Musikgeschichte des Benediktinerstiftes Kremsmünster
Die Archive des Stiftes Kremsmünster kommen der musikgeschichtlichen Erkundung so weit entgegen wie kaum in einem anderen Kloster. In Anbetracht der oft arg zerstreuten Bestände ähnlicher Kulturträger gleicht es in Kremsmünster fast einem Wunder, dass Bestände ganzer Epochen kaum dokumentarisch restlos verloren gingen.
Erste Zeugnisse
Einerseits aufgrund der frühen Gründung des Klosters im Jahr 777 durch Tassilo III. und andererseits durch den beispielhaften Erhaltungszustandes des Archivs existieren hier gar Musikdokumente aus der Zeit vor der ersten Jahrtausendwende: Die beiden neumierten Codices Millenarius Minor und Major stammen aus der Mitte bzw. dem Ende des 9. Jahrhunderts. Aus der Regierungszeit von Abt Sigmar (1013–1040) ist ein Bibliothekskatalog überliefert, in den u. a. auch Musikalien eingetragen sind. Der Codex 309 aus dem 11. Jahrhundert enthält Beispiele für die Pflege der Sequenz- und Tropenpraxis in Kremsmünster und lässt zudem Provenienzspuren nach Niederaltaich (Niederbayern) und Regensburg zu.
Schreib- und Singschule
In der romanischen Kirche wird bereits um 1100 eine Orgel vermutet; spätere Um- und Neubauten sind genauer nachvollziehbar. Abt Friedrich von Aich (1273-1325) sah in der Errichtung einer Schreib- und Singschule die Chance, sein Kloster im öffentlichen Bildungsdiskurs zu positionieren. Außerdem lebte in jener Zeit der Minnesänger Leuthold von Hagwald († 1309) im Kloster.
Von der Pariser Notre-Dame-Schule und deren Formen früher Mehrstimmigkeit dürfte man in Kremsmünster zumindest Kenntnis gehabt haben, denn einige Patres nahmen 1274 am Konzil von Lyon teil. Ob die liturgische Praxis im Haus je davon geprägt war, bleibt allerdings fraglich.
Im 14. Jahrhundert litt das Kloster unter der starken Dekadenzphase des gesamten Benediktinerordens, was sich einerseits in Nachwuchssorgen und andererseits im Verlust einflussreicher Institutionen manifestierte. Die Schulen etwa wurden von weltlichen „Ludimoderatoren“ geführt, im Skriptorium mussten kundige Laien angestellt werden.
Neuer Aufschwung
Die so genannte Melker Reform (ab 1418) diente der Reorganisation des Ordens und ein neuer Aufschwung ging damit einher. Spätestens ab 1515 ist bezeugt, dass im Kloster „auf brabantisch“, d. h. im Stil der Franko-Flamen, gesungen wurde. Bald darauf kamen wieder Sängerknaben ins Haus, die von nun an ihre großartige Bedeutung bis ins frühe 19. Jahrhundert behalten sollten. Abt Johannes Spindler (1589–1600) und Abt Johannes a Lacu (1601–1613) waren verständnisvolle Förderer des Musiklebens, unter ihrem Patronat wurden neben einem Hornwerk für den Torturm und anderen Instrumenten viele Chorbücher angekauft, insbesondere mit Musik von Orlando di Lasso und Hans Leo Hassler, aber auch späten Vertretern der franko-flämischen Schule. Abt Johannes a Lacu, der in Rom studierte, holte darüber hinaus auch viele italienische Künstler aller Sparten nach Kremsmünster und legte einen neuen Grundstein zur benediktinischen Theatertradition mit zunächst geistlichem Inhalt.
„Hofmusik“
Die Größe und vielseitige Bedeutung des Musiklebens in Kremsmünster lässt sich alleine daran erkennen, dass es bereits seit dem frühen 17. Jahrhundert eine Trennung von weltlicher und geistlicher Musik gab. War für letztere der Regens chori (stets ein Konventuale) verantwortlich, leitete die „Hofmusik“ meist ein weltlicher Magister, der sich die Aufgaben z. T. mit dem Schulpersonal teilte. Erwähnenswert ist der Regens chori P. Benedikt Lechler (1594–1659), der 1632/33 eine große Sammlerreise nach Italien unternahm und so das Notenarchiv des Stiftes entsprechend bereicherte. Sein eigenes Schaffen ist in einer außergewöhnlich umfangreichen Partiturensammlung erhalten.
Orgelbau im Barock
Gleich vielen anderen Klöstern ließ man auch in Kremsmünster im 17. Jahrhundert neue Orgeln bauen. Wegen ihrer hohen Qualität waren um diese Zeit besonders die Passauer Meister Andreas Putz und Leopold Freundt beliebt, die beide auch für Kremsmünster ein Werk schufen (Putz 1624, Freundt 1685). Diente die Orgelmusik fast ausschließlich der Liturgie, frönten die Mönche zur Rekreation dem privaten Lautenspiel. Mehrere bedeutsame Tabulaturen aus dieser Zeit sind erhalten.
Stiftschulen
Die lange Schultradition ermöglichte die unterschiedlichsten Ausprägungen von musischer Bildung. Die seit dem Mittelalter als „Äußere Schule“ bezeichnete Einrichtung wurde 1549 in ein öffentliches Gymnasium umgewandelt, im 18. Jahrhundert kamen in Kremsmünster ein Lyzeum und eine Ritterakademie hinzu, die jedoch bereits im Zuge des Josephinismus wieder aufgelöst wurde. Das heutige Stiftsgymnasium wurde im Jahr 1848 unter Zusammenführung aller noch bestehenden historischen Schulen gegründet.
Das Theater stand ab dem frühen 18. Jahrhundert auch für weltliche Aufführungen offen und wurde vor allem durch Schüler bespielt.
Klosterkomponisten
Namhafte Künstler aus dem eigenen Haus waren etwa der Barockdichter P. Simon Rettenpacher sowie die Komponisten Franz Sparry (1715–1767), Placidus Fixlmillner (1721–1791) und Georg Pasterwiz (auch: Pasterwitz) (1730–1803). Sparry studierte mehrere Jahre in Neapel und vertrat die Neapolitanische Schule weitgehend auch in seinen Kompositionen. Pasterwiz erhielt sowohl durch seinen Salzburger Lehrer Johann Ernst Eberlin als auch durch seinen Schüler Franz Xaver Süßmayr (1766–1803) Bedeutung, den er schließlich zu Mozart vermittelte. Pasterwiz' Schaffen umfasst ca. 300 Werke, darunter einige Opern, aber auch viel Kammer- und Klaviermusik. Georg Pasterwiz war auch Professor für Philosophie und Mathematik an der Ritterakademie und hatte gute diplomatische Beziehungen nach Wien. Durch seine meisterhaft komponierten Orgelfugen erweckte er großen Eindruck auf den kontrapunktverliebten Gottfried van Swieten, der ihn wiederum bekannt machte mit Haydn, Mozart, Johann Georg Albrechtsberger und Antonio Salieri. Van Swietens Verhandlungsgeschick ist es u. a. zuzuschreiben, dass Kremsmünster im Josephinismus nicht aufgelöst wurde.
Dennoch konnte der florierende Musikbetrieb des Klosters nicht weit über seinen Tod hinaus aufrechterhalten bleiben. 1804 wurde bereits das barocke Theater abgebrochen, Musikerpersonal wurde abgebaut. Dennoch sind auch im 19. Jahrhundert noch regelmäßig große Aufführungen verzeichnet, allerdings in größeren Abständen, woraus vielleicht eher ein quantitativer als ein qualitativer Rückzug zu schließen ist.
Kontakte zu Bruckner
In der Biedermeierzeit lernten Absolventen des Gymnasiums während ihrer Studienzeit in Wien den jungen Franz Schubert kennen, von dem einige autografe Männerchorkompositionen im Musikarchiv zu Kremsmünster überliefert sind. Für die Kirchenmusik zeichnete in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts u. a. P. Gunther Kronecker, der besondere Qualitäten als Komponist zeigte. Sein Nachfolger Max Kerschbaum stellte den Kontakt zu Anton Bruckner her und ließ dem noch vor seinem großen Ruhm stehenden Meister sein Requiem in Kremsmünster uraufführen (1847). Bruckner pflegte von nun an eine freundschaftliche Beziehung zum Stift und schenkte schließlich P. Oddo Loidl († 1893), den er besonders schätzte, die Entwürfe und Reinschriften des genannten Werkes. Dieses Konvolut bildet bis heute einen der hochwertigsten Inhalte des Musikarchivs.
Musikarchiv und Musikgeschichte
Dem Diktat des Cäcilianismus widersetzte man sich in Kremsmünster selbstbewusst und ging eigene Wege. P. Benno Feyrer (1908–1946) wurde zwar in Regensburg, der Hochburg der Reformer, ausgebildet, distanzierte sich aber in seiner Arbeitshaltung deutlich von den meist eher schwachen Werken des Cäcilianismus. Sein Nachfolger wurde sein Schüler P. Altman Kellner (1946-1981), der nicht nur als Musiker und Komponist lange Zeit für Kremsmünster wirkte, sondern der mit feinsinniger Historikerfeder eine monumentale Musikgeschichte des Stiftes Kremsmünster schrieb (Kassel 1956). Aus seiner Hand übernahm 1977 P. Alfons Mandorfer (* 1933) die Geschicke der Kirchenmusik. Das Musikarchiv kam 1981 in seine Obhut und er leitet es bis heute (2008). Zum Ersten Advent 2002 übergab er die Agenden des Regens chori in jüngere Hände: Ihm folgte P. Altman Pötsch.
Autor: Peter Deinhammer, 2008