am 23. 07. 2025 von Siegfried Kristöfl – Anatol Vitouch
Die Graphic Novel „Köglberger. Vom Besatzungskind zur Fußballikone“ ist die Geschichte einer Fußballlegende, die in Sierning begann. Gleichzeitig enthält sie Facetten der Nachkriegsgeschichte Österreichs und ist ein Beispiel für eine Möglichkeit der Vermittlung von Heimatforschung. Mit dieser Behauptung ging Siegfried Kristöfl ins Gespräch mit dem Autor Anatol Vitouch, der dabei auch seine Kollegen Philip Bauer und Eugenio Belgrado vertrat.
Siegfried Kristöfl: Können Sie als Autor mit der Behauptung etwas anfangen, dass das Werk auch „Heimatforschung“ ist?
Anatol Vitouch: Ich bin mir nicht ganz sicher über die genaue Bedeutung des Wortes „Heimatforschung“, aber insofern es impliziert, etwas über die Geschichte des eigenen Landes zu Tage zu fördern, könnte der Begriff schon passen.
Siegfried Kristöfl: Heimatforscher wären unterschätzte Journalisten, behauptete unlängst ein Fachblatt. Damit spielte man auf die Recherche als deren wichtigstes Asset an. Wie weit und tief gingen eure Recherche-Wege für dieses Projekt?
Anatol Vitouch: Weit hatten wir es nicht, weil wir nur mit dem Zug nach Linz fahren mussten, um uns mit Stefan Köglberger, Helmut Köglbergers jüngstem Sohn, zu treffen, der unsere hauptsächliche Recherche-Quelle war und uns insbesondere das Privatarchiv seines Vaters zur Verfügung stellte. Wir hatten das Glück, dass Helmut Köglberger seine ganze Karriere lang Zeitungsauschnitte gesammelt, in Hefte geklebt und mit handschriftlichen Notizen versehen hat.
Tief war die Recherche dann aber auf jeden Fall, insbesondere Philip hat sich richtig in das Material vergraben, auch Statistiken gewälzt und unzählige biografische Fakten überprüft, um ein möglichst komplettes, aber auch anekdotenreiches Bild von Helmut Köglbergers Leben zu bekommen.
Siegfried Kristöfl: Waren diese von Helmut Köglberger gestalteten Hefte der wesentliche Impuls, das Buch in dieser Form und in diesem Tonfall zu erzählen?
Anatol Vitouch: Die Hefte haben uns in jedem Fall die Idee für die dramaturgische Grundstruktur geliefert: Helmut Köglberger klebt die Zeitungsauschnitte ein, versieht sie mit handschriftlichen Notizen und durchlebt dabei noch einmal seine Karriere.
Siegfried Kristöfl: Wie tief geht eine Recherche? Wann stoppt man: Wenn man die richtige Story hat, wenn man ausrecherchiert hat, wenn der Zeitrahmen limitiert ist?
Anatol Vitouch: Ich glaube, Philip würde heute noch recherchieren, wenn wir keinen Zeitrahmen gehabt hätten ;-) Aber es war klar, dass wir für das Projekt aufgrund der Planung des Verlags nur ein Jahr Zeit haben – und zwar quasi von der ersten Idee bis zum fertigen gedruckten Buch. Da wir alle drei aufgrund anderer beruflicher Verpflichtungen nicht Vollzeit am Buch werken konnten, war das ein ziemlich straffer Zeitplan. Dadurch war klar, dass die Recherche im Kern nach ein paar Monaten abgeschlossen sein musste, damit Zeit fürs Schreiben und – vor allem! – fürs Zeichnen bleibt: Eugenio hat über Monate täglich mehrere Stunden gezeichnet und koloriert, damit das Buch rechtzeitig fertig wird.
Siegfried Kristöfl: Welche weiteren Quellen habt ihr angezapft? Habt ihr auch Interviews mit Spielerkollegen, Vereinsfunktionären, Schiedsrichtern, Fans geführt?
Anatol Vitouch: Es ging uns schon sehr stark um Helmut Köglbergers eigene Perspektive auf sein Leben, das war wie gesagt auch bald der dramaturgische Rahmen, den wir uns gesetzt haben. Daneben gab es Stefans persönliche Erinnerungen an seinen Vater, die „offizielle“ Sportgeschichtsschreibung sowie historische Medienberichte, darunter auch viel Bewegtbild. Informell hat vor allem Philip natürlich noch viele weitere Stimmen dazu gesammelt, er hat Helmut Köglberger ja vor dessen Tod vor Jahren auch einmal selber interviewt.
Siegfried Kristöfl: Wolltet ihr mit Hilfe von Köglbergers Biographie auch die Entwicklung des professionellen Fußballs in Österreich erzählen?
Anatol Vitouch: Das hätte den Rahmen gesprengt. Es war schon wahnsinnig schwierig, aus dem ereignisreichen Leben Helmut Köglbergers nur das auszuwählen, was auf rund 100 Seiten Platz hat. Uns war es außerdem ein Anliegen, kein reines „Fußballbuch“ zu machen, sondern eine Geschichte zu erzählen, die auch für Menschen spannend ist, die gar keine Fußballfans sind.
Siegfried Kristöfl: Kann man über jede Fußballlegende eine Graphic Novel machen? Ist das ein Erfolgsmodell oder braucht es etwas Besonderes in der Biographie?
Anatol Vitouch: Wenn jemand eine Legende ist, impliziert schon der Begriff, dass da eine spannende Geschichte dahinterstecken muss, nur durch Erfolg allein wird man glaube ich nicht zur Legende. Bei Helmut Köglberger kommt aber natürlich dazu, dass Fußball für ihn ein Mittel war, um einen eigentlich völlig unvorstellbaren Aufstieg als schwarzer Bub in einer post-nazistischen Gesellschaft zu schaffen, die ihm sonst kaum Chancen geboten hätte. Das erzählt, glauben wir, sowohl etwas allgemein Menschliches als auch etwas Spezifisches über die österreichische Nachkriegsgesellschaft, das über Fußball hinausgeht – deshalb haben wir uns auch entschieden, sehr dokumentarisch zu arbeiten und Eugenio die historischen Zeitungsauschnitte in vielen Fällen eins zu eins nachzeichnen zu lassen: Weil sich darüber erzählen lässt, wie dieses Nachkriegsösterreich in all seiner Ambivalenz getickt hat.
Siegfried Kristöfl: Der Fußball schreibt die schönsten Geschichten! Das ist eines der vielen Versprechen, die am grünen Rasen eingelöst werden wollen. Was kann das Buch idealerweise bei jüngeren Generationen auslösen?
Anatol Vitouch: Ich hoffe, es ist ein gutes Format, um auch jüngere Menschen für die österreichische (Fußball-)Geschichte zu interessieren und den U-40-Jährigen zu vermitteln, dass die Geschichte schwarzer Fußballer in Österreich nicht erst mit David Alaba begonnen hat ;-)
Siegfried Kristöfl: Habt ihr das Gefühl, dass fiktionale Qualitäten (Dialoge, Zeichnungen) notwendig sind, um Fußballgeschichte zu vermitteln, oder hattet ihr persönlich einfach Lust, lebendige, emotionale Geschichten zu erzählen?
Anatol Vitouch: Unser Zugang war von Anfang an, dass wir eine Graphic Novel machen wollten, einfach weil wir Lust hatten, uns in diesem Format zu erproben. Ich selbst komme vom fiktionalen Schreiben und es ist nach wie vor das, was mir am meisten Spaß macht und worin ich meine Stärken am besten einbringen kann. Zugleich wollten wir natürlich faktisch so korrekt wie nur möglich arbeiten, bis zu den Details der Trikots oder dem Aussehen der verschiedenen Stadien wurde alles von Philip und Eugenio mehrfach gecheckt, um Fehler zu vermeiden. Auch die meisten Szenen und Dialoge beruhen übrigens auf schriftlich oder mündlich überlieferten Fakten über Köglbergers Leben, auf pure Fiktion haben wir nur an ganz wenigen Stellen zurückgegriffen, wo Lücken in der Recherche gefüllt werden mussten.
Siegfried Kristöfl: Im Nachspann folgen die Fakten. Zu klassischer ‚Geschichte‘ wird das Werk durch die ‚schriftlich formulierten Erklärungen‘ am Schluss des Buchs. Was wären mögliche alternative Darstellungsformen: Ein Buch, ein Artikel, eine Zeitungsserie?
Anatol Vitouch: Man könnte aus bzw. über das Leben Helmut Köglbergers sicher vieles machen, ich glaube aber, die vielleicht etwas unerwartete und daher noch „frische“ Form der Graphic Novel ist ein guter Dreh, um über das fußballhistorisch interessierte Kernpublikum hinauszugreifen.
Siegfried Kristöfl: Wie ist es letztlich zur Umsetzung in dieser Konstellation gekommen?
Anatol Vitouch: Philip und ich sind befreundet, seit ich für die Zeitung „Der Standard“ Schachreportagen schreibe, und wir wollten schon lange gemeinsam an etwas arbeiten. Er ist großer Graphic Novel Fan und Kenner, ich habe szenisches Schreiben an der Filmakademie studiert und danach auch zwei Theaterstücke geschrieben, daher war es logisch, da zu kooperieren. Und Eugenio ist zu uns gestoßen, weil er zufällig zu dieser Zeit dem „Standard“ angeboten hatte, Comics für sie zu zeichnen … das wurde abgelehnt, aber dafür haben wir uns kennengelernt und es war uns schnell klar, dass er der beste Zeichner ist, den wir je finden können.
Siegfried Kristöfl: Warum braucht ein Zeichner einen Partner für eine gute Geschichte oder ist die Erzählung, der Text auch etwas, was nicht jeder kann?
Anatol Vitouch: Eine Graphic Novel basiert auf einem Drehbuch, nicht viel anders als bei einem Film. Der sehr begrenzte Raum der Panels pro Seite muss vor dem Zeichnen genau durchgeplant werden, sonst entsteht keine stringente Geschichte. Wenn das jeder könnte, wäre das für mich recht unerfreulich ;-)
Natürlich liegt die Hauptarbeit, schon rein quantitativ, trotzdem beim Zeichner, denn Eugenio braucht, obwohl er sehr schnell arbeitet, für eine fertige Seite einen ganzen Arbeitstag, während ich die Handlung und die Dialoge einer Seite sehr viel schneller schreiben kann. Dafür muss ich von vornherein den großen narrativen Bogen mitdenken und konstruieren, während er sich Seite für Seite vorarbeiten kann. Eugenio kann jedenfalls umso besser und präziser arbeiten, je besser und genauer die narrative Vorlage ist, wobei da auch viele Feedbackrunden und Abstimmungsprozesse nötig sind.
Siegfried Kristöfl: Zeichner und Texter von Graphic Novels sind eigentlich großartige Vermittler von geschichtlichen Themen. Ist das ein Antrieb als Gestalter? Erkennt man das als seine Aufgabe oder als mögliches neues Segment in seinem Portfolio?
Anatol Vitouch: Ich weiß nicht, ob sie die besten Vermittler sind, aber zumindest ist es eine frische, andere Art der Vermittlung, und das ist immer gut. Ich selber betrachte mich in erster Linie als fiktional arbeitender Schriftsteller, es war das erste Mal, dass ich außerhalb meiner journalistischen Texte so stark recherchebasiert gearbeitet habe.
Siegfried Kristöfl: Wie herausfordernd ist es, ‚Geschichte‘ zu zeichnen: Alltagsszenen zu entwickeln, lokale Details zu finden, die richtigen Farben und Grautöne zu treffen?
Anatol Vitouch: Für Eugenio war es enorm herausfordernd, er ist aber historisch sehr interessiert und gibt keine Ruhe, bis er alle grafischen Details korrekt recherchiert und umgesetzt hat. Gerade bei einem Thema wie Fußball, wo es so viele Menschen gibt, die sich mit den Details sehr gut auskennen, sich genau an Dinge erinnern etc., muss man natürlich besonders aufpassen, nicht peinlich danebenzuhauen. Irgendeinen Fehler haben wir sicher trotzdem gemacht, aber bisher hat uns niemand darauf hingewiesen ;-)
Siegfried Kristöfl: Welche Themen interessieren Sie persönlich aus Ihrem ‚heimatlichen‘ Umfeld und was könnte man daraus machen?
Anatol Vitouch: Wie oben ausgeführt, sehe ich mich in erster Linie als fiktionaler Schriftsteller, der gerne seinen Ideen, Gedanken und Einfällen folgt, ohne allzu viel Rücksicht auf die faktische Welt. Darin fließen eigene Erinnerungen und Biografisches aber natürlich immer ein, bewusst ebenso wie unbewusst. Ich lebe seit meiner Geburt, also seit 41 Jahren in Wien im 3. Bezirk, und das spielt in dem, was ich schreibe, sicher oft eine Rolle und wird das auch in Zukunft noch tun.
Philip Bauer, Eugenio Belgrado, Anatol Vitouch: Köglberger. Vom Besatzungskind zur Fußballikone. Wien, Bahoe Books, 2025, 120 Seiten.
ISBN 978-3-903478-43-5
Preis: € 26,00
Verlag: bahoe books
«Ein interessanter Mann ist Helmut Köglberger. Da es bei unseren Klubs Mode ist, einen Murl zu haben, hat sich nun auch das österreichische UEFA-Team einen zugelegt.» Diese Zeilen waren am 14. Jänner 1964 in einer österreichischen Tageszeitung zu lesen. Köglberger wurde 1946 in Oberösterreich als Sohn eines schwarzen amerikanischen Soldaten und einer Österreicherin geboren. Seine Mutter war wegen der Hautfarbe ihres Sohnes sozial geächtet, den Vater hat er Zeit seines Lebens gesucht – aber nie gefunden. Als Fußballer wurde er mit dem LASK und der Austria Wien österreichischer Meister und Kapitän der Nationalmannschaft.
Anatol Vitouch ist freier Autor und Schachreporter. Philip Bauer leitet das Sportressort des „Standard“. Eugenio Belgrado ist Autor mehrerer Graphic Novels, Maler und Radierer.