Am 26. Mai 1955 fand im Gasthof Deim, Freistadt, Böhmergasse Nr. 2, ein Abschiedsabend mit den scheidenden Offizieren der russischen Besatzungsmacht statt. Neben dem russischen Stadtkommandanten und den übrigen Offizieren waren Bürgermeister Dr. Gottfried Fosen und dessen Gattin Thilde sowie Landeshauptmann-Stellvertreter ÖR Johann Blöchl, Abgeordneter zum Nationalrat Kommerzialrat Franz Haunschmidt und der Bezirkshauptmann von Freistadt, Oberregierungsrat Dr. Johann Müller anwesend.
In das Gästebuch schrieb Bürgermeister Dr. Gottfried Fosen:
"Angst trennt, Freundschaft verbindet Menschen und Völker. Heute liegt zwischen Freistadt und Russland nur ein schmaler Tisch, über den es leicht fällt, sich die Hände zu reichen. Möge es immer so bleiben. Zur Erinnerung an den Abschiedsabend mit den Offizieren der Stadtkommandantur."
Haunschmidt e.h., Dr. Fosen e.h., Dr. Müller e.h., Fosen Thilde e.h., Blöchl e.h.
Der russische Stadtkommandant schrieb anschließend (Übersetzung des russischen Textes):
"Unser Wunsch ist es immer, den Frieden in der Welt mit sämtlichen Völkern zu erhalten. Als bester Beweis dient hierzu der abgeschlossene Staatsvertrag. Dass man den Frieden in der Welt erhalten und sich gegenseitig verständigen kann, ist daraus ersichtlich, dass wir hier jetzt bei einem Tisch beisammen sitzen, obwohl wir in der Heimat in verschiedenen Systemen leben. Es spricht dafür, dass sich nebeneinander zwei Systeme entwickeln und leben können. Die Menschen der Welt müssen selbst ihre Daseinsform wählen, ganz besonders jene, welche am besten ihrer Eigenart und den Forderungen entspricht. Wir wünschen sowohl dem sowjetischen als auch dem österreichischen Volke das Beste in ihrer weiteren Entwicklung und eine glückliche Zukunft.
Eingetragen am 26. Mai 1955 zur Erinnerung an den Abschied vom Herrn Bürgermeister sowie dem Herrn Bezirkshauptmann."
Am 15. Mai 1955 wurde der von den Österreichern und auch von den Mühlviertlern sehnlichst erwartete Staatsvertrag in Wien unterzeichnet. Bereits am 25. Mai hat die Stadtkommandantur Freistadt ihre Arbeit eingestellt. Wenige Tage später haben dann auch die russischen Offiziere und Mannschaften mit ihren Familien die Stadt verlassen. Das Hagleitnerhaus, wo die Kommandantur untergebracht war, wurde am 16. August 1955 geräumt und seinem Besitzer wieder zurückgegeben. An diesem Tag verließ auch der letzte sowjetische Soldat die Stadt.
Autor: Fritz Fellner
Die Zivilverwaltung Mühlviertel 1945-1955 und Johann Blöchl. Eine Dokumentation zur Ausstellung im Mühlviertler Schlossmuseum vom 27. Juni bis 30. August 2015. | Gesamtleitung, Kustos: Kons. Fritz Fellner; Inhaltliche Ausstellungsgestaltung: Kons. Kurt Cerwenka; Leihgaben und Beratung: Kons. Karl Affenzeller; Grafische Gestaltung: Johanna Roiß