Leben am Eisernen Vorhang

Vaclav Havel, Neujahrsansprache 1990

„Lasst uns selbst und andere lehren, dass die Politik nicht nur die Kunst des Möglichen ist, sondern dass sie auch die Kunst des Unmöglichen sein kann, nämlich, die Kunst, uns und die Welt zu verbessern.“

Von 1948 beginnend wurden die Grenzübergänge samt den Zollämtern teils geschlossen, teils rückgebaut und zu Sperren ausgebaut. Die vielen Nebenwege, auf denen die Bewohner der Grenzregion seit den Zeiten der Monarchie zwischen den Ländern hin- und hergependelt waren, wurden an der Grenze abgeschnitten und unpassierbar gemacht. Die Grenzregionen auf beiden Seiten verödeten. Immer mehr begannen die jungen Leute aus den Dörfern an der toten Grenze auf der Suche nach Arbeit in die Nähe der Städte und Zentren abzuwandern.

Viele Bewohner von Dörfern an der Grenze zur CSSR, aber nicht nur diese, sondern wohl alle Oberösterreicher, empfanden es beinahe so, als würde die Welt an der Grenze zur CSSR aufhören.
Die Dörfer der bis 1945 jenseits der Grenze wohnenden Deutschen ließ man verfallen und zerstörte schließlich die verbliebenen Reste. Die noch vorhandenen Häuser in Grenznähe, etwa die Orte Böhmisch-Kapellen, Glöcklberg und Deutsch- Reichenau, wurden gesprengt und durch Planieren dem Erdboden gleichgemacht.

Die Bewohner der Grenzräume mussten empfindliche wirtschaftliche Nachteile in Kauf nehmen. Viel stärker noch war das psychische Unbehagen. Man wusste, dass es für jedermann gefährlich war, diese Grenze auch geringfügig oder selbst unabsichtlich zu übertreten. Die Festnahme durch die Grenzorgane, eine penible Überprüfung und manchmal sich über Tage erstreckende Einvernahmen durch die kommunistischen Behörden waren die Folge.

Viele Menschen, die den Eisernen Vorhang auf der Flucht vor den Verhältnissen in ihren sozialistischen Heimatländern und in der Hoffnung auf Freiheit und Demokratie zu überwinden versuchten, mussten dafür mit ihrem Leben bezahlen.

Autor: Roman Sandgruber, 2005