Tendenzen nach 1945

Tendenzen in der oberösterreichischen Literatur von 1945 bis 1980


Zwischen „Trümmerliteratur“ und Traditionalismus
Die deutsche Literaturgeschichte der Nachkriegszeit wurde maßgeblich vom Begriff „Trümmerliteratur“ geprägt. Die jüngere Autorengeneration forderte nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs nicht nur in politischer, sondern auch in künstlerischer Hinsicht einen grundsätzlichen Neubeginn. Die leidvollen Erfahrungen von Krieg und Diktatur sollten in realistischer Sprache zum Thema gemacht werden. Aber nicht alle deutschsprachigen Autoren teilten die Auffassung der „Trümmerliteraten“, insbesondere in Österreich verlief die Entwicklung in den Nachkriegsjahren anders. Die ideologische NS-Literatur verschwand zwar, aber im Unterschied zu Deutschland setzte sich in der maßgeblichen literarischen Szene anfangs eher ein weltanschaulicher und ästhetischer Traditionalismus durch. Und wenn es Ansätze von Modernität gab, dann handelte es sich nicht um einen neuen Realismus im Sinne eines Heinrich Böll (1917–1985) oder Günter Grass (geb. 1927), sondern eher um surrealistische Literatur. Auch die legendäre Wiener Gruppe, die in den 1950er Jahren einen kräftigen Modernisierungsschub initiierte, orientierte sich an der surrealistischen und dadaistischen Zwischenkriegsliteratur und griff damit auf jene Ästhetik der Moderne zurück, die vom Nationalsozialismus gewaltsam unterbunden worden war.

Traditionelles Schreiben in Oberösterreich
Im Zusammenhang mit und gleichzeitig im Kontrast zu diesen breiteren Entwicklungslinien der 1940er und 1950er Jahre steht die regionale Entwicklung in Oberösterreich. In den ersten Nachkriegsjahren dominierte der Traditionalismus. Von den oberösterreichischen Autorinnen und Autoren, die nach Kriegsende traditionelle Erzählkunst auf hohem literarischen Niveau pflegten und gleichzeitig einem eher konservativen Menschen- und Gesellschaftsbild verpflichtet blieben, seien Gertrud Fussenegger (1912–2009), Franz Tumler (1912–1998) und Herbert Eisenreich (1925–1986) erwähnt.

Mit den Romanen Die Brüder von Lasawa (1948), Das Haus der dunklen Krüge (1951) und das Das verschüttete Antlitz (1957) schuf Gertrud Fussenegger eine Trilogie, deren Schauplätze in Böhmen liegen. Die Handlung von Die Brüder von Lasawa beruht auf dem geläufigen Motiv der verfeindeten Brüder, von denen der eine scheitert, der andere aufgrund seiner Charakterstärke das Leben meistert. Der Roman spielt zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Im zweiten Roman ihrer Trilogie erzählt Gertrud Fussenegger eine Familien- und Ehegeschichte aus Pilsen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Auch Das verschüttete Antlitz ist ein Eheroman. Handlungszeit sind die 1950er Jahre.

Nach dem Ende des Dritten Reichs und dem damit verbundenen Zusammenbruch ihrer ideologischen Illusionen fand Gertrud Fussenegger ihre weltanschauliche Heimat im Katholizismus. Obwohl sie grundsätzlich dem traditionellen Erzählen treu blieb, adaptierte sie gelegentlich auch neuere Erzählverfahren. Beispielhaft dafür steht der 1983 erschienene Jesus-Roman Sie waren Zeitgenossen. Gertrud Fusseneggers Schaffenskraft blieb ihr bis ins hohe Alter erhalten. Auf ihrer umfangreichen Werkliste findet man so unterschiedliche Genres wie Kriminalroman, Lyrik, Drama, Essay, Erzählung und Jugendbuch. Über ihr Leben und ihre Gedankenwelt gab Gertrud Fussenegger in ihrer Autobiografie Ein Spiegelbild mit Feuersäule (1979) Auskunft.

Franz Tumler schloss nach 1945 mit seinem Roman Ein Schloß in Österreich (1952) auch an die österreichische Erzähltradition an. Schloss Bergheim, der zentrale Handlungsort des Romans, hat zwar ein reales Vorbild, nämlich Schloss Hagenberg im Mühlviertel, wo Tumler in den ersten Jahren der Nachkriegszeit lebte; „Bergheim“ ist aber im Grunde ein fiktiver Handlungsraum und gleichzeitig ein symbolischer Ort (alt-) österreichischer Tradition, an dem in der Zeit von 1938 bis in die unmittelbare Nachkriegszeit gesellschaftspolitische und private Krisen erfahrbar gemacht werden. Gegen Ende der 1950er Jahre ist in Franz Tumlers literarischer Entwicklung eine deutliche Veränderung Richtung Moderne feststellbar. Zu dieser Zeit übersiedelte er auch endgültig nach Berlin.

Herbert Eisenreich wurde in Linz geboren, studierte in Wien und lebte zwischen 1961 und 1977 in Sandl bei Freistadt. Die letzten Lebensjahre verbrachte er wieder in Wien. In den 1950er Jahren erregte Eisenreich mit seinem Hörspiel Wovon wir leben und woran wir sterben, für das er den Prix Italia erhielt, internationale Aufmerksamkeit. Als Erzähler trat er mit seinem Romanerstling Auch in ihrer Sünde (1953) an die Öffentlichkeit. Dreißig Jahre arbeitete Eisenreich an seinem großen Roman Sieger und Besiegte, den er letztlich als Fragment unter dem Titel Die abgelegte Zeit (1985) veröffentlichte. Eisenreich entwirft darin eine Zeitskizze für die Jahre 1930 bis 1953. Anhand zahlreicher Figuren und Figurenbeziehungen versucht der Erzähler ein gültiges Bild seiner Generation zu zeichnen. Mehrere Schauplätze des episodisch aufgebauten Romans liegen in Oberösterreich. Formal und stilistisch ist das Werk am Konzept des universalen Romans orientiert, wie es Heimito von Doderer (1896–1966) vertreten hat.

Literatur der politischen Linken
Ein Autor, dessen Leben und Schreiben die ideologischen Spannungen des 20. Jahrhunderts spiegelt, war Arnolt Bronnen (eigentlich Bronner). Er wurde 1895 in Wien geboren und nahm als Soldat am Ersten Weltkrieg teil. In den 1920er Jahren hielt sich Bronnen vorwiegend in Berlin auf. In seinen literarischen Anfängen war er vom Expressionismus beeinflusst. In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre näherte er sich dem Nationalsozialismus an. 1933/34 war Bronnen, der schon vor Hitlers Machtantritt für den Berliner Rundfunk und die UFA gearbeitet hatte, Dramaturg der Reichsrundfunkgesellschaft. Dann kam es aber immer häufiger zu Verstimmungen zwischen dem Autor und der NSDAP. 1937 wurde er aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, was einem Berufsverbot gleichkam. Bronnen lebte seit 1943 in Goisern, wo er im antifaschistischen Widerstand tätig war. Nach Kriegsende trat er der KPÖ bei und arbeitete als Kulturredakteur in Linz für das Parteiblatt Neue Zeit. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Bronnen in Ostberlin, wo er 1959 starb. Die als Schauprozess geschriebene Autobiografie Arnolt Bronnen gibt zu Protokoll (1954) gibt interessante Einblicke in das Leben und Denken dieses umstrittenen Autors.

Der 1922 geborene und 1997 verstorbene Franz Kain stammt aus einer kommunistisch orientierten Arbeiterfamilie des Salzkammerguts. Er war bereits in den 1930er Jahren Mitglied der Kommunistischen Jugend und wurde 1936 aus politischen Gründen inhaftiert. 1941 wurde Kain erneut wegen illegaler politischer Arbeit verhaftet und landete bei einer Strafkompanie in Afrika. Dort geriet er in amerikanische Gefangenschaft. 1946 kehrte er nach Österreich zurück und arbeitete als Journalist der Neuen Zeit in Linz; von 1957 bis 1982 war er Chefredakteur: Zwischen 1977 und 1986 gehörte Kain dem Linzer Gemeinderat an. Seine literarische Laufbahn begann Franz Kain als Lyriker, bald wandte er sich aber der Prosa zu. Kindheit und Jugend im Salzkammergut, v. a. aber zeitgeschichtliche Themen des 20. Jahrhunderts, die Kämpfe im Februar 1934, der Nationalsozialismus, die kommunistische Utopie und der antifaschistische Widerstand standen immer wieder im Zentrum seiner epischen Werke: Der Weg zum Ödensee, Der Föhn bricht ein, Die Lawine, Das Ende der Ewigen Ruh. Lesenswert ist auch Franz Kains umfangreicher autobiografischer Roman Auf dem Taubenmarkt (1991), der nicht nur eine private Lebensgeschichte, sondern auch ein zeitgeschichtliches Panorama bietet.

Aufbruch in die Nachkriegsmoderne
Der Anschluss an die bedeutenden Tendenzen deutschsprachiger Literatur der 1950er und 1960er Jahre wurde in Oberösterreich zuerst und vorrangig vom Theater geleistet. Unter anderem ist dies Alfred Stögmüller (1925–2004) zu verdanken, der als Theaterschaffender und langjähriger Intendant des Linzer Landestheaters (1969–1986) auch der oberösterreichischen Bühnenliteratur Beachtung schenkte. Die zwischen 1950 und 1970 entstandenen Bühnenwerke Kurt Klingers und Oskar Zemmes verraten sowohl die Auseinandersetzung mit dem Parabelstück in der Brecht-Dürrenmatt-Tradition als auch mit dem absurden Theater.

Kurt Klinger (1928–2003) schrieb in den 1950er und 1960er Jahren mehrere Theaterstücke, in denen er antike Mythen modernisierte, u. a. den Odysseus-Mythos. In Odysseus muß wieder reisen zeigt Klinger einen Helden, der durch den Trojanischen Krieg dermaßen brutalisiert worden ist, dass er sich nicht mehr auf die Umgangsformen der Friedenszeit umstellen kann. Klinger beschäftigte sich insbesondere als Dramaturg an großen deutschen Bühnen mit den unterschiedlichsten dramatischen Traditionen und wurde von ihnen beeinflusst, u. a. von Carlo Goldoni, dem 1932 geborenen Arrabal – einem Vertreter des Absurden Theaters – und dem elisabethanischen Theater. Auch als Erzähler, Lyriker und Mitherausgeber wichtiger Literaturzeitschriften war Klinger einer der produktivsten Autoren der oberösterreichischen Nachkriegsliteratur.

In den 1950er und 1960er Jahren war die Abteilung für Hörspiel und Literatur im Landesstudio des ORF ein Zentrum des regionalen Literaturbetriebs. Unter der Leitung von Ferry Bauer und dessen Nachfolger Alfred Pittertschatscher wurden im Landesstudio regelmäßig Hörspiele produziert. Für die damals mittlere und junge Autorengeneration der 1960er Jahre – Margret Czerni (geb. 1926), Friedrich Ch. Zauner (geb. 1936), Walter Wippersberg u. a. – war die Rundfunkliteratur ein wichtiges Betätigungsfeld. Zauner war auch als Prosaautor sehr produktiv. Mit seiner Romantetralogie Das Ende der Ewigkeit leistete er einen beachtlichen literarischen Beitrag zur oberösterreichischen Sozial- und Mentalitätsgeschichte.

Die von Sinn- und Identitätsfragen sowie von gesellschaftspolitischer Skepsis geprägte Lyrik und Prosa der 1960er und frühen 1970er Jahre wird in Oberösterreich u. a. durch die Autorennamen Hermann Friedl (1920–1988), Franz Rieger (1923–2005) und Franz Josef Heinrich repräsentiert.
Franz Josef Heinrich (geb. 1930) schrieb anfangs eine von der klassischen Moderne und der hermetischen Chiffrensprache beeinflusste Lyrik. In den 1970er Jahren wandte sich der Autor der Erzählprosa zu. Hauptmotive in seinen epischen Werken sind der kritische Blick auf Gewalt und Macht sowie der grundlegende Zweifel am Gelingen allzu naiv oder hybrid konstruierter Lebenspläne.

Die seit dem Auftreten der legendären Wiener Gruppe in Österreich etablierte sprachkritische und sprachexperimentelle Literatur hat in Oberösterreich in Heimrad Bäcker (1925–2003) einen engagierten Mentor gefunden, der als Herausgeber der edition neue texte zum geistigen Vater jener jüngeren Autorengeneration wurde, die ihrem Selbstverständnis nach die literaturästhetische Avantgarde repräsentiert. Der Schriftsteller Heimrad Bäcker fand v. a. mit nachschrift und nachschrift 2 Beachtung. Darin machte er den Sprachgebrauch des Naziterrors zum Gegenstand der Kritik.

Autor: Christian Schacherreiter, 2011