Provizialverwaltung

Nach erfolgter, offenbar friedlicher Landnahme durch die Römer kam es in Noricum ebenso wie im benachbarten Raetien nicht gleich zur Einführung des Provinzialstatus, beide Länder verblieben vorerst im Okkupationszustand. Es lässt sich nicht mehr feststellen, ob im ehemaligen regnum Noricum ein Mandatar des pannonischen Militärkommandos das Regiment führte oder ob ein einheimischer Vasallenfürst zum Gouverneur bestellt wurde. Der Sitz der Verwaltung während der Okkupationszeit war die Stadt auf dem Magdalensberg.

Provinzialstatut für Noricum
Unter Kaiser Claudius (41–54) erhielt Noricum das Provinzialstatut und als Statthalter einen kaiserlichen Beamten aus dem Ritterstand, der den Amtstitel procurateur Augusti provinciae Norici führte und der Rangklasse der ducenarii angehörte, d.h. er verfügte über ein Jahreseinkommen von 200.000 Sesterzen. Der Prokurator, der in der Regel zwei Jahre im Amte war, residierte nicht mehr in der Stadt auf dem Magdalensberg, sondern Virunum auf dem Zollfeld, das gleichzeitig mit vier anderen norischen Orten munizipales Stadtrecht erhielt, wurde Sitz der Verwaltung.

Administration
Die Befugnisse der prokuratorischen Statthalter, von denen wir 30 namentlich kennen, waren die oberste richterliche Gewalt, die Abwicklung der Finanzverwaltung und das Kommando über das in der Provinz stehende Militär, das allerdings nur aus Auxiliarformationen bestand, die sich in Organisation und Bewaffnung vom Legionsmilitär stark unterschieden. Es gab Infanterie- und Kavallerieeinheiten (cohortes und alae), welche die an der Donaugrenze errichteten Kastelle in einer Stärke von 500 oder 1000 Mann besetzt hielten. Diese Kastelle, die vorerst nur in Holz-Erde-Bauweise erbaut worden waren, wurden im Laufe des 2. Jahrhunderts durch feste Steinbauten ersetzt. Für die Durchführung ihrer verschiedenen Aufgaben stand den Prokuratoren eine Kanzlei (officium) von etwa 100 Personen zur Verfügung.

Zoll und Steuern
Andere Zweige der Administration, wie die Verwaltung der norischen Bergwerke wurden von privaten Pächtern (conductores) gehandhabt, denen zahlreiche Sklaven zur Seite standen. Die Einhebung des an den Grenzen zu Italien und zu den Nachbarprovinzen zu entrichtenden Warenumsatzzolles in der Höhe von 2,5% wurde ebenfalls durch private Pächter (publicani) erledigt. Noricum gehörte damals zusammen mit den Balkanprovinzen zum Zollbezirk des vectigal Illyricum, während die westliche Nachbarprovinz Raetien mit den germanischen und gallischen Provinzen zum Gebiet der XXXX (=quadragesima) Galliarum gehörte. In Noricum bestanden die Zollstationen Boiodorum (Passau/Innstadt) und Pons Aeni (Pfaffenhofen bei Rosenheim) an der raetischen Grenze und die statio Esc(ensis), die in Bad Ischl (?) einen auf den Verkauf von Salz gelegten Binnenzoll einzutreiben hatte. Für die vielfältigen Aufgaben der Zolleinhebung standen den Pächtern ebenfalls zahlreiche, meist griechische Sklaven zur Seite.

In unregelmäßigen Abständen fand in allen Provinzen ein Zensus statt, den ein ritterlicher Beamter niedrigeren Ranges als censitor vornahm. Ihm oblag die Feststellung und urkundliche Aufzeichnung der Zahl und des Personalstandes der Menschen sowie ihres beweglichen und unbeweglichen Eigentums zur Berechnung ihrer Steuerleistung.

Provinzialverwaltung
Durch die mit der Verlegung der legio II Italica an die Donaugrenze in das Lager von Lauriacum erfolgte Neuordnung ging auch eine Änderung der Verwaltung in der Provinz vonstatten. Der Kommandant der Legion, der den Titel legatus Augusti oder (Augustorum) pro praetore provinciae Noricae oder Norici führte, übernahm die Agenden des Statthalters. Er war dem Range nach Praetorier und pflegte nach seiner meist zweijährigen Amtszeit zum Konsul designiert zu werden. Wir kennen sieben legatorische Legaten.

Sitz der statthalterlichen Kanzlei, die ebenfalls über ein Personal von etwa 100 Mann verfügte, war jetzt der Standort der Legion, Lauriacum. Lediglich die Finanzverwaltung, die weiterhin von einem ritterlichen Prokurator erledigt wurde, scheint in Virunum verblieben zu sein, wo sich jetzt auch die kaiserliche Verwaltung übernommenen Bergwerks- und Zollkanzleien befanden. Auch das Büro des Beauftragten für die Staatspost (cursus publicus) bestand in Virunum. Aus praktischen Überlegungen standen dem Provinzialstatthalter wahrscheinlich auch in dem vom Legionslager nicht weit entfernten Ovilavis Räumlichkeiten für Verwaltungszwecke zur Verfügung.

Die Politik des Kaisers Gallienus (253–268) mit dem Ziel, die Senatoren vom Heereskommando zu entfernen, wirkte sich auch in der Verwaltung von Noricum aus: Die neuen, wieder dem Ritterstand entnommenen Statthalter führten den Titel agens vices praesidis und waren eigentlich nur die Vertreter des senatorischen Praeses = Legaten. Die drei durch Inschriften bezeugten Beamten führten das Rangprädikat vir perfectissimus.

Teilung des Reiches in kleinere Einheiten
Die große Reichsreform unter Kaiser Diokletian (284–305) sollte die Provinzen in kleinere Einheiten zerlegen und die Militär- und Zivilgewalt trennen. Die sich daraus ergebende Folge für Noricum war die Teilung durch eine ungefähr dem Tauernkamm folgende Grenzlinie in zwei kleinere Provinzen: Ufernoricum (Noricum ripense) mit dem Hauptort Ovilavis im Norden und Binnennoricum (Noricum mediterraneum) mit dem Hauptort Virunum im Süden. Letzteres erfuhr im Südosten eine Gebietserweiterung durch den Anschluss des Gebietes der pannonischen Kolonie Poetovio (Ptuj). Durch Inschriften sind uns einige Statthalter (praesides) beider norischen Provinzen bekannt geworden. Diese waren Teile der Diözese Illyricum unter dem vicarius Illyrici. Die militärische Macht lag in den Händen eines „Grenzgenerals“ (dux), der alle Truppen am norischen und pannonischen Limes zwischen Passau und Györ befehligte und das Rangprädikat vir perfectissimus führte.

Das Ende römischer Provinzialverwaltung
Zur Zeit des Hl. Severin (2. Hälfte 5. Jahrhundert) bestand in Ufernoricum, wo die Städte Cetium und Ovilavis offenbar bereits aufgegeben waren und sich nur mehr in Lauriacum und in einigen der ehemaligen Auxiliarkastelle an der Donau römische Lebensweise erhalten hatte, kein wirksamer Grenzschutz und auch keine geregelte Verwaltung mehr. Auch in Binnenoricum war Virunum verlassen und Teurnia, jetzt Tiburnia, war Hauptort des Restes der Provinz.

Autor: Gerhard Winkler, 2006