Raub und Zwangsarbeit in Oberösterreich

Zwang und Zwangsarbeit waren von Anfang an zentrale Bestandteile der politischen und wirtschaftspolitischen Vorstellungen des Nationalsozialismus. Zwang prägte das gesamte politisch-totalitäre Herrschaftskonzept. Zuletzt mündete die nationalsozialistische Politik fast zwangsläufig in den Krieg.

Nach dem „Anschluss“ an das nationalsozialistische Deutschland kam es in Oberösterreich zur größten Welle von Eigentumsübertragungen und Vermögensverschiebungen, die das Land je erlebt hat. Beraubt wurden zahlreiche Personengruppen, die aus rassischen, religiösen und ideologischen Gründen diskriminiert wurden: die Juden, die Kirchen, die Roma und Sinti, die nationalen Minderheiten und die politischen Gegner des Nationalsozialismus, aber auch die Zwangsarbeiter, die aus zahlreichen Ländern ins Reich gebracht wurden.

Wiener Völkischer Beobachter, 26. 4. 1938: „Da Jud muss weg und sein Gerschtl bleibt da!“

Schikanen und Boykotte
Die Enteignung der jüdischen Vermögen begann mit Schikanen und Boykottaktionen, vor allem gegen die nach außen sichtbaren Flaggschiffe der jüdischen Geschäftswelt, die Warenhäuser und Privatbanken. Das Kaufhaus Kraus & Schober in Linz, das Bestandteil der großen Kaufhauskette der Salzburger Familie Schwarz war, wurde schon am 14. März 1938 von den Angestellten übernommen. Viktor Spitz, der als reichster Jude Oberösterreichs galt, wurde unmittelbar nach der Machtübernahme inhaftiert, während seine Angehörigen Friederike, Alexander und Eduard Spitz am 19. März 1938 Selbstmord begingen.

Zahlreiche „Arisierungen“
Insgesamt waren in Oberösterreich 38 Industriebetriebe in jüdischem Besitz, d. h. 10 % aller Industriebetriebe mit etwa 8 % der Industriebeschäftigten. Darunter war der prominenteste Fall die „Lenzinger Zellstoff und Papierfabrik AG“. Der Linzer Betrieb von Estermann & Co. musste den Hermann-Göring-Werken weichen, der Welser Betrieb wurde „teilarisiert“. Auch die Betriebe der Familien Mostny, Spitz, Stock oder die Textilfabrik Himmelreich & Zwicker, der „Zuckerl-Schwager“, die Kaufhäuser Kraus & Schober, das Kleiderhaus „Zum Matrosen“, ferner Hekler & Zimmermann und das Kaufhaus Eibuschitz, mehrere Schuhhäuser und das Kolosseum-Kino wurden Opfer der „Arisierung“.
Für die „Reichskristallnacht“ (9./10. November 1938) hielt der Gestapo-Bericht für Linz fest: „Zu Plünderungen jüdischer Geschäfte ist es nicht mehr gekommen, da in der Stadt Linz keine Geschäfte dieser Art mehr bestehen.“ Insgesamt dürften nach Aussage des Bevollmächtigten für die Neuordnung der österreichischen Wirtschaft, des Wiener Gauwirtschaftsberaters Walter Rafelsberger, bis zu 100 jüdische Unternehmen in Oberösterreich durch Übernahme oder Liquidation „arisiert“ worden sein.
Auch einzelne nichtjüdische Unternehmen wurden aus politischen Gründen unter kommissarische Verwaltung gestellt: die Reformwerke Wels, die Spatenbrotwerke Linz, die Gmundner Keramik. Dazu kam die „Germanisierung“ von Industrie-Aktiengesellschaften. Das betraf zuvorderst die Steyr-Daimler-Puch AG und die Schiffswerft Linz, die zum Hermann-Göring-Konzern kamen, die Firma Sprecher & Schuh, die an Voigt & Haeffner, Berlin, „verpachtet“ wurde, und die Papierfabrik Obermühl, welche vom ehemaligen Reichsfinanzminister Dr. Peter Reinhold erworben wurde.

Enteignung von Adel und Kirche
Feindliche Übernahmen unter politischer Hilfestellung gab es auch im Adel und bei der Kirche. Ans Reich oder an deutsche Eigentümer gingen zahlreiche Großgrundbesitzungen, darunter die mehr als 30.000 ha umfassenden Lambergischen Forste im Steyr- und Ennstal, der Starhembergische Grundbesitz, der für verfallen erklärt wurde, und die mehr als 90.000 ha zählenden Schwarzenbergischen Besitzungen im Böhmerwald.
Der Gesamtwert der beschlagnahmten Vermögen des Religionsfonds und der aufgehobenen großen Klöster Oberösterreichs St. Florian, Reichersberg, Schlägl, Kremsmünster, Lambach, Schlierbach, Wilhering, Engelszell und Hohenfurth mit den umfangreichen Grundbesitzungen, Unternehmen, Gebäuden und Kunstgütern, ferner den zahlreichen kleineren Ordensniederlassungen mit Spitälern, Schulen und sonstigen Anstalten lag weit über dem des jüdischen Besitzes, ist aber in der Summe kaum zu beziffern. Weil im kirchlichen Bereich die Rückstellung nach 1945 aus verschiedenen Gründen problemloser ablief als bei den jüdischen Vermögen – wenngleich auch  von einer tatsächlichen Abdeckung der verloren gegangenen Werte keine Rede sein konnte – blieben hier die Wunden geringer.

Enteignet und zum Teil liquidiert wurden auch die Industrie- und Gewerbebetriebe, die sich im Besitz der Stifte befanden, etwa die Glockengießerei St. Florian, welche in den Besitz des Reichsgaus Oberdonau gelangte, oder die vier Stiftsbrauereien Reichersberg, Lambach, St. Florian und Schlägl.

Enteignet wurden aber auch Realitäten, die den Renommierprojekten des Dritten Reichs im Wege standen, etwa das Linzer Luxushotel Weinzinger, in welchem Hitler das Anschlussgesetz unterzeichnet hatte und in dem er oft zu Gast war. Die fünf Brüder, keineswegs jüdisch, deren Haus letztendlich nach heftigen Drohungen um einen Betrag von 700.000 RM zugunsten der Stadt Linz und des an dieser Stelle geplanten Führerhotels enteignet wurde – obwohl der tatsächliche Wert vom Hotelbesitzerverband Köln in einer detaillierten Schätzung auf einen Wert von 3,580.563 RM gekommen war – konnten ihr Objekt erst nach einem langen, über zwei Instanzen geführten Prozess gegen die Stadt Linz, die auf der Legitimität der Enteignung beharrte, wieder zurückbekommen.

Enteignet wurden auch die für die Industriegründungen, Wohn- und Autobahnbauten und Militärgelände benötigten Grundstücke: etwa in Linz für die Hermann-Göring-Werke im Dorf St. Peter, wo 400 Familien ausgesiedelt wurden.

Viele Enteignungen im Salzkammergut
Die NS-Oberschicht war ganz begierig nach Liegenschaften im Salzkammergut, wegen der Landschaft, wegen der Nähe zu Hitlers Sommersitz am Obersalzberg, zuletzt auch wegen des Mythos der angeblich sicheren Alpenfestung, vor allem aber wegen der vielen sich anbietenden Villen in jüdischem Eigentum: Ca. 250 Realitäten wurden „arisiert“, davon allein in Bad Ischl 68, in Gmunden 25, in Alt- und Bad Aussee 55.

Korruption und Gewaltakte
Der Umstand, dass die Beraubung rassisch, politisch oder sonst diskriminierter Personengruppen zu einem so vielfältigen und so allgemeinen Phänomen wurde und viele Menschen davon profitieren konnten oder sich davon Profite erhofften, dämpfte das generelle Unrechtsbewusstsein und gab vielfältigen Parallelwirtschaften, Korruptionsskandalen und Gewaltakten Raum.

Korruption wurde so zu einem Phänomen, das in der öffentlichen Wahrnehmung des Dritten Reiches einen besonderen Stellenwert einnahm. Ob Oberdonau/ Oberösterreich dabei stärker involviert war als andere Regionen, ist schwer zu beurteilen. War die Führerstadt Linz tatsächlich die „Hauptstadt der Korruption“? Dass in den drei größten Industriebetriebe Oberösterreichs, in den Hermann-Göring-Werken, in der Steyr-Daimler-Puch AG und in Lenzing, aber auch in der Linzer Stadtverwaltung schwere Korruptionsskandale aufbrachen und die Akten der oberösterreichischen Gerichte und Sondergerichte eine Vielzahl von Korruptionsverfahren enthalten, kann allerdings kein Zufall sein.

Es deuten viele Indizien darauf hin, dass die nationalsozialistische Art der Herrschaftsausübung korrupte Strukturen besonders begünstigte. Da auch in der Korruptionsbekämpfung willkürlich und diskriminierend vorgegangen wurde, konnten sich wegen Korruption angeklagte Personen – wie zum Beispiel der Lenzinger Generaldirektor Dr. Walter Schieber, einer der höchstrangigen SS-Wirtschaftsführer und tief verstrickt in das System der Zwangs- und KZ-Arbeit – nach dem Krieg recht leicht als Verfolgte präsentieren.

Zwangsarbeit als Mittel
Gewalt war auch ein wesentliches Element der nationalsozialistischen Bau- und Industrialisierungsvorhaben, die ohne Zwangsarbeit nicht durchführbar waren. Arbeitsdienst und Arbeitszwang nahmen in der nationalsozialistischen Beschäftigungspolitik einen zentralen Platz ein. Man dachte, die Kosten der Großmachtspolitik auf die besiegten und unterworfenen Völker abwälzen zu können, durch Ausbeutung von eroberten Territorien und durch den gewaltsamen Transfer fremder Arbeitskräfte nach Deutschland, deren Produktivität hier höher lag als in den Heimatländern.

In Oberösterreich war der prozentuelle Anteil von Fremd- und Zwangsarbeitern deutlich höher als im übrigen Reichsgebiet. Die Gründe dafür sind einerseits in den beträchtlichen Industrialisierungsvorhaben zu suchen, die den Arbeitsmarkt entsprechend beanspruchten, andererseits in der besonderen geografischen Lage des Landes, die seine Industrieregionen für alliierte Luftangriffe lange unerreichbar machte und es in der Spätphase des Krieges zu einem der wichtigsten Rüstungszentren des Reiches werden ließ.

Bereits im September 1939 waren 16.000 aus Südosteuropa und dem Protektorat Böhmen und Mähren angeworbene Arbeitskräfte im damaligen Gau Oberdonau im Einsatz. Bis August 1941 stieg die Zahl der Ausländer auf fast 55.000. Der Höhepunkt wurde im September 1944 erreicht: etwa 240.000 inländischen Arbeitskräften standen etwa 150.000 ausländische gegenüber; 62.000 männliche und 28.000 weibliche Fremd- und Zwangsarbeiter, rund 30.000 Kriegsgefangene und dazu noch mindestens 30.000 bis 40.000 zu diesem Zeitpunkt in Oberösterreich eingesetzte Insassen des Konzentrationslagers Mauthausen und in den 15 bis 20 in Oberösterreich gelegenen Außenlagern von Mauthausen.

Der Großteil der ausländischen Arbeitskräfte arbeitete zunächst in der Bauwirtschaft. Die kriegsbedingte Ausweitung der Rüstungs- und Grundstoffindustrie wurde immer mehr durch Zwangsarbeit bewältigt. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Industriebeschäftigten kletterte von 14 % Mitte 1942 auf 39 % Mitte 1944. In der Rüstungswirtschaft waren fast 50 % der Beschäftigten Ausländer, bei der Bahn mehr als ein Drittel. Auch die Landwirtschaft funktionierte bald nicht mehr ohne Kriegsgefangene und Fremdarbeiter. Im Frühjahr 1944 kamen 42 % aller Beschäftigten in der oberösterreichischen Landwirtschaft aus dem Ausland.

Die Häftlinge der Konzentrationslager waren eine der letzten verfügbaren Arbeitskraftreserven. Im März 1942 begann die Heranziehung von KZ-Insassen für Arbeiten in der Industrie. In immer größerem Ausmaß wurden sie im Zusammenhang mit der Verlagerung kriegswichtiger Produktionen und dem Ausbau unterirdischer Produktionsanlagen eingesetzt. In den 15 KZ-Außenlagern, die in Industriebetrieben und zum Bau von unterirdischen Industrieanlagen auf oberösterreichischem Boden eingerichtet wurden, war 1945 ein Höchststand von über 55.000 Insassen zu verzeichnen.

Erinnerung, Aufarbeitung, Gedenken
Oberösterreich als „Heimatgau des Führers“ und Linz als eine der fünf „Führerstädte“ des Reiches haben zweifellos eine besondere Nähe zum nationalsozialistischen System entwickelt. Oberösterreich ist mit dem Konzentrationslagerkomplex Mauthausen gebrandmarkt, ebenso mit der Euthanasieanstalt Hartheim. Prominente NS-Größen werden mit Oberösterreich assoziiert: neben Hitler selbst auch Ernst Kaltenbrunner oder Adolf Eichmann, der allerdings nur einige Jugendjahre in Linz verbracht und nie die österreichische Staatsbürgerschaft besessen hat. Einige Oberösterreicher sind für Gräueltaten in Konzentrationslagern bekannt geworden. Es gibt eine Reihe noch existenter nationalsozialistischer Industriegründungen und zahlreiche Wohnbauten, die im Volksmund immer noch als „Hitlerbauten“ figurieren.

Andererseits hatte Oberösterreich pro Kopf der Bevölkerung eher weniger NS-Mitglieder als andere Regionen in Österreich und im Altreich. Es gab in Oberösterreich nicht mehr Industrieneugründungen als im benachbarten Niederösterreich. Der Unterschied war nur, dass sie nach Kriegsende in der amerikanischen Zone zu liegen kamen und erfolgreich weitergeführt wurden, während sie in Niederösterreich nahezu zur Gänze stillgelegt oder im Rahmen des sowjetischen USIA-Konzerns zugrunde gewirtschaftet wurden. Auch Behauptungen, die gerichtliche Ahndung der NS-Verbrechen wäre in Oberösterreich milder oder weniger umfassend erfolgt als anderswo, lassen sich nicht wirklich belegen.

Oberösterreich hat sich bemüht, seine Geschichte im Nationalsozialismus sauber aufzuarbeiten. Die vom Land eingerichtete Stiftung Hartheim sucht nicht nur zu erinnern, sondern auch für die Zukunft mahnend zu wirken. Vertriebene jüdische Mitbewohner werden immer wieder, wie etwa am 9. Juli 2009, zu Besuchen nach Oberösterreich eingeladen. Und es gibt eine große Zahl von Gedenkorten, auch wenn in Mauthausen und auch an anderen Orten noch manches geschehen müsste.

Literatur:

  • Ellmauer, Daniela – John, Michael – Thumser, Regina: „Arisierungen“. Beschlagnahmte Vermögen, Rückstellungen und Entschädigungen in Oberösterreich. Wien 2004.
  • Mayrhofer, Fritz – Schuster, Walter (Hg.): Nationalsozialismus in Linz. 2 Bände. Linz 2001.
  • Die Serie: Oberösterreich in der Zeit des Nationalsozialismus. Insgesamt 12 Bände, herausgegeben vom Oberösterreichischen Landesarchiv. Linz 2004-2009.


Autor: Roman Sandgruber

Oberösterreichische Nachrichten, 11. Juli 2009