Sterben in Marchtrenk

Kindersterblichkeit

Zu den erschütterndsten Erkenntnissen gehört die hohe Kindersterblichkeit bis zum Ende des I. Weltkriegs. In den Zeitungen aus dieser Zeit steht einmal im Jahr unter „Marchtrenk“ die Zahl der Geburten, der ehelichen und unehelichen Kinder, die Totgeburten, wie viele gestorben sind und wieviel davon Erwachsene und Kinder sind – und die Zahl der Trauungen.

Wir haben daher im Diözesanarchiv die Totenbücher der katholischen Pfarre für diese fast 40 Jahre durchgesehen. Dabei erfuhren wir, dass die Pfarrämter bis 1940 auch die Standesämter waren.

Bei den angegebenen Zahlen handelt es sich daher nur um die Katholiken Marchtrenks. Die evangelischen Toten sind in den evangelischen Totenbüchern in Wels, Scharten und Kirchberg-Thening eingetragen, da sie dort begraben wurden. Die statistischen Angaben stimmen daher nicht ganz.


Auf der Suche nach Erklärungen für die hohe Kindersterblichkeit sind wir auf die „Anklage in Bezug auf die Kinderpflege der Älpler“ von Peter Rosegger gestoßen. Er schreibt:
Die Sorge um den Erwerb geht der Sorge um die Kinder so häufig vor. Kinder von Dienstboten haben es selbstverständlich noch schlechter als die Hausbesitzer. Zur Sommerzeit werden die kleinen, oft erst wenige Monate alten Creaturen mit ins Freie genommen und unter einen Baum oder ins Gras gelegt,…während die Leute sich oft stundenlang um das Kind nicht kümmern. Oder die Wickelkinder werden halbe Tage sich selbst überlassen, in die Wiege gebunden, in allem Unrath liegend, in dumpfen, nie gelüfteten Stuben.“

Es wird auch das das von Ignaz Semmelweis entdeckte Kindbettfieber – eine Infektionskrankheit, die nach einer Entbindung während des Wochenbetts oder nach einer Fehlgeburt auftreten kann – öfters in Frage gekommen sein. Da in den Totenbüchern als Todesursache häufig Darmkatarrh angeführt wird, kann es auch sein, dass zu wenig oder fehlende Muttermilch durch Ziegen- oder Kuhmilch ersetzt worden ist.

1900 gab es in Marchtrenk 44 Tote, davon waren 20 unter einem Jahr alt. Als Todesursache sind angeführt: Tuberkulose, Lungen- und Darmkatarrh, Lebensschwäche.

1901 waren von 38 Toten, 15 unter einem Jahr und es gab 4 Totgeborene. Angeführt werden auch Bronchitis, Fraisen und Wurm.

1902 starben 25 Erwachsene, 14 Kinder, 4 Totgeburten. Bei den Erwachsenen wurde angeführt: Herzfehler, Altersschwäche, Schlagfuß, Gicht, Epilepsie, usw.

1903 12 Erwachsene, 19 Kinder, 1 Totgeburt. Ein Mädchen mit 5 ½ Jahren wurde bestialisch ermordet.

1904 17 Erwachsene, 17 Kinder, 3 Totgeburten

1905 21 Erwachsene, 19 Kinder . Oft starben sehr junge Menschen (hier 9 ½ Jahre) an Tuberkulose.

1906 14 Erwachsene, 11 Kinder, 6 Todesfälle. Drei Todesfälle durch Ertrinken.

1907 14 Erwachsene, 19 Kinder, 3 Totgeburten. Eine Frau, tot durch Erfrieren.

1909 24 Erwachsene, 26 Kinder, 2 Totgeburten

1910 16 Erwachsene, 30 Kinder, 2 Totgeburten

1911 16 Erwachsene, 28 Kinder

Die nicht getauften Frühgeburten und die Selbstmörder wurden im „unorganisierten Raum“ oder „in ungeweihter Erde“ begraben.

1915 24 Erwachsene, 34 Kinder. Tragisch der Tod zweier kleiner Geschwister bei einem Brand.

1918 wird im Jänner in der Pfarrchronik vermerkt: „91 Kriegsgefangene sterben im Lager, fast alle an Entkräftung, Hunger und an der großen Kälte.

1918 Für 5 Personen wird als Todesursache die „Spanische Grippe“ genannt. Sie kostete so viele Menschenleben wie die beiden Weltkriege zusammen. Sie infizierte jeden dritten Menschen auf der Erde und tötete zwischen 2,5 bis 5 Prozent der Weltbevölkerung, man nimmt an 50 bis 100 Millionen.

Nach dem Ende des I. Weltkriegs starben sehr viel weniger Kinder. Dies dürfte an einer besseren medizinischen Versorgung gelegen sein.

Text: Reinhard Gantner, 2018

Marchtrenk 1900-1938. Ein kleines Dorf in schwerer Zeit - Dokumentation einer Ausstellung des Museumsvereins Marchtrenk - Welser Heide vom 20. bis 28. Oktober 2018 im Full Haus Marchtrenk.