Die politische "Stimmung"
in Oberdonau

Gestapo, Sicherheitsdienst der SS, Gendarmerie und Gerichte verfassten regelmäßig interne, geheime und vertrauliche Berichte und Meldungen über die Akzeptanz von Staat und Partei in der Bevölkerung. Es ist zwar die Rekonstruktion der Meinungsstruktur in einem Klima der systematischen Repression nichtkonformer Meinungsäußerung, der propagandistischen Steuerung der öffentlichen Meinung und des Zwangs und der Kontrolle schwierig. Aber eine Analyse der politischen und gesellschaftlichen Situation im Reichsgau Oberdonau auf Grund dieser Stimmungsberichte scheint doch legitim zu sein, zumal diese Berichte nicht zu Propagandazwecken verfasst wurden, sondern interne Meldungen waren, mit Hilfe derer das Regime versuchte, die Stimmung in der Bevölkerung einzuschätzen.
Diese Stimmungsberichte zeigen auch sehr stark, dass sich hinter der vom NS-Regime angestrebten und propagierten harmonischen Volksgemeinschaft Risse und Brüche befanden. Und zwar nicht nur dort, wo Widerstand und Verfolgung war, sondern auch dort, wo bloße Friedenssehnsucht oder Unzufriedenheit, insbesondere in Teilen der streng katholischen Bevölkerung, herrschte, die das Regime zu keiner Zeit grundsätzlich in Frage stellte oder gefährdete.

Es geht um die Stimmung in der Durchschnittsbevölkerung. Und um die Frage: Welche Aspekte des Nationalsozialismus führten zu seiner Unterstützung, welche zur Opposition?

Umschwung 1934
Bis 1934 war das politische Leben in Oberösterreich von einem partnerschaftlichen Verhältnis zwischen Sozialdemokraten und Christlichsozialen geprägt. Als Folge dieser gemäßigten Konsenspolitik agierten Heimwehr und NSDAP in Oberösterreich sogar nach Beginn der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er Jahre nur am Rande des politischen Spektrums; auch die bürgerlichen Deutschnationalen erreichten nie mehr als ein Fünftel der Stimmen. Diese Stimmungsbalance änderte sich radikal mit 1934. Bürgerkrieg und Austrofaschismus erschütterten die gemäßigte Politik und führten zu einem negativen Konsens und einer gewissen Annäherung zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten. Vor allem städtische Mittelschichten und ein beträchtlicher Teil der Industriearbeiterschaft wurden auf diese Weise in die Hände der Nationalsozialisten getrieben. Etwa ein Drittel der Arbeiterschaft sympathisierte mit der NS-Bewegung. Die schlechte wirtschaftliche Situation und die Bedingungen des autoritären Ständestaates überzeugten in der Folge immer mehr Bevölkerungsteile, dass eine Vereinigung mit Deutschland eine Lösung bringen würde.

Es gab zwar gewalttätige Konfrontationen und Demonstrationen (wie etwa jene am 18. Februar 1938, als die SA in voller Uniform durch Linz marschierte), trotzdem kam es in Oberösterreich vor 1938 zu keiner echten Infiltration wichtiger Institutionen durch Nationalsozialisten. Die NS-Bewegung blieb trotz allem relativ schwach. Oberösterreich war in gleicher Weise wie Salzburg und Tirol und im Gegensatz zur Steiermark oder Kärnten keine Hochburg der illegalen NSDAP. Lokalbehörden, Polizei und Gendarmerie hatten die Situation bis zum „Anschluss“ trotz steigender NS-Gewalttaten mehr oder weniger unter Kontrolle. Obwohl sich insbesondere die Landbevölkerung großteils loyal gegenüber dem Austrofaschismus verhielt, nahm die Sogwirkung des Nationalsozialismus in den Wochen vor März 1938 deutlich zu. Mit dem „Anschluss“ kippte in Oberösterreich die Stimmung in eine wahre NS-Euphorie. Der „Anschluss“ war populär und wurde mit verschiedenen Begründungen mit Enthusiasmus gesehen. So existierte beispielsweise die Meinung, der deutsche Einmarsch hätte einen österreichischen Bürgerkrieg verhindert. Genauso können die Erinnerung an die deutsch-österreichische „Kriegsgemeinschaft“ im Ersten Weltkrieg, die Hoffnung auf eine Verbesserung der Lebensumstände, antisemitische Reflexe oder das Herbeisehnen der Mehrheitsfähigkeit der großdeutschen Idee im Hintergrund gestanden haben. Für die Bevölkerung gab es kaum Anreize, gegen den „Anschluss“ zu sein, gaben doch auch die österreichischen Bischöfe und Sozialdemokraten wie Karl Renner und Ludwig Bernaschek die Empfehlung ab, bei der Volksabstimmung am 10. April 1938 für Großdeutschland zu stimmen. Goebbels Propagandamaschinerie schwankte zwischen angstmachenden Berichten über Massenverhaftungen und dem Schüren großer Hoffnungen und tat damit ein Übriges für eine positive Haltung gegenüber dem „Anschluss“.

Nationalsozialistische Propaganda
Die NS-Propaganda nach dem „Anschluss“ arbeitet insbesondere mit symbolischen Maßnahmen. Dazu gehörten die Überweisung von 100 Millionen Reichsmark an Österreich, um die Wirtschaft anzukurbeln, ein Versteigerungsverbot für die Höfe verschuldeter Bauern, öffentliche Ausspeisungen und das Ausdehnen der deutschen Sozialgesetzgebung auf Österreich mit einer Erweiterung des Kreises der Sozialhilfeberechtigten. Vom Ständestaat verfolgte sozialdemokratische Schutzbündler wurden demonstrativ wieder eingestellt, die Kosten für Elektrizität und Heizung herabgesetzt. Die nationalsozialistische Gemeinschaft „Kraft durch Freude“ (KdF), eine Unterorganisation der Deutschen Arbeitsfront (DAF), mit der Aufgabe, die Freizeit der deutschen Bevölkerung zu gestalten, zu überwachen und gleichzuschalten, bot billige Vergnügungsreisen an. Für Linz wurden massive industrielle Investitionen angekündigt. Die Arbeitslosenquote wurde von über 37.000 im März 1938 auf knapp über 3000 im Oktober gesenkt. Lageberichte aus den Bezirken zeigten, dass die Arbeiterschaft und die Landbevölkerung dem neuen Regime überwiegend positiv gegenüberstünden und sich einen Aufschwung erhofften, wenngleich es dort und da noch Probleme mit dem lokalen Klerus gäbe. Die Herrschaft des Nationalsozialismus gründete sich nicht nur auf die Unterstützung von Fanatikern und Opportunisten, sondern auch auf die Sicherung zufriedenstellender Lebensumstände für die breite Masse der Bevölkerung, die Beseitigung der Arbeitslosigkeit und die Befriedigung elementarer Konsumbedürfnisse. Arbeiterschaft Der Nationalsozialismus versuchte wie kaum ein anderes politisches System der jüngeren Geschichte, das Land zu einigen. Gleichzeitig wurden aus dieser Volksgemeinschaft von Anfang an viele Personen ausgeschlossen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt, vertrieben, inhaftiert und ermordet. Unter der Oberfläche der scheinbaren Volksgemeinschaft blieben die Konturen der traditionellen weltanschaulich-politischen Milieus und Lager intakt. Am wenigsten wohl jenes des deutschnationales Lagers, das weitgehend von der NS-Bewegung aufgesogen wurde. Auch die Arbeiterschaft näherte sich dem Nationalsozialismus an, erfüllte er doch einige ihrer Hoffnungen, wie etwa die Zerstörung des verhassten Ständestaat-Regimes, die Vereinigung mit dem Deutschen Reich, die Trennung von Kirche und Staat und die weitreichende Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden mit einer ehrgeizigen Wohnungspolitik. Immerhin führte der enorme Wirtschaftsaufschwung nach dem „Anschluss“ dazu, dass es nach nur sechs Monaten der NS-Herrschaft bereits einen Arbeitskräftemangel gab. Zwar blieb die sozialdemokratische Elite dem Nationalsozialismus fern, Gendarmerieberichte des Jahres 1938 informieren aber darüber, dass „unter der Arbeiterschaft die Begeisterung für den Nationalsozialismus fühlbar“ sei. Auch die mit Jänner 1939 eingeführte Reichseinkommens- und Lohnsteuer sowie die steigenden Preise und die allgemeine Verknappung von Produkten des täglichen Lebens konnten der wachsenden Annäherung der Arbeiterschaft an den Nationalsozialismus keinen Abbruch tun. Zu Kriegsende waren knapp 17 % der Arbeiter Mitglieder der NSDAP. Katholisch-christlichsoziales Lager Das katholisch-christlichsoziale Lager verlor durch den „Anschluss“ zunächst am meisten, besonders jene Kreise, die den Austrofaschismus unterstützt hatten. Viele Funktionäre des Ständestaates wurden in Gefängnisse und Konzentrationslager verbracht.

Die meisten Katholisch-Konservativen, also die überwältigende Mehrheit der Landbevölkerung, wurden durch das NS-Regime zunächst in Alarmstimmung versetzt. Zwar verminderte der Aufruf der österreichischen Bischöfe zur Befürwortung des Anschlusses diese Sorgen, doch Hitlers Angriffe auf die römische Kirche, die Verfolgung von Ständestaat-Politikern und Priestern, die Auflösung von katholischen Vereinen und das Unterbinden kirchlicher und religiöser Nachrichten in der Presse bestätigten die Befürchtungen.
Klerus und Gläubige erwiesen sich gegenüber dem Nationalsozialismus im Allgemeinen resistent, doch die öffentliche Unterstützung der Volksabstimmung über den Anschluss zwang Bischof Gföllner und die Gläubigen in die Defensive.
In Berichten des Sicherheitsdienstes und der Bezirkshauptmannschaften aus den ländlichen Regionen Oberösterreichs in den Monaten nach dem „Anschluss“ werden weitere Gründe für das Misstrauen katholischer Kreise gegenüber dem NS-Regime deutlich. Neben dem tiefen Groll gegen die von den Nationalsozialisten begangene Ermordung des Kanzlers Dollfuß und die allgemeine Kriegsfurcht treten dabei verstärkt die Unzufriedenheit der Bauern, Übergriffe von NS-Aktivisten auf kirchliche Denkmäler und Beschränkungen im religiösen Alltag wie etwa die Aufhebung des Peter und Paul-Tages als kirchlichen Feiertag.

Bauern und Landbevölkerung
Auf der Seite der Bauern führte die zentrale Lenkung von Produktion, Vertrieb und Preis landwirtschaftlicher Erzeugnisse durch den Reichsnährstand zu Unzufriedenheit. Auch brachte das Reichserbhofgesetz einige Verschlechterungen mit sich. So war es praktisch unmöglich, den Hof an weibliche Nachkommen zu übergeben oder Kredite aufzunehmen. Ebenso waren die Steuererhöhungen, der Preisverfall bei gleichzeitig steigenden Löhnen für Landarbeiter und die Landflucht der Dienstboten durch den Arbeitskräftemangel in der Rüstungsindustrie häufig genannte Gründe in den Stimmungsberichten aus dem bäuerlichen Umfeld.

In vielen Berichten der Sicherheitsorgane wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Teil der Landbevölkerung sich misstrauisch zurückhalte und irritiert sei. Es war aber auch die Rede davon, dass Hitlers „friedliche“ Machtergreifung in Prag am 15. März 1939 die Popularität des Regimes merkbar erhöhte. So nahmen an den Feierlichkeiten zu Hitlers 50. Geburtstag am 20. April 1939 außergewöhnlich viele Menschen auch in den entlegensten Ortschaften teil.

Zu einer deutlichen Verschlechterung der öffentlichen Meinung insbesondere auf dem Land kam es Ende Mai 1939 (Gründe waren der steigende Arbeitskräftemangel, der Rückgang des bäuerlichen Einkommens, die verschärfte Reglementierung der landwirtschaftlichen Produktion und eine neue Welle von Angriffen auf kirchliche Feiertage und Symbole) und mit Kriegsausbruch im September 1939. Von einer Kriegsbegeisterung wie im August 1914 war im Jahr 1939 nichts zu spüren. Die latente Unzufriedenheit und der andauernde Groll der katholischen Bevölkerung auf dem Land über die antikirchliche Politik des Regimes wurden in den Kriegsjahren nicht weniger. Gegen die antiklerikalen und agrarpolitischen Maßnahmen des Regimes herrschte also eine starke passive Resistenz. Doch der Angriff Hitlers auf die Sowjetunion – den gemeinsamen kommunistischen Feind – neutralisierte sie zum Teil, wenn auch der Gegner als übermächtig eingeschätzt wurde. Landbevölkerung und Bischöfe unterstützten das Regime bis zum Ende.

Antisemitischer Konsens
Der Antisemitismus war für alle drei Lager ein wichtiger Faktor für das Vorantreiben der Vereinigung mit Deutschland. Der antisemitische Konsens war in der Politik und in der Bevölkerung Österreichs schon lange vor dem Anschluss mehr oder weniger erreicht und wurde vor allem auch durch die Feindseligkeiten der katholischen Kirche genährt. Die Eliten aller drei politischen Lager Oberösterreichs waren im Wesentlichen im deutschnationalen Linzer Milieu der Jahrhundertwende sozialisiert.

Trotz dieses traditionellen Antisemitismus beteiligte sich die breite Masse der Bevölkerung Oberösterreichs an den antijüdischen Maßnahmen und Pogromen der ersten Wochen nach dem Anschluss viel weniger als dies etwa in Wien der Fall war. Der antijüdische Terror wurde vor allem von der oberösterreichischen NSDAP, der SA, der Gestapo oder der SS organisiert. Sehr wohl geht aus Gendarmerieberichten aber hervor, dass die antijüdischen Maßnahmen von der Bevölkerung akzeptiert und begrüßt wurden.

Auch das spurlose Verschwinden von Zigeunern und Bettlern, für die ebenfalls kein Platz in der Volksgemeinschaft vorgesehen war, wurde vom Großteil der katholischen Landbevölkerung kaum bedauert. Die Haltung der Bevölkerung zu den tausenden Fremdarbeitern, die in der Landwirtschaft und Industrie Oberdonaus arbeiteten, schwankte hingegen beträchtlich. Das Spektrum reichte von der wohlwollenden Aufnahme in Bauernfamilien bis zum Ärger über die „billige Konkurrenz“. Ständiges Thema waren auch die intimen Beziehungen, die sich zwischen Deutschen und ausländischen ArbeiterInnen anbahnten. Es gibt Zeugnisse von öffentlichen Anprangerungen, Demütigungen und sogar Lynchjustiz durch Teile der Bevölkerung und SA, wenn Einheimische Rassenschande begingen. Der Großteil der Bevölkerung und sogar die Behörden waren aber derart empört über solche Praktiken, dass Ende 1941 öffentliche Anprangerungen verboten wurden, nicht jedoch die Vollstreckung von Todesurteilen an den fremdländischen Liebhabern.

Schock und allmähliche Euphorie durch Kriegsausbruch
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war ein großer Schock für die Zivilbevölkerung. Aus fast allen Gebieten Oberdonaus berichteten die Landräte und die Gendarmen von allgemeiner Kriegsfurcht, großer Besorgnis und einer pessimistischen Haltung zum Krieg. Das änderte sich mit den spektakulären Siegen im Westen im Frühjahr 1940. Vor allem die Eroberung Frankreichs löste Begeisterung und Euphorie aus.

Die militärischen Erfolge im Frühjahr 1940 gaben dem NS-Regime eine gute Gelegenheit, ihre Kampagne gegen die Kirche, den so genannten Kirchenkampf, zu intensivieren. Kirchenglocken wurden demontiert und eingeschmolzen, fünf kirchliche Feiertage während des Krieges aufgehoben (Dreikönigstag, Peter und Paul, Maria Himmelfahrt, Allerheiligen, Maria Empfängnis), katholische Privatschulen aufgelöst und zahlreiche Klöster und Konvente beschlagnahmt. Eine Welle der Entrüstung ging daraufhin durch die Gläubigen. Die Kirchenbesucher am Land wurden immer zahlreicher, die Teilnehmer an den Prozessionen in katholischen Dörfern verdoppelten sich mancherorts. Sogar die Unterstützung von lokalen Nationalsozialisten wurde teilweise gewonnen.
Den größten Einfluss auf die Formierung der öffentlichen Meinung übte jedoch nicht der Krieg, sondern die materielle Situation aus, die den Alltag der Bevölkerung bestimmte.

Ständige Beschwerden über Lebensmittelknappheit und den wachsenden Mangel an Haushaltsartikeln waren eine Konstante in den Stimmungsberichten. Frauen stünden bereits vor Sonnenaufgang Schlange, um Schuhe zu kaufen, hieß es etwa in einem Bericht.

Das Jahr 1941 brachte durch die Mobilisierung der Rüstungsindustrie und anderer kriegswichtiger Industrien Verbesserungen der materiellen Lebensbedingungen für den durchschnittlichen Volksgenossen in Oberösterreich. In Linz allein wurden zwischen 1938 und Anfang 1944 2700 Gebäude mit über 11.000 modernen Wohnungen gebaut. Dies schlug sich auch in den Stimmungsberichten positiv nieder.

Erfolgreiche Blitzkriege sorgen für Euphorie
Mit großem Enthusiasmus begrüßte die öffentliche Meinung auch die blitzkriegartige Eroberung Jugoslawiens und Griechenlands im April 1941. Die Siegeszuversicht schien unerschütterlich. Erst der Angriff auf die Sowjetunion im Juni 1941 brachte die Stimmung zum Kippen. Aus Berichten des Sicherheitsdienstes geht hervor, dass weite Teile der Bevölkerung Russland als übermächtigen Gegner einschätzten und befürchteten, dass durch die Ausweitung des Kriegsschauplatzes der Krieg entscheidend verlängert und nicht erfolgreich zu Ende geführt werden könne. In hunderten Versammlungen versuchte das Gaupropagandaamt die öffentliche Zustimmung für den Krieg im Osten zu erreichen, mit begrenztem Erfolg. Trotzdem war das Vertrauen in den Führer noch relativ groß und die ersten Sondermeldungen über die Erfolge der Truppen trugen wesentlich zur Hebung der Stimmung bei. Doch spätestens Ende 1941 verbreiteten sich starke Zweifel in der Bevölkerung, ob der Krieg gegen die Sowjetunion zu gewinnen sei. Unabhängig davon wird immer wieder von einer geradezu unglaublichen Opferbereitschaft bei Sammlungen für Soldaten und Heer berichtet.

Niederlage von Stalingrad: Stimmungsumbruch und Kriegsmüdigkeit
Trotz aller Zweifel über die Wahrscheinlichkeit eines Sieges stabilisierte der Krieg gegen die Sowjetunion das NS-Regime. Gerade durch das katholische Lager wurde der Kampf gegen den Bolschewismus unterstützt. So wurde im November 1941 ein Hirtenbrief verlesen, in dem die Bischöfe ihre Unterstützung für Hitlers Krieg gegen die Sowjetunion erneut bekräftigten. Zwar berichteten die Sicherheitsorgane in ihren Stimmungsberichten aus dem Jahr 1942 immer wieder von der Kriegsmüdigkeit der Bevölkerung, doch sei die Siegeszuversicht noch relativ ungebrochen. Der milde Winter und eine spürbare Verbesserung der Ernährungslage durch höhere Zuteilungsrationen, mit der das Regime von der sich verschlechternden Situation an der Front ablenken wollte, trugen zusätzlich dazu bei. Dass zwischen 19. und 23. November 1942 die 6. Deutsche Armee in Stalingrad eingeschlossen worden war, war in der Zivilbevölkerung kaum – und wenn, dann vorrangig durch Gerüchte – bekannt. Erst im Jänner 1943 verbreiteten sich die Meldungen über Stalingrad wie ein Lauffeuer. Der Sicherheitsdienst schrieb in seinem Bericht von der wachsenden Sorge der Angehörigen. Als am 3. Februar die „Sondermeldung“ über den Fall von Stalingrad über das Radio verlautbart wurde, war die Reaktion in der Bevölkerung von Schock, Kummer und Depression gekennzeichnet. Der Umfang der Katastrophe war jedoch für die Zivilbevölkerung in der Heimat so schwierig zu fassen, dass die Stimmung von absoluter Kriegsmüdigkeit bis zur unbedingten Zustimmung zum totalen Kriegseinsatz schwankte. Jedenfalls begann sich nun der Gedanke zu verbreiten, dass all die Opfer vergeblich gewesen sein könnten. Auch das Gerücht, dass in Stalingrad nur Ostmärker gekämpft hätten, kursierte. Das militärische Debakel vergrößerte die Kluft zwischen Partei und Bevölkerung nachhaltig. In Grieskirchen ohrfeigte die Mutter eines gefallenen Sohnes den Ortsgruppenleiter, der sein Beileid ausdrücken wollte. Und das war kein Einzelfall. Trotzdem blieb die emotionale Bindung an Hitler großteils bestehen. Es gab die Tendenz, den Führer von der Kritik auszuschließen. Als Hitler am 4. April 1943 in Linz öffentlich auftrat, führte das zu einem dramatischen Stimmungsanstieg in Oberdonau.

Zwar sank die öffentliche Moral nach der Katastrophe von Stalingrad, doch der Anschluss, der Nationalsozialismus an sich und vor allem Hitler standen weiterhin weitgehend außerhalb der Kritik der breiten Masse. Selbst die Unterstützung der deutschen Kriegsanstrengungen schien ungebrochen, wie der begeisterte Empfang von Soldaten am Linzer Bahnhof zeigte. Auch die Kapitulation in Nordafrika im Mai 1943 wurde in der öffentlichen Meinung dem laschen Bündnispartner Italien in die Schuhe geschoben.

Immer mehr flackerten nun aber gerade angesichts der sich verschlechternden militärischen Lage auch österreichisch-patriotische und antideutsche Gesinnungen wieder stärker auf. In der Bevölkerung war die Hoffnung verbreitet, dass österreichische Kriegsgefangene besser behandelt werden würden als reichsdeutsche und dass die Alliierten österreichische Städte nicht bombardieren würden. Die Alliierten überschätzten die Berichte von den Friktionen zwischen Österreichern und Deutschen und erhofften sich von der Moskauer Erklärung vom 1. November 1943 ein Schüren dieser Gesinnungen. Sie versprachen darin, nach dem Krieg die österreichische Unabhängigkeit wieder herzustellen und ermahnten die österreichische Bevölkerung gleichzeitig dazu, an ihrer Befreiung selbst mitzuwirken. Im Rahmen der alliierten Kriegspropaganda regnete es tausende Flugblätter. Der Widerhall darauf in der Bevölkerung blieb aber gering. Zwar wurde die Hoffnung wiederbelebt, dass Österreich insbesondere von der anglo-amerikanischen Bombenoffensive verschont bleiben würde, doch wirkten sich die amerikanischen Luftangriffe auf Steyr und Wels im Frühjahr 1944 wie „ein reinigendes Gewitter für österreichisch verseuchte Gehirne“ aus, wie der Generalstaatsanwalt in Linz berichtete.

Ohne Zweifel setzte sich aber nach den militärischen Niederlagen ab 1943 die öffentliche Meinung – bei aller grundsätzlichen Unterstützung für das Regime und seiner Kriegsanstrengungen – immer mehr aus einer Mischung von Apathie, Kriegsmüdigkeit und Angst zusammen, wie das der Sicherheitsdienst in Linz im Juni 1943 berichtete. Eine Intensivierung der Zwangsmaßnahmen unterdrückte die offene Kritik, konnte aber die düstere Stimmung in der Bevölkerung gegen Ende des Zweiten Weltkrieges nicht verhindern. Der Terror des Regimes wurde nun auch für die Zivilbevölkerung deutlicher und überall sichtbar. KZ-Häftlinge wurden durch die Städte und Dörfer getrieben und verrichteten in den Nebenlagern von Mauthausen Sklavenarbeit in der Industrie, beim Bau von Luftschutzbunkern oder bei Aufräumarbeiten nach Bombenangriffen.
Zwar zermürbten die vielen Fliegeralarme und Luftangriffe die Bevölkerung, war die Friedensehnsucht eine Konstante der öffentlichen Meinung und lösten Berichte vom Vordringen der Alliierten Entsetzen aus, doch blieb der NS-Konsens und die Unterstützung des Regimes während des ganzen Jahres 1944 immer noch auf hohem Niveau relativ stabil. Man glaubte auch an den Erfolg der angekündigten neuen Waffen.

Auch das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 stieß laut Bericht des Linzer Generalstaatsanwalts in der Bevölkerung auf keine Sympathie und die freudige Erleichterung, dass Hitler wie durch ein Wunder überlebt hatte, war groß. Das ohnehin schon belastete Vertrauen der Bevölkerung in die Heeresleitung, die in das Attentat verwickelt war, wäre allerdings neuerlich erschüttert worden.
Vor allem der ständig zunehmende Flüchtlingsstrom aus dem Osten nährte die von der NS-Propaganda geschürte aggressive Angst vor dem Bolschewismus und der Roten Armee und veranlasste viele Oberösterreicher dazu, trotz Kriegsmüdigkeit die deutschen Kriegsanstrengungen weiterhin zu unterstützen. So schlossen sich auch viele Zivilisten der SS an, als es darum ging, die am 3. Februar 1945 aus dem KZ Mauthausen entflohenen sowjetischen Kriegsgefangenen aufzustöbern und zu erschießen.

Autoren: Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher

Aus: Goldberger, Josef - Cornelia Sulzbacher: Oberdonau. Hrsg.: Oberösterreichisches Landesarchiv (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 11).- Linz 2008, 256 S. [Abschlussband zum gleichnamigen Forschungsprojekt des Oberösterreichischen Landesarchivs 2002-2008.]