Mittelalterforschung

Einleitung

Was ist das Mittelalter?
Mit „Mittelalter“ wird die Epoche von etwa 500 bis 1500 n. Chr. bezeichnet, die zwischen der römisch-griechischen Antike und der Frühen Neuzeit liegt. Die Bezeichnung „Mittelalter“ in seiner lateinischen Form medium aevum stammt aus dem 14. Jahrhundert, als man sich am Beginn der Renaissance in Italien wieder intensiv mit der Antike beschäftigte und sich diese als Vorbild nahm. Die Zeit dazwischen wurde abwertend als „Mittelalter“ bezeichnet, gleichsam als eine kulturell weniger wichtige Zwischenzeit.

Über kaum eine Epoche der Geschichte gibt es mehr Vorurteile als über das Mittelalter. Die Bewertung „wie im dunklen Mittelalter“ muss oft für Dinge herhalten, die als grausam und rückständig angesehen werden. In Wirklichkeit war das Mittelalter nicht weniger schmutzig, grausam oder dunkel als die Neuzeit: So fand etwa der Großteil der Hexenverfolgungen erst in der Neuzeit statt und die hoch aufragenden gotischen Kirchen mit ihren großen, bunten Glasfenstern waren und sind alles andere als dunkel. Die abwertende Bezeichnung „dunkel“ stammt wie der Begriff „Mittelalter“ selbst aus der Renaissancezeit. Damals wurde das schwer verständliche Latein, das auf den Universitäten des Mittelalters für theologische und philosophische Abhandlungen verwendet wurde, als obscurus (unverständlich, dunkel) abgetan.

Das vielleicht prägendste Merkmal für das Mittelalter ist die Herausbildung des Lehenwesens (Feudalwesens): Dieses System von gegenseitigen Abhängigkeiten wird für die Gesellschaft bis in die Frühe Neuzeit typisch. Dabei belehnt der jeweils Nächsthöhere in der Hierarchie seinen direkten Untergebenen mit einem Stück Land oder einem Amt, dem so genannten Lehen (feudum). Ebenso typisch ist die Durchdringung des gesamten Lebens mit dem Gedankengut der christlich-abendländischen (katholischen) Kirche.

Einteilung des Mittelalters
Auch die Untergliederung des Mittelalters ist nicht eindeutig durch bestimmte Jahresangaben zu beschreiben. Es sind meist zwei Systeme gebräuchlich: Die Dreiteilung in Früh-, Hoch- und Spätmittelalter geht vor allem von der Charakterisierung der Herrscherhäuser im mitteleuropäischen Raum aus. Demnach reicht das Frühmittelalter vom Beginn der Herrschaft der Merowinger über das Frankenreich am Ende des 5. Jahrhunderts bis zum Ende der Karolingerzeit (911). Das Hochmittelalter umfasst die Herrschaft der Ottonen, Salier und Staufer im Heiligen Römischen Reich (919-1254). Das Spätmittelalter beginnt mit dem so genannten Interregnum, der kaiser- und teilweise königslosen Zeit im Heiligen Römischen Reich (1254-1273), und dauert bis zum Ende des Mittelalters (um 1500).

In der west- und südeuropäischen Mittelalterforschung setzt sich immer mehr eine Zweiteilung des Mittelalters in Früheres Mittelalter und Späteres Mittelalter (auch Erstes und Zweites Mittelalter genannt) durch. Diese Unterscheidung berücksichtigt sowohl verfassungsgeschichtliche als auch soziale Aspekte, die  für Mitteleuropa, aber auch für Westeuropa Gültigkeit besitzen. Im Laufe des 13. Jahrhunderts vollzogen sich entscheidende Veränderungen, die durch das schon erwähnte Interregnum noch verstärkt wurden. Die eigentliche Macht ging im Heiligen Römischen Reich vom Kaiser/König auf die Landesfürsten über. In den aufstrebenden Städten etablierte sich mit dem Bürgertum eine neue Bevölkerungsgruppe, die nicht mehr in das System des Lehenswesens passte. Hingegen wurde die Abhängigkeit der Bauern von ihren Vorgesetzten zunehmend größer. Außerdem bahnten sich in der Zeit ab dem späten 13. Jahrhundert politische, wirtschaftliche, soziale und religiöse Konflikte an, die schließlich zur Ausformung der frühneuzeitlichen Gesellschaft führten.

Abgrenzung des Mittelalters
Die Abgrenzungen des Mittelalters werden heute nicht mehr so klar mit Jahreszahlen umrissen, wie es noch in alten Lehrbüchern der Fall war. Als Beginn des Mittelalters wurde zumeist das Jahr 476 n. Chr. (Absetzung des letzten weströmischen Kaisers) angegeben, als Ende das Jahr 1492 (Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus). Eine derartige Abgrenzung lässt sich allerdings inhaltlich nicht klar begründen. Die Hauptmerkmale, die „das Mittelalter“ ausmachen, finden sich teilweise auch in den Zeiten davor und danach. Sieht man beispielsweise die Durchdringung allen Lebens mit dem christlichen (katholischen) Glauben an, so begänne das Mittelalter eher Ende des 4. Jahrhunderts mit der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion und endete mit dem Jahr 1517, dem Beginn der Reformation Martin Luthers. Die Reformation Luthers wiederum hatte für die Umgestaltung der mittelalterlichen Welt zumindest in Mitteleuropa sicherlich mehr Bedeutung als die „Entdeckung“ Amerikas.

Zwischen der Römerzeit und dem Mittelalter liegt als Übergangszeit die Völkerwanderung (375-568), in der sich die staatliche Organisation des gesamten Mittelmeerraumes und weiter Teile West- und Mitteleuropas von einem Großreich, dem Römerreich, zu mehreren kleineren germanisch oder slawisch geprägten Reichen verschob. Während der Völkerwanderungszeit etablierte sich weiters das Christentum zur Staatsreligion im Römerreich und wurde ebenfalls für die neu entstehenden Germanenreiche bestimmend. Auch die Wurzeln des Lehenswesens reichen in die Völkerwanderungszeit zurück, doch kann man hier erst ab dem 8. bis 10. Jahrhundert von einem voll ausgebildeten System sprechen.

In einem längeren Prozess, der in Italien um die Mitte des 14. Jahrhunderts begann und bis in die erste Hälfte des 16. Jahrhunderts reichte, ging das Mittelalter in die Frühe Neuzeit über. Dabei kam es einerseits zu größeren Machtverschiebungen zugunsten oder zuungunsten des Herrschers, andererseits zur Ausformung eines neuen Weltbildes, das nicht mehr Gott, sondern den Menschen in den Mittelpunkt stellte. An die Stelle eines einheitlich christlich-katholischen Abendlandes trat die Glaubensspaltung, die nicht erst 1517, sondern schon am Beginn des 15. Jahrhunderts ausbrach. Die „Entdeckung“ Amerikas schließlich war für die an der Eroberung beteiligten Länder – v. a. Spanien und Portugal, später England, Frankreich und die Niederlande – von herausragender Bedeutung, weniger aber für Mitteleuropa.

Zäsuren in Oberösterreich
Für den oberösterreichischen Raum bedeutete die von König Odoaker bzw. seinem Bruder Hunulf 487/488 verordnete systematische Absiedelung der romanisierten Bevölkerung nördlich der Alpen einen markanten Einschnitt, auch wenn nicht alle Romanen damals das oberösterreichische Alpenvorland verlassen haben dürften. Der Neubeginn des Mittelalters war mit der Landnahme der Bajuwaren und Slawen gegeben. Am Ende des Mittelalters regierten zwei Habsburger als Kaiser im Heiligen Römischen Reich sowie als Landesfürsten im Land ob der Enns, die zu Oberösterreich eine ganz besondere Beziehung hatten: Friedrich III. (1440-1493) verbrachte seine letzten Lebensjahre in Linz und erhob die Stadt 1490 zur Landeshauptstadt, sein Sohn und Nachfolger Maximilian I. starb 1519 in der Burg zu Wels.

Autor: Christian Rohr, 2009