Erinnern für die Zukunft
80 Jahre
FORSCHUNG - GEDENKEN - ZUKUNFT
DAS JAHR 1945
Ausgangspunkt unserer Tagung ist das Ende des Zweiten Weltkrieges vor 80 Jahren. Den Zustand von Chaos, Hoffnung, Angst zu jener Zeit des Kriegsendes beschreibt der Historiker und Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann Instituts für Kriegsfolgenforschung Kurt Bauer in seinem neuen Buch Niemandsland zwischen Krieg und Frieden anhand von lebensgeschichtlichen Erinnerungen.
ERINNERN UND GEDENKEN
Die Gemeinden Mauthausen, Langenstein und St. Georgen an der Gusen haben sich vor 10 Jahren zur Bewusstseinsregion zusammengeschlossen, um an den Orten der ehemaligen nationalsozialistischen Konzentrationslager Mauthausen und Gusen gemeinsam mit ihren BürgerInnen und mit zivilgesellschaftlichen Initiativen einen respektvollen und zukunftsorientierten Umgang mit der Vergangenheit zu ermöglichen.
FORSCHEN UND VERMITTELN
Im Haus der Erinnerung in St. Georgen an der Gusen wollen wir Gedenkinitiativen und die Arbeit von (Heimat-)ForscherInnen, VermittlerInnen und PädagogInnen, die in der Region seit vielen Jahren wirken, kennenlernen und diskutieren. Sie eint das Bemühen, die Ereignisse jener Zeit nicht aus dem Blick zu verlieren, sondern Spuren und Erinnerungen zu sichern, um die Dimension der damaligen Bedrohung auch für künftige Generationen im Bewusstsein zu halten.
Tagungsnachlese
Unter dem Leitthema „Erinnern für die Zukunft“ lud die ARGE Regional- und Heimatforschung OÖ am 26. April 2025 zum Tag der Regional- und Heimatforschung in das Haus der Erinnerung nach St. Georgen an der Gusen ein. In der Bewusstseinsregion Mauthausen – Gusen – St. Georgen engagieren sich zahlreiche Initiativen und Einzelpersonen seit vielen Jahren für die Aufarbeitung und Vermittlung des belasteten historischen Erbes. Sie setzen sich für ein respektvolles Gedenken, eine zukunftsorientierte Bildungsarbeit und einen lebbaren Umgang mit der Geschichte ein – insbesondere für all jene, die heute in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Konzentrationslager leben.
Rund 50 Teilnehmende erhielten an diesem Tag vertiefte Einblicke in diese wichtige Arbeit. Hochkarätige Vorträge, langjähriges zivilgesellschaftliches Engagement, eine herzliche Atmosphäre im Haus der Erinnerung sowie eindrucksvolle Nachmittagsführungen im Heimathaus St. Georgen, zur Ruine Spilberg und zur KZ-Gedenkstätte Gusen – all das nehmen wir für uns von diesem bereichernden Tag mit!
Vorträge
Grußworte
Eröffnet wurde die Veranstaltung mit Grußworten der Bürgermeister Andreas Derntl (St. Georgen an der Gusen) und Thomas Punkenhofer (Mauthausen, Obmann der Bewusstseinsregion) sowie von Kons. Christine Huber, Präsidentin des OÖ Forums Volkskultur. Siegfried Kristöfl, Leiter der ARGE, führte durch das Programm.
Den Auftakt gestaltete Mag.a Andrea Wahl mit einer Einführung zur Entstehung und Arbeit der Bewusstseinsregion. Dieser gemeindeübergreifende Zusammenschluss – getragen von den Gemeinden Mauthausen, Langenstein und St. Georgen sowie zahlreichen Vertreter:innen der Zivilgesellschaft – betreibt mit dem Haus der Erinnerung einen wichtigen Ort der Auseinandersetzung mit der lokalen Geschichte. Neben vielfältigen Veranstaltungen und Ausstellungen wird dort aktuell die neue Ausstellung „Archäologie in der NS-Zeit“ vorbereitet. Sie thematisiert die archäologischen Ausgrabungen eines spätbronzezeitlichen Gräberfeldes im ehemaligen KZ-Gusen, für die auch Häftlinge eingesetzt wurden. Die Schau, eine Kooperation mit dem Naturhistorischen Museum Wien, wird ab 6. November 2025 zu sehen sein.
Prof. Kons. Ing. Rudolf A. Haunschmied widmete sich in seinem Vortrag den „Jahrzehnten grundlegender Forschungs- und Erinnerungsarbeit“ zum Lagerkomplex St. Georgen – Gusen – Mauthausen. Er skizzierte die Entwicklung von der weitgehenden Verdrängung in der Nachkriegszeit bis hin zum Entstehen lokaler Initiativen und internationaler Netzwerke. Seit den 1980er-Jahren dokumentieren Heimatvereine und Forschende in St. Georgen die Lagergeschichte – etwa durch Beiträge in den St. Georgener Heimatblättern, durch Gedenkveranstaltungen oder historische Wanderungen. Mit dem Gedenkdienst-Komitee Gusen, dem Portal www.gusen.org, internationalen Publikationen und neuen Gedenkorten wie dem Memorial Gusen wurde in den letzten Jahrzehnten ein dichtes Netzwerk aus Engagierten und Interessierten an der Erinnerungsarbeit geknüpft. Haunschmied betonte insbesondere die zentrale Rolle der lokalen Heimatforschung als Ausgangspunkt für internationale Studien und Projekte.
Der Historiker Dr. Kurt Bauer, Autor zahlreicher Bücher zur österreichischen Zeitgeschichte, widmete sich in seinem Vortrag dem Kriegsende 1945. Basierend auf seiner aktuellen Publikation (erschienen im Residenz Verlag) „Niemandsland zwischen Krieg und Frieden. Österreich im Jahr 1945“ schilderte er eindrucksvoll die Lebensrealitäten dieses Übergangsjahres – zwischen Verzweiflung, Hoffnung und ungewisser Zukunft. Seine Analyse stützt sich ausschließlich auf lebensgeschichtliche Quellen wie Tagebücher, Memoiren und privaten Aufzeichnungen – hauptsächlich aus dem Bestand der Universität Wien. Das Jahr 1945 war, so Bauer, kein radikaler Neubeginn, sondern vielmehr ein „Niemandsland zwischen gestern und morgen“.
Ein weiterer inhaltlicher Schwerpunkt der Tagung galt dem Widerstand im Konzentrationslager. Marlene Wöckinger M.A. und Mag.a Jutta Steinmetz-Walz stellten das Leben und Wirken von Papa Johann Gruber vor, dessen Todestag sich am 7. April 2025 bereits zum 81. Mal jährte. Der Lehrer und katholische Priester wurde wegen seiner Haltung zum NS-Regime verhaftet und ins KZ Gusen deportiert, wo er ein Hilfsnetzwerk für Mitgefangene aufbaute. Nach dem Entdecken seiner Widerstandstätigkeit wurde er gefoltert und ermordet. Der Papa-Gruber-Kreis widmet sich heute der Bildungsarbeit auf Grundlage seines Beispiels und möchte mit partizipativen Projekten junge Menschen für Menschenrechte, Zivilcourage und Demokratie sensibilisieren.
Abschließend präsentierte Dr. Christian Dürr, Kurator der KZ-Gedenkstätte Mauthausen, den Beteiligungsprozess zur Neugestaltung der Gedenkstätte Gusen auf den 2021/22 angekauften Grundstücken (Appellplatz, Memorial, „Bergkristall“). Ziel ist ein partizipatives Erinnern, das auf breitem gesellschaftlichem Dialog basiert. Der daraus entwickelte Masterplan bildet nun die Grundlage für eine etappenweise Umsetzung über mehrere Jahre hinweg.
Nachmittagsprogramm
Am Nachmittag besuchte eine Gruppe zuerst das Heimathaus St. Georgen mit seiner lokalgeschichtlichen Sammlung, die auch Objekte aus dem Stollensystem „Bergkristall“ und ein Modell des KZ Gusen enthält. Anschließend wurden die Teilnehmer:innen in der Burgruine Spielberg mit einer historischen Kostümführung (durch „Ritter Robert“) überrascht – die Mitglieder des Burgenvereins vermittelten kenntnisreich die Geschichte der Burg; auch die archäologischen Ausgrabungen auf dem Burggelände durch KZ-Häftlinge wurden thematisiert.
Die zweite Gruppe besichtigte gemeinsam mit Dr. Dürr die KZ-Gedenkstätte Gusen bestehend aus dem Memorial, ehemaligen Offiziersbaracken, dem Appellplatz und dem Schotterbrecher – heute umgeben von Wohnsiedlungen. Der Besuch bot einen tiefen Einblick in die Herausforderungen und Chancen zeitgemäßer Gedenkarbeit.
Dank
Ein herzlicher Dank gilt allen, die zum Gelingen der Tagung beigetragen haben: den Referent:innen und Gästen, dem Team der Bewusstseinsregion, dem Papa Gruber Kreis, dem Heimatverein St. Georgen an der Gusen, der KZ-Gedenkstätte Mauthausen sowie den Freunden der Burgruine Spilberg. Unser Dank gilt ebenso dem Freien Radio Freistadt, das eine eigene Sendung zur Veranstaltung gestaltet.
Hinweise & Literatur
Eine Publikation, die anlässlich des 80-jährigen Gedenkens an die Mühlviertler Menschenjagd überarbeitet und neu herausgegeben wurde, möchten wir zur Lektüre empfehlen:
Struck, Wulf: Das Jahr 1945 und die Mühlviertler Menschenjagd in der Gemeinde Wartberg ob der Aist. Darstellung und Material zur sogenannten "Mühlviertler Hasenjagd". 2. überarbeitete Auflage, Wartberg ob der Aist 2025. Die Publikation steht als Download auf der Website www.gedenken-nie-wieder.at zur Verfügung.
Sehr herzlich möchten wir uns auch beim Freien Radio Freistadt bedanken. Die Vorträge der Tagung sind zur Gänze in vier Sendungen über das Online-Archiv abrufbar.
Elisabeth Kreuzwieser, im Mai 2025