Der neue Anfang

Die Evangelische Pfarrgemeinde Steyr im 19. und 20. Jahrhundert

Das Verbot des Evangelischen Glaubens wurde erst durch das Toleranzpatent Josefs II. im Jahre 1781 aufgehoben. Daraufhin kam es überall dort zu Pfarrgemeindegründungen, wo (besonders in ländlichen und abgelegenen Gebieten) der evangelische Glaube über 150 Jahre lang im Untergrund weitergelebt hatte („Geheimprotestantismus“). In Steyr allerdings war dieser Glaube gründlich beseitigt worden. Der neue Anfang geschah hier auf andere Weise.


Von kleinen Anfängen und unerwarteten Entwicklungen
Aufgrund des Zuzugs von Evangelischen, die in der aufstrebenden Waffenfabrik von Josef Werndl als Facharbeiter gebraucht wurden, konnte 1875 eine Evangelische Pfarrgemeinde mit 80 Mitgliedern gegründet werden.

1898 wurde die Kirche und 1899 das Pfarrhaus gebaut. Damals hatte die Evangelische Pfarrgemeinde 330(!) Mitglieder. In den 20er Jahren traten im Zuge der (antikatholischen und großdeutschen) „Los-von-Rom-Bewegung“ 1.000 Personen in die Evangelische Kirche ein.
Diese Eintritte, wie auch jene, die in den Jahren 1934-1936 infolge des Bürgerkriegs erfolgten und dazu führten, dass die Pfarrgemeinde um weitere 1.000 Personen wuchs, sind freilich durch ihre teilweise Verquickung mit ideologischem Gedankengut ein ambivalentes Erbe und ein Hinweis darauf, dass die Evangelische Kirche für jenes anfällig war.

Herausragend ist der unermüdliche Einsatz von Pfarrer Hugo Fleischmann, der auf die wirtschaftliche und soziale Not in Steyr in vielfältiger Weise reagierte und half, wo immer es möglich war. In der Zeit des wirtschaftlichen Niedergangs und der drückenden Armut (1931 waren in Steyr 3.810 Menschen arbeitslos, davon 1.194 ausgesteuert) entfaltete er vielfältige soziale Aktivitäten:
Er kaufte ein großes Stück Land am Damberg. Dort, am sogenannten „Erdsegen“ bauten die armen Gemeindemitglieder Kartoffeln und Gemüse für ihre Familien an; dort war auch der Treffpunkt für die Feste der Evangelischen.
Es wurde ein Kindergarten im Pfarrhaus eingerichtet, es gab eine Ausspeisung für Arme, eine Kleiderausgabe und vieles mehr. In diesen Jahren und in der Nachkriegszeit, als Tausende Flüchtlinge – auch aus evangelischen Gebieten – in Steyr waren, war die evangelische Pfarrgemeinde Zufluchtsort für viele Menschen. Die meisten Flüchtlinge zogen weiter. Pfarrer Müller begleitete ab 1947 die Menschen vor allem als Seelsorger und Pfarrer Dopplinger sorgte ab 1967 neben der Gemeindearbeit dafür, dass die Kirche drei Glocken und ein Turmkreuz erhielt und am Pfarrhaus die nötigen Renovierungen durchgeführt werden konnten.

„WIR WERDEN UNSEREN
AUFGABEN GEWACHSEN
SEIN IN DEM MASSE,
ALS LEBENDIGES
GOTTVERTRAUEN UND
AN CHRISTUS
ENTZÜNDETE LIEBE
DIE GEMEINDE BESEELT.“

Pfarrer Hugo Fleischmann

1517! Und Heute? Steyr 2017. Reformationsstadt Europas - Dokumentation zur Sonderausstellung im Museum der Stadt Steyr vom 24. März bis 5. November 2017.