Tolleter Schlossgeist

Oft müssen Geister umgehen, weil ihnen Unrecht getan wurde, oder sie selbst ein Unrecht begangen haben. Erlöst können sie nur werden, wenn jemand das Unrecht wiedergutmacht.

Von Tollet gehen allerlei Gerüchte, dass es dort in einem Zimmer neben der Kapelle spuke: Es soll sich dort einmal ein schwerer Justizirrtum ereignet haben. Zurzeit, als noch die Bauerssöhne bei der Gutsherrschaft Dienst machen mussten, wurde ein Bauerssohn vom Angermayergute in Unterstetten beschuldigt, einen Silberlöffel gestohlen zu haben. Der Knecht beteuerte zwar seine Unschuld, wurde aber trotzdem gehängt, da ein Mitknecht wider ihn Zeugenschaft ablegte. Dieser erschlich sich die Gunst seines Herrn, heiratete später und erhielt vom Grafen die Erlaubnis, sich aus dem Herrschaftswalde einen Baum zur Anfertigung einer Wiege nehmen zu dürfen. Auf diesem Baume fand sich nun ein Nest, in dem der „gestohlene“ Löffel stak. Eine Granitsäule beim Förster Flachberger erinnert an die Justifizierung des unschuldig Gerichteten.

Er wurde dort gehängt, weil er in seiner letzten Bitte gewünscht hatte, von dem Galgen aus sein Vaterhaus noch sehen zu können.

Die Sage beruht zwar auf einer wahren Begebenheit, der Hingerichtete war Balthasar Ganglmayr, Sohn des Angermair aus Unterstetten, und es ist auch wahr, dass er vom Tolleter Galgen aus sein Heimathaus sehen konnte. Nicht wahr ist allerdings, dass er unschuldig war. Er hatte mehrere Gegenstände aus dem Schloss zum Teil durch Einschleichen gestohlen und war deshalb am 26. November 1739 hingerichtet worden. Zur Sage wurde die Geschichte vermutlich, weil man das Urteil gegen den lebenslustigen Mann als zu hart empfand. Dieser gab im Verhör an das Geld verwendet zu haben, weil er so gerne zum Tanzen und Kegelscheiben ging und von seinem Vater schon lange keinen Lohn mehr bekommen hatte.

Dass es gerade im Zimmer neben der Kapelle spuken soll, kann verschiedene Gründe haben. Es ist zu vermuten, dass die Spukgeschichte schon vor der Hinrichtung Ganglmayrs existierte und erst danach mit dieser in Verbindung gebracht wurde. Im Zimmer neben der Kapelle war nämlich, hinter einer Mauer verborgen, eine in das darüber liegende Zimmer führende geheime Wendeltreppe. Ging nun jemand, den Blicken verborgen, zu welchen Geschäften auch immer, auf dieser Treppe auf und ab, hörte man im Zimmer neben der Kapelle vermutlich Geräusche, die man sich nicht erklären konnte und so einem Spuk zuschrieb.

In letzter Zeit hat man jedenfalls nichts von dem Spuk gehört, man muss aber natürlich berücksichtigen, dass sich momentan niemand zur Geisterstunde in diesen Räumen aufhält.

Autoren: Irene und Christian Keller, 2014

Glaube? Aberglaube? – Gelehrtenmagie - Dokumentation der Ausstellung im KULTURAMA Schloss Tollet vom 26. April bis 2. November 2014 und 2017.