Forum OÖ Geschichte

Buchmalerei in Oberösterreich im 15. Jahrhundert


Die erhaltenen Bestände an spätgotischen Handschriften und Inkunabeln, die in Oberösterreich entstanden, dokumentieren einerseits das Fortbestehen bzw. das Wiederaufblühen einiger der Klosterskriptorien, andererseits eine allgemeine Abnahme der Qualität in der heimischen Buchmalerei.
Zwar wurden in manchen Klöstern weiterhin zahlreiche Bücher nicht nur geschrieben, sondern vielfach auch illuminiert, und auch die Inkunabeln, die man ab ca. 1470 anzukaufen begann, wurden zu einem Gutteil von den Mönchen selbst mit Buchschmuck versehen. Zu künstlerischen Höchstleistungen kam es dabei aber kaum mehr.
Insbesondere die Deckfarbenmalereien wirken, mit wenigen Ausnahmen, generell eher „provinziell“, während in der technisch weniger anspruchsvollen Gattung des Fleuronnée doch ein teilweise respektables Qualitätsniveau erreicht wurde. Bemerkenswert ist dabei der Umstand, dass in den Werkstätten der Benediktinerklöster Mondsee, Lambach, Kremsmünster und Garsten jeweils ein eigener, unverwechselbarer Ornamentstil zumeist über einen längeren Zeitraum hinweg gepflegt wurde.
Was aber die figürlichen Darstellungen betrifft, so lassen sie die unzureichende Schulung ihrer Urheber meistens deutlich erkennen. Höherrangige Aufgaben wurden denn auch meistens professionellen Buchmalern aus Salzburg, Wien oder Bayern übertragen, die mit der Ausführung von Einzelbildern oder der gesamten Ausstattung eines Bandes betraut werden konnten.

Mondsee
Den bekanntesten Fall einer solchen „Arbeitsauslagerung“ stellt wohl die Gruppe jener 16 Inkunabeln dar, die der Salzburger Buchkünstler Ulrich Schreier für das Stift Mondsee illuminierte (z. B.: OÖLB, Ink. 488, Ink. 508, Ink. 606-607). Neben der Ausschmückung des Buchblockes übernahm Schreier meistens auch die Gestaltung der Einbände der betreffenden Bücher. Schreier arbeitete daneben auch für weltliche Auftraggeber aus Oberösterreich, wie dies das Greiner Marktbuch (Stadtarchiv Grein) von ca. 1489 bezeugt.
Von der Hand eines Salzburger Illuminators stammt vermutlich auch das Kanonbild eines nicht nach 1453 entstandenen Mondseer Missales (ÖNB, Cod. 1899, f. 8v). Dessen Te-igitur-Initiale (f. 9r) ist hingegen ein Produkt der klostereigenen Werkstatt, die in der zweiten Jahrhunderthälfte sehr produktiv war.
Dies dokumentieren die in großer Zahl erhaltenen Mondseer Handschriften und Inkunabeln aus diesem Zeitraum, die zu mehreren, zeitlich aufeinanderfolgenden Gruppen zusammengeschlossen werden können. Auffälligstes Merkmal der Deckfarbeninitialen eines umfangreichen Handschriftenkonvoluts aus den 1450er Jahren, zu denen auch die Te-igitur-Initiale des Missales gehört, sind die gerippten, schnurartigen, in manchen Initialen auch tropfenförmigen Blattadern des langlappigen Füll- und Rankenblattwerks, die den Wirbelsäulen der in Buchstabenschäften und Rankenschmuck turnenden Monstern formal angeglichen sind (z. B.: ÖNB, Cod. 1393, Cod. 1572, Cod. 3701; Kath.-theol. Privatuniversität Linz, Cod. 15). In einer Reihe von Inkunabeln, die in den frühen 1480er Jahren illuminiert wurden, wird die Ornamentik dieser Gruppe wieder aufgegriffen (z. B.: OÖLB, Ink. 631, Ink. 634).

Die ab den mittleren 1480er Jahren entstandenen Drucke und Handschriften, die sich um eine dreibändige Ausgabe der Lectura super decretalium des Nicolaus Panormitanus (OÖLB, Ink. 638, Ink. 644-645) gruppieren lassen (z. B. OÖLB, Ink. 242, Ink. 643; ÖNB, Cod. 1796), sind mit eher derben Deckfarbeninitialen geschmückt, die sich von der Schreier’schen Ornamentik beeinflusst zeigen. Die Panormitanus-Bände sind aber insofern bemerkenswert, als sie szenische Darstellungen enthalten, von denen die in Deckfarben ausgeführten dem ungeschulten Illuminator der Initialen zuzuweisen sind (z. B.: OÖLB, Ink. 645). Die flott, aber gekonnt gezeichneten lavierten Federzeichnungen im zweiten und dritten Band (z. B.: OÖLB, Ink. 645) stammen hingegen vermutlich von einem von außen herangezogenen Künstler.
Das lange für Mondsee in Anspruch genommene Antiphonar des Erhard Cholb von 1464 (OÖLM, Cod. 1) wurde vermutlich nicht im Stift hergestellt. Einer der Illuminatoren dieser Handschrift wurde offenbar in Salzburg geschult, ein anderer kann mit dem „Meister der Wiener Gutenberg-Bibel“ identifziert werden.

Garsten
In Garsten hatte man die Deckfarbenausstattung der Handschriften schon in der ersten Jahrhunderthälfte professionellen Illuminatoren überlassen. So wurden die unfigürlichen Deckfarbeninitialen im 1415 datierten Garstener Brevier Cod. 162 der OÖLB von einem Buchmaler ausgeführt, der der „Wiener Hofminiatorenwerkstatt“ nahestand. Die reiche figurale Ausstattung des 1437 datierten Evangelistars Cod. 341 wiederum, das ebenfalls für Garsten geschrieben wurde, teilten sich zwei Illuminatoren, von denen der eine aus dem Wiener Raum gekommen sein könnte (OÖLB, Cod. 341, 11v), während der andere sichtlich in Salzburg geschult wurde (OÖLB, Cod. 341, 51v).
Aus der zweiten Jahrhunderthälfte sind ebenfalls einige stilistisch disparate Deckfarbenmalereien erhalten, von denen die qualitativ höherstehenden wohl wieder auswärtigen Buchmalern zuzuschreiben sind (OÖLB, Cod. 495).
Im Kontrast dazu zeichnet sich das Fleuronnée in den Garstener Bänden durch eine erstaunliche stilistische Homogeneität aus (z. B.: OÖLB, Cod. 162, Cod. 341, Cod. 352, Cod. 502; Ink. 597-599, 647). Es zeigt sich, dass in Garsten spätestens seit 1415 ein charakteristischer Fleuronnée-Stil gepflegt wurde, den man mit einer bemerkenswerten Konstanz bis in die 1480er Jahre hinein weiter tradierte. Kennzeichnende Motive dieses Fleuronnées sind quadratische Perlen als Besatzelement von Buchstabenkörpern und Knospenstielen sowie verschiedentlich abgewandelte Knospenspiralen – eine Formensprache, die im dritten Viertel des 14. Jahrhunderts im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian entwickelt worden war.

Kremsmünster
In Kremsmünster wurde vor der Jahrhundertmitte das Knospenfleuronnée der Handschriften aus der Zeit um ca. 1292/1315 wiederbelebt. Das Hauptmotiv der spätmittelalterlichen Variante dieses Fleuronnée-Stils sind demnach ebenfalls große, runde Knospen mit zumeist andersfarbigem, kreisförmigem „Kern“, die rosetten- oder garbenförmig angeordnet sind; hinzu kommen gestrichelte Knospenstiele und kammartig abstehende Fadenfortsätze (z. B.: Kremsmünster, StiB, Cod. 225).
Die prächtigsten Beispiele für diesen Dekor sind die von Fleuronnée umgebenen Deckfarbeninitialen in den beiden 1464 bzw. 1465 datierten Psalterien für Abt Ulrich Schoppenzaun (Kremsmünster, StiB, Cod. 356, Cod. 359). Diese enthalten außerdem einige historisierte Initialen bzw. in anderer Weise mit Figuren verzierte Deckfarbeninitialen (z. B.: Kremsmünster, StiB, Cod. 359, f. 9r) mit reichem, von Tierdarstellungen und Jagdmotiven belebten Rankenwerk, in denen die für die zweite Jahrhunderthälfte typische Kremsmünsterer Deckfarbenornamentik voll ausgebildet erscheint. Charakteristisch für diese sind insbesondere Füll- und Rankenblätter mit schmaler, tropfenförmiger, teilweise wulstartig umrandeter Schwellung oder Vertiefung in der Blattmitte sowie mit je zwei kurzen seitlichen Blattzähnen und einem breiten Mittellappen, der abgerundet ist, spitz zuläuft oder eine rautenförmige Spitze ausbildet (z. B.: Kremsmünster, StiB, Cod. 171; Ink. 2°105). Hinzu kommen den Buchstabenschäften flach aufliegende Blattfriese mit kreisrunden Einkerbungen sowie trompetenförmig sich öffnende Abläufe (Verzierung der End- und Gelenkstellen von Zierbuchstaben).
Die figürlichen Darstellungen in den beiden Psalterien (Kremsmünster, StiB, Cod. 356, Cod. 359) verdienen aufgrund ihrer Ikonografie – siehe etwa die Stiftung der Kirche durch Herzog Tassilo f. 9r – besonderes Interesse; sie wurden jedoch offenbar vom nicht-professionellen Maler des Rankenwerks ausgeführt und sind daher, ebenso wie die wohl von derselben Hand stammende Kreuzigung in der Te-igitur-Initiale des Missale Cod. 339 (um 1460/70), nicht von erstrangiger Qualität.
Teilweise sogar dilettantisch sind etwa die Darstellungen des Autors als Mönch in Kremsmünster, StiB, Ink. 2°13 (1472), des Papstes Gregor in Kremsmünster, StiB, Ink. 2°9 (1479) oder des Salvators in Cod. 329 (um 1480). Ob der um 1470/80 entstandene Cod. 368 im Kremsmünster Skriptorium oder von einem auswärtigen Buchmalerteam ausgeschmückt wurde, ist nicht geklärt.

Aus der ersten Jahrhunderthälfte sind nur wenige Kremsmünsterer Handschriften mit nennenswertem Schmuck erhalten, darunter die aus den 1440er Jahren stammenden Codices rund um den mit zahlreichen Initialen ausgestatteten Cod. 367. Wohl erst in den 1490er Jahren entstand schließlich das Kremsmünsterer Brevier Cod. 392, mit dessen Ausschmückung ein Passauer Illuminator betraut wurde.

Lambach
Auch in Lambach wurde in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ein markanter Fleuronnée-Stil gepflegt (z. B.: Lambach, StiB, Ccl. 1, Ccl. 10; Ink. I/35, Ink. II/18; Ink. II/118A; Ink. 56/16). Dieser zeichnet sich durch die starke dekorative Wirkung des Ornaments aus, das sich aus regelmäßig angeordneten Bündeln großer, einander überlappender Knospen bzw. Blätter und/oder aus einem eierstabähnlichen Besatz aus ovalen Blättern und Zwischenperlen zusammensetzt; charakteristisch ist auch die Verwendung von Weinrot bzw. Rosa und Hellgrün. (Der enge formale Zusammenhang mit dem zeitgleichen Melker Fleuronnée bleibt noch genauer zu untersuchen.) In einer Gruppe von Handschriften aus den 1460er Jahren begegnet daneben Fleuronnée ohne „Eierstabmotiv“, das teilweise mit Filigranornament kombiniert wird (z. B.: Lambach, StiB, Ccl. 1, Ccl. 101).
Das Filigran geht wiederum eine enge Verbindung mit dem stark schematisierten Deckfarbenornament ein (z. B.: Lambach, StiB, Ccl. 1, f. 2r; Ccl. 2, Ccl. 3), so dass die Grenzen zwischen den Gattungen verwischt erscheinen und die dekorative Wirkung der Initialen verstärkt wird. Das Ranken- und Füllblattwerk der Deckfarbeninitialen dieser Gruppe stellt eine Vereinfachung von Ornamentformen dar, die seit der Jahrhundertmitte verwendet worden waren (z. B. Lambach, StiB, Ccl. 57, Ccl. 476j, datiert 1449).
Eine ähnliche dekorative Ausprägung hatten schon die Initialen in Ccl. 47 und Ccl. 314 der StiB Lambach aus dem zweiten Jahrhundertviertel gezeigt. Ob die Deckfarbeninitiale mit dem fein modellierten Füll- und Rankenblattwerk zu Beginn des Textes im 1462 datierten Ccl. 1 von einem Lambacher Buchmaler stammt, ist ungewiss.
Ähnliche, fein ausgeführte Deckfarbeninitialen zieren jedenfalls noch einige weitere, zum Teil später entstandene Bände (Ccl. 16, f. 22r; Ccl. 17; Ink. I/35, Ink. I/71). Auch finden sich in mehreren Handschriften und Drucken gröber gemalte Initialen, die die Ornamentformen der genannten Bände wieder aufgreifen (Ccl. 10, Ccl 164; Ink. II/118). Gemeinsam sind den genannten Beispielen die enge Drehung des rundlappigen bis spitzzahnigen Füllblattwerks sowie die ausgeprägte Plastizität der tropfenförmigen Mittelrippen, die die dreifach gezahnten Rankenblätter und oft auch die Blätter in den Buchstabenkörpern aufweisen. Dem Illuminator der Ink. II/15 (1485) scheint zudem die einleitende Initiale in dem bereits 1456 datierten Ccl. 14 bekannt gewesen zu sein, während in der zweibändigen Ink. II/1 (1477) unter anderem das Füllblattwerk der Gruppe um Cml. LXXII (s. o.) wieder auftaucht.

St. Florian
Aus den Skriptorien der übrigen oberösterreichischen Stifte scheinen jeweils nur vereinzelt Werke von halbwegs annehmbarer Qualität hervorgegangen zu sein. So lässt sich etwa auch im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian die Tätigkeit einer „Malerschule“ im 15. Jahrhundert nicht mehr feststellen. Neben wenigen Bänden mit Initialen von mittelmäßiger Qualität (z. B.: St. Florian, StiB, Ink. X/349) finden sich hier einige Auftragswerke von der Hand stiftsfremder Illuminatoren – z. B. Cod. XI/478 aus dem 14. Jahrhundert mit Ergänzungen des steirischen Buchmalers Heinrich Aurhaym aus der Zeit um 1410 oder Ink. X/107, X/282 und X/289 mit Deckfarbenschmuck eines auch für andere Augustiner Chorherrenstifte tätigen Illuminators aus dem Umkreis Ulrich Schreiers. Eine Einordnung des Missale Cod. XI/385 steht noch aus.

Zweifellos war das Wiederaufblühen der Buchmalerei in den großen Benediktinerklöstern eine Auswirkung der Melker Reform – ein Zusammenhang, der im Einzelnen allerdings noch genauer untersucht werden müsste.

_________________________________________________________

Abkürzungen:

OÖLB: Oberösterreichische Landesbibliothek
OÖLM: Oberösterreichische Landesmuseen
ÖNB: Österreichische Nationalbibliothek
StiB: Stiftsbibliothek


Autorin: Katharina Hranitzky, 2009

 

© 2022