Franz Stelzhamer

Franz Stelzhamer

Wanderer zwischen den Welten


Kindheit und Jugend in Groß-Piesenham
Franz Xaver Stelzhamer, auch Franz vo Piesenham, wurde am 29. November 1802 in Groß-Piesenham, einem kleinen Dorf in der Gemeinde Pramet, unweit von Ried im Innkreis geboren. Er war der jüngste Sohn des Kleinhäuslers, Schneiders und Gelegenheitshändlers Johann Stelzhamer (1775–1837) und seiner Frau Maria (geb. Hofstötter, 1774–1838). Stelzhamer wuchs im so genannten „freieigenen“ Siebengütl (heute als Museum zugänglich) in sehr bescheidenen Verhältnissen auf.
Bis zum 13. Lebensjahr lebte er in der dörflichen Gemeinschaft, von deren sozialer, geistiger und sprachlicher Atmosphäre viele seiner Werke geprägt sind. In zahlreichen Mundartgedichten und hochdeutschen Erzählungen – in erster Linie in den so genannten Dorfgeschichten – werden landschaftliche Eigenheiten der Region, Menschentypen und die Alltagskultur des bäuerlich-katholischen Milieus dargestellt. Das Innviertel zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird in Stelzhamers Texten zur traditionsbildenden Literaturlandschaft.

Student in Salzburg, Graz und Wien
Franz Stelzhamer besuchte von 1815 bis 1821 das Gymnasium zu St. Peter in Salzburg, Ausdruck der über seinen Stand hinausgehenden Ambitionen seines Vaters Johann Stelzhamer. Als Externist, der in der Stadt zur Untermiete wohnte, lernte er 1820 die Salzburger Kaufmannstochter Antonie Nicoladoni kennen. Bis 1830 führte ihn seine Leidenschaft für sie immer wieder nach, aber auch von Salzburg weg; als Toni-Tora ist sie inspirierender Mittelpunkt seines hochdeutschen Gedichtzyklus Liebesgürtel, der erst 1855 bei Cotta (Stuttgart) verlegt wurde.
Stelzhamer war Mitbegründer der Gesellschaft Rhetoriker, einer Vereinigung dichtender Gymnasiasten, die 1821 von der Polizei verboten wurde. 1822 absolvierte er einen Kurs für Privat- und Hauslehrer in Graz. Wieder in Salzburg besuchte er 1823/24 die beiden Philosophieklassen des Lyzeums, damals Voraussetzung für das Universitätsstudium. 1825/26 begann er in Graz, wo sein Bruder Peter als Lotto-Kollektant lebte, das Studium der Rechte; er setzte es 1827/28 in Wien fort, ohne es jedoch abzuschließen. Ohne Beruf und ohne Geld lebte Stelzhamer in großer Armut und erkrankte mehrmals, u. a. auch an „Nervenfieber“ (Typhus). Am 26. Oktober 1827 wurde als erstes seiner Werke Vale. Schriftsprachliches Gedicht beim Scheiden von Salzburg im Amts- und Intelligenzblatts zur k.k. privil. Salzburger Zeitung veröffentlicht.

Hauslehrer, Theologe, Schauspieler und Dichter
Zwischen 1828 und 1832 verdingte sich Stelzhamer als Hauslehrer, v. a. dann, wenn die Schulden zu drückend wurden. In diesem Zeitraum war er bereits in Kontakt mit dem Wiener Dichterkreis um Johann Nepomuk Vogl, dem so genannten „Voglnest“. Ständige Geldnöte, die seine Gesundheit sukzessive untergruben, veranlassten ihn, Wien zu verlassen und im Wintersemester 1832 das Priesterseminar in Linz zu belegen, aus dem er jedoch bereits im Frühjahr 1833 wieder austrat. Sein „Sprung aus der Kutte“ führte zu einem jahrelangen Besuchsverbot im Elternhaus.
Obwohl sich Stelzhamer als Dichter der Hochsprache verstand, entstanden während seines kurzen Linzer Aufenthalts erste Mundartgedichte, die in den Vertonungen seines Freundes – des in Sarleinsbach geborenen Priesterseminaristen Eduard Zöhrer (1810–1885) – in Oberösterreich rasch populär wurden. Seine Bemühungen, einen Verleger für die hochdeutschen Gedichte und ein Theater für seine Schauspielambitionen zu finden, führten Stelzhamer 1835 nach München, jedoch ohne Erfolg. Im Winter 1835/36 wurde er am königlich-bayerischen Theater in Passau für kleinere Rollen engagiert; als sich die Truppe nach einem halben Jahr wegen Insolvenz auflöste, kehrte Stelzhamer nach Österreich zurück.
In Schärding hielt er die erste öffentliche Lesung seiner Mundartgedichte. 1836 erschienen zwei dieser Gedichte, Dá Daubá und D’Stern, in Friedrich Witthauers Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode. Seine frühen hochdeutschen Gedichte und Prosatexte, epigonal in den Sujets und im Stil, blieben großteils ungedruckt.

Der Durchbruch: gefeierter Mundartdichter und gefragter Beiträger
Stelzhamers erster Mundartgedichtband Lieder in obderenns’scher Volksmundart – 1837 vom k. k. Hofbuchhändler Peter Rohrmann in Wien verlegt – wurde von der literarisch interessierten Öffentlichkeit begeistert aufgenommen. Das Honorar für die Verlagsrechte führte zur Versöhnung mit den Eltern. 1838 kehrte Stelzhamer anlässlich des Todes seiner Mutter für ein halbes Jahr nach Groß-Piesenham zurück. Im Herbst übersiedelte er nach Linz, wo er journalistisch tätig war und die Uraufführung seiner Volkskomödie Faschingsdienstag am Landständischen Theater vorbereitete. Das Stück wurde kurz vor der Premiere verboten. Im Herbst 1839 kehrte er nach Braunhirschen bei Wien zurück. Bis 1842 verfasste er Beiträge für renommierte Wiener Vormärzjournale, Taschenbücher und Almanache (u. a. Wiener Zeitschrift für Kunst, Literatur, Theater und Mode, Österreichisches Morgenblatt, Der Humorist. Politisches Wochenjournal, Huldigung der Frauen, Aurora) verfasste.

1841 erschien sein zweiter Mundartgedichtband Neue Gesänge in obderenns’scher Volksmundart ebenfalls in Wien bei Carl Ueberreuter. Dieser Band, in dem sich auch ’s Haimátgsang – die Urfassung der oberösterreichischen Landeshymne (seit 1952) – findet, festigte den Ruf Stelzhamers als genialer Volksdichter im Sinne der von Johann Gottfried Herder (1744–1803), vom Sturm und Drang sowie von der Romantik hoch geschätzten Volkspoesie. Stelzhamer verkehrte in Neuners berühmtem Silbernen Kaffeehaus mit bedeutenden Künstlern des Wiener Vormärz, war Mitglied des Schriftsteller- und Journalistenvereins Concordia und des Dichterkreises Soupiritum. Im Sommer 1841 übertrug er die Redaktion des 1844 veröffentlichten Sammelbands Wien und die Wiener an Adalbert Stifter, mit dem er zu dieser Zeit in engem Kontakt stand. Für den Sammelband verfasste Stelzhamer die Beiträge Ein Abend vor der Linie sowie Wiener Stadt-Physiognomie und Wiener Volks-Charakter.

'sHaimátgsang

Hoamatland, Hoamatland!
han dih so gern
Wiar a Kinderl sein Muader,
A'Hünderl sein'Herrn.

Durih's Tal bin i glaffn,
A'fn Hechl bin ih glegn
Und dein Sunn hat mi trückert,
Wann mih gnetzt hat dein Regn.

Hoamatland, Hoamatland!
han dih so gern
Wiar a Kinderl sein Muader,
A'Hünderl sein'Herrn.

Durih's Tal bin i glaffn,
A'fn Hechl bin ih glegn
Und dein Sunn hat mi trückert,
Wann mih gnetzt hat dein Regn.

Dein Hitz is net zgrimmi,
Net zgroaß is dein Frost,
Ünser Traubn hoaßt Hopfn,
Ünsern Wein nennt ma Most.

Und zun Bier und zun Most
Schmeckt a kräftige Kost
Und die wachst alle Jahr,
Mit der Noat hat's koan Gfahr.

Deine Bam, deine Staudna
Sand groaß word'n mit mir
Und sie blüahn schön und tragn
Und sagn. »Mach's als wia mir!«

Am schönern macht's Bacherl,
Laß allweil tala,
Aber's Herz, von wo's auerrinnt,
's Herz laßt's da.

Und ih und die Bachquelln
San Veder und Moahm.
Treibt's mih woderwill umher,
Mein Herz is dahoam.

Dahoam is dahoam,
Wannst net fort muaßt, so bleib;
Denn d'Hoamat is ehnter
Der zweit Muaderleib.

Lesereisen
Zwischen 1842 und 1844 unternahm Stelzhamer von Wien aus drei ausgedehnte Vortragsreisen, die maßgeblich zu seiner Popularität beitrugen und ihn nach Linz, Salzburg, Bad Ischl, München, Graz, Passau, Regensburg sowie in viele kleine Orte führten. Er reüssierte als Vortragender seiner Mundartgedichte in Münchner Künstler- und Adelskreisen; u. a. verlieh ihm auch Herzog Max (Vater der späteren österreichischen Kaiserin „Sisi“) am 3. April 1843 die goldene Medaille für Wissenschaft und Kunst. Der Erfolg im benachbarten ‚Ausland‘ begünstigte 1844 die einzige, um einige Gedichte erweiterte Neuauflage der ersten beiden Mundartgedichtbände.

Familiengründung in Ried und die Revolution von 1848
1845 heiratete Stelzhamer die aus Böhmen stammende Näherin Betty Reis, die er in Wien kennen gelernt hatte; das Ehepaar übersiedelte nach Ried im Innkreis, das bis Ende 1851 ihr Hauptwohnsitz blieb. Am 7. November wurde ihr einziges Kind Carolina, genannt Lini, geboren.

Vor der Revolution von 1848 erschienen in rascher Folge drei Bände hochdeutsche Prosa (1845 bei Georg Manz in Regensburg) sowie Lieder in obderenns’scher Volksmundart gesetzt mit Begleitung des Pianoforte (bei Carl Haslinger in Wien) und Stelzhamers erste Dorfgeschichte aus dem Riederwalde (Aurora, Taschenbuch für das Jahr 1845). 1846 folgte der dritte Mundartgedichtband Neue Gedichte in obderenns’scher Volksmundart. Die Resonanz auf diesen Band war gering, obwohl er fünf kongeniale Übertragungen von Liedern des schottischen Dichters Robert Burns enthält. Unter dem Titel Heimgarten erschienen 1847 bei Gustav Heckenast – einem der wesentlichen Verleger des österreichischen Kaiserreichs – zwei Bände hochdeutscher Erzählungen und die Sammlung Jugendnovellen. Nach dem Vorbild von Franz von Kobells bayerischen Schnadahüpfi'n brachte der Wiener Verlag Tendler & Schaefer 1847 Eine Auswahl älterer und neuerer Lieder in obderenns’scher Volksmundart heraus.

Stelzhamer hielt sich bei Ausbruch der Revolution in Ried auf; er teilte die anfängliche Begeisterung vieler konstitutionell gesinnter Zeitgenossen, die jedoch rasch einer heftigen Ablehnung wich. Die wichtigsten Ereignisse des Revolutionsjahres kommentierte er in den Politischen Volksliedern (Mundart): Sie erschienen zunächst als Flugblätter in Ried, später broschiert bei Quirin Haslinger in Linz. Stelzhamer bereiste Bayern, Ober- und Niederösterreich, um bei Lesungen der Politischen Volkslieder Geld und Pränumeranten (Subskribenten) für sein noch nicht gedrucktes Mundartepos D’Ahnl zu gewinnen.

1849 verfasste er im Auftrag des Ministeriums für Kultus und Unterricht ein Lesebuch für die erste Klasse, obere Abtheilung, deutscher katholischer Landschulen, das ihn für die Beamtenlaufbahn empfehlen sollte. Stelzhamer erhielt zwar das vereinbarte Honorar, das Schulbuch wurde aber nie gedruckt. 1851 verlegte er D’Ahnl, ein Mundartepos in Hexametern, mit Hilfe von Spekulantengeldern; drei Jahre später erschien es ohne sein Wissen in zweiter Auflage bei Wilhelm Braumüller in Wien.

Nach dem Revolutionsjahr 1848 gelang es Stelzhamer nicht mehr, im österreichischen Literaturbetrieb Fuß zu fassen. Seine finanzielle Notlage, die die Existenz seiner Familie zunehmend bedrohte, veranlasste ihn im Dezember 1851 nach München ‚auszuwandern‘, wo er sich günstigere Lebensbedingungen erhoffte.

Im ‚bayerischen Exil‘
Nach dem Tod Linis (Dezember 1851) folgte Betty Stelzhamer ihrem Mann nach München. Weitgehend unbekannt, weil unverkauft, blieben die in München von Stelzhamer selbst verlegten Bücher Gambrinus. Münchener humoristisches Taschenbuch f. das Sudjahr 1853/1854, Neue Jugend-Novellen (1854) sowie Das Bunte Buch (1852), das neben anderen reaktionären Texten auch ein mit Jude betiteltes antisemitisches Pamphlet enthält, in dem Stelzhamer einen fiktiven Verfasser über die Vernichtung der Juden, die mit einem Riesenbandwurm verglichen werden, fantasieren lässt. In der ersten Hälfte der 1850er Jahre verfasste er auch dynastische Gedichte für das österreichische Kaiserhaus und die Wittelsbacher in Bayern; in den Dorfgeschichten Reisel (1853), Das böse Weib und der Teufel (1853) und Haschuk (1854), die in österreichischen Periodika erschienen, löste er sich vom Romantizismus seiner frühen Prosatexte und entwickelte eine eigenständige Erzählweise in der Tradition von Berthold Auerbachs (1812–1882) Schwarzwälder Dorfgeschichten. Um die Drucklegung seiner hochdeutschen Gedichte in dem renommierten Verlag Georg von Cottas vor Ort zu betreiben, übersiedelte Stelzhamer nach Stuttgart, wohin ihm seine Frau erst bei Ausbruch der Cholera in München im August 1854 nachfolgte. Nach dem Erscheinen des Sammelbands Gedichte (1855) – der Band enthält den unveröffentlichten Gedichtzyklus Liebesgürtel und bereits veröffentlichte Mundartgedichte – kehrte das Ehepaar völlig mittellos nach Österreich zurück. Kaiser Franz Joseph I. verlieh dem Dichter für das Widmungsexemplar die große goldene Medaille für Kunst und Wissenschaft, nicht aber den von Stelzhamer erhofften Ehrensold in Gold.

Stelzhamers Nachsommer in Österreich
Kurze Zeit nach der Rückkehr starb Betty 38-jährig in Salzburg. 1856 wurde Stelzhamers Theaterstück Die Ehre des Regiments in Linz uraufgeführt. Im selben Jahr entwickelte sich zwischen dem 54-jährigen Dichter und Hermine Tremml, der Tochter seiner Jugendliebe Antonie Nicoladoni, eine skandalträchtige Liebesbeziehung, die zu einem Besuchsverbot Stelzhamers im Elternhaus des Mädchens führte.

Die letzten 18 Jahre seines Lebens verbrachte Stelzhamer vorwiegend in Salzburg und Henndorf, unterbrochen von mehr oder weniger langen Aufenthalten in Linz, Vöcklabruck, Wien (u. a. Besuch bei Emil Kuh) und Graz (u. a. Besuch bei Peter Rosegger). Seit 1862 erhielt Stelzhamer vom Land Oberösterreich eine jährliche Ehrengabe von 400, seit 1864 ein zusätzliches staatliches Künstlerstipendium von 600 Gulden. 1866 erlitt er einen Schlaganfall, der ihn jedoch nicht davon abhielt, 1868 die um 34 Jahre jüngere Salzburger Lehrerin Therese Böhm-Pammer zu heiraten. Sie wohnte, um dem „Gerede“ in der Stadt aus dem Weg zu gehen, mit ihrem 1867 unehelich geborenen Sohn Luzian in Henndorf, wo die nicht legalisierte Beziehung zu Stelzhamer aber ebenfalls als „Ärgernis gebendes Verhältnis“ angesehen wurde. Erst im Sommer 1870 wählte der 68-jährige Dichter Henndorf zu seinem ständigen Wohnsitz. Ein Jahr später wurde Rosalia Stelzhamer geboren. Stelzhamers letzter Mundartgedichtband Neueste Lieder und Gesänge in obderenns’scher Volksmundart erschien 1868 in Linz: Er enthält gleichsam als Resümee seines Lebens das Versmärchen Königin Noth, eine Allegorisierung von Armut, Unglück und Not, die ganz im Sinne einer restaurativen Weltsicht als unabänderlich dargestellt werden.

Von 1866 an arbeitete er an der Gesamtausgabe seiner Werke, für die er den renommierten Verleger Gustav Heckenast gewinnen wollte. Anlässlich seines 70. Geburtstags fanden in Salzburg und Oberösterreich große Feiern und Geldsammlungen statt. Die Ikonisierung des Volks- und Heimatdichters verdichtete sich in der Metapher vom blüehádön Kerschbám: „Allwei kreuzlusti Und trauri gar nia, I steh da wiar á Kerschbám In ewigá Blüah.“

Zwei Jahre später starb Stelzhamer in seinem Wohnhaus, Henndorf Nr. 84. Sein Grab befindet sich auf dem Henndorfer Friedhof in der Nähe der Gedenktafel seines Freundes, des Schriftstellers und Mundartdichters Sylvester Wagner (1807–1865).

CD-Tipps:

Sickárá, Sáckárá – G'redt und G'sungá. Franz Stelzhamer – Martin Moser. Ungenach 2002.

O, so schen is dö Welt. Franz Stelzhamer – Hans Helmut Stoiber. Linz: StifterHaus 2006.

Autorin: Silvia Bengesser, 2011