Die amerikanische Besatzung in Oberösterreich
„Wir haben die längste Brücke der Welt – sie beginnt in Washington und endet in Sibirien!“ So äußerte sich der damalige Landeshauptmann Heinrich Gleißner über das zweifach besetzte Land.
Ungewisse Zukunft
„Was wird uns das Jahr 1945 bringen? Ich getraue es mich nicht zu schreiben, aber ich wünsche es, wie alle, die im Dreck des Schützenlochs verkrusten: das Ende, und wenn es das Ende mit Schrecken wäre, weil es doch besser ist als der Schrecken ohne Ende...“, schrieb der oberösterreichische Journalist und Kulturkritiker Josef Laßl am Heiligen Abend des Jahres 1944 irgendwo an der Front in sein Tagebuch.
Genau ein Jahr später hielt Leopold Figl als erster frei gewählter Bundeskanzler der neuen Republik seine berühmte Rede zur ersten Nachkriegsweihnacht: „Ich kann euch zu Weihnachten nichts geben. Ich kann euch für den Christbaum, wenn ihr überhaupt einen habt, keine Kerzen geben. Ich kann euch keine Gaben für Weihnachten geben, kein Stück Brot, keine Kohle zum Heizen, kein Glas zum Einschneiden. Wir haben nichts. Ich kann euch nur bitten: Glaubt an dieses Österreich!“
Das Jahr 1945 war zwar nicht die Stunde null. Aber die Situation war zum Verzweifeln. Dabei befand sich in Oberösterreich südlich der Donau - die amerikanisch besetzte Zone - zweifellos in einer deutlich besseren Position als Wien, Niederösterreich, das Burgenland und das russisch besetzte Mühlviertel. Der Versorgungslage war nicht ganz so kritisch wie in Wien. Die Zerstörungen in der Endphase des Krieges waren viel geringer ausgefallen als in Ostösterreich. Der überwiegende Teil der Industriebetriebe blieb von Bombenangriffen wenig betroffen. Allerdings entfiel von der riesigen Zahl an Flüchtlingen und DP's, die sich im Zuge der Vertreibungen und Umsiedlungen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Österreich aufhielten und deren Zahl Ende 1945 auf rund 1,7 Millionen geschätzt wurde, auf Oberösterreich südlich der Donau mit etwa 700.000 die Hauptlast. Aus der Barockstadt Linz war einem berühmten Ausspruch des Linzer Bürgermeisters Ernst Koref die besetzte und geteilte Barackenstadt Linz geworden.
Mai 1945
Die amerikanischen Truppen kamen 1945 sowohl als Befreier als auch als Sieger, was keinen Widerspruch darstellt. Denn es gibt keine Befreiung ohne Sieg. Diese Befreiung von außen statt durch eine innerstaatliche Aufstands- und Befreiungsbewegung hatte ihren Preis. Sie verlief nicht nur höchst blutig, sowohl bei den alliierten Truppen wie bei der österreichischen Bevölkerung, sondern auch mit entsprechenden Spannungen und Irritationen.
Zwischen dem 1. und 7. Mai 1945 hatte die 3. US-Armee ganz Oberösterreich mit Ausnahme von 50 Gemeinden im östlichen Mühlviertel und östlich der Enns besetzt. Für Besatzungsaufgaben war diese Armee nicht gerüstet, weil ursprünglich eine amerikanische Besatzungszone in Österreich gar nicht vorgesehen gewesen war. Die Handbücher, welche die Amerikaner mitgenommen hatten, waren notdürftig zusammengestellt.
Die Amerikan. Militärregierung
Die Amerikanische Militärregierung unter Russel Snook war am 14. Mai 1945 zu ihrer ersten Sitzung zusammengetreten. Sie entschloss sich, für zivile Belange eine Beamtenregierung zu bestellen. Der Beamte Adolf Eigl wurde am 16. Mai zum „unpolitischen“ Landeshauptmann ernannt. Eine glückliche Hand hatten die Amerikaner damit nicht bewiesen. Eigl war zwar kein Nationalsozialist, hatte aber dem NS-Regime als einer der ranghöchsten Beamten des Landes während des Krieges gedient und auch alle Beförderungen mitgemacht. Auch stellte sich bald heraus, dass einige Mitglieder dieser Beamtenregierung sich früher als aktive Nationalsozialisten betätigt hatten. Eigl und weitere Regierungsmitglieder wurden abgesetzt und in Glasenbach interniert.
Funktion | Name |
---|---|
Chef | Oberst Russel Snook, im Zivilberuf Polizeioffizier in New Jersey |
Stellvertreter | Oberstleutnant Hendrickson, später republikanischer Senator in New Jersey |
Industrieangelegenheiten | Oberstleutnant Engesath |
Rückstellungsfragen | Hauptmann Sirota, im Zivilberuf Rechtsanwalt |
Ernährungsfragen | Major Jackson, im Zivilberuf Schulinspekor in Alabama mit guten Deutschkenntnissen |
Finanzen | Major Roesti, Bankbeamter |
Verkehr | Hauptmann Sarty, Rechtsanwalt |
Flüchtlingsfragen | Major Giacomo, Mittelschullehrer, heiratete später eine Linzerin |
Dolmetscher | Major Hartigan |
Amerikan. Militärregierung für Oberösterreich und Salzburg, Stand 15. Mai 1945
Landeshauptmann Heinrich Gleißner
Die amerikanische Besatzungsmacht ernannte nach längerem Tauziehen am 26. Oktober Heinrich Gleißner zum Landeshauptmann und bestätigte die von Gleißner gebildete politische Landesregierung, die am 29. Oktober 1945 feierlich installiert wurde.
Amerikanische Militärverwaltung
Die wirkliche Macht aber lag vorerst bei der amerikanischen Militärverwaltung, die sich in erster Linie auf die Wiederherstellung von Gesetz und Ordnung im Land, den Wiederaufbau der Wirtschaft, die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und die Sammlung in Lagern, Erfassung, Betreuung und Repartierung von ehemaligen deutschen Wehrmachtsangehörigen und Displaced Persons konzentrierte. Die Entnazifizierung der Bevölkerung und die Rückstellung geraubter Vermögen kamen nur langsam in Gang.
Einem Austrian Military Government Handbook, dem Österreichischen Militärregierungshandbuch vom April 1945 zufolge sollten die amerikanischen Besatzungssoldaten zu den Österreichern hart, aber gerecht sein und freundlicher als zu Deutschen. Ein strenges „Verbrüderungsverbot“ untersagte vorerst den Kontakt zu und mit den Österreichern und vor allem Österreicherinnen. Bereits im Juli 1945 wurde das Fraternisierungsverbot gelockert und im September 1945 schließlich ganz aufgehoben.
Spannungen und Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung gab es immer wieder: Die Präsenz der Besatzungsmacht wurde – vor allem in der Anfangszeit – zwar als unumgänglich, ja sogar notwendig für die Wiederherstellung von Recht und Ordnung im Land gesehen, erinnerte aber die Oberösterreicher auch immer wieder daran, dass die Amerikaner als Siegermacht gekommen waren.
Angesichts des Mangels an Unterkünften requirierten die Amerikaner zwangsweise Wohnungen und sonstige Räumlichkeiten und Flächen, die meist innerhalb von wenigen Stunden geräumt werden mussten. Die Schäden waren beträchtlich, viele „Souvenirs“ verschwanden. Fälle von Vergewaltigungen, Plünderungen, Diebstähle und Nötigungen sind auch aus der amerikanischen Besatzungszone bekannt – geahndet und bestraft wurden diese jedoch kaum.
„Haarabschneiderkommandos“
Konflikte und Missfallen entstanden vor allem aus Beziehungen zwischen GI’s und österreichischen Frauen. Als „Amibraut“ oder „Ami-Flittchen“ gebrandmarkt, waren die Frauen mit Sanktionen konfrontiert, die vom Ignorieren bis zu jenen Fällen so genannter „Haarabschneiderkommandos“ reichten. In Linz wurden Ende 1945 vom amerikanischen Geheimdienst junge Österreicher festgenommen, weil sie etwa 60 einheimische Mädchen mit tatsächlichen oder vermeintlichen Kontakten zu US-Besatzungssoldaten durch das Abschneiden der Haare attackierten. Die Aktionen, erklärten die Festgenommenen, hätten sich nie gegen die amerikanische Besatzungsmacht gerichtet, sondern ausschließlich gegen die „schamlosen Linzer Mädchen“. Androhungen des Haarabschneidens wurden in Oberösterreich nicht nur aus Linz, sondern auch aus den Bezirken Ried, Gmunden und Vöcklabruck gemeldet. Auch aus Vorarlberg, Salzburg und Wien wurden einschlägige Drohgedichte bekannt.
Mit dem War Brides Act vom 4. Jänner 1946 wurde US-Soldaten erlaubt, Frauen in ihrer Besatzungszone zu heiraten und diese in die USA mitzubringen. Auch das Verhältnis mit der Bevölkerung allgemein entspannte sich allmählich.
„Coca-Colonisation“
Das Zurechtkommen mit dem Mangel verlangte und verführte zu einem Gutteil Korruption. Man wäre ja sonst verhungert. Dass die Verfolgung der Schattenökonomie wegen der Massenhaftigkeit der Tatbestände ihren Schrecken verlor und die eigentlichen Machthaber, die Besatzungsmächte, tief in sie verwickelt waren, trug wesentlich zur Blüte der Illegalität bei. Die Versorgung mit Zigaretten, vornehmlich ausländischen, wie Lucky Strike, Marlboro, Camel, der Goldwährung des schwarzen Marktes, war ganz vom Nachschub der Besatzer abhängig. Alkohol, Schokolade, Coca Cola, Penicillin oder Nylonstrümpfe waren Währungen, die viele Zugänge öffneten. Der Schwarzmarkt boomte. Man kannte die „Bauernvaluta“, den Speck, und die „Edelvaluta“, die Zigaretten. Die Geldwirtschaft war vorübergehend funktionsunfähig geworden.
Care-Pakete und Marshallplan
Ohne ausländische, insbesondere amerikanische Hilfe wäre Österreich verhungert. Es waren verschiedene private und öffentliche Organisationen, die Hilfe leisteten. Am bekanntesten sind die Care-Pakete geworden, die von amerikanischen Familien nach Österreich verschickt wurden und die Bevölkerung erstmals mit abgepacken Lebensmitteln bekannt machten: Dosenmilch, Löskaffee, Konserven etc. Sicherlich gab es auch Schwierigkeiten bei der Verständigung. Zu Missverständnissen führte anfangs der englische Beipackzettel der Care-Pakete mit dem Text. "This is a gift from a friend in America." Nicht wenige fürchteten angesichts der dürftigen Englischkenntnisse der damaligen Zeit, „vergiftet“ statt beschenkt zu werden.
Care-Aktion und Marshallplan-Hilfe halfen den Österreichern nicht nur über die Not hinweg, sondern bewegten das Wirtschaftswunder. Es war kein Zufall, dass es die amerikanische Zone war, in die die meisten Marshallplan-Mittel flossen und in der auch die ersten Selbstbedienungsläden Österreichs entstanden: Am 27. Mai 1950 eröffnete die Konsumgenossenschaft Linz unter dem späteren Direktor des Konsum Linz und Gremialvorsteher KR Alfred Hehenberger in der Wiener Reichsstraße 2 den ersten Selbstbedienungsladen Österreichs.
Neue Konsumgüter
Ökonomische Macht und Überlegenheit, welche die Amerikaner durch den Besitz von US-Dollars und Konsum- und Luxusgütern verkörperten, führte zum Teil zu Spannungen, Neid und Missgunst. Gleichzeitig wurden jene exotischen – anfangs skeptisch bestaunten – Konsumgüter der Amerikaner auch rasch von der Bevölkerung angenommen. Nylonstrümpfe, Zigaretten, Medikamente überzeugten schnell - die „Coca-Colonisation“ hatte auch in Österreich Einzug gehalten.
Innerhalb eines halben Jahres nach Kriegsende wurden die amerikanischen Besatzungstruppen von vier Divisionen auf eine reduziert. Anfang 1947 waren in der US-Zone noch 41.000 amerikanische Soldaten, davon die Hälfte in Oberösterreich, im April 1947 noch 10.000, 1949 9000, 1951 nur noch 2000. Die letzten amerikanischen Besatzungssoldaten verabschiedeten sich am 29. September 1955. Ihr Lebensstil aber hatte tiefe Spuren hinterlassen.
Literatur:
- John, Michael: Das „Haarabschneiderkommando“ von Linz. Männlicher Chauvinismus oder nationalsozialistische Wiederbetätigung? Ein Fallbeispiel aus den Jahren 1945–1948, in: Historisches Jahrbuch der Stadt Linz 1995, 335 ff.
- Slapnicka, Harry: Oberösterreich - zweigeteiltes Land. 1945–1955. Linz 1986 (= Beiträge zur Zeitgeschichte Oberösterreichs 11).
Autor: Roman Sandgruber
Oberösterreichische Nachrichten, 26. Juli 2008