Reliquien

Reliquie bedeutet „Überbleibsel“, meist eines Körperteiles oder Besitztums eines Heiligen.

Dem frühen Christentum war der Gedanke an eine Verehrung von Reliquien fremd, einerseits, weil der Mensch „Staub war und wieder zu Staub werden musste“, andererseits, weil man das nahe Weltende erwartete und daher keinen Bedarf sah, sterbliche Überreste aufzubewahren.

Erst an der Wende vom ersten zum zweiten Jahrhundert begann der Körper der Verstorbenen und die Grabstätten an Bedeutung zu gewinnen, besonders wenn sie von Märtyrern und Heiligen waren. Die Seelen der Heiligen, so glaubte man, weilten bei Gott, am Jüngsten Tag würden sie aber ihren irdischen Körper für die Auferstehung benötigen. Sie mussten daher mit diesem in Kontakt stehen und dabei strahlte etwas von ihrer Heiligkeit auf ihn ab. Diese „virtus“ (heilbringende Kraft) übertrugen dann wieder die Reliquien.

Viele heidnische Religionen kannten das Tragen von helfenden Amuletten zur Dämonen- und Gefahrenabwehr. Die Christen verboten dies zuerst zwar bei Todesstrafe, aber seit sich der Reliquienkult einbürgerte, begann man Reliquien als Schutzmittel um den Hals zu tragen und dies wurde von der Kirche toleriert. Schon Augustinus (um 400) erwähnt das Tragen von Reliquien und selbst im Hexenhammer wird es als Schutzmittel erlaubt, im Gegensatz zum Tragen von Spruchzetteln und magischen Gegenständen.

Eine wichtige Rolle beim Entstehen des Reliquienkultes spielten die Bischöfe, die Reliquien als Propagandamittel zur Beeindruckung der Gläubigen benutzten.

In der Frühzeit des Reliquienkultes baute man Kirchen über die Gräber der Heiligen und Märtyrer, da man sich an das alte Verbot hielt, die sterblichen Überreste eines Menschen aus der Erde zu entnehmen. Natürlich wollten schließlich die Kirchen innerhalb der Stadt auch Reliquien haben, da dies einen Zugang von Gläubigen und Spendengeldern garantierte.
Deshalb verletzte schon 386 Bischof Ambrosius erstmals das Verbot der Leichenüberführung, indem er den Körper eines Märtyrers in eine städtische Kirche bringen ließ. Nach und nach wollten immer mehr Kirchen Reliquien haben und es entstand sogar das Kirchengesetz, das bis heute Gültigkeit hat, dass es keinen Altar ohne Reliquien geben dürfe. Dies führte aber zu einem großen Bedarf an Reliquien, den man eigentlich nicht decken konnte. So kam man auf den Gedanken, dass es doch Möglichkeiten geben müsste, die Heiligkeit zu übertragen. Wer Heiliges berührte, kam in den Genuss der „virtus“, also legte man Tücher auf die Heiligengräber, wartete, bis sie sich mit „Heiligkeit“ vollgesogen hatten, und nahm sie dann mit. Den gleichen Wert wie die eigentliche Reliquie hatten diese Gegenstände jedoch nicht.
Schließlich ging man doch dazu über, den Körper der Heiligen in viele Teile zu zerlegen. Man tröstete sich mit dem Gedanken, ein Heiliger, der so viel Wunder vermöge, könne sicherlich auch seinen Körper am Jüngsten Tag wieder zusammenfinden.

Es entstand ein schwungvoller Handel mit den Reliquien, bei dem man auch nicht vor Diebstahl und Fälschung zurückschreckte, um den immer weiter wachsenden Markt zu befriedigen. Echte von unechten Reliquien unterschied man nur durch ihre Wundertätigkeit.

Über die größten Reliquiensammlungen verfügten Kaiser, Könige und Bischöfe. So hatte Friedrich der Weise z.B. um 1520 eine Sammlung von 18.970 Reliquien, sein Bruder, Erzbischof von Magdeburg, übertraf dies noch mit 21.441 Reliquien. Reliquien wurden aber nach und nach auch zu einem begehrten Objekt für den einfachen Menschen. Man erwarb sie meist in Klöstern, wo die wohl schönsten Reliquienarbeiten, auch Klosterarbeiten oder schöne Arbeiten genannt, hergestellt wurden. Sie haben ihren Ursprung im Mittelalter, dabei wurden Reliquien durch Stickereien aus Bouillondraht, Rosshaar, Perlen, Seide und Brokat verziert. Die Reliquien wurden in Reliquiaren, die z.B. die Form einer Reliquienmonstranz, eines Reliquienkreuzes, eines Reisealtars oder einer Reliquienkapsel haben konnten, untergebracht.

Autoren: Irene und Christian Keller, 2014

Glaube? Aberglaube? – Gelehrtenmagie - Dokumentation der Ausstellung im KULTURAMA Schloss Tollet vom 26. April bis 2. November 2014 und 2017.