Zum Beispiel in der Sorge für die Armen
Der „Gemeine Kasten“
Martin Luther fordert in seiner Programmschrift „An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung“ (1520) die Träger der politischen Verantwortung auf, sich um die Armen zu kümmern. Niemand soll betteln müssen. Daraus entwickelt sich die Idee des „gemeinen Kastens“:
In der Pfarrkirche soll ein Kasten aufgestellt werden, in den Spenden für die Armen gelegt werden. Vertreter des Rates und der Kirche verwalten die Spenden und versorgen damit bedürftige Mitbürger.
In Steyr verbreitete der Mönch Calixtus, der 1525 im Geiste der Reformation predigte, diese Idee und rief zur Errichtung des Kastens auf. Der Rat der Stadt folgte dem Aufruf gegen den Widerstand der anderen Geistlichen. Als Calixtus die Stadt 1525 auf Druck des Bischofs von Passau verlassen musste, stellte er fest, dass der Kasten „glücklich anwächset“ und anderen Städten als Vorbild diente.
"ALLES GOTT UND DEN HEILIGEN ZU EHREN UND ZU DER LIEB,
DIE EIN JEDER GEGEN DEN ANDEREN TRAGEN SOLL."
(Wittenberger Armenordnung, 1521)
Das Bruderhaus
Später übernimmt das Bruderhaus an der Sierningerstraße die Armenversorgung im Auftrag der Stadt. Finanziert wird es durch Spenden, die regelmäßig bei Gottesdiensten und Beerdigungen eingesammelt wurden, sowie aus Erbschaften kinderloser Bürger. Aus diesen Mitteln wird die Versorgung Kranker ebenso finanziert, wie die Begräbniskosten der ärmsten Mitbürger.
Hungersnot und biblisches Beispiel
Durch einen extrem langen und harten Winter von Weihnachten bis St. Georg (23. April) im Jahr 1615 war die Getreidesaat vernichtet worden. Das löste in der Region eine Hungersnot aus.
Die dazu berichtete Handlungsweise des Rates der Stadt steht in auffallender Nähe zur Darstellung der Josefsgeschichte, die auf dem 1611 als Getreidespeicher errichteten Innerberger Stadel angebracht ist. Im Buch Genesis wird erzählt, dass der nach Ägypten verkaufte Josef dort zum Berater des Pharaos aufstieg und während der guten Jahre so viel Getreide in Speicher sammelte, dass in einer darauffolgenden Hungersnot ausreichend Getreide vorhanden war um diese zu überbrücken. Auch seine Brüder und seine Familie in Israel konnten so gerettet werden.
Valentin Preuenhueber erzählt in seiner Chronik:
„Der Rath hat aber zu der Burgerschafft und Gemeine Besten, eine namhafte Summa Getraidt in Oesterreich und Ungarn erhandlet; Und dasselbe um einen leidentlichen Preiss unter die Armen ausgetheilet; Welcher vätterlicher Vorsorg, auch anderer geist- und weltlicher Herren Unterthanen im Lande nicht weniger genossen; Welch häuffig zu gemeiner Stadt Getreidt-Kasten zugelauffen, auch dasselbsten, aus Erbarmung ihres Elends, und leidenden Hungers Noth, nicht leer gelassen worden; Ungeachtet des denen Steyrischen armen Burgern, und Handwercks-Leuten, bey den Clöstern, Schlössern und Pfarr-Höfen kurz zuvor wohl nicht so gut worden, sondern man sie mit leeren Säcken, ob sie schon das Geld auf den Händen getragen, und um Gottes Willen gebetten, weder abziehen lassen. Dann solche Herrschafften viel lieber ihr vorräthig Getraidt, mit Nutzen noch theurer versilbern, als dem armen Hunger leidenden Nächsten, ja auch wohl ihren eigenen Unterthanen selbsten darmitt helfen wollen.“
(Preuenhueber, 354)
1517! Und Heute? Steyr 2017. Reformationsstadt Europas - Dokumentation zur Sonderausstellung im Museum der Stadt Steyr vom 24. März bis 5. November 2017.