Viktoria Weinzierl. Die Frau, die unsere Ortsgeschichte schrieb
Viktoria Weinzierl wurde am 12. Dezember 1910 im Bahnhofsgebäude von Hohenems in Vorarlberg als zweites Kind des dortigen Bahnhofsvorstandes geboren. Der Vater Franz Weinzierl stammte aus Linz, die Mutter Viktoria aus Rovereto im damals als „Welschtirol“ bezeichneten Trentino. Der Beruf bei der damaligen Reichsbahn führte die Familie in verschiedene Orte der Monarchie. Die ersten Volksschuljahre verbrachte Viktoria Weinzierl in Meran. Nach dem 1. Weltkrieg führte der berufliche Weg des Vaters über verschiedene Stationen wie Bischofshofen oder Mandling bei Radstadt zum Linzer Frachtenbahnhof.
Die Jugendjahre verbrachte Viktoria Weinzierl in Linz. Dort legte sie die Matura an der damaligen Frauenoberschule in der Körnerstraße ab. Da für Absolventinnen dieses Schultyps damals die Berufsaussichten schlecht waren, entschloss sich die Maturantin Viktoria Weinzierl, den Lehrberuf anzustreben. Als „Externistin“ legte sie an der Lehrerbildungsanstalt Linz, Honauerstraße, die Ergänzungsmatura ab. Anschließend gab es auch für angehende Lehrer(innen) eine Wartezeit von vier Jahren. Über Vermittlung einer bekannten Familie konnte Viktoria Weinzierl in Budapest in einem privaten Haushalt die Stelle als Erzieherin antreten. Die Aufgabe war die Betreuung der kleinen Tochter einschließlich der Vermittlung der deutschen Sprachkenntnisse.
Nach diesen Auslandsjahren erhielt Viktoria Weinzierl in Oberösterreich die Anstellung als „Bezirksaushilfslehrerin“ und war im Bezirk Steyr eingesetzt. Erster Dienstort war für den Zeitraum von 10 Tagen Maria Neustift bei Großraming. Der Ort war damals nur mit einem vierstündigen Fußmarsch vom Bahnhof erreichbar. Nach diesen 10 Tagen folgten für weitere, zum Teil mehrwöchige Aushilfen, verschiedene Dienstorte wie Ternberg, Losenstein, Sipbachzell und einige Schulen in Steyr. In der Zeit der Weihnachts-, Oster- oder Sommerferien waren damals die Lehrer prinzipiell vom Dienst frei gestellt und erhielten keine Bezahlung.
Während des 2. Weltkrieges war die damals noch junge Lehrerin einige Zeit der zweiklassigen Volksschule Bachmanning bei Lambach zugeteilt. Dort musste sie sofort von dem damals bei der Wehrmacht eingerückten Oberlehrer die Schulleitung übernehmen.
Nach diesen verschiedenen Dienstorten in Oberösterreich kam Viktoria Weinzierl 1944 an die Volksschule nach Marchtrenk, wo sie nun bis zur Pensionierung wirken konnte. Im Lauf der Jahre erwarb sie sich den Ruf als sehr engagierte Lehrerin. Neben den Hauptfächern setzte Viktoria Weinzierl im Unterricht besondere Schwerpunkte in den Bereichen Bildnerische und Musikalische Erziehung sowie im Unterrichtsfach „Heimatkunde“. Für ihre Schüler(innen) gestaltete die Lehrerin mehrmals Ausstellungen der besten Zeichnungen, bei Bezirksjugendsingen errangen die betreffenden Schulklassen immer große Erfolge. In der Regel unterrichtete Viktoria Weinzierl ihre Schulklassen von der ersten bis zur vierten Schulstufe. Auf diese Weise gelang eine fundierte Vorbereitung der Schüler(innen) für den Übertritt in die weiterführenden Schulen. Viktoria Weinzierl galt allgemein als strenge, aber äußerst gerechte Lehrerin. Ein besonderes Anliegen war ihr, Begabungen zu erkennen und dann den betreffenden Schüler(innen) den Weg in das Gymnasium zu ebnen. Dies gelang vielfach nur durch unentwegtes Motivieren der Eltern, welche meist an eine solche höhere Schullaufbahn für ihre Kinder nicht zu denken wagten.
Damals besuchten, wenn überhaupt, vielleicht ein oder zwei Kinder einer Klasse das Welser Gymnasium. Nach der Teilung der bisher gemischt geführten Schule kam Viktoria Weinzierl 1955 an die neu geschaffene Mädchenvolksschule (ab 1969 „Gemischte Volksschule I"). Von 1969 bis zur Pensionierung 1973 hatte Viktoria Weinzierl neben dem Unterricht in der Klasse als Direktorin die provisorische Leitung der mit 14 Klassen größten Schule im gesamten Bezirk Wels-Land inne.
In der Freizeit bildete die Beschäftigung mit der Ortsgeschichte immer mehr einen Schwerpunkt des privaten Interesses. Wenn man etwas aus alter Zeit erfahren wollte, wenn man für Festschriften oder ähnliche Publikationen einen Text über die Geschichte brauchte, führte der Weg meist zu Viktoria Weinzierl. So kam es, dass ihr die Gemeinde Marchtrenk unter dem damaligen Bürgermeister Rudolf Hubmer im Jahr 1963 die Führung der Gemeindechronik übertrug. Bis 1972 entstand ein mehrbändiges, mit vielen Abbildungen sehr lebendig gestaltetes Nachschlagewerk. Daneben war eine umfangreiche heimatkundliche Abhandlung im Entstehen. Im Rahmen dieser Beschäftigung mit der Geschichte Marchtrenks erforschte Viktoria Weinzierl auch das für den Ort so bedeutsame ritterbürtige Geschlecht der „Marchdrencker“. Im Heeresarchiv in Wien konnte sie deren Familienwappen eruieren und nach alter Vorlage abzeichnen. Diese händisch angefertigte heraldische Zeichnung diente als Vorlage zum heutigen Marchtrenker Stadtwappen. Nach Viktoria Weinzierls Tod lag ein fast fertiges ortsgeschichtliches Manuskript über Marchtrenk vor; welches einer redaktionellen Endbearbeitung zugeführt werden konnte. Mit dieser Aufgabe betraute Bürgermeister Fritz Kaspar den Sohn Herbert Franz Weinzierl, der aus dem umfangreichen Material das Heimatbuch zum Jubiläum „10 Jahre Marktgemeinde Marchtrenk“ zusammenstellte. 2010 erschien im Rahmen der vom Bundesdenkmalamt Wien herausgegebenen Österreichischen Kunsttopographie der Band über den Gerichtsbezirk Wels. Viktoria Weinzierl konnte die Bearbeiterin Frau Dr. Margarete Vyoral mit vielen Informationen und auch mit zahlreichem Bildmaterial bei der Erstellung des Beitrages über Marchtrenk unterstützen. Ein wichtiges Verdienst kommt Viktoria Weinzierl bei der Rettung der alten Marchtrenker Pfarrkirche zu: Nach Bekanntwerden des Planes zum Abriss des gotischen Kirchenbaues intervenierte Viktoria Weinzierl intensiv und unermüdlich bei den verschiedensten staatlichen und kirchlichen Stellen. Dieses außerordentliche Engagement war schließlich von Erfolg gekrönt, und heute wäre dieses nach wie vor dominante Bauwerk aus dem Marchtrenker Ortsbild nicht mehr wegzudenken. In den Jahren ihres beruflichen Wirkens, vor allem aber auch der intensiven Beschäftigung mit der Ortsgeschichte wurde Viktoria Weinzierl zu einer überzeugten „Marchtrenkerin“.
Text: Herbert Franz Weinzierl, Sohn
Marchtrenker Frauen - Dokumentation einer Ausstellung des Museumsvereins Marchtrenk - Welser Heide im Rahmen des Tags des Denkmals 2017 unter dem Motto "Heimat großer Töchter" in der Alten Pfarrkirche Marchtrenk.