Prädikant
Michael Stifel/Stiefel (1487 - 1567)

STANDPUNKT: "So ist uns auch got naeher, denn uns sind alle heiligen. Du solst got anbeten und ihm allein dienen. Allein, allein, allein. Merk diß woertlin, allein."

Stifel wurde um 1487 in Esslingen geboren. Er trat bei den Augustiner-Eremiten ein und wurde 1511 zum Priester geweiht. Tief betroffen verfolgte er den Missbrauch, der mit der Verkündigung der Ablässe von 1507 und 1514 betrieben wurde. So stand er im Ablassstreit von Anfang an auf Seiten Luthers und wurde zu einem begeisterten und sehr schwärmerischen Anhänger der neuen Lehre. Schon damals sah er das Ende der Zeiten nahen und verfasste ein „Lyd“, in dem er Luther als Engel der Apokalypse auftreten ließ.

Stifel musste fürchten, wegen seinem offenen Bekenntnis zu Luther vor Gericht gestellt zu werden, verließ nach Warnungen gerade noch rechtzeitig das Kloster und ging nach Wittenberg zu Luther, mit dem ihn zeitlebens eine enge, aber nicht immer unproblematische Freundschaft verbinden sollte.
Auf Bitten Dorothea Jörgers entsandte Luther Michael Stifel nach Tollet, er wurde der erste lutherische Prediger im Land.

Stifel in Tollet
Am St. Jakobstag 1525 kam er in Tollet an und wurde von der ganze Familie wie ein "Sendbote des Himmels" begrüßt. Von nah und fern kamen Menschen, um von ihm in der Schlosskapelle in Tollet das Wort Gottes zu hören und "vil Tausend Seelen hat Herr Stifel erquickt und zu Gottes Wort geführt."

Dieser Zulauf alarmierte schließlich auch die Behörden, die in Stifel nun nicht mehr nur einen Hauspriester der Jörger sahen. Stifel musste Tollet verlassen, kehrte jedoch bald "zur Herrin" Dorothea zurück.

Stifel stand in regem Briefkontakt mit Leonhard Kaiser in Waizenkirchen. Als dieser verhaftet wurde, flüchtete sein Schulmeister Ulrich nach Tollet und brachte Nachricht von Kaisers Schwierigkeiten. Angespannt verfolgte man nun den Prozess um Leonhard Kaiser und seine Verbrennung in Schärding mit. Auch Luther erhielt Bericht über die Vorgänge und diese bildeten die Grundlage für seine Schrift: "Histori oder das warhafftig geschicht des leydens und sterbens Lienhart Keysers seligen …" Als dann auch noch Kaiser Ferdinand I. neue Gesetze gegen die Prädikanten herausgab, fürchtete Christoph Jörger, Michael Stifel nicht mehr schützen zu können und entließ ihn 1527 nach Wittenberg zu Luther. Auch dieser riet: "Indeß müst ihr Geduld haben, bis das Wetter überhingehet." Stiefel sollte jedoch nicht mehr nach Tollet zurückkehren, er blieb aber in Verbindung mit Dorothea Jörger, die ihn manchmal auch finanziell unterstützte.

Mathematik und Mystik
Nach Deutschland zurückgekehrt erhielt Stifel eine Pfarrstelle in Lochau, Luther selbst führte ihn dort ein und unterstützte seine Heirat mit der Witwe seines Vorgängers. Dort wandte sich Stifel besonders der Wortrechnung zu und verfiel dem Gedanken, dass 1533 der Weltuntergang bevorstehe (siehe Tafel). Als dieser jedoch nicht stattfand und er verhaftet wurde, setzte sich Luther für ihn ein, sodass er aus dem Hausarrest entlassen wurde und wieder eine Pfarrstelle in Holzdorf bekam. Dort wandte er sich mathematischen Fachstudien zu und wurde zu einem der bekanntesten Mathematikern seiner Zeit. Sein Hauptwerk war die von Fachkollegen hochgelobte "Arithmetica Integra". Darin geht es besonders um negative Zahlen, Exponenten, Zahlenfolgen und Logarithmen. Nach einigen Wohnortwechseln, zum Teil wegen religiöser Verfolgung, hielt er auch Vorlesungen an der Königsberger Universität, ab 1559 hielt er sich in Jena auf, wo er 1567, im damals äußerst hohen Alter von 80 Jahren, sein bewegtes Leben beschließen sollte.

Autoren: Irene und Christian Keller, 2010

Die Jörger von Tollet und ihre Zeit. Glaube, Macht und Untergang eines protestantischen Adelsgeschlechtes - Dokumentation zur Sonderausstellung im Schloss Tollet im Zuge der OÖ. Landesausstellung 2010.