"heimatkunde.update" – Ein Zukunftsprojekt für die Heimatforschung

am 18.04.2019
 von Mag. Siegfried Kristöfl
Wie sieht Heimatforschung aus, wenn es nicht Erwachsene machen, sondern um vieles jüngere, die Millennials? Die Kinder, die im 21. Jahrhundert geboren werden und aufwachsen, die jetzt zur Schule gehen! In den Leader-Regionen des Traunviertels rund um Steyr fand sich nun ein Initiative, die dieses Problemfeld intensiv bearbeitet.

 

"heimatkunde.update"
Vor ziemlich genau hundert Jahren begann in Oberösterreich die Heimatforschung eine Verbindung mit Schulen einzugehen. Persönlichkeiten der heimischen Forscherszene wie Franz Berger, Adalbert Depiny oder Eduard Kriechbaum engagierten sich bei der Implementierung des Fachs „Heimatkunde“ im Unterricht bzw. bei der Lehrerschaft. In diesen hundert Jahren ist viel Positives auf dem Gebiet der Heimatforschung und im Sachkundeunterricht geschehen, selbstverständlich hat sich einiges überholt und einiges selbsterneuert, aber die Relevanz eines Updates ist unleugbar. Allein was das Unterrichtsmaterial für PädagogInnen in den Volksschulen betrifft: Es ist an nicht wenigen Standorten veraltet, sprich: untauglich. Gutes Material gibt es da, wo LehrerInnen sich darum bemühen, die persönliche Verbindung zum Ort und zur Gemeinde pflegen, meist intrinsisch motiviert, bereit in der Vorbereitung Extrameilen zu gehen, über das Stundenmaß hinaus. Also ein keineswegs selbstverständlicher Umstand und nicht einforderbar. So entstand als erste Projektidee: Den LehrerInnen Unterrichtsmaterialien über ihre Heimatgemeinden in die Hand zu geben bzw. den allgemeinen Wissensstand für Grundschulpädagoginnen auf einen zeitgemäßen, europäischen Stand zu bringen. Heimatforscher sollten ihre aktuellen Erkenntnisse einfließen lassen. Um Institutionen und Personen zu vernetzen, bedienten wir uns des Zukunftsgestaltungsprojekts NOI (nature of innovation), das moderierte Workshops mit der Methode des „design thinkings“ in den besagten Leader-Regionen anbietet.

Dazu luden wir in einem weiten Bogen Pädagogen verschiedenster Schultypen und aller Altersgruppen, Gemeindevertreter, Museumskuratoren, Wissenschaftler, Sozialmanager und Künstler. Was diese Gruppe einte, war das gemeinsame Interesse an Heimatforschung, an Kulturvermittlung, an sozialer Integration und an Bildung, vor allem an kultureller Bildung. Und dann wohl auch noch eine aufgeweckte kreative Neugierde. Es sind Querdenker und allesamt Suchende nach Verbesserungen.

Diese Zusammensetzung war inspirierend: Denn was sich bald als Ziel herauskristallisierte, war mehr als nur Unterrichtsmaterialien für Volksschulen anzubieten. Wir spürten, dass es höchst an der Zeit sei, sich über eine Verjüngung der Heimatforschung Gedanken zu machen und vielleicht sogar an einer Neupositionierung zu arbeiten zu beginnen, also den Fokus radikal auf nächste Generationen zu richten: So wie es Wirtschaftsunternehmen offensiv tun und wie es gesamtgesellschaftlicher Mindeststandard ist, nämlich fit für die Zukunft zu sein. Dabei geht es darum, das richtige Maß an Niederschwelligkeit zu finden, um die Kunst der Vergegenwärtigung, um den Umgang mit Zeitgemäßen. Museen, Konzertsäle und Theater würden dazu sagen: audience developement, also die Selbstbeauftragung, dorthin zu gehen, wo das klassische Zielpublikum und herkömmliche Ansprechpublikum nicht ist, um neue Interessenten zu für seine Kunst zu finden.

Es ist eben nicht mit der technologischen Form getan, Angebote zu digitalisieren und Geschriebenes durch ein modernes Medium zu ersetzen oder durch neue soziale Medien zu transportieren. Sondern es ist notwendig, Mentalitäten zu verstehen und sich verständlich zu machen, interessant zu werden und doch authentisch zu bleiben, kurz: einen partizipativen Prozess zuzulassen.

Wie kann man Kinder in ihrer Entwicklung zu Heimatforscher_innen unterstützen“, wurde zur Leitfrage? Und daran schlossen sich bald einige andere an: Was können wir ihnen zumuten? Was zutrauen? Wie frei und selbstverständlich schauen sich Kinder um in der Welt? Wie sichtbar sind ihnen die für uns so typischen, wichtigen Dinge in der Region? Was müssen wir ‚Verwurzelte‘ tun, damit uns zugehört wird? Was muss entstaubt werden, damit eine ‚Story‘ erzählt werden kann, die emotional packt? Dabei positionierten wir das „Heimatforschen“ als ein Teil der kulturellen Bildung, als Erstkontakt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen und als eine Möglichkeit der emotionalen Einbindung in eine Region, im Grunde als eine Schlüsselfertigkeit für das Erkennen seiner Welt. Bei Heimatkunde geht es nicht bloß um Landes- oder Ortskunde, denn Heimat soll umfassender, quasi globaler verstanden werden, nämlich als „Welt in unmittelbarer Reichweite“. Und Heimatforschung lebt von der spielerischen Freude, von der Emotionalität. Wir müssen Platz geben, um Emotionen zu schüren, und Platz haben, um Wissen zu vermitteln!

In den Workshops entstanden Modelle, wie jeder Ort für sich selbst, gemäß seinen kulturellen Ressourcen, ein spielerisches Heimatkunde-Vermittlungskonzept realisieren könnte. In einer nächsten Stufe sollten in ausgewählten Gemeinden die praktische Testung bzw. Umsetzung erfolgen. Die Ausweitung der erfolgreichen Prototypen auf das ganze Land ist die logische Konsequenz.

Heimat braucht Menschen, die sie kennen, die sie mögen und die sie gestalten. Den Weg dorthin zu weisen, nennen wir Heimatforschung. Und man kann nie früh genug damit anfangen. Das wurde uns deutlich.

Dann hat Heimatforschung kein Nachwuchs-Problem, dann hat es eine Nachwuchs-Chance! Wenn es wirklich um das Interesse der Kinder und Jugendlichen dafür geht. Sie dürfen nicht bloß als ‚Kunden‘ gesehen werden, die es für traditionelle Tätigkeiten zu gewinnen gilt, sondern als Generation, die eigene Interessen hat, als Menschen, die mit Neugierde gesegnet sind und bereit sind, die Welt, in der sie leben kennenzulernen – auch in deren zeitlichen Dimension – und zu ihr eine positive emotionale Beziehung aufzubauen.

Mag. Siegfried Kristöfl, April 2019

Historiker, Leiter des Ausbildungslehrgangs Heimatforschung
der AVK Oberösterreich

Weitere Informationen zum Projekt siehe:
https://www.nature-of-innovation.com/projekte/heimatkunde-update/