Vom Hunger
zum Massenkonsum

Produktion dauerhafter Konsumgüter in Oberösterreich
In Oberösterreich fehlten in den Bereichen „dauerhafte Konsumgüter“, die im Wirtschaftswunder den Schritt bestimmten, sowohl die Wachstumsbranche Haushaltsgeräte, als auch die Wachstumsbranche PKW-Erzeugung. Die Bedeutung der Bereiche Textil-Bekleidung-Leder nahm in den sechziger Jahren zu, vor allem im Mühlviertel und im Seengebiet. Man sprach von der Hemden-, Hosen- und Schuhfabriksgründungswelle. Weibliche Arbeitskräfte, für die es in Oberösterreich zu wenig Beschäftigungsmöglichkeit gab, konnten nunmehr vermehrt unterkommen. Symptomatisch ist der Name Müller-Wipperfürth, der 1961 in Neufelden eine Hemden- und Hosenfertigung auf die „grüne Wiese“ stellte, die 1964 bereits über 700 Beschäftigte, vorwiegend Frauen, zählte. Die große Reserve an weiblichen Arbeitskräften, über die Oberösterreich verfügte, begünstigte die Ansiedlung dieser „Leichtindustrien“. Vom Bauboom profitierten auch die Zulieferindustrien, Zement, Eternit, Ziegel etc.

Auch einige oberösterreichische Innovatoren konnten die Nachfrage nach dauerhaften Konsumgütern erfolgreich nutzen, etwa die Waschmaschinenfirma Eudora, die 1947 von Karl Steininger in Wels gegründet worden war, mit der Erzeugung von Holzbottichwaschmaschinen begonnen hatte und sich in den späten 1950er Jahren im Schatten großer Konkurrenten erfolgreich etablieren konnte.

Ebenso konnte die 1948 von der Familie Anger in Traun aufg1960er Jahren wurde bei den Beschäftigten bereits die 1000er-Grenze überschritten und die Brillenfabrik Anger zur Optyl-Carrera-Gruppe ausgestaltet. Die neue Konsumgüternachfrage kam so unterschiedlichen Bereichen wie der nach 1945 gegründeten Interplastik AG in Wels, der Schifabrik Josef Fischer in Ried, der Schlaf- und Sitzmöbelfabrik JOKA-Werke KG in Schwanenstadt oder dem Eumig-Werk in Micheldorf zu Nutzen, das sich auf den boomenden Schmalfilmbereich der 190er und 1970er Jahre stützte.

Ess- und Fresswelle
Zur ersten großen Welle des Massenkonsums seit Ende des Zweiten Weltkrieges kam es zu Beginn des „Wirtschaftswunders“: Gutes und reichhaltiges Essen sollte zu den Zeiten des beginnenden Wohlstands die Erinnerung an die kargen Mangeljahre der Nachkriegszeit verblassen lassen. Nicht zufällig stammt der Begriff des „Wohlstandsbauchs“ aus dieser Zeit, und die steigende Zahl der Herzinfarkte durch Fettleibigkeit und fettreiche Kost ist ebenfalls zeitlich hier angesiedelt. Mit der Fülle des Angebots ging eine erste Exotisierung der Esskultur einher, die auf einer Sehnsucht nach der Ferne beruhte und diese zugleich verstärkte. Zwar waren Fernreisen für den Großteil der Mittelstandsbürger zu Beginn der 50er Jahre noch unerschwinglich, auf dem Teller aber war für Hawaii in Form einer Ananasscheibe auf dem Toast oder Schnitzel doch – wenn auch nur zu besonderen Anlässen – Platz. Außerdem stellte der Genuss derartiger Speisen und Genussmittel die Verkörperung des angestrebten "American Way of Life" dar.

Vom Greißler zur Selbstbedienung
Eine wesentliche Veränderung von Einkauf und Konsum ergab sich durch die neue Vertriebsform der Selbstbedienung. Nach – dort bereits seit den 1930er Jahren praktiziertem – amerikanischem Vorbild begann sich gegen Ende der 1940er Jahre auch in Westeuropa ein neues Verständnis zu etablieren, demzufolge Konsum auch für die Mittelschicht ein leistbares und selbstverständliches Grundrecht mit der Möglichkeit einer freien Auswahl aus einer breiten Palette sein sollte. Als erstes nutzten in Österreich die Konsumgenossenschaften die erstarkende Kaufkraft der Bevölkerung für die neue Vertriebsform der Selbstbedienung. Die Eröffnung des ersten Selbstbedienungsladens Österreichs am 27. Mai 1950 im COOP-Gebäude in Linz war eine Sensation. Radio und Presse berichtete eifrig über die neuen Möglichkeiten des Einkaufs, die für die meisten Konsumenten eine vollkommen neue Erfahrung darstellten. Weitere Selbstbedienungsläden entstanden kurz darauf in Graz, dann folgte ein zweites Selbstbedienungsgeschäft in Linz und erst im Dezember 1950 eröffnete in der Hütteldorferstraße der erste Wiener Selbstbedienungsladen.
Selbstbedienungsläden und Supermärkte, die auf größere Verkaufsflächen, breites Angebot und freie Produktauswahl setzten, sind das Symbol der entstehenden Konsumgesellschaft schlechthin. Für die Kunden ergab sich – so das häufigste Argument der Werbung – der Vorteil der Zeitersparnis und durch die freie Auswahl aus einer schier unerschöpflichen Fülle an Produkten und Marken auch ein Qualitätsgewinn. Bis es zur tatsächlichen, langfristigen und breit gestreuten Durchsetzung dieser neuen Vertriebsschiene kam, vergingen jedoch noch einmal fünfzehn bis zwanzig Jahre. Dennoch hatte mit der Einführung der neuen Selbstbedienungs- und Supermärkte das Greißlersterben bereits in den fünfziger Jahre seinen Anfang genommen.

Die Selbstbedienung, anfangs nur zögernd aufgegriffen, machte erst ab Ende der fünfziger Jahre größere Fortschritte. Während 1959 in Oberösterreich erst 180, 1960 etwa 450 und 1963 640 Selbst- oder Teilselbstbedienungsläden gezählt wurden, gab es 1966 schon über 1000 Geschäfte dieser Art, von denen etwa ein Viertel auf selbständige Kaufleute und drei Viertel auf freiwillige Zusammenschlüsse oder Ketten, einschließlich Konsumgenossenschaften entfielen.

Neue Materialien – Neue Mode – Der Wunsch nach Internationalität
Die zweite Welle, die nach dem Stillen des ersten Hungers breite Gesellschaftsschichten erfasste, fand im erhöhten Konsum von Mode- und Bekleidungsstücken ihren Ausdruck. Nach den Jahren der Entbehrung, des Stopfens und des zerschlissenen Materials, war der Wunsch nach neuer, ordentlicher Kleidung groß und nun leistete man sich diese auch. Die Kleidung als Indikator des sozialen Wohlstands sollte das Ansehen steigern. Insbesondere illustrierte Frauen- und Modezeitschriften fungierten als Vorbild und Sehnsuchtsproduzent für modische Kleidung.

Ein wesentliches Kennzeichen der im entstehen begriffenen Konsumgesellschaft ist die Kurzlebigkeit der Produkte, die in der raschen Vergänglichkeit von Moden und Trends ihren Ausdruck findet: Galten beispielsweise Nylonstrümpfe noch 1950 als der pure Luxus, für die man vom wenigen Haushaltsgeld sich einzelne Schillinge und Groschen absparte, so war das Tragen der hauchzarten Strümpfe aus dem glänzenden Material bereits wenige Jahre später zur Selbstverständlichkeit geworden. Mit der massenhaften Produktion sank ihr Preis und mit dem Preis wich schließlich auch der erotische Mythos dieser Strümpfe.

Nicht nur Überfluss …
Nicht alle Familien – wie häufig suggeriert – lebten in der überstandenen Nachkriegszeit tatsächlich im Überfluss. Zwar reizte in den Geschäften das Angebot, aber durch das noch immer karge Haushaltsbudget waren aufwändige Gerichte in den 50er Jahren nur in gesellschaftlichen Runden seltene Gäste. Auch die Accessoires jener Zeit zeugen von der gelebten Sparsamkeit: Brezelständer beispielsweise, auf denen nach mühsamer Anordnung zwanzig kleine Knabberbrezel Platz fanden, sind nicht nur schöner Tischdekor sondern auch Ausdruck einer gewissen Sparmanier und mangelnder Fülle. Die Wirtschaftlichkeit und Haushaltsführung oblag der Frau; sie hatte darüber penibel Buch zu führen. Spartipps und spezielle Ratgeberbroschüren sollten die Frau in ihrer Sparsamkeit  und Haushaltsführung unterstützen.

Verwendete Literatur siehe Bibliografie.
Redaktionelle Bearbeitung: Elisabeth Kreuzwieser, 2005