Den Jahren seiner schweren Krankheit konnte er mit erstaunlicher Willenskraft die Vollendung eines groß angelegten Übersetzungsprojekts abtrotzen. 1909 erschien bei Carl Winter’s Universitätsbuchhandlung in Heidelberg die „Griechenlyrik in deutsche Verse übertragen”; noch vor Jahresende folgte die „Römerlyrik in deutsche Verse übertragen“. Den Großteil seiner schriftsprachlichen Übersetzungen fertigte Stowasser im k.k. Rudolfspital an, wo er zwei volle Jahre – von November 1907 bis November 1909 – als Patient lag.
Beide Bände treten in Konkurrenz mit dem „Classischen Liederbuch“ des Dichters Emanuel Geibel (1. Auflage 1875). Im Vergleich zu Geibel ist aber Stowassers Auswahl wesentlich reichhaltiger. Während jener die antiken Gedichte im „Versmaß der Urschrift“ nachdichtet, greift dieser zu gereimten Versen, weil er nur diese Form der Wiedergabe dem Wesen deutscher Dichtkunst angemessen hält. Im Rahmen der „Griechenlyrik“ übersetzt Stowasser auch Chorlieder griechischer Tragödien. Auch diese dichtet er – anders als Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff, der damals als bedeutendster Gräzist des deutschen Sprachraums galt – in gereimten Versen nach.
Aus dem umfangreichen Band „Römerlyrik” sei der oft zum Übersetzungsvergleich herangezogene Zweizeiler Catulls c. 85 (Odi et amo) angeführt: Stowasser macht daraus einen gereimten Vierzeiler:
Ich hass’ und lieb’. Warum ich’s tu’,
Wirst du vielleicht mich fragen.
Ich weiß es nicht zu sagen;
Ich fühl’s nur – und die Qual dazu.
Stowasser übersetzte auch schriftsprachliche Gedichte in die klassischen Sprachen. Beeindruckend ist seine Leistung, den Text der Kaiserhymne „Gott erhalte“ in griechische und lateinische Verse umzugießen. Die ersten
beiden Verse („Gott erhalte, Gott beschütze / unsern Kaiser, unser Land“) lauten in der griechischen bzw. in der lateinischen Version:
Ὦ θεὸς οὐρανόθεν μεδέων, σῶσόν τε φύλαξόν θ’
ἡμετέρην γαίην Καίσαρά θ’ ἡμέτερον.
O Deus in caelis, salva servaque, precamur,
vitam Caesaris ac dulce solum patriae!
Autor: Hermann Niedermayr
Dokumentation der Ausstellung „130 Jahre Stowasser“, 2023 organisiert und gestaltet vom Verein „Kunst Kultur in Kefermarkt“ und der Bundesarbeitsgemeinschaft Klassischer Philologen und Altertumswissenschafter Österreichs „Sodalitas“ im „Stöckl“ in Kefermarkt.