Evangelische Andachten

Keine Kirche in Marchtrenk
Am 11. März 1904 verkaufte die kathol. Besitzerin des sogenannten Haberfellnerhauses, Rosina Holzhauser an den Evangelischen Josef Roitner um 26.000 Kronen. In diesem Gasthaus haben nachher die Evangelischen ihre Versammlungen abgehalten.“
Eintrag in der katholischen Pfarrchronik 1904 (Joh. Stierl - Marchtrenkerbuch)

Das Gasthaus Roitner wurde in den 1920er Jahren von der Familie Wiesinger gekauft. Die Familie führte das Gasthaus bis 1931, um es dann krankheitsbedingt verpachten zu müssen. Bei allen Pächtern (Zauner, Schrangl, Utzmann) wurde die Tradition der evangelischen Gottesdienste bis in die 1950er Jahre weitergeführt. Der Andachtsraum war auf der Ostseite des Hauses, die Fenster öffneten zum „Utzmanngassl“. Vorbereitet und organisiert wurden die Gottesdienste von Frau Beisl, Bindermeistersgattin in Marchtrenk.

Pfarrer
Zwei Welser Pfarrer tauften, konfirmierten, trauten und begruben in dieser Zeit ganze Generationen von Marchtrenker Evangelischen. Sie hielten auch überwiegend die Gottesdienste im Gasthaus Wiesinger.

Adam Eder, Pfarrer in Wels von 1895–1925
Ein gebürtiger Marchtrenker, Sohn vom Oberwimmer in Oberneufahrn.
Es war ihm kein Weg zu weit, keine Nacht zu dunkel, keine Morgenstunde zu früh“, schreibt Pfarrer Julius Leibfritz über seinen Vorgänger und dessen seelsorgerisches Engagement.

Julius Leibfritz, Pfarrer in Wels von 1922–1963
Er kam aus Galizien und war bis in die 50er-Jahre der Pfarrer der Marchtrenker. Ein bodenständiger und sehr umgänglicher Mensch, mit einer leichten Tendenz zur Zerstreutheit, aber ungemein beliebt. Größte Verdienste erwarb er sich 1930 beim Bau der evangelischen Schule in der Welser Schauerstraße.

Kuriosa aus katholischer Pfarrchronik (Johann Stierl, Marchtrenkerbuch)

1904
Der verehelichte evangelische H., Streckengeher bei der Bahn, ging vom Gasthaus Roitner in Marchtrenk nachts um 2 Uhr, wahrscheinlich im Rausche, noch zum Niederwimmer, wo ihm eine ledige Dienstmagd noch Branntwein zum Trinken gab. Während er den Schnaps trank, sagte er die schrecklichen Worte: „Das ist mein Herrgott!“. Eine Stunde später wurde er bei der Bahnübersetz samt seinem Hunde vom Schnellzug überfahren und furchtbar verstümmelt. Er hatte ein schreckliches Ende!
(Stierl, Seite 61)

1904
Beim evangelischen Krämer und Bierverkäufer Johann Mair fanden Sozis und liderliche Leute einen Schlupfwinkel.
(Stierl, Seite 61)

1910
Vom k.u.k. Bezirksschulrat Wels wurde die Lehrerstelle 2. Klasse nur für evangelische Bewerber ausgeschrieben; niemand hat sich aufgehalten. Drei evangelische Lehrer meldeten sich, aber in der Ortsschulratssitzung wurde Herr Jung vorgeschlagen. Mit der Erteilung des evang. Religionsunterrichtes des Herrn Jung hatte es aber einen Haken. Jung hatte im November in Linz die Lehrerprüfung gemacht, war aber beim Seniorpfarrer Koch im Fach Religion zurückgestellt worden; Jung ging nach Czernowitz, machte im Mai 1910 dort die Prüfung und erhielt vom dortigen Pastor im Gegenstand Religion die Note „ausgezeichnet“. Trotzdem gab ihm Seniorpfarrer Koch aus Linz nicht die Erlaubnis zur Erteilung des evang. Religionsunterrichtes, es musste Pfarrer Eder aus Wels am Mittwoch und Samstag nach Marchtrenk kommen, um ihn an der Schule zu erteilen. Seniorpfarrer Koch verlangte, dass Jung, trotz dem „ausgezeichnet“ in seinem Zeugnis, bei ihm noch einmal die Prüfung mache!!!
(Stierl, Seite 82)

Text: Walter Wöhrer, 2018

Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit - Dokumentation einer Ausstellung des Museumsvereins Marchtrenk - Welser Heide vom 20. bis 28. Oktober 2018 im Full Haus Marchtrenk.