Der Bilwiss kommt schon in einem mittelalterlichen Gedicht von Wolfram von Eschenbach um 1200 und im "Münchner Nachtsegen" vor. Bei Eschenbach scheint es ein Wesen zu sein, das durch einen Schuss verletzen kann. Im Nachtsegen steht er in Verbindung mit der Angst vor dem Fußabschneiden. Danach durchlief der Bilwiss mehrere Phasen der Veränderung, verschiedene Geister und Dämonen wurden zu dem Bild vermengt, das lange im Volksglauben tradiert wurde: ein behaartes und Haare verwirrendes, manchmal männliches, manchmal weibliches Wesen, das das reife Getreide abschneidet. Der oder die Bilwiss gehört also zur Gruppe der Korndämonen. Die Vorstellung vom Bilwisschnitter findet sich schon um 700 in der Lex Baiovarum. Dort ist er ein böser Zauberer, der das Getreide schädigt. Man glaubte, er gehe mitternachts nackt mit einer an den Fuß gebundenen Sichel durch das Getreide.
Die abgeschnittenen Ähren gelangten durch Zauberei in seinen eigenen Getreidespeicher. Jakob Grimm vermutete, dass die Bilwiss ursprünglich eine Schutzgöttin des Getreides war, die durch die Christianisierung eine Bedeutungsverschlechterung erfuhr und zum Dämon wurde. Der Sagenforscher Lecouteux nimmt eine Abstammung von der Göttin Bil, einer Personifikation des abnehmenden Mondes an, die zu einem „elbischen“, unheimlichen Wesen wurde. Ab dem 14. Jahrhundert dachte man sich die Bilwiss als Menschen, als Hexe oder Hexer.
In Bayern und Österreich sieht man sie hauptsächlich als Korndämon, der Getreidehalme abschneidet. Dies steht in Verbindung mit dem immer noch unerklärlichen Phänomen, dass man im reifen Korn manchmal etwa 20 Zentimeter breite Gänge findet, die tief ins Kornfeld reichen, man nennt sie „Bilwisschnitt“ oder „Durchschnitt“. Die abgetrennten Stellen der fehlenden Halme sind geschwärzt. Das führte zu dem Glauben, der Bilwisschnitter reite auf einem Bock, hinter dem Rauch aufsteige. Spätere wissenschaftliche Erklärungen waren kaum befriedigender. Hasen, Rehe und Dachse hatte man im Verdacht, man fand aber keine Tierlosung in den Gängen. Auch Blitzschläge wurden wegen der geschwärzten Halme als Erklärung herangezogen, es fehlte aber jedes andere Anzeichen eines Blitzschlages.
Vermutlich brachte man dem Bilwiss in früheren Zeiten Opfer. In manchen Gegenden Oberösterreichs war es bis in die 50er Jahre üblich, die letzte Garbe am Feld zu einer Strohpuppe zusammenzubinden und sie der „Kornmutter“ zu opfern. Im Hausruckviertel findet man den Namen „Bilwiss“ eher selten, man nannte Hexen und Zauberer als Verursacher des Bilwissschnittes.
Autoren: Irene und Christian Keller, 2014
Glaube? Aberglaube? – Volksfrömmigkeit - Dokumentation der Ausstellung im Kulturgut Hausruck vom 26. April bis 2. November 2014 und 2017.