Hitlers "Kulturhauptstadt"

Hitler verstand Linz als seine „Heimatstadt“, dies noch am 30. April 1945 in seinem so genannten „privaten Testament“ im Führerbunker in Berlin. Linz wurde zur „Patenstadt des Führers“ und „Gründungsstadt des Großdeutschen Reiches“ stilisiert.

Der Einmarsch deutscher Truppen in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 und der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich, den Hitler am 13. März 1938 in Linz vollzog, war von zahlreichen Gewaltakten, Verhaftungen, Morden, Entlassungen und Zwangspensionierungen begleitet, gegen die Politiker des Ständestaats, gegen eine Reihe von Geistlichen, gegen missliebige Polizeibeamte und gegen die etwa 800 in Oberösterreich wohnhaften Juden, vor allem gegen jüdische Funktionäre und Geschäftsleute.

Oberösterreich, der „Heimatgau des Führers“, erfuhr durch den Aufbau wichtiger Grundstoffindustrien (Stahl, Chemie, Aluminium, Zellwolle) und durch große Bauvorhaben nachhaltige Veränderungen. Der Leitsektor, der am meisten von den durch den „Anschluss“ ausgelösten Investitionsprogrammen profitierte, war die Bauwirtschaft, die im Konzept des Dritten Reiches einen besonderen Stellenwert einnahm: Prestigebauten, in granitener Monumentalität, riesige Hoch- und Tiefbauprojekte und weitläufige Fabriksareale beflügelten die Fantasie der Planer. Den Höhepunkt bildete das Bauprogramm für Linz, mit einer großen Zahl von Repräsentationsobjekten, Wohnbauten und Industriegründungen. Die Planungen für Linz waren auf 240.000 bis 300.000, in manchen Vorstellungen sogar auf 400.000 Einwohner gerichtet, verglichen zu den damaligen gut 100.000 Einwohnern also eine Verdrei- bis Vervierfachung.

Zentraler Verkehrsknoten
Linz sollte neben dem Ausbau zum Standort der Großindustrie und zum zentralen Verkehrsknoten mit Autobahn, Donauschifffahrt und Breitspurbahn-Anschluss auch zur mit Wien konkurrierenden Kultur- und Hochschulstadt aufgewertet werden. Der Linzer Hafen sollte zum größten Binnenhafen Mitteleuropas und die Donau durch den Rhein-Main-Donau-Kanal zu einer transeuropäischen Wasserstraße ausgebaut werden.

Bereits beim Mittagessen am 13. März 1938 im Hotel Weinzinger in Linz versprach Hitler nicht nur den Bau einer neuen Donaubrücke, sondern auch die Übernahme der Patenschaft über die Stadt. Linz dankte es ihm mit der mit 99,9988 Prozent höchsten Zustimmungsrate zur Volksabstimmung unter allen Großstädten, wobei Unterschiede ohnehin nur in den Kommastellen hinter den 99 Prozent gegeben waren.

„Deutsches Budapest
Hitlers Lieblingsidee, schon in seiner Jugend, war ein Theaterneubau in Linz, der vor dem Ersten Weltkrieg geplant, aber nicht realisiert worden war. Hitler hatte bereits als Jugendlicher dafür Skizzen angefertigt. Für die geplante Monumentalverbauung am Donauufer diente ihm Budapest als Vorbild. Linz sollte ein „deutsches Budapest“ werden.

Hitler war ab 1938 nachweislich zehnmal in Linz. Zunehmend nahmen seine Planungen für Linz den Charakter einer Flucht aus der Wirklichkeit an. Noch im Februar 1945 ließ er sich das Modell der Verbauung von Linz nach Berlin in den Keller der Reichskanzlei bringen, um es stundenlang zu betrachten und den wenigen noch auftauchenden Besuchern vorzuführen.

Die zentralen Planungen für Linz umfassten die Monumentalverbauung der beiden Donauufer sowie die 800 m lange und 60 m breite Prachtstraße „Zu den Lauben“, die das Kulturforum an der heutigen Blumau mit dem neuen Bahnhof in der Nähe des Niedernharter Plateaus verbinden sollte.

11.000 neue Wohnungen und Hafen
Die etwas über zwei Kilometer lange Donauverbauung sollte auf der Linzer Seite mit einem als „Führerpfalz“ gestalteten Alterssitz für Adolf Hitler beginnen, dem das Schloss weichen sollte. Stromabwärts folgten als Brückenkopf der Nibelungenbrücke die von Roderich Fick – auf der Basis eines Entwurfes des Linzer Stadtbaudirektors Anton Estermann – erbauten Repräsentationsgebäude für das Wasserstraßenamt und das Oberfinanzpräsidium, die einzigen neben etwa 11.000 Wohnungen und der Nibelungenbrücke tatsächlich realisierten Objekte des Bauprogramms. Daran anschließen sollten das „Führerhotel“, weiter der so genannte Basar mit Donaudampfschifffahrtsgesellschaft, Wasserschutzpolizei sowie Büros und einem Einkaufszentrum, dann das achtzehn Geschoße hohe „KdF-Hotel“ an der neu zu errichtenden Stahlhängebrücke (im Bereich des heutigen Trendhotels), weiter stromabwärts die Generaldirektion der „Hermann-Göring-Werke“ und die 450 m lange Front der Technischen Hochschule bis zur dritten oder so genannten Bismarckbrücke, die als Granitbogenkonstruktion ausgeführt werden sollte, daran anschließend ein Marinehafen für die Donauflottille, die Schiffswerft und die über mehrere Kilometer reichenden, weiträumigen Hafen- und Industrieanlagen.

Die Nibelungenbrücke

Die Nibelungenbrücke – Ende 1940 dem Verkehr übergeben – wurde als Trägerrostbrücke auf zwei Stützen mit einer Breite von 30 m entworfen.

Die Nibelungenbrücke – Ende 1940 dem Verkehr übergeben – wurde als Trägerrostbrücke auf zwei Stützen mit einer Breite von 30 m entworfen.
Die vier – beim Bildhauer Graf Plettenberg für den Brückenschmuck in Auftrag gegebenen – Granitstandbilder mit den monumentalen Figuren von Siegfried, Kriemhild, Gunther und Brunhild aus dem Nibelungenlied kamen nicht mehr zur Ausführung. Anlässlich eines Führerbesuches wurden zwei der Standbilder im Maßstab 1:1 von Plettenberg in Gips modelliert und auf der Brücke für einige Monate aufgestellt.

Auf der nördlichen Stromseite begann das Programm mit dem hoch über den Urfahr-Wänden auf dem Spatzenberg vorgesehenen neubarocken Komplex der „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ oder „Adolf-Hitler-Schule“, dann die Gästehäuser der Industrie, der Rathausneubau an der Nibelungenbrücke mit einer Gesamtlänge von etwa 300 m, bestehend aus dem lang gestreckten „Technischen Rathaus“, dem repräsentativen Stadthaus und einem mittels Arkaden an das Stadthaus angeschlossenen vierzehngeschoßigen Rathausturm. Das Stadthaus war nur für repräsentative Zwecke gedacht, mit Goldenem Saal, Ratsherrensaal, Repräsentationsräumen des Bürgermeisters und einer Ausstellung von Waffen, Kanonen und Fahnen aus den Bauernkriegen, Ratskeller, Silberkammer, Standesamt mit Festtrauungssaal und nach oben geschlossenem Arkadenhof für die Aufführung von Serenaden.

Festhalle und Aufmarschplatz
Donauabwärts sollte die 450 m lange „Gauanlage“ folgen, mit der mächtigen „Gaufesthalle“ für 30.000 Besucher und einem Aufmarschplatz für 100.000 Personen, den als Wahrzeichen der Stadt und Krönung des gesamten Verwaltungsforums ein Glockenturm, „höher als der Stephansdom, aber aus Respekt vor Ulm um einen Meter niedriger als das Ulmer Münster“, überragen sollte. Ausstellungsgelände, KdF-Halle, Heereskommando, Pionierschule und Militärmuseum füllten den Raum bis zu „Bismarckbrücke“ und Bismarckdenkmal.

Für das neue Kulturzentrum an der Blumau waren geplant: ein Opernhaus für 2000 Besucher, ein Bibliotheksbau für eine Million Bände, das „Führermuseum“ mit den dafür zusammengerafften Kunstschätzen, ein Operettentheater, ein Uraufführungskino, ein Künstlerhaus, ein Konzerthaus.

Das „Führermuseum“

Das maßgeblichste Projekt, um Linz zur Kulturhauptstadt des Reiches zu machen, war der „Sonderauftrag Linz“: die Errichtung eines riesigen Kunstmuseums. Beauftragt wurde damit der Direktor der Dresdener Gemäldegalerie Dr. Hans Posse, nach seinem Tode im Jahr 1942 der damalige Direktor des Wiesbadener Museums Dr. Hermann Voss, beides exzellente Fachleute, auch keine unmittelbaren Parteisympathisanten, aber in den Methoden rücksichtslos vorgehende Sammler.
Die Erwerbungen hatten verschiedene Grundlage: Hitlers kleine Privatsammlung, legaler Erwerb, erpresster Erwerb und Beschlagnahmen aus jüdischen Sammlungen, mit verschwimmenden Grenzen.

Das maßgeblichste Projekt, um Linz zur Kulturhauptstadt des Reiches zu machen, war der „Sonderauftrag Linz“: die Errichtung eines riesigen Kunstmuseums. Beauftragt wurde damit der Direktor der Dresdener Gemäldegalerie Dr. Hans Posse, nach seinem Tode im Jahr 1942 der damalige Direktor des Wiesbadener Museums Dr. Hermann Voss, beides exzellente Fachleute, auch keine unmittelbaren Parteisympathisanten, aber in den Methoden rücksichtslos vorgehende Sammler.
Die Erwerbungen hatten verschiedene Grundlage: Hitlers kleine Privatsammlung, legaler Erwerb, erpresster Erwerb und Beschlagnahmen aus jüdischen Sammlungen, mit verschwimmenden Grenzen.

Der größte Teil der für Linz bestimmten Bilder wurde durch Ankäufe oder Schenkungen erworben, was nicht heißt, dass die Bilder alle „sauber“ waren: z. B. Hans Makarts Die Pest in Florenz, im Besitz einer jüdischen Bankiersfamilie in Florenz, wurde von der italienischen Regierung beschlagnahmt und Hitler bei einem Staatsbesuch am 28. Oktober 1940 zum Geschenk gemacht.

Bis Juli 1940 waren etwa 500.000 RM für Bilderankäufe ausgegeben, wenige Monate später wurde für ein einziges Bild die dreifache Summe aufgewendet: Jan Vermeers Der Maler in seinem Atelier, das aus Czerninschem Familienbesitz um 1,650.000 RM erworben wurde. Im März 1941 waren bereits 8,5 Mio. RM ausgegeben. Bis August 1944 kamen aus dem Sonderfonds etwa 100 Mio. RM dazu. Voss gab später an, für rund 3000 Gemälde etwa 150 Millionen RM ausgegeben zu haben. Zum Vergleich: Für die Errichtung der Zellwolle Lenzing wurden etwa 90 Millionen RM investiert, für die „Hermann-Göring-Werke“ in Linz etwa insgesamt 600 Millionen RM. Neben der Gemäldesammlung wurden auch eine Münzsammlung, eine Waffensammlung und eine Bibliothek zusammengetragen.

In Linz befanden sich die Gemälde nie, sondern zuerst im Führerbau in München, dann in Kremsmünster, zuletzt in den Bergwerksstollen in Aussee. Mit Bezug auf Hitlers „privates Testament“, in welchem er die aus einer Mischung von Kauf und Raub zusammengerafften Kunstschätze für das „Führermuseum“ seiner „Patenstadt“ vermachte, reklamierte Linz nach 1945 einen Teil der Schätze für sich. Es war ein langer Weg, bis alle Objekte den rechtmäßigen Besitzern zurückgestellt waren.

Die Prachtstraße mit in die Arkaden verlegten, zehn Meter breiten Gehsteigen sollte aus je sechs Baublöcken bestehen, mit Restaurants, eleganten Geschäften und Büros sowie einem naturwissenschaftlichen und volkskundlichen Museum. Den Südabschluss sollte der neue Bahnhof bilden, darunter der Autobahnzubringer und die Unterflurstraßenbahn zur Donau. Eingebunden sein sollten auch die Gleise der vom Atlantik bis zum Ural führenden Breitspurbahn.

Eine Querstraße sollte an ihrem Ostende ein neues Schauspielhaus und am Westende auf dem Froschberg eine Art Gloriette mit Park als Ersatz für den stark verkleinerten Volksgarten zum Abschluss haben. Ungeklärt blieb die Verbindung zwischen der Donauverbauung und dem neuen Kulturzentrum an der Blumau. Es gab Pläne für Durchbruchsstraßen links und rechts der Landstraße oder auch den einseitigen oder gar beidseitigen Abbruch der Landstraßenhäuser.

Observatorium statt Kirche
Den Freinberg sollte ein Denkmal zur Gründung des „Großdeutschen Reiches“ krönen, den Pöstlingberg statt der Kirche ein Observatorium unter dem Motto „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre“ zur Erinnerungen an Hanns Hörbiger, den Vater der berühmten Schauspielerdynastie, dessen Welteislehre Hitler sehr faszinierte.

Um all das verwirklichen zu können, hätte es nicht nur viel Geld, sondern auch eine Stadterweiterung auf mehr als 400.000 Einwohner erfordert. Tatsächlich eingemeindet wurden Ebelsberg und St. Magdalena, während Leonding, Asten, Steyregg, Puchenau und Traun sich erfolgreich zur Wehr setzten. Insgesamt zielten die geplanten Stadterweiterungen auf eine Fläche von etwa 400 km². Tatsächlich erweiterte sich das Stadtgebiet von rund 58 km² auf etwa 95 km².

Hinsichtlich der Kosten gab es keine Überlegungen. Jedenfalls wäre der Hauptteil aus Reichsmitteln zu bestreiten gewesen. Nicht von ungefähr bemerkte Hitler in einem seiner Monologe, dass auf jedem Bau in Linz „Geschenk des Deutschen Reiches“ stehen müsse.

Irrationalität und Gewalt
Linz wäre durch diese Planungen wohl in einer steinerne Monumentalität erwandelt worden, von deren Tristesse das tatsächlich gebaute und noch erhaltene, sehr viel kleinere „Gauforum“ in Weimar einen anschaulichen Eindruck vermittelt. Linz wurde zum Symbol für die Mischung aus Irrationalität und Gewalt, die für die nationalsozialistischen Planungen charakteristisch war und die der Stadt wohl ein schwer beherrschbares Erbe hinterlassen hätte.


Literatur:

  • Mayrhofer, Fritz (Hrsg.): Nationalsozialismus in Linz. 2 Bände. Linz: Archiv der Stadt Linz 2002.
  • Kirchmayr, Birgit - Buchmayr, Friedrich - John, Michael John: Geraubte Kunst in Oberdonau. Linz: Oberösterreichisches Landesarchiv 2007.

Linktipps:


Autor: Roman Sandgruber
Oberösterreichische Nachrichten, 13. September 2008