Briefe Anton Bruckners aus dem Nachlass der Brüder Anton und Hermann Pius Vergeiner
Die Mitglieder der Familie Schallaböck aus Salzburg sind unmittelbare Nachfahren der aus Freistadt stammenden Komponisten Hermann Pius und Anton Vergeiner. Mit der Übergabe des Gesamtnachlasses an das Schlossmuseum in Freistadt, kam ein wichtiger musikalischer Schatz an seinen ursprünglichen Ort zurück. Dieses musikalische Erbe wurde nach dem Tode der Komponisten von deren Nachkommen stets gut bewahrt und Generation für Generation weitergegeben. Teil dieses Nachlasses waren auch drei Briefe Anton Bruckners an Hermann Pius und Anton Vergeiner sowie eine Kopie eines scheinbar verschollenen Briefes. Dieser vierte und nur mehr in einer Abschrift erhaltene Brief wurde wahrscheinlich von Anna Schifferer (die älteste Schwester der Vergeiners) angefertigt. Die originalen Briefe Anton Bruckners wurden von der Stadtgemeinde Freistadt erworben und in die Sammlung des Schlossmuseums Freistadt eingegliedert.
Dokumente 1 und 2: Die Briefe an Anton Vergeiner
Was lange angenommen und auch von Anton Vergeiner behauptet wurde, er habe die Vorlesungen Bruckners an der Universität besucht, muss aus heutiger Sicht angezweifelt werden. Anton Vergeiner scheint als eingeschriebener Student nicht auf. Das heißt, er kann demnach nur als außerordentlicher Hörer oder als Gasthörer Vorlesungen Bruckners besucht haben. Als Vorbereitung zu Bruckners 60. Geburtstag begann Vergeiner einen persönlichen Briefwechsel mit Bruckner. Vergeiner bat Bruckner darin um biographisches Material, welches er später in einem Feuilleton in der Linzer Tages Post vom 23. September 1884 einarbeitete. Anhand der Form der Anrede des ersten Briefes ist zu schließen, dass zwischen Bruckner und Vergeiner keinesfalls eine freundschaftliche Beziehung oder eine engere Bekanntschaft vorausgegangen ist. Dies änderte sich jedoch sehr schnell in der für Bruckner gewohnten demütigen und unterwürfigen Wortwahl der folgenden Briefe. Im ersten Brief vom 9. Mai 1884 beantwortet Bruckner fünf Fragen zu seiner Ausbildung. Bruckners briefliche Antwort vom 5. November 1884, ein Dankesschreiben für den Artikel in der Linzer Tages Post, beginnt schon überschwänglich mit: „Hochverehrter theuerster Gönner u Freund […].“
TRANSKRIPT: An Anton Vergeiner, Freistadt Sehr geehrter Herr!
An Anton Vergeiner, Freistadt
Sehr geehrter Herr!
1. Frage: Antw[ort] ja absolv[iert] in Linz 1841.
2. Fr.: Antw[ort] ja, Sechter war mein Lehrer von 1855 bis Ende November 1861, wo ich in Wien am Conserv. eine musikal. Maturitaetsprüf. ablegte, in Folge welcher ich später nach Wien berufen worden war. (Habe in Linz tägl. 7 St. studirt u. so viele Clav[ier]st[unden] gegeben, u reiste jährl 1 o[der] 2 mal nach Wien auf 6 bis 7 Wochen, wo ich den ganzen Tag über beim Professor zubrachte.
Von 861 bis Juli 863 hatte ich in der Composit. (prakt.) Otto Kitzler aus Leipzig, der aber Kapellm[eister] in Linz war.
3. Fr.: Hanslick war mein höchster u größter Gönner außer Herbeck. Wie Er über mich bis 1874 (wo ich an die Universität als Lector befördert wurde) schrieb, das kommt kaum je wieder; ja selbst als Componisten u Dirigenten hat er mich sehr ausgezeichnet.
Bitte übrigens ja nicht Hanslick meinetwegen zu tadeln, denn sein Zorn ist schrecklich; er ist im Stande einen zu vernichten. Mit Ihm ist nicht zu kämpfen. Nur bittend kann man an ihn herantreten. Ich selbst auch so nicht; da er sich stets verleugnen läßt.
4. Fr: der Musikverein in Linz wird kaum mir zu helfen im Stande sein. Ich kenne ihn nicht. Vielleicht einmal später.
5. Fr. Kapellmeister: Arthur Nikisch in Leipzig ist der Lebensretter.
Mit ausgezeichneter Hochachtung
Euer Hochwolgeboren ergebenster
A Bruckner.
Wien, 9. Mai 1884
Bitte bis post festum wenigstens zu warten.
[Rückseite]
Feindlich sind mir. Hanslick /seine Presse u seine zwei Adjuncten Kalbeck (Presse) u Dömke (allgemeine Zeitung). Diese beiden müssen auf Commando schreiben; die anderen Blätter sind mir günstig gesinnt.
Bruckner.
TRANSKRIPT An Anton Vergeiner, Freistadt Hochverehrter, theuerster Gönner u Freund!
An Anton Vergeiner, Freistadt
Hochverehrter, theuerster Gönner u Freund!
Nach länger als einem Monate komme ich, Ihnen meinen herzlichsten Dank und meine vollste Bewunderung auszudrücken für Ihre Liebenswürdigkeit und Aufopferung! Herrlich geschrieben; genial, prachtvoll! Gott lohne es Ihnen! So lange der Portier die Verbannung nicht aufhebt, ist Alles verloren! Wohl ein schweres, aber sicheres Loos! Während Empfohlene 30 000 u[nd] noch mehr Mark für eine Sinfonie erhalten haben, ist ein Nichtempfohlener nicht im Stande, umsonst eine Sinfonie dem Drucke übergeben zu können. Das Concert in Leipzig wird bald stattfinden. Sonntag (9. Nov.) dirigire ich meine 3. Messe in der Burgkapelle.
Nochmals meinen herzlichsten Dank.
Euer Hochwolgeboren ergebenster
A Bruckner mp.
Wien, 5. Nov. 1884.
Dokument 3: Empfehlungsschreiben für Hermann Pius Vergeiner
Anders ist das Verhältnis zwischen Bruckner und Hermann Pius Vergeiner zu bewerten. Dieser belegte nachweislich ab 1878 einen Studienplatz am Wiener Konservatorium. Der Kontakt mit Bruckner war in diesen Jahren sicher sehr intensiv, da die Orgelklasse Bruckners nur vier Studienplätze umfasste. Hermann Pius erhielt in den Jahren 1880 und 1881 die goldene Medaille bei Konkursen des Konservatoriums und schloss auch im selben Jahr sein Orgelstudium bei Bruckner mit ausgezeichnetem Erfolg ab. Sein Briefkontakt zu Bruckner beschränkt sich auf ein Bittschreiben um Weiterempfehlung; wahrscheinlich für eine Anstellung am Mozarteum in Salzburg oder für die des Musikdirektors in Bludenz. Bruckner antwortete am 8. März 1886 eher knapp: „Alles, was ich in Ihrer Angelegenheit thun zu können glaube, […].“
TRANSKRIPT: An Hermann Pius Vergeiner Lieber Herr Vergeiner!
An Hermann Pius Vergeiner
Lieber Herr Vergeiner!
Alles, was ich in Ihrer Angelegenheit thun zu können glaube, ist, dß ich Ihnen hiemit bestätige, daß Sie die Orgelschule am Wiener=Conservatorium unter meiner Leitung mit Auszeichnung absolvirt haben.
Alles Gelingen wünschend
Anton Bruckner mp.
Wien, 8. März 1886
Dokument 4: Kopie zweier Briefe
Ein Blatt mit der Kopie zweier Briefe. Vermutlich wurde diese von Anna Vergeiner, verehelichte Schifferer, erstellt. Enthalten sind die vollständige Abschrift des auch im original erhaltenen Schreibens von Bruckner an Anton Vergeiner (9. Mai 1884), sowie ein weiterer Brief Bruckners an Anton Vergeiner. Dieser ist mit dem 24. November 1884 datiert und befand sich nicht mehr in den Personalia des „Vergeiner Nachlasses“. Eine nicht weiter überprüfte Annahme ist, dass dieser fehlende Brief bereits in den 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts nicht mehr auffindbar war. Denn bei der Anfertigung von SW-Repros aus eben dieser Zeit fehlt er bereits. Diese Kopie stellt die einzig erhaltene Quelle des Briefes dar.
Zustand der Briefe
Die Briefe wurden lange Zeit in einer mit Klebeband verklebten Klarsichtfolie aufbewahrt. Die Absicht, die Briefe dadurch besser zu schützen hat der eher schlechten Papierqualität des ausgehenden 19. Jahrhunderts sehr geschadet. So ist bei den Briefen an Anton Vergeiner das Papier bei fast allen Faltungen gebrochen. Um diese Dokumente langfristig erhalten und sichern zu können, mussten sie 2014 einer aufwändigen Restaurierung zugeführt werden.
Die Übergabe der Briefe erfolgte am 3. Juli 2013 in Freistadt durch den Vertreter der Familie Schallaböck: Notar Paul Schöffl an Bürgermeister Christian Jachs und Bernhard Prammer.
Autoren: Karl Affenzeller, Fritz Fellner, Bernhard Prammer; 2017
Freistädter Komponisten - Dokumentation zur Ausstellung im Mühlviertler Schlossmuseum Freistadt vom 24. Juni bis 26. Oktober 2017.