Katholische Kirche

Die katholische Kirche in Oberösterreich zur Zeit der Reformation


Die Geschichte der katholischen Kirche im Vorfeld und nach Ausbruch der Reformation in der Region des heutigen Oberösterreich ist von einigen spezifischen Faktoren gekennzeichnet, die eine Beschäftigung mit diesem Territorium während dieser Epoche besonders interessant machen. So gehört das Phänomen, dass das vorreformatorische Frömmigkeitsleben im Land ob der Enns in höchster Blüte stand, und die Tatsache, dass die Menschen desselben Territoriums im Laufe des 16. Jahrhunderts nahezu komplett der altgläubigen Kirche den Rücken zukehrten und evangelisch wurden, zu den fasizinierendsten und in hohem Maße erklärungsbedürftigen Paradoxa.

Klöster und Stifte
Für die religiöse Durchdringung des Landes kam den Ordensniederlassungen die wohl größte Bedeutung zu. Durch zahlreiche Stiftungen von Königen, Bischöfen und adeligen Grundherren wurde das Land ob der Enns im Früh- und Hochmittelalter in eine ausgesprochene Klosterlandschaft verwandet. Die Physiognomie des Landes war ganz wesentlich durch klösterliche Zentren geprägt, die es im Laufe des Mittelalters zu durchaus überregionaler Strahlkraft gebracht hatten. Gerade die alten Orden (Benediktiner, Augustiner) profitierten in großem Maße von den Reformanstrengungen, die von den spätmittelalterlichen Reformkonzilien von Konstanz (1414–1418) und Basel (1431–1449) angestoßen und auch in den österreichischen Klöstern durchgeführt worden waren. Als der Kardinallegat Nikolaus Cusanus 1451/52 die obderennsischen Benediktinerklöster visitierte, konnte er über die Erfolge der so genannten Melker Reform nur staunen. Es war bestens bestellt um Kremsmünster und Lambach, und Mondsee stand geradezu im Ruf eines Reformklosters. In diesen Benediktinerstiften sowie im Chorherrenstift St. Florian und zeitweise auch in Schlägl wurden um 1500 so viel Kultur und Wissenschaft gepflegt, dass man von einem ausgeprägten „Klosterhumanismus“ im Land ob der Enns gesprochen hat, wobei sich diese Situation bald ändern sollte.

Aufblühen der Frömmigkeit
Im späten Mittelalter allerdings erlebte im Land ob der Enns die Frömmigkeitspraxis keine Krise, sondern eine ungeheure Blüte. Man begegnete einer singulären Intensität und einem faszinierenden Reichtum an spirituellen Formen. In allen gesellschaftlichen Schichten wurden in großer Zahl Benefizien und Altäre gestiftet, die Heiligen- und Reliquienverehrung erreichte um 1500 ihren Kulminationspunkt, Prozessionen und Wallfahrten florierten im ganzen Land.

Kirchliche Frömmigkeit am Vorabend der Reformation
Im Zentrum spätmittelalterlicher Frömmigkeit stand die Sorge, für die Zeit nach dem irdischen Leben das Heil und die Gnade Gottes und schließlich die Eintrittskarte ins ewige Paradies zu erwerben. Der Mensch des 15. Jahrhunderts war ganz und gar von dem Glauben erfüllt, dass er während seines Lebens auf Erden sowohl für sich selbst als auch für seine Mitmenschen – lebende wie tote – Werke tun kann, die in der Situation des letzten Gerichtes und im Fegefeuer einmal positiv zu Buche schlagen werden. So wurde auch das Stiftungswesen zum Ende des 15. Jahrhunderts auf die Spitze getrieben: Wer auf Erden mit seinem Vermögen und in authentischer Haltung ein gutes Werk in Form einer Stiftung tat, der konnte im Himmel mit einem entsprechenden Ausgleich rechnen.

Fromme Stiftungen und Wallfahrten
Das alles organisierende Zentrum des spätmittelalterlichen Stiftungswesens bildete die Eucharistie, verstanden als ein Opfer, das der geweihte Priester stellvertretend Gott darbringt. Der heilssüchtige Fromme stiftete nun die Mittel, damit jährlich, wöchentlich oder gar täglich eine Messe „gelesen“ wurde, mit der dann ihm selbst oder den von ihm Bestimmten Gottes Gnade erworben wurde.
Nicht selten finanzierte der Stifter einer Messe gleichzeitig die Errichtung eines dazugehörigen Altars oder gar den Neu- oder Umbau eines ganzen Gotteshauses. Die Mehrzahl der in Oberösterreich erhaltenen spätgotischen Kirchen und Altäre sind in der Zeit zwischen 1470 und 1520 als derartige Stiftungen eingegangen (Das prominenteste Beispiel ist der Flügelaltar von Kefermarkt.). Mit anderem Stiftungsgut wurde die Einrichtung von Kirchen durch Plastiken, Bilder, Fenster, Glocken, Chorgestühl u. a. oder die Feierlichkeit der Liturgie selbst durch Musik-, Licht-, Paramenten-, Wein- und Hostienstiftungen etc. gesteigert.
Schließlich trug der Typ karitativer Stiftungen - wie die Gründung von Spitälern für Kranke und Alte und von Herbergen für Arme und wanderndes Volk - merklich zur Verbesserung der sozialen Verhältnisse im Land ob der Enns bei (Die reichste diesbezügliche Stiftung im Land war das von den Schifern zu Freiling gegründete Spital in Eferding.).  Darüber hinaus gehörten die Heiligenverehrung und das damit zusammenhängende Wallfahrts- und Prozessionswesen zu den prosperierenden Zweigen spätmittelalterlicher Frömmigkeitspraxis (St. Wolfgang, St. Florian u. a.).

Frömmigkeit als „Gradualismus“
Auch wenn diese Frömmigkeit den äußeren Vollzügen große Bedeutung zusprochen hat, heißt das nicht, dass sie nicht in einer zutiefst innerlich empfundenen religiösen Sehnsucht wurzeln konnte. Doch trotz der prinzipiellen Möglichkeit zur Innerlichkeit neigte diese Form von Frömmigkeit nicht selten zu einer wesenlosen Multiplikation spiritueller Übungen, ohne dass sich eine innere Befriedung der Heilssehnsucht eingestellt hätte. Das Verhältnis zu Gott stellte sich auf einer Art Stufenleiter dar, auf der sich der Mensch kraft eigener Anstrengung vom Irdischen durch eine Vielzahl kleiner Schritte auf das Himmlische zubewegen konnte. Es blieb stets eine letzte Unsicherheit, ob man durch all die guten Werke tatsächlich auf der letzten erlösenden Stufe war.

Kritik Luthers
Genau hier setzte die Kritik Martin Luthers an. Er, der lange Zeit selbst im System der Werkfrömmigkeit gelebt hatte, darin aber nie zur Ruhe gekommen war, dekonstruierte den Glauben an die Erlösungsrelevanz guter Werke und hob stattdessen hervor, dass aus der verderbten Menschennatur nichts kommen könne, was einen wirklichen Beitrag zur Rechtfertigung des Sünders leiste. Allein auf Glaube und Gnade und das Wirken Christi komme es an.
Mit dieser Kritik hatte Luther nichts wirklich Neues erfunden, sondern konnte anknüpfen an die Klagen der Mystiker und Humanisten, die längst vor der Reformation laut wurden, und an auch in der alten Kirche konkret gelebte Frömmigkeitsstile der Innerlichkeit und Christuszentriertheit (z. B. Devotio moderna).
Für die neuere Forschung stellt die Reformation keine radikale Zäsur dar, sondern steht in komplexen Kontinuitätslinien zur mittelalterlichen Kirche, in der schon durchaus verschiedene Frömmigkeitsstile in spannungsvoller Produktivität miteinander existierten. Neu an Luther war aber, dass er diese Spannung nach einer Seite hin auflöste, den Gedanken der Innerlichkeit und Gnade radikalisierte und ihn als alles organisierendes Zentrum in die Mitte seiner Theologie stellte. Gerade diese Konzentration und Entschlackung übte auf viele Fromme große Anziehungskraft aus. Den Grund jedoch für eine Hinwendung breiter Schichten zur Reformation erblickt man heute nicht in einer Fundamentalkrise oder gar einem Verfall der vorreformatorischen Frömmigkeitspraxis. Vielmehr scheint die radikale Alternative viele plötzlich in ihren Bann gezogen zu haben.

Zusammenbruch des Stiftsungswesens
Nichts führt so deutlich die rasche Rezeption der Lehre Luthers in Oberösterreich vor Augen wie der Zusammenbruch des Stiftungswesens in den 1520er Jahren: Von 1518 bis 1521 fällt die Kurve der Messstiftungen immer rascher und steiler und erlischt, nach einigen Erhebungen zwischen 1522 und 1530, bis 1550 gänzlich.

Keine adäquaten kirchlichen Strukturen
Bis die altgäubige amtliche Kirche auf diesen Umbruch mit einer gewissen Wirksamkeit reagierte, zogen viele Jahrzehnte ins Land. Um Missstände und gewandelte spirituelle Bedürfnisse wahrnehmen und ihnen effektiv begegnen zu können, fehlte es bei den kirchlichen Obrigkeiten nicht nur an Einsicht und Willen, sondern auch an den notwendigen institutionellen Instanzen. Die Organisationsstruktur der Kirche des 16. Jahrhunderts war mit einer adäquaten und raschen Redaktion auf das, was mit Luther über sie hereinbrach, komplett überfordert.
Und obwohl die Diözese Passau – und das Land ob der Enns war kirchenorganisatorisch diesem Bistum untergeordnet – in Zeiten der reformatorischen Krise eine zentrale bischöfliche Macht zur Durchsetzung von Reform und Erneuerung so nötig wie nie gehabt hätte, brachen die Versuche - etwa bei der Neugründung bischöflicher Pfarreien, in denen die Bischöfe selbst Priester bestellen konnten – im Zuge der Protestantisierung Oberösterreichs und des damit einhergehenden Priestermangels vollends zusammen.  

Verfassung des Weltklerus
Eine zentrale Zielscheibe reformatorischer Kritik und ein häufiger Grund, der lutherischen Lehre anzuhängen, war der Zustand des Klerus, der zunehmend einen „Pfaffenhass“ provozierte. An der Spitze des Diözesanklerus stand der Bischof von Passau. Die durchweg aus dem Adel stammenden Bischöfe waren nicht nur geistliche Hirten, sondern auch Fürsten eines Territoriums (Hochstift Passau) und waren von weltlichen Aufgaben und fürstlicher Repräsentation so in Anspruch genommen, dass sie selbst nur sehr selten die höheren Weihen empfingen und für die geistlichen Amtshandlungen (Firmungen, Priesterweihen etc.) Weihbischöfe bestellten. Trotzdem gab es in der zweiten Hälfte des 15. und im frühen 16. Jahrhundert viele pflichtbewusste Bischöfe, die auch allesamt an den besten italienischen Universitäten ausgebildet wurden und zur „Gelehrtenelite“ zählten.

In den kritischsten Jahren jedoch hatte ein ganz und gar weltlicher Fürst die Leitung des Passauer Bistums inne: Ernst von Bayern (1500–1560), dritter Sohn Herzog Albrechts IV. von Bayern, hatte als 17-Jähriger die Regentschaft übernommen und sollte sie bis 1540 innehaben. Von ihm, der zeitlebens nicht einmal die niedere Weihe empfangen hatte, waren Maßnahmen zur Erneuerung des Katholizismus nicht zu erwarten.

Am anderen Ende der klerikalen Hierarchie standen schlecht ausgebildete Pfarrer und Hilfsgeistliche. Kein anderer Faktor dürfte für die Hilflosigkeit der alten Kirche gegenüber dem Eindringen der protestantischen Lehre in die breiten Volksschichten so sehr verantwortlich gewesen sein wie der verheerende Bildungsstand des vorreformatorischen Pfarrklerus. Mit wenigen Ausnahmen bestand die Ausbildung eines gewöhnlichen „Leutpriesters“ (plebanus) bis weit in die Neuzeit hinein darin, dass er im besten Fall bei einem erfahrenen Pfarrer eine Zeit lang in die Lehre ging. Dazu kam, dass im Land ob der Enns – im Gegensatz zu Passau oder Wien – nicht nur ein politisches und kirchliches, sondern auch ein geistig-kulturelles Zentrum in Form einer Universität oder einer theologischen Studieranstalt fehlte.

Eigenkirchenwesen und inkorporierte Pfarren
Von zentraler Bedeutung für das Verständnis der religionshistorischen Entwicklungen im Land ob der Enns ist auch das überkommene, stark ausgebaute so genannte Eigenkirchenwesen. Jede siebte Pfarrkirche Oberösterreichs wurde im 16. Jahrhundert durch den Adel vergeben, bei jeder zweiten war der adelige Grundherr zumindest der Vogt. Als der obderennsische Adel immer stärker mit der lutherischen Lehre sympathisierte, wurden solche Besetzungsrechte zugunsten evangelischer Prediger genutzt, was schließlich für die Protestantisierung der breiten Volksschichten seine Wirkung nicht verfehlen sollte. 
Die Hälfte aller Pfarren des Landes waren jedoch keine solchen Patronatspfarreien, sondern so genannte inkorporierte Pfarren, d. h. Seelsorgesprengel, die von den oberösterreichischen Klöstern und Stiften aus besetzt und versorgt wurden. Darin spiegelt sich einerseits die übergroße Bedeutung, die dem Klosterwesen im vormodernen Oberösterreich zukam; andererseits führt dieser Umstand die relative Machtlosigkeit des Passauer Diözesanbischofs vor Augen, der – wenn er der sich ausbreitenden Reformation durch den Einsatz qualifizierter, gut katholischer Pfarrer hätte begegnen wollen – dies lediglich bei einem Drittel aller Pfarren überhaupt hätte tun können.

Evangelischer Adel - katholische Herrscher
Prägend für den Verlauf von protestantischer Reformation und katholischer Gegenreformation im obderennsischen Landesteil des Erzherzogtums Österreich war schließlich das Faktum, dass während die ständischen Eliten im Laufe des 16. Jahrhunderts sukzessive nahezu komplett protestantisch wurden, die Landesherren aus dem Hause Habsburg jedoch (freilich mit unterschiedlicher innerer Überzeugung) immer der altgläubigen Kirche treu geblieben sind.
Allein mit dem fernen Bischof in Passau und ohne den katholischen Landesherren wäre Oberösterreich ein durchweg evangelisches Land geworden (bzw. geblieben). Und die Abhängigkeit des Landesherren von den protestantischen Eliten fühte wiederum dazu, dass man sich den obrigkeitlichen Rekatholisierungsversuchen lange Zeit erfolgreich widersetzen konnte und auf diese Weise das Land des Kaisers zu den letzten Territorien des Reiches gehörte, in denen gegenreformatorische Maßnahmen begonnen und (noch später) ergriffen wurden.

Autor: Günther Wassilowsky

Der Beitrag basiert im Wesentlichen auf den Ausführungen des Autors im Katalog zur Oberösterreichischen Landesausstellung 2010.