Der Name Oberösterreich

Kein österreichisches Bundesland hat eine so komplizierte und sich über so lange Zeit hinziehende Entstehungsgeschichte wie Oberösterreich. Das kommt schon im Namen „Oberösterreich“ zum Ausdruck, der zwar in lateinischer Form schon im 13. Jahrhundert auftaucht, aber erst im Jahre 1918 amtlich wurde, um zwanzig Jahre später gleich noch einmal verboten zu werden.

Eine komplizierte Landwerdung
Das Gebiet des heutigen Oberösterreich lag im Mittelalter im Einflussbereich mehrer geistlicher und weltlicher Fürsten, nämlich der Herzöge von Österreich, Steiermark und Bayern und der Bischöfe von Passau, Salzburg, Regensburg und Bamberg, die alle hier Besitzstände hatten. Das Machland war wohl schon seit dem 10. Jahrhundert ein Teil der babenbergischen Mark, die 976 östlich der Enns eingerichtet worden war und aus der Österreich hervorging. Als im Jahre 1192 nach dem Tod des letzten steirischen Herzogs aus dem Geschlecht der Otakare auch die Steiermark an die Babenberger gekommen war - und damit auch ein großer Streifen des heutigen Oberösterreich von Steyregg über Enns und Steyr bis zur heutigen steirischen Grenze, der damals Teil der Steiermark war -, war dies der Anfang für ein eigenes Land Oberösterreich. Denn den steirischen Gefolgsleuten des nunmehr gemeinsamen babenbergischen und später habsburgischen Regenten über Österreich und die Steiermark erschien es bald praktischer, zu Hoftagen des Herzogs nicht nach Leoben, Graz oder in andere Orte südlich der Alpen zu fahren, sondern diese Versammlungen in Österreich zu besuchen, bis schließlich das von ihnen vertretene Gebiet als Teil Österreichs und nicht mehr der Steiermark verstanden wurde.

Nach Westen zu gelangten sukzessive weitere Gebiete, die dem bayerischen Herzog unterstanden oder passauisch, regensburgisch oder salzburgisch waren, an die österreichischen Herzöge. Eine Aufgliederung der Verwaltung des immer größer gewordenen Gebietes bahnte sich an, die auch in der Namengebung immer stärker zum Ausdruck kam. Zuerst wurde unter Austria superior, also Oberösterreich, ein Gebiet verstanden, das sich von der Ybbs nach Westen bis ungefähr an den Hausruck erstreckte. Später verschob sich diese Grenze von der Ybbs an die Enns und im Westen immer mehr auf vormals bayerisches Territorium.

Ein gefälschtes Privileg
Einen wesentlichen Schritt in der rechtlichen Stellung und Benennung des Landes stellte eine berühmte Fälschung dar, die bereits manchen Zeitgenossen verdächtig erschienen war: Herzog Rudolf IV. stellte in dem von ihm 1358/59 dem Kaiser vorgelegten so genannten Privilegium maius die Behauptung auf, der bayerische Herzog Heinrich der Löwe habe 1156 nicht, wie es wirklich geschah, auf die Markgrafschaft Österreich verzichtet, die im echten Privilegium minus zum Herzogtum erhoben worden war, sondern auf eine damals schon bestehende „Mark ob der Enns“. Diese sei damit Teil des Herzogtums Österreich geworden. Kaiser Karl IV. fiel auf die recht plumpe Fälschung zwar nicht hinein. Weil aber Kaiser Friedrich III. etwa hundert Jahre später das Privilegium maius anerkannte, wurde die Fälschung geltendes Recht und die Habsburger durften sich Erzherzöge nennen.

Dem Privilegium maius zufolge war Österreich ein Erzherzogtum und Oberösterreich Teil dieses Erzherzogtums geworden. Im offiziellen Titel der Habsburger wurde es daher nie extra angeführt. Die Habsburger bezeichneten sich niemals als Erzherzöge von Oberösterreich. Wohl aber wurde seit der Mitte des 15. Jahrhunderts der Erzherzogshut in das Wappen des Landes Oberösterreichs eingefügt.

Lange blieb unklar, was das Land Oberösterreich rechtlich sei, ob ein Herzogtum, eine Markgrafschaft oder bloß ein „Landl“. Das gab Stoff für Rangstreitigkeiten mit anderen Kronländern, insbesondere mit den steirischen Ständen: wer früher zu nennen und zu begrüßen sei oder wer in einem Festzug vor den anderen gehen dürfe, ob zuerst die an sich erzherzoglichen oberösterreichischen oder die nur herzoglichen steirischen Stände. 1632 endete der Rangstreit mit einer Niederlage der Oberösterreicher. Es wurde entschieden, dass das Land ob der Enns als Markgrafschaft erst hinter den Herzogtümern Steiermark, Kärnten und Krain zu reihen sei.

Von zu
Man sprach im Spätmittelalter nicht von „Oberösterreich“, sondern nur vom „Land“, „Fürstentum“ oder der „Markgrafschaft ob der Enns“, am häufigsten aber etwas geringschätzig vom „Landl“ und von seinen Bewohnern als den „Landlern“. Die Chronik von den 95 Herrschaften nennt es das „lêndel bey Ens und Krems“. Andere Namen waren Land an der Enns, Land von der Enns, Terra Entia und Ennsland. Das lateinische Austria superior (Oberösterreich) für das Gebiet zwischen Hausruck und Ybbs war hingegen außer Gebrauch gekommen. Denn inzwischen lokalisierte man Oberösterreich ganz wo anders.

Zwischen 15. und 17. Jahrhundert war die Verwirrung groß, weil ja seit den habsburgischen Länderteilungen unter Oberösterreich Tirol und Vorarlberg gemeint war. Erst als seit dem 17. Jahrhundert diese Länderteilungen wieder rückgängig gemacht waren, wurde die Bezeichnung „Oberösterreich“ zuerst in der lateinischen, dann auch in der deutschen Form wieder für das Land ob der Enns gebraucht. Die Kartenzeichner Matthäus Merian, Georg Matthäus Vischer und Martin Zeiller machten sie populär. Offiziell allerdings sprach man aber immer noch vom Land ob der Enns oder von Österreich ob der Enns, fallweise sogar von Niederösterreich ob der Enns, um eine Verwechslung mit dem tirolerisch-vorderösterreichischen „Oberösterreich“ zu vermeiden.

Obwohl Oberösterreich seine Bindungen an Niederösterreich immer mehr abstreifte, 1783 eine eigene Landesregierung erhielt und 1783/85 auch ein eigenes Landesbistum, blieb seine staatsrechtliche Stellung weiter mehrdeutig. Erst das Februarpatent vom 26. Februar 1861 anerkannte es mit dem offiziellen Namen Erzherzogtum Österreich ob der Enns als selbständiges und gleichberechtigtes Kronland. In den offiziellen Titel der Habsburger aber wurde es weiterhin nicht aufgenommen.

Der amtliche Landesname
Amtlich wurde bis 1918 die Bezeichnung Österreich ob der Enns beibehalten. Doch im allgemeinen Sprachgebrauch dominierte längst das Wort „Oberösterreich“, sowohl im Wirtschaftsleben wie in der Politik: Seit 1869 gab es die Bank für Oberösterreich und Salzburg, die heutige Oberbank. 1872 war vom katholischen Volksverein der Oberösterreichische Volkskredit gegründet worden. Politisch gab es den Liberalen Verein für Oberösterreich und 1869/70 den Katholischen Volksverein für Oberösterreich. Auch im amtlichen Gebrauch tauchte schon vor dem Ersten Weltkrieg immer wieder „Oberösterreich“ statt „ob der Enns“ auf. Auch der k.k. Statthalter für das Erzherzogtum Österreich ob der Enns verwendete schon vor dem Jahr 1918 bisweilen den Briefkopf „Statthalter für Oberösterreich“.

Es gibt kein Gesetz, mit dem die Landesbezeichnung „Oberösterreich“ offiziell eingeführt worden wäre. Als das entscheidende Datum muss wohl der 2. November 1918 angesehen werden. An diesem Tag übergab der k.k. Statthalter in Oberösterreich (mit diesem Briefkopf) der provisorischen Landesregierung in Oberösterreich die Amtsgeschäfte. Die am 18. November zu ihrer konstituierenden Sitzung zusammengetretene provisorische Landesversammlung für Oberösterreich beschloss in dieser ihrer ersten Sitzung die Beitrittserklärung des Landes Oberösterreich zur Republik Deutsch-Österreich. In dieser Beitrittserklärung kommt nur mehr „Oberösterreich“ vor. Daher heißt Oberösterreich seither auch offiziell Oberösterreich, bis auf das siebenjährige Intermezzo, in welchem es zum Gau Oberdonau degradiert wurde.

Wo liegt „Oberösterreich“?

Wer im 16. Jahrhundert, zum Beispiel zur Zeit Kaiser Maximilians I., eine Reise nach Oberösterreich gebucht hätte, wäre nicht nach Linz oder Steyr gelangt, sondern nach Innsbruck, Bregenz, Freiburg oder gar Ensisheim im Elsass. Denn in den seit 1379 durchgeführten habsburgischen Länderteilungen waren drei große Ländergruppen entstanden: „Niederösterreich“ mit den Ländern Österreich unter der Enns und ob der Enns, „Innerösterreich“ mit der Steiermark, Kärnten und Krain sowie schließlich „Oberösterreich“. Unter dieser Bezeichnung wurden Tirol, Vorarlberg und die habsburgischen Besitzungen in Elsass, Schweiz und Schwaben zusammengefasst.

Wer im 16. Jahrhundert, zum Beispiel zur Zeit Kaiser Maximilians I., eine Reise nach Oberösterreich gebucht hätte, wäre nicht nach Linz oder Steyr gelangt, sondern nach Innsbruck, Bregenz, Freiburg oder gar Ensisheim im Elsass. Denn in den seit 1379 durchgeführten habsburgischen Länderteilungen waren drei große Ländergruppen entstanden: „Niederösterreich“ mit den Ländern Österreich unter der Enns und ob der Enns, „Innerösterreich“ mit der Steiermark, Kärnten und Krain sowie schließlich „Oberösterreich“. Unter dieser Bezeichnung wurden Tirol, Vorarlberg und die habsburgischen Besitzungen in Elsass, Schweiz und Schwaben zusammengefasst.

Seit Kaiser Maximilians I. gab es in Innsbruck die Oberösterreichische Regierung und die Oberösterreichische Kammer. Beide waren für Tirol und die Vorlande zuständig. Als im 17. Jahrhundert die habsburgischen Länder wieder vereinigt wurden und unter Maria Theresia und Joseph II. die Verwaltung der Habsburgermonarchie reorganisiert und zentralisiert wurde, verschwand allmählich der Name „Oberösterreich“ für Tirol und die so genannten Vorlande, während sich gleichzeitig im Alltagsgebrauch für das „Land ob der Enns“ immer mehr die einfachere Form Oberösterreich einbürgerte.

Schlaraffenland Oberösterreich?

Der ungarische Name für Schlaraffenland lautet Óperencia oder Operentziás. Das Etymologische Lexikon des Ungarischen hält das für eine Ableitung von Ob der Enns und erklärt das damit, dass Oberösterreich für die Ungarn eine ferne Traumwelt für eine Stationierung von Truppen gewesen sei.

Der ungarische Name für Schlaraffenland lautet Óperencia oder Operentziás. Das Etymologische Lexikon des Ungarischen hält das für eine Ableitung von Ob der Enns und erklärt das damit, dass Oberösterreich für die Ungarn eine ferne Traumwelt für eine Stationierung von Truppen gewesen sei. Dass für die Ungarn das Schlaraffenland in Oberösterreich gelegen sei, ist zwar für Oberösterreich ehrenhaft, aber nicht logisch. Denn das Schlaraffenland liegt einerseits im Nirgendwo und andererseits: Ein Schlaraffenland, bei allem Wohlstand, war Oberösterreich wohl nie.

Zeitleiste Der Name „Oberösterreich“
1240 Erstmals wird ein „(Land)Schreiber für das „obere Österreich“ erwähnt.
1246/1252 Früheste Nennung einer „Austria superior“ in den Garstener Annalen.
1273 Erwähnung eines „pflegers ob der Ense“
1332 Erstmals Titel Hauptmann ob der Enns
1358/59 Fälschung des so genannten Privilegium maius, datiert auf das Jahr 1156: Das Land ob der Enns wird als „Mark ob der Enns“ bezeichnet - Rudolf IV. („der Stifter“) war mit dem von ihm gefälschten Privilegium maius Wegbereiter für die rechtliche Stellung Oberösterreichs.
15./16. Jahrhundert Land ob der Enns oder Landl
Mitte des 15. Jahrhundert Der Erzherzogshut wurde in das Wappen Oberösterreichs eingefügt.
17. Jahrhundert Austria superior oder Oberösterreich wird von Geographen popularisiert.
1861 Amtliche Bezeichnung als Erzherzogtum Österreich ob der Enns
2. November 1918 Der k.k. Statthalter überträgt der provisorischen Landesregierung in Oberösterreich die Amtsgeschäfte.
18. November 1918 Beitrittserklärung des Landes Oberösterreich zur Republik Deutsch-Österreich - Prälat Johann Nepomuk Hauser war von 1908 bis 1918 Landeshauptmann des Erzherzogtums Österreich ob der Enns und von 1918 bis 1927 des Bundeslandes Oberösterreichs.
31. Mai 1938 bis 5. Mai 1945 Oberösterreich wird nach dem „Anschluss“ an Hitler-Deutschland zum Gau Oberdonau

Autor: Roman Sandgruber
Oberösterreichische Nachrichten, 15. März 2008