Wandlungen eines âHerrn aus Linzâ
Die Epoche um 1900 ist als âklassische Moderneâ in die Kulturgeschichte eingegangen. Die Zentren hieĂen Paris, Berlin, MĂŒnchen, Wien. Aber auch ein âHerr aus Linzâ mischte auf seine Weise mit: Hermann Bahr.
Die Naturalisten
Am Anfang der Moderne standen die Naturalisten. Sie verpflichteten die Kunst auf die ungeschminkte Darstellung der Wirklichkeit, auch dann, wenn die Wirklichkeit nicht besonders schön ist. In Gerhart Hauptmanns frĂŒhen Dramen konzentriert sich viel ScheuĂliches, angefangen von Trunksucht ĂŒber Inzest bis zum Totschlag. Der Naturalismus provozierte nicht nur die Konservativen, sondern auch âmoderneâ KĂŒnstler, die eine andere Ăsthetik bevorzugten und innerhalb von zwei Jahrzehnten eine FĂŒlle an antinaturalistischen âIsmenâ kreierten: Impressionismus, Ăsthetizismus, Symbolismus, Expressionismus âŠ
WĂ€hrend der literarische Naturalismus und Expressionismus eher in Deutschland florierten, wurden Wien und seine KaffeehĂ€user zum maĂgeblichen Zentrum des Impressionismus und des Jugendstils. Namen wie Hugo von Hofmannsthal, Arthur Schnitzler und Richard Beer-Hofmann reprĂ€sentieren die literarische Wiener Moderne oder âJung-Wienâ, wie das PhĂ€nomen auch genannt wurde.
Mentor der Moderne
Seit den frĂŒhen neunziger Jahren entfaltete auch Hermann Bahr in Wien eine rege publizistische TĂ€tigkeit, versammelte im Cafe Griensteidl einen Kreis vorwiegend jĂŒngerer Autoren und etablierte sich als Mentor der Moderne. Er war auch poetisch sehr produktiv, als Romancier, Dramatiker und Essayist. Sein erzĂ€hlerisches Werk hat freilich den kulturellen Wandel nicht ĂŒberlebt, und auch von seinen zahlreichen Lustspielen hat sich lediglich Das Konzert bis heute gehalten.
Kindheit in Linz
Hermann Bahr ist die auffĂ€lligste Verbindung des Landes Oberösterreich zur österreichischen Moderne der Jahrhundertwende, denn Bahr wurde am 19. Juli 1863 in Linz als Sohn des Notars Dr. Alois Bahr und dessen Frau Wilhelmine, einer gebĂŒrtigen Schlesierin, geboren. Er besuchte das Akademische Gymnasium, kam aber schon mit fĂŒnfzehn Jahren in das Internat nach Salzburg. Seine Studien wechselte der junge Bahr fast so oft wie seine Studienorte: Klassische Philologie und Philosophie, Jus, Nationalökonomie â Wien, Graz, deutsche UniversitĂ€t Czernowitz, Berlin.
Bahrs Bekehrung(en)
Das Unstete und Wechselhafte ist Hermann Bahrs auffĂ€lligstes biographisches Merkmal, auch in ideologischer und kunstprogrammatischer Hinsicht. Das Elternhaus war liberal, aber Bahr erwĂ€rmte sich als Student ziemlich heftig fĂŒr den radikalen Deutschnationalismus eines Georg von Schönerer. WĂ€hrend eines Berlinaufenthalts konnte er sich vorĂŒbergehend fĂŒr die Sozialdemokratie und den Naturalismus begeistern. Als er aber in Paris den Impressionismus kennenlernte, distanzierte er sich vom Naturalismus.
Auch ideologisch machte Bahr noch einmal eine rasante Wende. Er entdeckte den konservativen Katholizismus als die ihm gemĂ€Ăe Weltsicht, veröffentlichte 1916 einen Roman mit dem aussagekrĂ€ftigen Titel Himmelfahrt und 1915 ein literarisches Portrait des extrem konservativen Linzer Bischofs Franz Joseph Rudigier. Darin verurteilte er die josephinische AufklĂ€rung als schlimmes GeschichtsĂŒbel.
Seinen schĂ€rfsten Kritiker fand Hermann Bahr in Karl Kraus, der spöttisch vom âHerrn aus Linzâ sprach, wenn er Bahr meinte. Aber Krausâ Kritik auf die angeblich typische Wiener PrĂ€potenz gegenĂŒber der Provinz zu reduzieren, wĂ€re falsch. Wenn man Hermann Bahrs Laufbahn ĂŒberblickt, dann kann man Krausâ Formulierung aus dem Jahr 1916, Bahr sei ein âdamals national, jetzt katholisch spekulierender Literaturfilouâ, rein sachlich nicht viel entgegenhalten. WĂ€hrend des Ersten Weltkriegs schlĂŒpfte Bahr auch noch in die zeitgeistige Rolle des Kriegspatrioten. Der Kriegsgegner Kraus nannte ihn daraufhin einen âKriegshanswurstâ.
âJung-Linzâ
Hermann Bahrs Kontakt zu Oberösterreich riss nicht ganz ab. Im Jahr 1900 wurde am Linzer Landestheater der dramatische Bilderbogen âDer Franzl. FĂŒnf Bilder eines guten Mannesâ uraufgefĂŒhrt. Bahr behandelte darin einige Abschnitte aus Franz Stelzhamers Leben und lieĂ kein Klischee aus, angefangen vom leichtsinnigen, aber genialen Jungliteraten ĂŒber den âInnviertler DickschĂ€delâ bis zum gĂŒtigen, gereiften Volksbildner.
Teile der jungen literarischen Szene in Linz orientierten sich rund um das Jahr 1900 an der ModernitĂ€t der Metropolen, beanspruchten in Anlehnung an das Junge Wien das Etikett âJung-Linzâ, aber schon diese begriffliche Anleihe zeigt, dass man ĂŒber wackeres Epigonentum nicht wesentlich hinauskam. Und Hermann Bahrs Aufruf aus dem Jahr 1899, die Linzer sollten doch ein eigenstĂ€ndiges Profil in Gestalt einer positiv konnotierten âProvinzliteraturâ entwickeln, blieb folgenlos.
âDie andere Seiteâ
Lediglich ein literarisches Werk aus Oberösterreich ragt aus der FĂŒlle des Vergessenen heraus. Dessen EntstehungsumstĂ€nde hatten aber nichts mit Bahr zu tun und waren ĂŒberhaupt ziemlich ungewöhnlich, denn der Autor war im Grunde kein Schriftsteller, sondern ein bildender KĂŒnstler. Alfred Kubin wechselte wĂ€hrend einer Schaffenskrise das Medium und schrieb den Roman âDie andere Seiteâ, der 1909 erschien. Der Ich-ErzĂ€hler wird von einem ehemaligen Schulfreund eingeladen, ihn in seinem Traumreich zu besuchen, das er irgendwo in Zentralasien gegrĂŒndet hat. Der ErzĂ€hler nimmt die Einladung an und gerĂ€t an einen Ort, an dem nicht die Gesetze der âWirklichkeitâ, sondern die des Traums gelten. Die Ereignisse sind unglaublich, das Ende ist katastrophal.
August Strindberg in Oberösterreich
August Strindberg ist der bedeutendste schwedische Schriftsteller der klassischen Moderne. Die meisten Literaturlexika fĂŒhren neben seinem Geburtsort Stockholm die Schweiz, Paris, Kopenhagen und Helgoland als Aufenthaltsorte an, aber nicht Oberösterreich. Dabei war Strindbergs Oberösterreichaufenthalt deutlich mehr als eine Urlaubsepisode. Er lernte 1893 in Berlin die aus Oberösterreich stammende Kritikerin Frida Uhl kennen, heiratete sie kurze Zeit spĂ€ter und lebte 1893/94 in Dornach bei Grein auf dem Gutshof von Frida Uhls GroĂeltern. 1894 wurde die Tochter Kerstin geboren, aber schon bald darauf kam es zur Scheidung. In den 1890er Jahren durchlebte und durchlitt Strindberg seine âInferno-Kriseâ. WĂ€hrend dieser Zeit kehrte er noch einmal nach Oberösterreich zurĂŒck und hielt sich in Klam und Saxen auf.
Zeittafel: Klassiker der europÀischen Moderne (bis 1918) |
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1856 |
Gustave Flaubert: Madame Bovary |
1857 |
Charles Baudelaire: Die Blumen des Bösen |
1866 |
Fjodor M. Dostojewski: Schuld und SĂŒhne |
1888 |
August Strindberg: FrÀulein Julie |
1889 |
Gerhart Hauptmann: Vor Sonnenaufgang |
1892 |
Stefan George: Algabal |
1900 |
Arthur Schnitzler: Der Reigen |
1902 |
Hugo von Hofmannsthal: Ein Brief |
1907 |
Rainer Maria Rilke: Neue Gedichte |
1907 |
Robert Walser: Der GehĂŒlfe |
1907 |
Robert Musil: Die Verwirrungen des Zöglings Törleà |
1912 |
Gottfried Benn: Morgue |
1912 |
Thomas Mann: Der Tod in Venedig |
1913 |
Georg Trakl: Gedichte |
1915 |
Franz Kafka: Die Verwandlung |
1916 |
Hugo Ball: Lautgedichte |
1914â1922 |
James Joyce: Ulysses |
Autor: Christian Schacherreiter
Oberösterreichische Nachrichten, 2. August 2008