6.–9. Jahrhundert

Oberösterreich im Frühmittelalter

6.–9. Jahrhundert


Nach der Absiedelung der romanischen Bevölkerung aus dem Alpen- und Voralpenraum entstand ein gewisses Siedlungsvakuum auf dem Gebiet des heutigen Oberösterreich. Vornehmlich germanische Stämme siedelten im Alpenvorland bis zur Enns: die Bajuwaren (Baiern). Das Stammesherzogtum der Bajuwaren gehörte formal zum Frankenreich, doch genoss es aufgrund der Schwäche der merowingischen Könige weitgehende Selbstständigkeit.
Die Anfänge der Bajuwaren liegen im Dunkeln. Sie tauchen plötzlich im 6. Jahrhundert in den Quellen auf. Auch archäologisch lässt sich die Herkunft der Baiern nicht endgültig klären. Man spricht daher in der Forschung häufig von den Bajuwaren/Baiern als den „Findelkindern der Völkerwanderung“ (Herwig Wolfram). Vielleicht kam die neue Führungsschicht, die der gesamten Bevölkerung dieses Raumes ihren Namen und ihre Identität gab, aus dem böhmischen Raum. Jedenfalls dürfte die Oberschicht aus dem Geschlecht/Clan der Agilolfinger, die auch den Herzog stellten, sowie fünf weiteren Clans (genealogiae), welche im baierischen Volksrecht (lex Baiuwariorum) Sonderrechte verbrieft hatten, bestanden haben.

Weiters ließen sich die aus Asien stammenden Awaren in Ostösterreich und schließlich slawische Bevölkerungsgruppen in der Steiermark, in Kärnten, Teilen Salzburgs sowie verstreut auch im südlichen Oberösterreich und im Mühl- und Waldviertel nieder; die slawischen Bevölkerungsgruppen waren wiederum von den Awaren abhängig.

Gräberfeld von Linz-Zizlau
Alle frühmittelalterlichen Stammesverbände entstanden aus so genannten Wanderlawinen. Sie stellten somit immer ein Bevölkerungsgemisch dar. Dieser Umstand wird besonders am Gräberfeld von Linz-Zizlau aus dem 7. Jahrhundert deutlich, das diese Vermischung von Kulturen in einem Stammesverband aufzeigt. Nebeneinander liegen Christen und Nicht-Christen, Bajuwaren, Hunnen, Awaren und selbst Personen mit langobardischem und oströmischem Schmuck. Es ist eine Ironie des Schicksals, dass diese Funde während der NS-Zeit beim Bau der Hermann-Göring-Werke, der späteren VÖEST, zutage traten. Die nationalsozialistischen Historiker hatten ganz vehement die „Reinrassigkeit“ germanisch-völkerwanderungszeitlicher Stammesverbände vertreten.

Es ist schwer zu sagen, an welchen Gott die in den Reihengräbern von Linz-Zizlau gefundenen Bajuwaren glaubten. Einerseits weiß man ganz allgemein, dass die Bevölkerung der damaligen Zeit weder rein christlich noch rein heidnisch war, sondern viele Praktiken aus mehreren Religionen vermengte. Auch die Funde aus Linz-Zizlau bestätigen den Synkretismus (Mischglauben) der baierischen Bevölkerung. Auf der einen Seite wurden den Menschen Schmuck und andere Beigaben ins Grab gelegt, um ihren sozialen Status auch für das Leben nach dem Tod zu betonen; ja es fand sich sogar das Grab einer offensichtlich sozial hochgestellten Person, der das Pferd mit ins Grab gegeben wurde. Andererseits wurde in einem Grab ein Goldblattkreuz gefunden.

Um 700 hört die Bestattung in Linz-Zizlau auf, was einerseits mit dem Umstand zusammenhängen könnte, dass die Toten seitdem in der Umgebung einer Kirche begraben wurden - und für eine Kirche im Bereich des Gräberfeldes gibt es bisher keinerlei Hinweise. Andererseits drangen zu dieser Zeit die Awaren aus Ungarn kommend bis zur Enns und vermutlich bis nach Linz vor, sodass man die Wohnsitze lieber auf den leichter zu verteidigenden Römerberg verlegte.

Das Herzogtum der Bajuwaren im Südosten des Frankenreiches dehnte sich im 7. und 8. Jahrhundert bis zur Enns aus. Der Kern des Awarenreiches reichte von Ungarn bis zum Wienerwald, der westliche Teil des heutigen Niederösterreichs bildete eine Art Pufferzone. Allerdings war dem Missionar Rupert Lorch als Missionsplatz um das Jahr 695 schon zu unsicher, sodass er sich lieber nach Salzburg begab. Offensichtlich nahmen um 700 die Awaren auch die Pufferzone immer mehr in Besitz, sodass die Grenze direkt an der Enns und nördlich der Donau vielleicht im Haselgraben verlief.

Eine der tragischsten Gestalten des Frühmittelalters ist die des Baiernherzogs Tassilo. Mit viel Selbstbewusstsein ausgestattet – er war ja immerhin der Vertreter eines fast königsgleichen Herzogsgeschlechts und zudem mit den Karolingern verwandt – wagte er den Konflikt mit den aufstrebenden Karolingern, deren Königtum über die Franken deutlich straffer organisiert war. Tassilo versuchte vor allem auch den oberösterreichischen Raum systematisch zu erschließen, nicht zuletzt durch die Gründung mehrerer Klöster: Schon sein Vater Odilo hatte 748 das Kloster Mondsee gegründet, Tassilo folgte mit der Gründung von Mattsee (in den 760er Jahren) und Kremsmünster (777).

Besonders das weit nach Osten vorgeschobene Kremsmünster wurde zu einem Prestigeobjekt der ganz besonderen Art: Tassilo unterstrich seine herausragende Machtstellung durch eine überaus reichliche Gründungsausstattung, bestehend aus großen Grundstücken, dem weltberühmten Tassilokelch und weiteren liturgischen Geräten.

All diese Klöster wurden rasch zu Bildungszentren und beherbergten überregional bedeutsame Schreibstuben (Skriptorien), in denen zahlreiche wertvolle Handschriften hergestellt wurden, etwa der so genannte Codex Millenarius, eine heute in Kremsmünster aufbewahrte Bibelhandschrift.
Aber auch in der Baukunst wollte Tassilo seine königsgleiche Stellung demonstrieren, etwa indem er in Altötting nahe der heute bayerisch-österreichischen Grenze eine achteckige Pfalzkapelle nach dem Vorbild der Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen errichtete.

Der Machtkampf zwischen Karl dem Großen und Herzog Tassilo endete schließlich im Jahr 788 mit einem Sieg des Karolingers. Karl benutzte dabei eine „Jugendsünde“ Tassilos, um ihm den Prozess zu machen. Im Jahr 763 hatte Karls Vater Pippin zu einer Heeresversammlung nach Lothringen (Ostfrankreich) gerufen, um einen Feldzug zu starten. Tassilo erschien zwar dort mit seinem baierischen Heeresaufgebot, doch als keinerlei militärische Aktion zustande kam, zog der Baiernherzog einfach wieder ab. Karl warf Tassilo deswegen auf einer Reichsversammlung harisliz, frei zu übersetzen etwa mit Fahnenflucht, vor und entzog ihm daher alle Herrschaftsrechte. Tassilo wurde allerdings nicht umgebracht, sondern ins Kloster gesteckt, wo er schließlich 794 starb.

Späte Agilolfingerzeit
Die Verwaltung des Reiches war nur dadurch möglich, dass Karl und seine Nachfolger ihr ganzes Leben im Reich herumzogen und jeweils für einige Zeit in einer seiner vielen Hauptstädte (Pfalzen) die Regierungsgeschäfte wahrnahmen. Einige der karolingischen Pfalzen, etwa Attersee und Mattighofen, liegen im heutigen Oberösterreich.

Anstelle der mächtigen Herzöge setzte Karl enge Gefolgsleute als Grafen ein, die für einen relativ kleinen Verwaltungssprengel zuständig waren. Im Zentralraum Oberösterreichs, dem Traungau, war beispielsweise ein Graf zuständig, der vielleicht zeitweise in Linz residierte. Der König bediente sich auch so genannter Königsboten, die darüber wachten, dass die Gesetze eingehalten wurden.

Am Rande des Karolingerreiches wurden militärisch besonders organisierte Grenzprovinzen errichtet, so genannte Marken. Linz war vielleicht einer der Verwaltungssitze innerhalb der Awarenmark, die nach dem endgültigen Verschwinden des Awarenreiches mehr gegen das immer mächtigere Großmährische Reich (nördlich und östlich des heutigen Weinviertels) und schließlich gegen die Ungarn gerichtet war.

Die Erstnennung von Linz
Der erste Verwalter der unter Karl dem Großen neu eroberten Gebiete in Ostösterreich und in Westungarn war der baierische Graf Gerold, der auch für Linz eine gewisse Bedeutung besitzt: Im Jahr 799 erhielt er vom Passauer Bischof Waltrich die Linzer Martinskirche zu Lehen. In dieser Schenkung wird Linz erstmals unter der Bezeichnung Linze genannt. Allerdings starb Gerold nur wenige Monate nach dieser Schenkung.

Die Urkunde zur Erstnennung von Linz und der Martinskirche aus dem Jahr 799 lautet im lateinischen Original:
[...] ego Keroldus comes [...] deprecatus sum Uualdrico episcopo quendam capellanum [für capellam?] ipsius [...], ut nobis eam in beneficium concedere deberet ...... hoc est in pago Trungouue in loco, cui vocabulum est Linze, super magno flumine Danubio id est ecclesia, que est constructa in honore sancti ac beatissimi Martini episcopi atque confessoris Christi, cum omni pertinentia vel soliditate sua quicquid ad ipsam ecclesiam vel ad ipso castro aspicere vel pertinere videtur, quem quondam Rodlandus capellanus domni nostri regis in beneficium tenere visus fuit et postea domnus rex ipsum pontificem per suam clementiam ipsam capellam [...] tradidit regendum. [...] Actum ad Treisma [...] in anno XXXII regno Caroloni regi.

Übersetzung:
ich, Graf Gerold [...] habe von Bischof Waltrich [von Passau] eine Kapelle erbeten, auf dass er sie uns zu Lehen gebe. [...] Diese [Kapelle] ist im Traungau in dem Ort, dessen Name Linz ist, über dem großen Fluss Donau, nämlich die Kirche, die zu Ehren des heiligen und seligsten Bischofs und Bekenners Christi Martin erbaut ist, mit allem, was dazugehört, und dem Besitz, was immer sich zu dieser Kirche und zu dieser Burg zu beziehen oder zu gehören scheint, die vordem der Kapellan unseres Herrn Königs, Rodland, zu Lehen gehabt hat. Danach übergab der Herr und König dem Bischof selbst durch seine Huld die Kapelle [...] Vollzogen in Traismauer [...] im 32. Regierungsjahr des Königs Karl [799].

Autor: Christian Rohr, 2009