Höfische Kultur

Höfische Kultur im Mittelalter


Repräsentation
Während das alltägliche Leben bei Hofe ziemlich eintönig ablaufen konnte, brachten etwa Hoftage besonderes Leben mit sich. Hoftage hatten eine pragmatisch-praktische Funktion für alle Reichsangelegenheiten, sie waren aber auch Höhepunkt von Fest und Mahl – als wichtige Attribute des höfischen Lebens – und Repräsentation. D. h. der Hof war nicht nur ein funktionaler, sondern auch an sich ein symbolischer Ort für Herrschaft und Macht.
Einige Beispiele mögen dieses Zusammenspiel illustrieren:

Die Hoftage waren vielfach mit einem prunkvollen Einzug verbunden, mit Glanz, Musik, Geschenken, Festmahl für den Adel – gemeinsame Mahlzeiten bildeten einen zentralen Bestandteil höfischen Lebens – und Speise auch fürs Volk. Ein gut dokumentiertes Fest ist das Mainzer Hoffest 1184, anlässlich dessen die Söhne Friedrich Barbarossas zur Schwertleite geführt wurden. Diese war nicht nur für den Status der Kaisersöhne als christliche Ritter von hoher politischer und religiöser Bedeutung, sondern diese Bedeutung wurde durch glanzvolles Auftreten des Adels und aller Stände als reichsrelevantes Ereignis über Tage zelebriert.
In Oberösterreich fand ein vergleichbares prunkvollen Ereignis im ausgehenden Mittelalter statt: Am 26. Mai 1521 heiratete in Linz Ferdinand, der Enkel von Kaiser Maximilian I., Anna, die Tochter des Königs von Böhmen und Ungarn. Im Zuge der Feierlichkeiten wurde auch das so genannte Losensteiner Turnier veranstaltet.

Turniere und Jagden
Der in der Welser Burg verstorbene Maximilian I. war der letzte Kaiser, der diese Art des Hoflebens dementsprechend gewürdigt, zelebriert und in ihrer Funktion der Repräsentation für sich wirksam gemacht hat. Dies geschah u. a. in den ritterlichen Turnieren und in der Jagd. In besonderer Weise wollte Maximilian die Erinnerung an den mittelalterlichen Hof und die (christlichen) Ritter und ihre Werte durch kulturelle Phänomene im Gedächtnis halten, einerseits durch literarische Werke (Weißkunig, Freydal und Theurdank), an deren Entstehung er selbst beteiligt war, und andererseits durch Werke der bildenden Kunst, wie die mit den Triumpfbögen der römischen Kaiser vergleichbare große Ehrenpforte – ein monumentaler Holzschnitt –, den im Druck geplanten Triumphzug und sein Grabmal, den Kenothaph (Scheingrab) in der Innsbrucker Hofkirche. Diese von Maximilian initiierte Memoria eröffnet die Thematik, welche christlich-ritterlichen Werte und Normen sich dem Hof verbunden haben und in welcher (kulturellen) Form sie ihren Ausdruck gefunden haben.

Hof und Literatur
Die Verbindung von Hof und literarischen, allgemein geistig-kulturellen Phänomenen war auf unterschiedlichen Ebenen und in einer Vielzahl von Medien angesiedelt. Wollte man Erscheinungsformen und Funktionen beispielsweise von Bildern auch nur annähernd beschreiben oder nennen, würde das weit über den Rahmen dieses Formats hinausführen. Es sei nur darauf hingewiesen, dass die Freskenausmalung mit Themen aus der Literatur (Burg Runkelstein, Schloss Rodenegg in Südtirol u. Ä.) schon sehr bunte Bilder vom kulturellen Interesse der Herrscher liefert und beredte Zeugenschaft von der Tradition gibt, in die sich das Haus stellen möchte. So sei aus der kulturellen Materialfülle vor allem die Literatur ausgewählt und ihre Relevanz für die Höfe entfaltet. Darüber hinaus sei die Wechselwirkung zwischen Hof und literarischem Text bedacht.

Prachthandschriften
Eine ganz direkte Form der repräsentativen Funktion spielten die Prachthandschriften für einen Hof, für ein Herrscherhaus. Da sind an prominenter Stelle die Prachtevangeliare Kaiser Heinrichs II. (1002-1024) zu nennen, die z. T. Elemente des Kronschatzes bildeten. Diese Evangeliare stellen nicht nur einen großen materiellen Wert dar, sondern zeigen auch das Herrscherpaar in bestimmter Position und vor allem in unmittelbarer Nähe zum Weltenherrscher. So wird die göttliche Herrscher-Legitimation weltlicher Fürsten verdeutlicht.

Auch Prachthandschriften weltlichen Inhalts, wie die Heidelberger Liederhandschrift C, wurden neben ihrem inhaltlichen Schatz sicher auch, wenn nicht zuerst, wegen ihrer optischen Pracht und ihrem materiellen Wert als repräsentatives Gut geschätzt. All dies zielt hauptsächlich auf die Materialität von Literatur ab, es boten aber auch die Inhalte eine Vielzahl von Vernetzung zwischen materiellem, machtpolitischem Hof und dem Hof sowie seinen Protagonistinnen und Protagonisten in der Literatur.

Höfische Etikette
Diese Interdependenzen wurden schon verschiedentlich an konkreten Beispielen vorgeführt. Zuletzt hat dies Christian Schneider unternommen. In Hovezuht untersucht er die literarische Hofkultur und das höfische Lebensideal um Herzog Albrecht III. von Österreich, unter dessen Herrschaft das Gebiet des heutigen Oberösterreich bis zum Hausruck ausgedehnt wurde, und Erzbischof Pilgrim II. von Salzburg (1365-1396). Dies zeigt schon, dass eine Verbindung zwischen realen Normen und Idealen und literarischen Entwürfen vermutet wird. Oder, wie Schneider es selbst ausdrückt, wird „in einem Brückenschlag zwischen literarischem Text und historischem Kontext […] nach einer lebensweltlichen Relevanz gefragt“ (Schneider 2008).
Diese Bedeutsamkeit fügt sich in die stark normativen Tendenzen des Hofes ein, die in Formen der höfischen Etikette sichtbar werden. So war das höfische Leben des Mittelalters mit der Vorstellung vorbildlichen Verhaltens verbunden. Zum höfischen Tugendsystem zählten v. a. zuht (Anstand), maze (Maß halten), milte (Freigebigkeit), muot (edle Gesinnung) und staete (Beständigkeit).

Ästhetisierung und Stilisierung
Die starke Ästhetisierung und Stilisierung des höfischen Lebens bietet Grund und Basis für literarische Gestaltung, deren Ziel auch durchaus pädagogische Anliegen implizieren kann; was nicht ausschließt, dass auch ein ganz anderer Aspekt Movens für literarische Produktivität werden kann, ein kulturelles Unbehagen, das sich in fiktionalen Texten artikulieren kann.

Minnelyrik
Zunächst ist zwischen lyrischen und epischen Texten zu unterscheiden. Ein wichtiges Thema - nicht das einzige - der Lieder ist die Liebe, die minne. Damit kommen die Frauen und ihre Rolle am Hofe ins Spiel. Sie sind für die Entwicklung der höfischen Gesellschaft und ihrer Kultur von hoher Bedeutung, nicht nur der Fürstenhöfe des 12. und 13. Jahrhunderts.

Frauen spielten für das Bildungsleben des Hofs und als Förderinnen von Literatur eine wichtige Rolle. Zu nennen sind hier u. a. Marie de Champagne (um 1145-1198) und Marie de France (1130/1140-etwa 1200), orientierte sich doch die gesamte höfische Kultur gerade an Vorbildern aus Frankreich. Mit dieser Förderung der literarischen Produktion ist eine weitere wichtige Verbindung von Literatur und Hof angesprochen. Freilich waren nicht die Damen allein Mäzeninnen. So gut wie alle heute noch breiter bekannten „Minnesänger“ – Walther von der Vogelweide, Wolfram von Eschenbach, Heinrich von Morungen oder Neidhart – waren von der Unterstützung eines bzw. immer wieder eines anderen Hofes abhängig.

Aber zurück zu den Liedern selbst. In einem wichtigen Teil dieser Minnelieder wird ein Frauenbild sichtbar, das die Herrin auf einen hohen Sockel der Idealität stellt, einer optischen und moralischen Idealität. Diese Überhöhung in Bild und Sprache verweist auf mögliche Wurzeln dieser Frauenverehrung, die Marien-Hymnen, und auf die (pragma-)politische Absicht, in der Herrin des Hofes den ganzen Hof zu preisen. Freilich fand dieser artifizielle Frauenpreis auch bald den ironisierenden Gegenentwurf, beispielsweise in den Neihart-Liedern. Darin wird das minnigliche Geschehen ins dörfliche Milieu verlegt und damit die dörper (grobe, kulturlose Menschen) ebenso dem Spott des Dichters anheimgestellt wie die ursprünglichen Protagonisten, die Damen und Herren bei Hofe.
In lyrischen Texten, u. a. im Sangspruch, werden durchaus punktuell politisch kritische Töne angestimmt. Diese richten sich aber stets gegen einzelne Personen oder Ereignisse, niemals gegen die politischen Strukturen oder gegen religiös-kirchliche Systeme.

Literarisches Ideal
Die epische Literatur ist Erzählung für die Hofgesellschaft, die von Höfen erzählt und noch in ihrer Erzählung der Literatur selbst wieder Raum gibt und damit ihre vielschichtige Relevanz für den realen Hof dokumentiert. In nahezu allen epischen Texten – sowohl im Stoffkreis um König Artus (Iwein, Erek, Parzival, aus dem englischsprachigen und französichsprachigen Raum die Geschichten um König Artus u. a. von Thomas Malory und Lanzelot von Chréstien de Troyes) als auch in den Heldenepen (Nibelungenlied, Kudrun) – spielen königliche und fürstliche Höfe eine zentrale Rolle. So werden der Artus-Hof, der König und seine Ritter zum Idealhof in der Literatur.

In den mittelhochdeutschen Varianten werden im 13. Jahrhundert die Geschichten so erzählt, dass sie diese politische Idealität zum scheinbaren Zentrum der fiktionalen Geschehnisse machen. Im Erek und im Iwein ist der Artus-Hof der Ausgangspunkt des Geschehens, ein Zwischenziel und das letztlich erreichte Ziel.
Im Iwein gestaltet Hartmann von Aue ein wenig anders, dort macht er im Ziel klar, dass der Held seinen eigenen Hof als idealer König finden muss, gerade wenn er vom Artus-Hof seinen Ausgang genommen hat. Iweins Initialzündung den Hof König Artus’ zu verlassen, ist gerade eine Geschichte, die er aus Neugier und Ehrgeiz zum Anlass nimmt, sich in die Abenteuer zu stürzen, die ihm all jene Lehren bescheren, die ihn dann tatsächlich zum arthurischen Idealherrscher formen. So bedeutet, wie Manfred Kern es zusammenfasst: „Zuhören […] im höfischen Roman nicht nur Teilnahme an einem Prozess kultureller Repräsentation, Zuhören bedeutet selbst Arbeit am Höfischen“ (Kern 2002). Diese Kulturarbeit fordert zwar Lernfähigkeit und Bewusstsein ein, stabilitsiert aber grundsätzlich den Gedanken eines funktionierenden, vorbildhaften Hoflebens.

Literarische Normverstöße
Literatur wies aber bereits im Mittelalter verschiedentlich kritisches Potential auf. So erzählt beispielsweise Gottfried von Straßburg die Liebesgeschichte von Tristan und Isolde (entstanden 1210/15), die so gar nicht in die Normen und Regeln der Höfe passen will. Die Liebenden überschreiten fortwährend alle höfischen, rechtlichen und kirchlichen Regeln mit Ehebruch sowieso, aber auch mit Lügen, Irreführungen, Vortäuschungen etc. Literatur überschreitet in diesen Punkten Normen und Tabus und begibt sich in den „Freiraum ästhetischer Erfahrung“ (Kern 2002). Auch Tristan und Isolde spiegeln in der so genannten Minnegrotte ihre eigene Geschichte an jenen der großen antiken Liebenden wie Phyllis und Kanake, Aeneas und Dido – ebenfalls Liebende, die bereits den antiken und noch mehr christlichen Normen (u. a. Selbstmord) zuwiderlaufen. Dennoch werden diese unbotmäßigen Liebenden zu Identifikationsfiguren. Wer, wenn man fragt, sprengt diese höfischen Normen: Es sind eben nur der Künstler und der Narr Tristan, der immer wieder Wege findet, die Regeln des Hofes zu umgehen. Letztlich scheitert der Versuch, außerhalb der Gesellschaft, außerhalb des Hofes zu leben auf allen Ebenen. Tristan und Isolde finden nicht wirklich zueinander, ihre Verbindung bleibt die Kunst, aber das Kunstwerk wird nicht vollendet, Gottfrieds Text bleibt Fragment.

Und all dies wurde der Hofgesellschaft vorgesungen und vorgelesen, hat die Gesellschaft also um eine Mitte versammelt. Ob dies immer nur zu Hoffesten geschah oder einfach an langen Winterabenden, kann nur aus wenigen Textstellen abgeleitet werden. Dass dieses Vorlesen und Vorsingen viele Abende füllte, kann beispielsweise für das Nibelungenlied oder für den Parzival aber ganz sicher angenommen werden.

Autorin: Siegrid Schmidt, 2009