage wurde Kaltenbrunner bewusst, dass der Untergang des Nationalsozialismus für ihn aufgrund seiner Stellung ernsthafte Konsequenzen haben würde, waren ihm doch auch die Pläne der Alliierten bekannt, führende Nationalsozialisten und SS-Führer vor Gericht zu stellen. Kaltenbrunner war an unterschiedlichen Aktionen zur Vermeidung einer deutschen Niederlage beteiligt. Er versuchte in Verhandlungen mit dem amerikanischen Präsidenten Roosevelt zu treten, um das Schicksal der Juden in den deutschen Lagern gegen eine politische Lösung des Krieges einzutauschen. Allerdings verhinderte Himmler ein Fortführen dieser Versuche.

Kaltenbrunner verhandelte auch im Auftrag Heinrich Himmlers mit dem Präsidenten des Internationalen Roten Kreuzes Carl J. Burckhardt über die Freilassung bzw. den Austausch von französischen und belgischen Kriegsgefangenen und Zivilinternierten. Himmler erhoffte sich dadurch Zugeständnisse von Seiten der Westmächte, allerdings hatte das Rote Kreuz keinerlei Einfluss auf deren Politik. Für einige Kriegsgefangene bedeutete dies aber die vorzeitige Freilassung.

Kaltenbrunner beteiligte sich auch an Besprechungen zur Aktion Werwolf. Ihr Ziel war es, hinter den Linien der Alliierten Terrorakte zu verüben. Beispielsweise sollten Beamte, die mit den Besatzungstruppen kooperierten, getötet werden. Es kam allerdings nur zu vereinzelten Aktionen. Intensiver beschäftigte sich Kaltenbrunner mit der Idee, in Österreich eine Alpenfestung zu errichten, die gegen die alliierten Truppen langfristig verteidigt werden sollte. Wie auch andere NS-Funktionäre erlag aber auch Kaltenbrunner noch in den letzten Tagen Hitlers euphorischen Reden von einem bevorstehenden Umschwung und einem Sieg der deutschen Truppen.

Kaltenbrunner hoffte bis zum Schluss, dass die Allianz zwischen den Westmächten und der UdSSR vor der endgültigen Niederlage des Reiches zerbrechen und sich Deutschland und den Nationalsozialisten damit neue Verhandlungsmöglichkeiten bieten würden. Der Selbstmord Hitlers am 30. April 1945 im Führerbunker in Berlin und die Kapitulation der Heeresgruppe C in Norditalien am 2. Mai trafen ihn daher schwer. Er beteiligte sich noch an einem Versuch, ein unabhängiges und nichtkommunistisches Österreich zu errichten, an dessen Spitze Mitglieder der NSDAP und ihre Sympathisanten stehen sollten. Trotz einer bereits erstellten Ministerliste war dieser Plan illusorisch.

Im April 1945 hatte Kaltenbrunner von Himmler für den Fall einer Spaltung Deutschlands durch den Vormarsch der alliierten Truppen die Vollmacht erhalten, im Namen des Reichsführers-SS, des Reichsministers des Inneren und des Oberbefehlshabers des Ersatzheeres in Bayern, Österreich und im Protektorat Böhmen und Mähren Befehle zu erteilen. Er verließ daraufhin Berlin und richtete sich in Salzburg ein provisorisches Hauptquartier ein. Am 1. Mai zog er sich nach Altaussee zurück.

Im Altausseer Salzbergwerkstollen befanden sich von den Nationalsozialisten gestohlene Kunstschätze, die dort zum Schutz vor den Luftangriffen eingelagert waren. Gauleiter August Eigruber gab zu Kriegsende den Befehl, die Stollen zu sprengen und damit auch die Kunstschätze zu zerstören. Eine Gruppe aus Bergarbeitern, Widerstandskämpfern und auch Nationalsozialisten konnte Kaltenbrunner zur Aufhebung der Befehle des Gauleiters bewegen. Eigruber versuchte sich zwar noch durchzusetzen, scheiterte aber. Die Bomben wurden entfernt und die Kunstschätze blieben erhalten.

Festnahme Kaltenbrunners
Am 7. Mai 1945 ließ sich Kaltenbrunner gemeinsam mit seinem Adjutanten und zwei weiteren SS-Männern von den beiden Jägern Fritz Moser und Sebastian Raudaschl auf eine kleine Jagdhütte am Wildensee führen. Moser verriet seinen Aufenthaltsort aber an einen Verbindungsmann des österreichischen Widerstandes. Daraufhin wurde Kaltenbrunner am 12. Mai von einer Gruppe des amerikanischen Counter Intelligence Corps (CIC) unter Oberst Robert E. Matteson festgenommen. Bei seiner Festnahme gab er sich als Wehrmachtsarzt Josef Unterwogen aus, seine wahre Identität kam aber rasch ans Tageslicht.

Prozess und Hinrichtung
Die Alliierten zählten Kaltenbrunner seit April 1944 zu den Hauptkriegsverbrechern, nach dem Selbstmord Himmlers galt er als der Repräsentant für die SS, die Gestapo und den SD vor dem Internationalen Militärtribunal in Nürnberg. Nach seiner Verhaftung wurde Kaltenbrunner zehn Wochen in London verhört und anschließend nach Nürnberg überstellt. In der Anklageschrift warf man ihm unter anderem Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.

Nach den Verhören erschien Kaltenbrunner psychisch gebrochen und schwer depressiv. Drei Tage vor Prozessbeginn erlitt er eine Gehirnblutung, eine zweite während des Prozesses. Seine Verteidigung übernahm er allerdings mit viel Einsatz.

Er betrachtete das Gericht als illegal, als Siegerjustiz. Seinen Verteidiger, den konservativen Katholiken Kurt Kauffmann, lehnte er ab und feindete ihn schließlich offen an. Er baute seine Verteidigung auf mehrere Punkte auf: Er selber sei als Chef des RSHA lediglich für die Neuorganisation des politischen Nachrichtendienstes und seine Verschmelzung mit dem militärischen Nachrichtendienst zuständig gewesen. Die Kontrolle über die Gestapo und die Kriminalpolizei hätte ganz in Heinrich Himmlers Händen gelegen. Als er von den Verbrechen und Gräueltaten erfuhr, die von seinem Amt aus organisiert und durchgeführt wurden, wäre er nur aus patriotischer Pflichterfüllung im Amt geblieben und hätte versucht Schlimmeres zu verhindern. Bei Hitler hätte er protestiert und durch seine verschiedenen Verhandlungsversuche wäre er aktiv an den Bemühungen zu einem Friedensschluss beteiligt gewesen.

Das belastende Material gegen Ernst Kaltenbrunner war aber erdrückend. Er wurde am 1. Oktober 1946 wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gesprochen und zum Tod durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde in der Nacht vom 15. auf den 16. Oktober vollstreckt und seine Asche in einen Nebenfluss der Isar gestreut.

Autoren: Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher

Aus: Goldberger, Josef - Cornelia Sulzbacher: Oberdonau. Hrsg.: Oberösterreichisches Landesarchiv (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 11).- Linz 2008, 256 S. [Abschlussband zum gleichnamigen Forschungsprojekt des Oberösterreichischen Landesarchivs 2002-2008.]