Gotischer Kirchenbau

Kirchenbau zur Zeit der Gotik in Oberösterreich


Oberösterreichs mittelalterliche Architekturlandschaft wird geprägt von Kirchenbauten der Gotik. Über fünfhundert Sakralbauten können in ihrem Kern der Zeit zwischen der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts und der ausgehenden Gotik im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts zugeordnet werden. Die Frühzeit des gotischen Kirchenbaus ist nur schwer fassbar. Dies ist durch die Bauwellen der Spätgotik und des Barocks begründet. Erst ab dem 14. Jahrhundert kann auf eine breitere Denkmälerbasis zurückgegriffen werden. Dabei wird deutlich, dass Oberösterreich kunstgeografisch ebenso komplex gegliedert ist wie seine Entwicklung der politischen Grenzen und seine naturräumlichen Gegebenheiten.

Frühgotik des 13. Jahrhunderts
Stellvertretend für die beginnende Frühgotik im 13. Jahrhundert kann der Umbau der Kirche des passauischen Eigenklosters von Kremsmünster herangezogen werden. Ab 1232 wurde unter Beibehaltung der Grundrissdisposition der gesamte frühromanische flach gedeckte Altbestand zu einer Basilika mit durchlaufenden kreuzrippengewölbten Travéen (Joche) umgestaltet. Den Ostabschluss bildeten drei Polygonchöre, von denen nur die Hauptapsis die Barockisierung überdauerte. Während die Fensterform und die Profilierung der Gewände (seitliche rahmenartige Umgrenzung von Fenstern und Türen im Mauerwerk) noch der Spätromanik verhaftet sind, weisen die Kreuzrippengewölbe, die Höhenproportionen, die Fenstergruppierung und die Strebepfeiler bereits auf gotische Gestaltungselemente hin.

Kennzeichnend für die frühe gotische Phase des 13. Jahrhunderts ist ein architektonisches Spannungsverhältnis zwischen konservativ-spätromanischen und fortschrittlich-gotischen Einzelformen, während sich konstruktive Elemente und die Raumproportionen bereits an den neuen Stilerrungenschaften orientieren.
Als wichtiger Vertreter für die nichtklösterliche Architektur in dieser Zeit ist die Katharinenkirche (Stadtpfarrkirche) in Freistadt zu nennen. Die dreischiffige Pfeilerbasilika (urkundlich 1267 und 1288) mit spitzbogigen Arkaden und schmalen Lanzettfenstern war flach gedeckt und hatte platt schließende Seitenschiffe. Der Verzicht auf eine Wölbung und die Schlichtheit der Wandgliederung erinnern an die Bettelordensarchitektur, während in der Grundrissdisposition Anregungen aus der Zisterzienserarchitektur Böhmens (Hohenfurt, ab 1259) bemerkbar werden.

Das 14. Jahrhundert
Besser erfassbar sind die Bauten ab 1300. Eine bedeutende Rolle kommt dabei den Kirchen der Bettelorden zu. Um 1276/1277 erfolgte die Gründung des Minoritenkonvents in Enns, dem noch im 13. Jahrhundert jene in Wels und Linz folgten. Städtebaulich lagen die Bettelordenskirchen an der Stadtmauer. Die Beliebtheit des Ordens bewirkte unter anderem, dass in vielen Fällen an den Bettelordenskirchen Grab- und Privatkapellen ortsansässiger Herrschaften errichtet wurden.

Nur die Minoritenkirche in Enns behielt im Wesentlichen ihr gotisches Erscheinungsbild. Das flach gedeckte Langhaus erhielt Ende des ersten Viertels des 14. Jahrhunderts den für Bettelordenskirchen typischen Langchor und 1343 die nördlich an das Langhaus anschließende Wallseerkapelle. In der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgte der Umbau des Langhauses zur zweischiffigen, kreuzrippengewölbten Hallenkirche mit einem monumentalen halben Schirmgewölbe am chorseitigen Achteckpfeiler.

Bei der Wallseerkapelle wechselt die zweischiffige Halle zur Dreischiffigkeit, woraus sich eine Verschiebung in der Pfeilerstellung ergibt, die so genannte Quincunx-Architektur. Sie bekommt in der spätgotischen Wölbearchitektur besondere Bedeutung, wobei die Wallseer Gewölbelösung über die Landesgrenzen ausstrahlt (Wallfahrtskirche in Pöllauberg, Steiermark, 1339–1384).

Die Verbindung der Wallseerkapelle mit der Bettelordenskirche hat Parallelen in der ostösterreichischen Architektur, so etwa bei der Dominikanerinnenkirche in Imbach (in der Nähe von Krems), deren Katharinenkapelle mit den Herren von Wallsee-Drosendorf in Verbindung gebracht wird. Die Disposition von Bettelordenskirche und Privatkapelle wurde weiters an der Augustinerkirche in Wien (Kapelle für den Georgs-Ritterorden) verwirklicht, wo ebenfalls die Herren von Wallsee mit Stiftungen beteiligt waren. Der Schaugiebel der Wallseerkapelle ist innerhalb der österreichischen Kapellenarchitektur ein Sonderfall. Die Gliederung der Fassade könnte südböhmische Anregungen (Budweis, Dominikanerinnenkirche, um 1300; Znaim, Niklaskirche, nach 1335) verarbeiten.

Stilistische Vielfalt ist ein Merkmal der Kirchen im Mühlviertel und Machland. Zahlreiche Bauten aus früh- und hochgotischer Zeit sind das Produkt von mehrphasigen Um- und Erweiterungsbauten, woraus sich komplexe Konglomerate von stilistisch unterschiedlichen Baukörpern ergeben. Sie zeigen in der ersten Jahrhunderthälfte vor allem eine gewisse Tendenz zu steilen Raumkonzeptionen und zu scharf profilierten Gliederungselementen.

In der 2. Hälfte des 14. Jahrhunderts nimmt die Bautätigkeit allgemein zu und es werden neue Sakralbautypen aus den angrenzenden Ländern übernommen. In St. Peter bei Freistadt entsteht um 1370 mit der Kalvarienbergkirche eine Gruft- und Allerheiligenkapelle, welche als quadratischer Einstützenraum konzipiert ist. Der Bautypus und die architektonische Gliederung verraten den Einfluss der Parler-Architektur, die Dreistrahlfiguration im Gewölbe findet zeitgenössische Parallelen in der Spitalskirchenarchitektur Böhmens (Prag, Servitenkirche).

Im Inn- und Hausruckviertel kommt gegen Ende des 14. Jahrhunderts der Einfluss der bayerisch-salzburgischen Bauhütten zum Tragen. Der Initialbau in Bayern ist St. Martin in Landshut, seit 1389 eng mit dem Namen Hans von Burghausen verbunden. Diesem Meister als gleichgestellt sind Hans Krumenauer sowie seine Nachfolger Stephan von Burghausen und Hans Stethaimer zu nennen.

Der 1392 bis 1419 errichtete Chorbau der Pfarrkirche von Pischelsdorf verweist durch seine Verschmelzung von Chor und Langhaus auf Eigenheiten wie in Landshut (Spitalskirche), Straubing (Jakobskirche) und den Chor der Franziskanerkirche in Salzburg. Die stilistische Nähe zur bayerischen Gruppe führte sogar dazu, dass von der älteren Forschung im Chorbau von Pischelsdorf ein direkter Einfluss des Baumeisters Hans von Burghausen vermutet wurde.

Das 15. Jahrhundert
Der bedeutendste Bau auf Innviertler Boden ist die 1417 begonnene und 1430 geweihte Bürgerspitalskirche in Braunau am Inn. Dem einfachen Grundrissschema steht ein völlig neues Raumkonzept gegenüber. Im Langhaus befanden sich ursprünglich drei auf Lücke gestellte Freipfeiler, deren mittlerer 1687 entfernt wurde. Man spricht daher vom Typus der Dreistützenräume. Neu ist das Wölbesystem, das sich aus Rautenschirmen zusammensetzt. Vorläufer ist das Gewölbe der Südvorhalle des Prager Doms (um 1367). Der unbekannte Braunauer Meister geht jedoch durch eine sich auffaltende sechsteilige Rautenfiguration über das Prager Vorbild hinaus und überträgt die Parlersche „Quincunx-Architektur“ auf einen Gesamtraum.

Der Dreistützenraum und die Rautenschirmgewölbe erfahren in der Folge des 15. Jahrhunderts eine nach Osten über das Innviertel hinausgehende Verbreitung, was die Bedeutung des Braunauer Kirchentyps für die spätgotische Architektur Oberösterreichs unterstreicht. Vor allem ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts entstehen im Traun- und Hausruckviertel zweischiffige Anlagen, wie etwa die Kirche von Schöndorf (1476), welche eine beliebig verlängerbare Parlersche Zweiparallelrippenwölbung gegen den Chor mit einem Sterngewölbe enden lassen.

Neben der Spitalskirche von Braunau repräsentiert die dortige Stephanskirche (Stadtpfarrkirche) einen zukunftsweisenden Typus für die spätgotischen Stadtkirchen. 1439 begann der Baumeister Stephan Krumenauer, Sohn des Passauer Dombaumeisters Hans, mit dem Bau. Im Grundrisstypus ist die Abhängigkeit von der Martinskirche in Landshut zu erkennen. Die Staffelhalle mit Einsatzkapellen wird zum Vorbild für zahlreiche spätgotische Wandpfeilerkirchen des bayerisch-österreichischen Donauraums.

Die Zeit um 1430 markiert einen stilistischen Wendepunkt, der sich in einer Verblockung des Außenbaus, in gedrungeneren Raumproportionen und in schwerer wirkenden Baudetails ausdrückt. Durch die immer reicher und komplizierter werdenden Gewölbeformen können einzelne Bauhüttenkreise und ihr Ausstrahlungsbereich differenziert werden. Ist es im Westen Oberösterreichs der Einfluss der Hütten von Burghausen, Passau und teilweise Salzburg, so wird im Osten gegen die Jahrhundertmitte die Bauhütte von Wien bedeutend.

Der Bau der Stadtpfarrkirche von Steyr ist Anlass für die Gründung einer „Viertellade“ der Wiener Bauhütte. Der Überlieferung nach begann Hanns Puchsbaum 1443 mit der Ausführung des dreischiffigen Hallenchores nach dem Vorbild des Wiener Albertinischen Chores. Die drei Puchsbaum nachfolgenden Baumeister (1454 Mert Kranschach, 1483 Wolfgang Tenk, 1513 Hanns Schwettichauer) hatten unter anderem Beziehungen zur Hütte der Rosenberger in Tschechien und der Bauhütte von Admont. Diese Abfolge von Meistern verschiedener Bauhütten lässt die komplizierten Zusammenhänge, die sich aus der Mobilität spätgotischer Baumeister und Steinmetzen ergeben, erahnen. Die in Steyr entwickelten dekorativen Gewölbefigurationen mit Kassetten und Bogenquadraten wurden zur Leitform der Steyrer Bauhütte und sind gleichsam ein eigenständiger Beitrag zur oberösterreichischen Gewölbeentwicklung.

Von Großbauten wie der Steyrer Stadtpfarrkirche verlagert sich das Baugeschehen in der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts rasch zum Landkirchenbau, der so zu einem Experimentierfeld neuer Bauformen und ein wichtiger Faktor der Erneuerung wird.

Der um die Mitte des 15. Jahrhunderts einsetzende Aufschwung in der Bautätigkeit erfasst den Hausruck, den Traungau und das Ennstal. Im Mühlviertel bildet sich um die Kirchenbauten von Freistadt und Kefermarkt ein weiteres Zentrum reger Bautätigkeit, das in der Folge bei der Weiterentwicklung der Bogen- und Schlingrippenfigurationen einen bedeutenden Beitrag leistet.

In der Klosterbaukunst des 15. Jahrhunderts gibt es neben fortschrittlichen Strömungen auch traditionell ausgerichtete Bauten. So verhielt sich etwa die Zisterzienserbaukunst in Oberösterreich verhältnismäßig konservativ, denn der Chor der Stiftskirche von Baumgartenberg wurde 1436 bis 1446 durch einen modifizierten Umgangschor nach dem 90 Jahre älteren Vorbild des Zwettler Hallenchores erneuert.

Starken Einfluss hatte die vom Benediktinerstift Melk 1418/1419 ausgehende Reformbewegung, der sich in Oberösterreich die Klöster Mondsee und Lambach anschlossen. Im Sinne dieser so genannten Melker Reform wählte man für den 1470 begonnenen Bau der Klosterkirche Mondsee anstelle der in der Spätgotik üblichen Halle die Basilika und verschmolz Bibliothek und Presbyterium zu einer am Außenbau als Doppelchor erscheinenden Einheit. Der Zugang vom Chor zur Bibliothek erhielt 1488 ein reich ausgeschmücktes Figurenportal. Stilistische Merkmale bei den Gewölben und andere Details belegen die engen Zusammenhänge mit dem Burghausener Kreis und mit der Salzburger Franziskanerkirche (Stephan Krumenauer).

Von Mondsee und dem Burghausen-Krumenauer-Kreis sind eine Reihe von Kirchen abhängig, darunter jene von St. Wolfgang, einem der wichtigsten Wallfahrtsorte in Oberösterreich. Es entstehen regionale Bauhütten wechselnder personeller Zusammensetzung, welche im Attergau und bis in den Raum Vöcklamarkt bis ins frühe 16. Jahrhundert eine rege und vor allem innovative Tätigkeit entwickeln. Charakteristika dieser Gruppen sind sorgfältige steinmetzmäßige Verarbeitung der architektonischen Details und die Übernahme von Motiven aus der Kerbschnittechnik als Dekorationsmittel. Dies kommt nicht zuletzt an den reich ausgestatteten Portalen zum Ausdruck.

Das 16. Jahrhundert
Neben der dekorativen Komponente, die oft mit Stilbegriffen wie Endgotik, Donaustil und Barockgotik bezeichnet wird, ist die seit den80er Jahren des 15. Jahrhunderts auf breiter Basis einsetzende Dynamisierung der Gewölbe wichtig, wobei oft gegensätzliche künstlerische Lösungen gefunden werden.
So erinnert der Chor der Kefermarkter Pfarrkirche (um 1490) in seiner Steilheit und Raumdispositionierung an jenen der Pfarrkirche von Freistadt, dessen Sternrippenwölbung zur Gänze aus geraden Rippenzügen gebildet wird. Zur gleichen Zeit entstand der Chor der Pfarrkirche von Hirschbach. Hier sind jedoch die Rippenzüge gleichsam dynamisch aufgerissen und die Rautenkappen dekorativ mit Maßwerkformen gefüllt.

Die völlige Auflösung gerader Rippenzüge in Kurven wird bei dem vom Freistädter Stadtbaumeister Mathes Klayndl erbauten Chor der Stadtpfarrkirche von Freistadt (1483–1501) erreicht. Dieses früheste, voll ausgebildete Schlingrippengewölbe Oberösterreichs zeigt weiträumig angeordnete Rippen aus Kreisbögen, die sich im Gewölbescheitel zu kurvigen Rippensternen formieren. Direkt vergleichbar ist das von Benedikt Ried entworfene Schlingrippengewölbe im Wladislawsaal der Prager Burg. Neuere Forschungen halten deshalb in Freistadt sogar eine direkte Autorenschaft Benedikt Rieds für möglich, wobei sich Klayndls Anteil auf die Ausführung beschränkt hätte.

Der Raumeindruck dieser im Grundriss oft einfachen Bautypen wird darüber hinaus wesentlich vom Spannungsverhältnis zwischen Stütze und Wölbung bestimmt. Ein Höhepunkt bei der Verschmelzung und Dynamisierung von Stütze und Wölbung wurde mit dem Langhaus der Pfarrkirche von Königswiesen verwirklicht. Die völlige Abkehr von jochbetonenden Rippenmustern und die freie expressive Verschlingung der Rippen um die gekehlten Polygonalpfeiler bewirken eine fast eruptive Dynamik, welche die Pfeiler wie Fackeln im Raum stehen lassen.

Dieser Verschmelzung von Stütze und Wölbung geradezu diametral entgegengesetzt erscheint die Langhauswölbung der etwa gleichzeitigen Pfarrkirche von Pabneukirchen (1510-1520). Die schwere Schlingrippenwölbung lastet einem Deckel gleich auf den Pfeilern. Die Rippenzüge entwinden sich nicht allmählich dem Pfeiler, wie in Königswiesen, sondern verstäben sich blockartig um den Pfeilerkopf und formen so genannte Kastenkapitelle.

Mit dem ausgehenden ersten Viertel des 16. Jahrhunderts endet diese manieristische Phase der oberösterreichischen Gotik, wobei in den Gewölbeformen zunehmend eine Verfeinerung und dekorative Verschleifung der Profilformen und Figurationen auftritt. Mit dem Aufkommen der Reformationszeit verlagert sich das Baugeschehen vom Sakralbau zum Profanbau, der sich zunehmend den Stilformen der Neuzeit bedient.

Autor: Rudolf Koch, 2009