Der erfolgreiche Lexikograf besaß eine ausgeprägte dichterische Begabung. 1902 veröffentlichte er im Selbstverlag seine schriftsprachliche Gedichtsammlung „Mein Psalter. Ein lyrisches Manuscript“.
Viel origineller waren seine 1903 erschienenen „Griechischen Schnadahüpfeln. Proben zwiesprachiger Umdichtung“. Inhalt und Anliegen des Büchleins charakterisiert er selbst so (S. 6):
Von Griechen stammt der Liedchenstrauß,
Von Meistern, wie man minnt und zecht;
Ein Wiener Schulfuchs schuf daraus,
Was uns in Östreich mundgerecht.
Unter „Schnadahüpfeln“ versteht man die in Österreich und Oberbayern populären vierzeiligen, in der lokalen Mundart verfassten Gstanzln. Der trinkfeste und sangesfrohe Gymnasiallehrer kam in seinen Freistädter Jahren mit der Mühlviertler Landbevölkerung in engen Kontakt und lernte Franz Stelzhamers „Lieder in obderenns’scher Volksmundart” schätzen. Er bezeichnet den Mundartdichter einmal als den „größten Lyriker österreichischer Zunge“.
Laut Stowasser dürfe man griechische Epigramme, um ihrem volkstümlichen Charakter gerecht zu werden, nicht im originalen Versmaß ins Deutsche übersetzen; die griechischen Gedichte würden geradezu nach Übertragung im Dialekt „schreien“. Um zu demonstrieren, dass man die antiken Zweizeiler in gereimte Mundart-Vierzeiler verwandeln muss, vollbringt Stowasser das Bravourstück, ein weit verbreitetes Gstanzl in zehn griechischen und 16 lateinischen Versionen wiederzugeben:
Mei Dianderl hoaßt Nanderl,
Hat schneeweiße Zahnderl,
Hat schneeweiße Knia –
Aba gsegn han i’ ’s nia.
Da er somit bewiesen hat, dass die antiken Zweizeiler und die oberösterreichischen Schnaderhüpfeln prinzipiell austauschbar sind, wendet er sich nun seinem Hauptanliegen zu, ausgewählte griechische Epigramme in oberösterreichischer Mundart nachzudichten. In einem Gedicht behauptet der griechische Dichter Philodem, er habe an verschiedenen Orten der östlichen Mittelmeerwelt Geliebte gehabt, die alle „Demo“ geheißen hätten. Er deutet also seinen Namen (wörtlich: „Freund des Volkes“) im erotischen Sinn um („der die Demo Liebende“). Stowasser verpflanzt das Gedicht nicht nur formal, sondern auch hinsichtlich der Ortsnamen in das von ihm geliebte Mühlviertel:
Mein’ Ersti is d’ Mirl
Vo Harrachstal gwen.
Mein Zweiti war vo Sandl
Ar a Mirl – aba schen!
Dö Dritti war d’ Mirl
Vo Roanbach, ’s is wahr.
Dö Vierti hoaßt Mirl
Aus da Freistäda Pfarr.
Ja, ’is so mei Gschick,
Daß i lauta Mirln find,
Weil s’ mi Sepp und Marie taft
Habnt als a kloans Kind.
Ein anonym überliefertes Grabgedicht auf den griechischen Dichter Homer dichtet er in zwei oberösterreichische Vierzeiler um. Dabei ersetzt er den berühmtesten griechischen Dichter durch den „Franzl von Piesenham“, d.h. durch Franz Stelzhamer:
’s is netta a kloans Hügerl;
Aber geh nöt vorbei,
Leg a Bleamerl ins Gras,
Bet an Aichtl dabei!
Denn a starks Herz vo Gold,
Volla Liadln a Mund,
Da Franzl vo Piesenham
Is da eingrabn in Grund!
Vom erfundenen „Marterl“, das der griechische Dichter Meleager auf sein eigenes Grab gesetzt haben möchte, lässt sich Stowasser zu einem Gedicht inspirieren, das seine wichtigsten Lebensstationen erwähnt:
Af d’ Welt bin i kemma
An der preisischen Grenz.
’s selbe Stadtl hoaßt Troppau;
I wett, daß ös ’s kennts.
Aft han i in Landl
Mi einglöbt, und dann
Bei enk hat mi ’s Löbn
Erst zeitigt zuan Mann.
Wia ’s Alta is kemma
Bin i aba af Wean,
Wo da Kaisa dahoam is,
Den i enzfleißi dean.
So daß i dort d’ Hoamat
Als a Burga jetzt hab’ –
Aba, mein, i bin alt worn
Scho ganz eselsgrab.
Aba übrall und immer
Han i gsungn und dicht’t,
I, da Stowassa Seppei.
Jetzt kennts ös mei Gschicht!
Die Zeitgenossen rühmten an den „Griechischen Schnadahüpfeln“ die Virtuosität, mit der Stowasser dieselben Gedanken in verschiedenen Sprachwelten ausdrücken konnte.
In einem Mundartgedicht appelliert der Gymnasiallehrer an seine Schüler, außerhalb der Schule Dialekt zu sprechen:
In da Schul röd’s schen deitsch,
Wia ’s da Lehra gern hätt;
Aba wenn ös dahoam seids,
Aft röd’s – wie ma rödt.
Mit’n Volk seina Röd, Buabn,
Treibt ’s ma koan Scherz;
Wer dö Baunleut vasteht,
Hat a doppeltes Herz.
Zweifellos trug Stowasser selbst, der sich trotz seiner wissenschaftlichen Leistungen – vor allem in seinen prägenden Freistädter Jahren – nicht zu gut war, mit der Mühlviertler Landbevölkerung zu verkehren, ein „doppeltes Herz“ in seiner Brust. Passend beendet er seine „Griechischen Schnadahüpfeln“ mit einem launigen Gstanzl, das er vorher in griechischer und lateinischer Version angeführt hat:
A so han i gsunga
Schen stad bei da Nacht,
Da hat si af oamal
Mei Türl aufgmacht!
Is da Gankerl kemma,
Hat ma d’ Cidan vabrennt.
No so hat halt dös Gstanzlwer
Deant no a End.
Autor: Hermann Niedermayr
Dokumentation der Ausstellung „130 Jahre Stowasser“, 2023 organisiert und gestaltet vom Verein „Kunst Kultur in Kefermarkt“ und der Bundesarbeitsgemeinschaft Klassischer Philologen und Altertumswissenschafter Österreichs „Sodalitas“ im „Stöckl“ in Kefermarkt.