Burgenbau in Oberösterreich
Der Burgenbau in Oberösterreich weist in zweierlei Hinsicht eine Diskrepanz in der Erhaltung auf: Zum einen ist eine auffällig ungleiche geografische Verteilung festzustellen: Während sich ein Großteil der erhaltenen Burgen und Ruinen mit überwiegend mittelalterlicher Bausubstanz auf das Mühlviertel konzentriert, sind in den Regionen südlich der Donau viele mittelalterliche Adelssitze entweder zur Gänze abgekommen und allenfalls als Burghügel mit Wall und Graben überliefert oder aber in späteren Schlossbauten aufgegangen. Zum anderen blieben in den noch heute stehenden Burgen und Schlössern nur sehr wenig hochmittelalterliche Bauteile erhalten. Dafür befinden sich in diesem Bundesland hervorragende Beispiele für die spätmittelalterliche Wehr- und Repräsentationsarchitektur.
Von der Wallanlage zur Adelsburg (9.–11. Jahrhundert)
Vor allem der zuletzt genannte Umstand macht es schwer, die Entwicklung des frühen Burgenbaus in Oberösterreich nachzuzeichnen. Deshalb lässt sich nach derzeitigem Forschungsstand der Wechsel von den großflächigen Wallbefestigungen der Ur- und Frühgeschichte hin zu den vergleichsweise kleinflächigeren befestigten Wohnsitzen des mittelalterlichen Adels kaum seriös festmachen. Dies schmerzt umso mehr, als im benachbarten Bayern – zu dem Oberösterreich herrschaftsgeschichtlich für den Zeitraum des 9. bis 11. Jahrhunderts hinzuzurechnen ist – mittlerweile bedeutende Burganlagen früher Hochadelsgeschlechter entdeckt wurden.
Die ältesten mittelalterlichen Anlagen in Oberösterreich, wie z. B. der „Burgstall“ von Pfaffstätt (Pol. Bez. Braunau/Inn) oder der „Ahberg“ bei St. Georgen im Attergau, entsprechen als Abschnittsbefestigungen in Spornlage mit Schildwällen und Halsgräben hingegen noch weitgehend dem Typus urgeschichtlicher Wallanlagen, wobei diese Aussagen mangels Grabungen nur auf Basis von Oberflächenfunden getätigt werden können.
Mit Vorsicht können als älteste Belege für kleinräumigere Burganlagen der „Schlossberg“ auf dem Buchberg bei Attersee sowie der „Burgstall“ gegenüber der Burg Clam (Gemeinde Klam) herangezogen werden: Auf dem „Schlossberg“ wurde auf einer Rückfallkuppe des von einer urgeschichtlichen Wallanlage gekrönten Buchberges eine ringwallartige Befestigung mit 80 x 60 m Durchmesser 1970 durch Clemens Eibner archäologisch untersucht. Die von einem doppelten Wallbering umschlossene Befestigung ist zweiphasig, wobei nur für die jüngere Phase Funde des 12./13. Jahrhunderts vorliegen. Innerhalb der großen eisenzeitlichen Befestigung auf dem „Burgstall“ bei Klam befindet sich auf der höchsten Stelle, unmittelbar gegenüber der heutigen Burg, eine ringwallartige Anlage von 32 x 20 m Durchmesser. Verschiedene Beobachtungen sprechen dafür, dass der „Wall“ das Ergebnis eines Verfallsprozesses einer massiv gemauerten Ringmauer ist. Mangels Funden kann eine Ansprache als hochmittelalterliche Burg nur über die Nennung zweier Burgen von Klam (duo castra Clamme) im Besitz der Herren von Machland 1149 erfolgen. In beiden Fällen wissen wir allerdings nichts über die ehemalige Innenbebauung.
Der hochmittelalterliche Burgenbau (~ 1100–1250)
Auch von anderen hochmittelalterlichen Burgen Oberösterreichs kennen wir bestenfalls einzelne Gebäude: So blieben im Untergeschoß des donauseitigen Wohntrakts der Burg Vichtenstein (Pol. Bez. Schärding) bedeutende Teile eines zweiräumigen romanischen Vorgängerbaus von 30 x 12 m Grundfläche erhalten, dessen kleinformatiges, streng lagerhaftes Mauerwerk aus quaderhaften Bruchsteinen den Bau in das 12. Jahrhundert zu datieren erlaubt. Dieser geräumige Palas ist in Zusammenhang mit den Burgherren, den Grafen von Formbach, zu sehen, welche ab 1116 urkundlich in Vichtenstein fassbar sind.
Einzig auf der Burg Falkenstein (Gem. Hofkirchen im Mühlkreis), dem Sitz des ab 1140 urkundlich belegten gleichnamigen Edelfreiengeschlechts, lässt sich in den Kellersubstruktionen und vereinzelten obertägigen Mauerresten der Spornburg an deren äußerstem Ende eine Kernburg des 12. bis frühen 13. Jahrhunderts rekonstruieren: Die talseitige Felsspitze nahm demnach ein unregelmäßiger, vermutlich siebeneckiger Turm ein, dem auf einer Fläche von ca. 25 x 15 m ein kleiner Hof mit einem weiteren, annähernd rechteckigen Steingebäude vorgelagert war. Unmittelbar vor der Südostecke der Ringmauer sind zwei weitere Mauern mit streng lagigem und quaderhaftem Bruchsteinmauerwerk erhalten, welche über Vergleichsbeispiele (z. B. Windegg) möglicherweise als Burgkapelle interpretiert werden können.
Hinsichtlich der geringen Ausdehnung der romanischen Kernburg und der kleinräumigen Bebauung ist Falkenstein gut mit einer Reihe von schlechter erhaltenen Burgen des Mühlviertels vergleichbar, die insbesondere durch die Forschungen Alfred Höllhubers bekannt wurden. Dazu zählen vor allem die Burgställe (= aufgelassenen Burganlagen) Strafenberg und Herzogenreith (Gem. St. Leonhard bei Freistadt), wo auf ausgesetzten Felsköpfen Abstemmungen für Gebäudefundamente aus Holz und Stein freigelegt und dokumentiert wurden. Trotz der z. T. schwierig zu interpretierenden Befunde lassen sich auf mehreren Burgställen wohl ehemalige (Wohn-)Türme als zentrale Bauten mit wenigen Nebengebäuden in den zumeist kleinen, vorgelagerten Höfen rekonstruieren. Das Fundmaterial dieser und anderer Kleinburgen zeigt eine Gründung im späten 11. bis 12. Jahrhundert und vielfach ein Ende noch vor der Mitte des 13. Jahrhunderts an.
Der „klassische“ Burgenbau im 13. Jahrhundert
Ab dem frühen 13. Jahrhundert lassen sich im erhaltenen Baubestand erstmals besser nachvollziehbare Burgengrundrisse fassen: In diesem Zusammenhang sind vor allem die Burgen Windegg (Gem. Schwertberg) und Spielberg (Gem. Langenstein) zu nennen: Beide besitzen einen unregelmäßigen Bering (Ringmauer) mit einem zugangsseitig aus der Mauer vorspringenden, quadratischen Bergfried, wobei der Bering der Burg Spielberg eine ältere Burgkapelle und einen Wohnbau des 12. Jahrhunderts integriert.
Von besonderer Bedeutung ist auch das Auftreten von Buckelquadern in den großformatigen Quaderschalen der Außenfassaden, wie sie auch in der vor 1212 errichteten Stadtmauer der nahe gelegenen Stadt Enns zu beobachten sind. Erst der aus dem späten 13. Jahrhundert stammende frühgotische Ausbau der Burg Ruttenstein (Gem. Pierbach) vermittelt einen einigermaßen „kompletten“ Eindruck einer klassischen, mittelalterlichen Adelsburg, die die ursprünglich in wenigen Bauten konzentrierten Funktionen „Wehrhaftigkeit“, „Wohnen“, „Verwaltung“ und „Repräsentation“ nun auf immer mehr Gebäude aufteilt: Die auf einem Felsen steil über der Naarn aufragende Anlage besteht aus einem auf den Zugang gerichteten fünfeckigen Bergfried, einem zumindest zweigeschoßigen Palas an der Südseite, einem Wohnturm sowie einem an der Innenseite des Burgtores.
Der spätmittelalterliche Burgenbau (1250–1500)
Ab der Mitte des 13. Jahrhunderts finden sich vermehrt bauliche Anzeichen von höherem Anspruch an Wohnqualität auf den Burgen Oberösterreichs. So befanden sich auf Ruttenstein sowohl im Erdgeschoß des Palas als auch im 1. Obergeschoß des Wohnturmes holzverkleidete und beheizbare Stuben. Vergleichbare Nachweise von holzverkleideten Stuben des späten 13. und 14. Jahrhunderts finden sich auch auf der Burg Losenstein im Ennstal sowie im „Alten Schloss“ von Burg Neuhaus an der Donau. Auch diese beiden Burgen zeichnen sich, wie Ruttenstein, durch das gleichzeitige Bestehen mehrerer Wohn- und Repräsentationsbauten aus, die z. T. turmartig ausgeprägt sind, in anderen Fällen wiederum langgestreckte Grundrisse aufweisen und zumeist reich durchfenstert sind sowie mehrere durch Kamine und Öfen beheizbare Räume besitzen.
Daneben erlebt aber der Wohnturm als „Multifunktionsgebäude mit Repräsentationsanspruch“ im Spätmittelalter eine zweite Blüte. Dies gilt zum einen für Kleinadelssitze mit eingeschränktem architektonischem Anspruch, wie die wohl knapp vor 1334 gegründete Burg Kronest bei Freistadt, er findet sich aber auch bei Burgen im Besitz bedeutender Landesherren, wie in Lobenstein (Gem. Oberneukirchen), Krempelstein (Gem. Esternberg) oder Windhaag (Gem. Windhaag). Möglicherweise diente er auf diesen nicht als Stammsitz fungierenden Burgen als Wohn- und Verwaltungsgebäude der Pfleger und Burggrafen.
Auf den Hauptburgen der bedeutenden Landherrenfamilien ist ab dem 14. Jahrhundert die Tendenz zur Monumentalisierung der Burgenarchitektur zu beobachten: An erster Stelle sind hier die Burgen der Grafen von Schaunberg mit ihrem Dynastensitz Schaunberg (Gem. Hartkirchen) und Neuhaus an der Donau – 1280 von den Schaunbergern neu gegründetet – zu nennen: Beide Burgen erhielten im 14. Jahrhundert – zu einer Zeit, als die Grafen von Schaunberg eine Loslösung ihres Herrschaftsterritoriums aus dem Herzogtum Österreich ob der Enns anstrebten – großflächige Vorburgen, die nicht nur Wirtschaftseinrichtungen – wie im Fall von Schaunberg einen Stall, einen Getreidekasten mit Mühle und Teich – enthielten, sondern mit großen Turmbauten, Torhäusern und massiven Schildmauern auch demonstrative Wehrarchitektur boten.
Besondere Beispiele baulichen Herrschaftsanspruchs stellen die mehrgeschoßige Burgkapelle sowie der gewaltige Palasbau auf Schaunberg dar: Der 31 x 18 m große, mit Keller dreigeschoßige Palas besaß sowohl im Erd- als auch im Obergeschoß je einen großen Saal, wobei hölzerne Trennwände für Raumabteilungen nicht auszuschließen sind. Ebenerdig ist der Saalbau durch ein gestäbtes Trichterportal erschlossen, wie es ansonsten nur als Kirchenportal anzutreffen ist.
Dieser Bau wird noch durch den Palas der 1416 als „Neue Veste“ bezeichneten Schaunbergischen Stadtburg in Eferding übertroffen: Der 34,6 x 21,3 m große Bau besitzt ein zweischiffiges Kellergeschoß, dessen Gewölbe durch Gurtbögen auf massiven Pfeilern getragen wird. In den Obergeschoßen befinden sich Säle und Zimmer, die durch einen Mittelflur zugänglich sind. Die Räume sind durch gotische Kreuzstockfenster beleuchtet, die Fensternischen sind mit hochrepräsentativen Rundstabgewänden umrahmt. Eine hofseitige Erschließung mit Treppenhaus sowie ein vorspringender Bauteil mit Kapellenraum komplettieren den für seine Zeit hochmodernen Baukörper, der in seiner Gliederung Raumlösungen des neuzeitlichen Schlossbaus vorwegnimmt.
Ein anderer Entwicklungsstrang zum Schlossbau ist durch das Auftreten turmloser Burgen im Spätmittelalter vorgezeichnet: Das früheste Beispiel in Oberösterreich stellt die ab 1364 von den Herren von Wallsee errichtete Burg Oberwallsee (Gem. Feldkirchen an der Donau) dar. An die unregelmäßig gebrochene hohe Mantelmauer fügen sich in Randlage Wohnbauten und die Burgkapelle an, so dass durch den ehemals geschlossenen Gesamteindruck die Kernburg möglicherweise als Gesamtes einen turmartigen Eindruck vermittelte.
Ein Unikat im spätmittelalterlichen Burgenbau stellt die Burg Pürnstein (Gem. Neufelden) dar: Anstelle einer kleinen Vorgängerburg wurde vor bzw. um die Mitte des 15. Jahrhunderts im Vorfeld derselben unter den Herren von Starhemberg ein großer Neubau mit einem dreiflügeligen Kernbau auf sechseckigem Grundriss und einem vorgelagerten Bering mit fünf Rundtürmen errichtet. Die Kernburg besitzt über 5 m dicke Außenmauern und ist in einen 1564 als „Herrentrakt“ bezeichneten Saalbau im Osten, einen als „Frauentrakt“ bezeichneten Wohnbau im Westen und einen Südtrakt mit Küche, Kapelle und Verbindungsgängen mit repräsentativen Stiegenanlagen gegliedert. Der symmetrische Grundriss der Gesamtanlage sowie Raumaufteilung und Erschließung zeigen deutliche Bezüge zur frühen italienischen Renaissancearchitektur, während die Formensprache der Architekturdetails noch ganz der Gotik verhaftet ist.
Das Ende der hier gezeichneten Entwicklung stellt die ab 1491 von den Herren von Prüschenk errichtete Greinburg in Grein an der Donau dar: Auch wenn das heutige Schloss stark barock überprägt ist, dürfte der geschlossene Vierflügelbau mit vorspringenden fünfeckigen Bastionen in der Grundsubstanz auf den Erstbau zurückgehen. Mit diesem Bau beginnt eine Abkehr vom mittelalterlichen Burgenbau, der von durch eine Ringmauer zusammengefassten Einzelbauten charakterisiert ist; nun beginnt in Oberösterreich endgültig der neuzeitliche Schlossbau.
Die durch die massiv befestigten Vorburgen von Schaunberg und Neuhaus erkennbare Tendenz, etwaige Angreifer mit entwickelter Belagerungs- und Geschütztechnik auf Distanz zu halten, führt in weiterer Folge zur Entwicklung festungsartiger Baukörper. Einen Baustein in dieser Entwicklungskette bilden der Burg vorgelagerte Verteidungsbauten und Türme, so genannte Vorwerke: Während frühe Beispiel, wie der aus dem 13. Jahrhundert stammende und im 14. Jahrhundert erneuerte Rundturm vor Burg Clam, noch unmittelbar vor der Burg errichtet wurden, werden ab dem 14. und im 15. Jahrhundert zunehmend strategische Punkte im Vorfeld von Wehranlagen durch eigene, meist turmartige Wehrbauten „besetzt“. Prägnante oberösterreichische Beispiele stellen Sarmingstein (Gem. St. Nikola an der Donau) mit zwei bergseitig und einem talseitig vorgelagerten Turm, Alt-Scharnstein (Gem. Scharnstein) mit dem „Mitterturm“ und „Oberturm“ sowie Pernstein (Gem. Micheldorf) mit je einem Viereck- und einem Rundturm oberhalb der Burg dar. Zusätzlich wurden Flanken und Zugänge mit Sperrmauern und vorgelagerten Torbauten gesichert. Der durch eine Inschrift 1489 datierte „Wasserturm“ oberhalb Burg Falkenstein stellt durch seine zahlreichen Schießkammern mit unterschiedlichen geformten Schießscharten und Wehrerkern das Bindeglied zu den neuzeitlichen, gedrungen gebauten Batterietürmen für den Einsatz von Geschützen dar, wie sie u. a. der „Zehentturm“ vor Burg Waxenberg (Gem. Waxenberg) und ein hufeisenförmiges Vorwerk vor Schloss Rannariedl (Gem. Neustift im Mühlkreis) vermitteln.
Zum Schutz vor dem Beschuss mit entwickelten Feuerwaffen kommt es ab dem 15. Jahrhundert schließlich zu einer Renaissance von Befestigungen aus Erdwällen, hinter denen sich die Steingebäude quasi „verstecken“. Ein hervorragendes Beispiel dieses frühen Festungsbaus stellt das Linzer Schloss dar, welches als Residenz unter Kaiser Friedrich III. frühestens ab 1477, durch eine Inschrift am „Friedrichstor“ gesichert in den 1480er Jahren, mit einem massiven Bering aus geschütteten Erdbastionen und Geschütztürmen gesichert wurde. Das Linzer Schloss zeigt gleichzeitig, dass die Entwicklung zur Festung als reinem Militärbau bzw. zum Schloss als repräsentativem Wohnbau nicht immer getrennt vonstatten ging, sondern festungs- und schlossartige Elemente an derselben Anlage vollzogen werden konnten.