Flüchtlinge
und Vertriebene

Oberösterreich wurde während und unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg zum Ziel von Flüchtlingen und Vertriebenen. Menschen aus Reichsteilen, die frühzeitiger in die Reichweite der alliierten Fliegerangriffe kamen als die Alpengebiete, wurden aus ihren zerbombten Städten nach Oberdonau evakuiert. Flüchtlinge aus den östlichen Reichsgebieten wie Ostpreußen und Schlesien gelangten auf der Flucht vor der Roten Armee bis nach Oberösterreich. Eine Sonderstellung nahmen die Südtiroler ein. Sie verließen zum Teil aufgrund eines Abkommens zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini ihre Heimat, da sie vor die Wahl gestellt wurden, entweder für Deutschland zu optieren oder sich in Italien zu assimilieren. Die Nationalsozialisten planten ihre Ansiedlung in Gebieten im Osten Europas wie Galizien oder Polen. Der Großteil der Südtiroler kehrte nach dem Zweiten Weltkrieg in seine Heimat zurück. Wer allerdings in Österreich verblieb, wurde der einheimischen Bevölkerung rechtlich komplett gleichgestellt.

Volksdeutsche
Anders verlief diese Entwicklung bei den Volksdeutschen. Unter diesem Begriff verstand man deutsche Bevölkerungsgruppen, die nach dem Ersten Weltkrieg außerhalb der Grenzen Österreichs und des Deutschen Reiches lebten. Ihre Siedlungsgebiete lagen vor allem in Ost- und Südosteuropa. Die Nationalsozialisten instrumentalisierten die Existenz der deutschen Minderheiten in anderen Ländern für ihre Macht- und Expansionspolitik. Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei, Polens und Jugoslawiens wurden Teile dieser Staaten, in denen deutsche Bevölkerungsgruppen lebten, direkt dem Reichsgebiet angegliedert. Die Grenzen Oberdonaus umschlossen beispielsweise auch die angrenzenden sudetendeutschen Gebiete der Tschechoslowakei.

Ziel der nationalsozialistischen Politik war es, die eroberten Gebiete in Osteuropa einzudeutschen. Die nicht-deutsche Bevölkerung wurde zum Teil vertrieben und deportiert, an ihrer Stelle wurden Volksdeutsche angesiedelt. Bis zum Frühjahr 1941 kamen auf diese Weise Volksdeutsche aus den baltischen Staaten, den von der UdSSR annektierten ostpolnischen Gebieten, aus Bessarabien, der Bukowina und Dobrudscha in die vom Deutschen Reich eroberten polnischen Gebiete. Nach der Zerschlagung Jugoslawiens und dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion folgten weitere Volksdeutsche aus diesen Gebieten.

Volksdeutsche in Oberdonau
Oberdonau war von den Umsiedlungen seit Herbst 1940 betroffen. 10.000 Volksdeutsche, großteils aus Bessarabien und der Nordbukowina, wurden von der Volksdeutschen Mittelstelle (VOMI) unter SS-Obersturmbannführer Sepp Wolkerstorfer in ungefähr 60 Umsiedlerlagern untergebracht. Sie befanden sich in Stiften, Schlössern, Schulen, Heimen, Kasernen und Barackensiedlungen. Ursprünglich war der Aufenthalt der Volksdeutschen in den Lagern als Zwischenstation gedacht, für manche von ihnen wurden sie aber zum dauernden Aufenthaltsort. Die Einteilung der Umsiedler erfolgte in drei rassisch und politisch definierte Kategorien: Als O-Fälle galten rassisch wertvolle Volksdeutsche, die sich in den eroberten Ostgebieten ansiedeln sollten, als A-Fälle diejenigen, die für eine Ansiedlung im Deutschen Reich vorgesehen waren und die S-Fälle umfassten Sonderfälle, die als fremdstämmig eingestuft und in ihre Heimatländer zurückgebracht werden sollten.

Die Fluktuation in den Lagern war durch Weiterreisen in die geplanten Ansiedlungsgebiete und die Ankunft von Neuankömmlingen hoch. Nachdem das Ausmaß der Umsiedlungen seit 1942 zurückging, bis sie 1944 schließlich ganz zum Erliegen kamen, leerten sich auch die Umsiedlerlager in Oberdonau. Kurz vor Kriegsende lebten in den Lagern noch 3000 Personen, die für die Umsiedlung vorgesehen waren und nicht mehr weiterreisen konnten, und über 5000, die direkt in Oberdonau angesiedelt werden sollten. Von den Einheimischen wurden die Volksdeutschen großteils als Fremde angesehen und auch angefeindet. Die von den Nationalsozialisten propagierte deutsche Volksgemeinschaft erwies sich im täglichen Leben oft als leere Phrase.

Mit der Niederlage in Stalingrad Anfang 1943 und dem Scheitern der deutschen Sommeroffensive begann die Flucht der Volksdeutschen aus der Sowjetunion, dem Reichskommissariat Ostland und dem Generalgouvernement. Ein Teil der Flüchtlinge kam 1944 auch nach Oberdonau. Seit Oktober 1944 gelangten in einer weiteren Fluchtwelle etwa 60.000 Volksdeutsche aus Jugoslawien, Rumänien und Ungarn nach Oberdonau. Sie wurden in Schulen, Gasthäusern und Barackenlagern untergebracht, die wehrfähigen Männer großteils zur Waffen-SS eingezogen.

Mit Jänner 1945 kamen Flüchtlinge aus Oberschlesien und der Slowakei nach Oberdonau. Sie waren großteils aus der Bukowina und Ostpolen dorthin umgesiedelt worden und nun auf der Flucht vor der Roten Armee. Die Aufnahmekapazitäten in Oberdonau waren zu diesem Zeitpunkt aber schon völlig erschöpft. Die Flüchtlinge mussten in Pfarrhöfen, Kinos, Versammlungssälen und stillgelegten Betrieben, in Eisenbahnwaggons und in Erdhütten untergebracht werden.

Vertreibungen der Volksdeutschen aus ihren Heimatgebieten
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges begannen die Vertreibungen der Volksdeutschen aus ihren Heimatgebieten. Vom Nationalsozialismus für seine Aggressionspolitik instrumentalisiert, wurden sie nun zum Ziel von Gewalt und Entrechtung. Anfang August 1945 beschlossen die Alliierten auf der Potsdamer Konferenz den „geordneten und humanen Transfer“ der verbliebenen Deutschen aus Polen, der Tschechoslowakei und Ungarn. Verantwortlich gemacht für die Brutalität der deutschen Besatzung, artete die „Umsiedlung“ der verbliebenen Deutschen oft in eine gewaltsame Vertreibung aus. Oberösterreich wurde 1945 zum Ziel von vertriebenen Sudeten- und Karpatendeutschen aus der Tschechoslowakei, 1947 und 1948 folgte eine große Zahl von deutschen Flüchtlingen aus Rumänien, Ungarn und Jugoslawien. Zum Teil war Oberösterreich für diese Flüchtlinge nur Durchgangsstation auf ihrem Weg nach Deutschland oder ihrer weiteren Auswanderung nach Amerika, zum Teil wurde es für sie aber auch zu einer neuen Heimat.

Autoren: Josef Goldberger und Cornelia Sulzbacher

Aus: Goldberger, Josef - Cornelia Sulzbacher: Oberdonau. Hrsg.: Oberösterreichisches Landesarchiv (Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus 11).- Linz 2008, 256 S. [Abschlussband zum gleichnamigen Forschungsprojekt des Oberösterreichischen Landesarchivs 2002-2008.]


Weiterführende Informationen

Flüchtlingszüge kommen an - Auszug aus der Pfarrchronik Vorchdorf

"1944 - 15./16. November: Es kommen im Schnee die ersten Flüchtlingszüge aus Siebenbürgen in unserer Pfarre an."

"1944 - 15./16. November: Es kommen im Schnee die ersten Flüchtlingszüge aus Siebenbürgen in unserer Pfarre an. Der Ortsgruppenleiter stellt mir den Führer der Gruppe aus Tschippendorf bei Klausenburg als "Berufskollegen" vor: Der evangelische Pastor, zugleich deren Ortsgruppen- und Schulleiter. 1 Pferd und 22 Wagen werden im Pfarrhof eingestellt. Seine Leute sind völlig falsch informiert und können es nicht verstehen, daß ihr Hitler-Gruß gar so wenig Echo findet. Es handelt sich um eine geschlossene evangelische Pfarrgemeinde von etwa 700 Seelen. Nicht wegen ihrer Glaubensverschiedenheit, sondern wegen ihrer wenig verschiedenen Art, sich zu geben, sind sie im Volk nicht beliebt - einige wenige, die fleissig sind, machen eine angenehme Ausnahme. Andererseits: Wer alles verloren hat, ist begreiflicherweise wenig interessiert an einer geregelten Arbeit; ausserdem sind sie enttäuscht, da sie die versprochenen Höfe nicht vorfinden. Sie beherrschen das Ortsbild und übervölkern zum Nachteil der ortsansässigen, schwer arbeitenden Bevölkerung die Ämter und Geschäftsläden. Dennoch bleibt uns die Christenpflicht der Nächstenliebe, was wir unseren Gläubigen auch immer sagen, nur kann aus einem Dauer-Aufenthalt nicht Gutes erwachsten...Was wäre es, wenn unser Volk selbst einmal wandern müsste? Daran glaubt allerdings schon in diesen Tagen kaum jemand."

 

"1945 – 16. März: Der 3. Großzug von Flüchtlingen heute auf dem Dorfplatz eingelangt. Totes Pferd auf der Straße. […] Luftalarm wird immer länger, Tiefflieger nehmen zu, gestern auf dem Weg nach Wimsbach Deckung gesucht."

 

"14. April:  Großer Flüchtlingsdurchzug durch Vorchdorf. Einquartierungen beunruhigen Kirchham und Vorchdorf, so sollen z.B. beim Riedler in Falkenohren allein 150 Mann untergebracht werden."

 

Quelle: Auszug aus der Pfarrchronik der Pfarre Vorchdorf 1936-1950, verfasst von Dr. Rudolf Hundstorfer, OSB, ehem. Pfarrvikar in Vorchdorf, Kremsmünster 1946/1947.

Weitere Informationen siehe außerdem Epochenrundgang "1945-2005" | "Befreiung und Kriegsende":

 

 

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